Baurecht

Erfolgreiche Nachbarklage gegen Nutzungsänderung einer Bankfiliale in Bar bzw. Schank- und Speisewirtschaft

Aktenzeichen  M 8 K 16.1795

Datum:
28.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 60 S. 1 Nr. 1, Art. 64 Abs. 2 S. 1, Art. 68 Abs. 2 S. 3
BayVwVfG BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BauVorlV § 1, § 3, § 13
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
BImSchG BImSchG § 3 Abs. 1, § 5 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Der Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht. Die Baugenehmigung ist aber dann aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bestimmtheitsgebot in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung verlangt, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Baumaßnahmen und Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. (redaktioneller Leitsatz)
3. Immissionen, die das immissionsschutzrechtlich zulässige Maß nicht überschreiten, begründen keine Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots, das insoweit keinen andersartigen oder weitergehenden Nachbarschutz vermittelt. (redaktioneller Leitsatz)
4. Überschreiten die bei der Nutzung einer Anlage entstehenden Immissionen bei regelmäßigem Betrieb die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze, genügt es zur Sicherung der Nachbarrechte nicht, in der Baugenehmigung den maßgeblichen Immissionsrichtwert als Grenzwert festzulegen und weitere Nebenbestimmungen vorzubehalten. Vielmehr muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Baugenehmigung vom … April 2016, Plannr. …, wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet.
Die streitgegenständliche (Änderungs-)Baugenehmigung vom … April 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil sie in nachbarrechtsrelevanter Weise gegen Verfahrensvorschriften verstößt und zudem die beim Betrieb des Lokals der Beigeladenen entstehenden Immissionen nicht wirksam auf ein für die Klägerin zumutbares Maß begrenzt sind.
1. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt in nachbarrechtsrelevanter Weise gegen bauordnungsrechtliche Verfahrensvorschriften (Art. 64 Abs. 2 Satz 1 Bayerische Bauordnung – BayBO – i. V. m. §§ 1 ff. Bauvorlagenverordnung – BauVorlV -; Art. 68 Abs. 2 Satz 3 BayBO) und auch gegen das Gebot hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit der Baugenehmigung i. S. d. Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVfVfG).
Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO bestimmt, dass mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen sind. Art, Umfang und Inhalt der vorzulegenden Bauvorlagen ergeben sich dabei für den vorliegenden Fall in verordnungsrechtlicher Konkretisierung aus §§ 1, 3 BauVorlV und den in der letztgenannten Vorschrift in Bezug genommenen Regelungen des dritten Teils der Bauvorlagenverordnung. Mit diesen Formvorschriften für den Bauantrag korrespondiert unmittelbar die Bestimmung des Art. 68 Abs. 2 Satz 3 BayBO. Danach ist die Baugenehmigung dem Antragsteller – hier also der Beigeladenen – mit einer Ausfertigung der mit einem Genehmigungsvermerk zu versehenen Bauvorlagen zuzustellen.
In den vorgelegten Behördenakten zum Änderungsantrag Plannr. … sind zwar eine Bauzeichnung vom … März 2015 sowie ein dazugehöriger Lageplan als Planunterlage i. S. d. §§ 7, 8 BauVorlV enthalten. Allerdings finden sich dort entgegen Art. 68 Abs. 2 Satz 3 BayBO keine mit einem Genehmigungsvermerk versehen Bauvorlagen zur Genehmigung vom … April 2016.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und mit ihm die erkennende Kammer gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Nachbar zwar keinen materiellen Anspruch darauf hat, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht, die Baugenehmigung aber dann aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B. v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m. w. N.; aktuell z. B. VG München, U. v. 26.9.2016 – M 8 K 15.3757 – juris Rn. 45). Wenn die Baugenehmigung selbst oder die der Baugenehmigung zugrunde liegenden Bauvorlagen wegen Ungenauigkeiten bzw. wegen ihres Fehlens keine Entscheidung zulassen, ob die Anforderungen derjenigen Vorschriften gewährleistet sind, die zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehören und die Nachbarschutz vermitteln, kann eine Nachbarrechtsverletzung zur Aufhebung einer Baugenehmigung führen (BayVGH, U. v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16). Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektiv-öffentliche Abwehrrechte der Klägerin begründen können, ist eine mögliche Rechtsverletzung der Klägerin hierdurch zu bejahen (vgl. BayVGH, U. v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16; B. v. 5.12.2001 a. a. O. juris Rn. 11 m. w. N.; Lechner in: Simon/Busse, BayBO Stand August 2016, Art. 68 Rn. 472 m. w. N.).
Zudem verlangt auch das Bestimmtheitsgebot (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Baumaßnahmen und Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarrechtlicher Vorschriften auszuschließen und – zusätzlich – wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat (vgl. VG München, a. a. O. juris Rn. 46).
Diesen Verfahren- und Formvorschriften ist vorliegend nicht genügt. Erst aus der beim Altakt Plannr. … befindlichen und mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Planunterlage zur Baugenehmigung vom … Januar 2004 in Gestalt des Nachgangsbescheids vom … Februar 2016 lässt sich – in Verbindung mit der genehmigten und auch mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Betriebsbeschreibung vom … Februar 2016 im gegenständlichen Verfahren – der genehmigte Umfang des streitigen Vorhabens der Beigeladenen in den von ihr genutzten Räumen im Anwesen …-straße 42 entnehmen. Die Kaskade der für das Vorhaben der Beigeladenen – auch parallel – beantragten und von der Beklagten erteilten, teilweise aufeinander aufbauenden, teilweise aber auch wieder erheblich voneinander abweichenden Baugenehmigungen (Bau-, Nachgangs- und Änderungsgenehmigungen vom … Januar 2004, vom … Februar 2016 und – letztlich hier streitgegenständlich – vom … April 2016 einerseits sowie vom … August 2015 und … Mai 2016 andererseits) – jeweils mit ebenfalls teilweise identischen, teilweise abweichenden oder – wie hier – gar nicht vorhandenen bzw. widersprüchlichen Bauvorlagen – erweist sich bereits als solche als in erheblicher Weise uneindeutig und unklar und führt ohne eindeutige Zuordnung und Abgrenzung der entsprechenden Bauvorlagen zu- und voneinander sowie zu den zahlreichen Verwaltungsverfahren und dazu bei der Beklagten geführten Akten jedenfalls im vorliegenden Fall zur Unbestimmtheit der Bauvorlagen.
Dazu kommt, dass die zum gegenständlichen Verwaltungsvorgang der Beklagten genommene, ungenehmigte Planunterlage vom … März 2015 anscheinend identisch ist mit der im Parallelverfahren M 8 K 15.3370 streitbefangenen Baugenehmigung vom … August 2015 vorgelegten, dort indes undatierten aber mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Unterlage. Dies führt hinsichtlich der dort enthaltenen Darstellung einer gaststättenmäßigen Nutzung auch im Untergeschoss allerdings zu einem wiederum nicht belastbar auflösbaren Widerspruch zur Erklärung der Beigeladenen in der hier gegenständlichen Betriebsbeschreibung vom … Februar 2016, wonach die Nutzung des Untergeschosses zu anderen als Lagerzwecken nicht Gegenstand des Änderungsantrags vom … März 2016 war. Diese Aussage korrespondiert zwar ihrerseits mit der in der Baugenehmigung vom … Januar 2004 zugelassen Lagernutzung im Kellergeschoss, steht aber mit der beim gegenständlichen Verwaltungsvorgang befindlichen Bauvorlage vom … März 2015 in erheblichem Widerspruch. Sonach erweisen sich die Bauvorlagen zur Baugenehmigung vom … April 2016 auch insoweit als unklar.
Im hier zu entscheidenden Fall der nachbarlichen Anfechtung geht die vorgenannte, jedenfalls im Rahmen einer Gesamtschau erhebliche Unklarheit bzw. Unvollständigkeit der Bauvorlagen und die damit korrespondierende Unvollständigkeit der streitigen Baugenehmigung zulasten des Bauherrn und der Genehmigungsbehörde. Dies deswegen, weil es sowohl Obliegenheit der Baugenehmigungsbehörde im Rahmen ihrer Amtsermittlung (Art. 24 BayVwVfG) als auch solche der Beigeladenen als Bauherrin im Rahmen ihrer Mitwirkung am Verwaltungsverfahren (Art. 26 Abs. 2 BayVwVfG) gewesen wäre, vollständige, unzweideutige und im Einzelnen auch nachprüfbare und aus sich selbst heraus ausreichend schlüssige Bauvorlagen einzureichen bzw. der Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung zugrunde zu legen (vgl. Gaßner in: Simon/Busse, a. a. O. Art. 64 Rn. 80; VG München, U. v. 11.4.2016 – M 8 K 15.597 – juris Rn. 22). Dies entspricht im Übrigen auch der normativen Wertung, die § 13 BauVorV für das Baugenehmigungsverfahren zu entnehmen ist.
Mithin verstößt die aufgrund fehlender und zudem auch widersprüchlicher Bauvorlagen erteilte Baugenehmigung vom 12. April 2016 schon aus Gründen des hier ausnahmsweise drittschützenden Verfahrensrechts gegen Rechte der Klägerin.
2. Das streitgegenständliche, bauplanungsrechtlich nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB) zu beurteilenden Vorhaben verstößt gegen das in dieser Vorschrift enthaltene, die Klägerin als Nachbarin schützende Rücksichtnahmegebot. Es fügt sich nicht im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein bzw. erweist sich als rücksichtlos, weil damit zu rechnen ist, dass die Klägerin durch vom klägerischen Betrieb ausgehende Geräusche unzumutbar belästigt wird. Der Schutz der Klägerin wird durch die Nebenbestimmungen der streitbefangenen Bau-genehmigung und die Maßgaben der Betriebsbeschreibung der Beigeladenen nicht ausreichend gewährleistet. Es wird dadurch nicht hinreichend belastbar sichergestellt, dass die Immissionen wirkungsvoll auf ein für die Klägerin zumutbares Maß begrenzt werden.
Die Zumutbarkeitsgrenzen für Lärmimmissionen sind zwar im streitbefangenen Be-scheid grundsätzlich in Gestalt verschiedener Auflagen zutreffend festgelegt. Es er-weist sich aber nicht als gesichert, dass diese Grenzen von der Beigeladenen auch tatsächlich eingehalten werden (können). Vor allem genügt es unter den gegebenen Umständen nicht, für den Betrieb des Lokals der Beigeladenen lediglich vorzuschreiben, dass die maßgeblichen Richtwerte, insbesondere nach Nr. 6.2 der TA Lärm nicht überschritten werden dürfen und dazu verschiedene – zudem überwiegend eher allgemein gehaltene – Auflagen zu verfügen. Angesichts der Geräuschbelastung, die bei der nach der streitigen Genehmigung zulässigen umfangreichen Nutzung des Lokals während der Nachtzeit – namentlich donnerstags bis samstags jeweils bis 5.00 Uhr morgens – zu erwarten ist, hätte es jedenfalls für diese Zeit weiterer, den Betrieb und von ihm auf das klägerische Anwesen ausgehende Geräuschimmissionen konkret und ausreichend wirksam einschränkender Nebenbestimmungen bedurft, um verlässlich zu gewährleisten, dass die vorgesehenen Begrenzung der Immissionen letztlich nicht nur „auf dem Papier“ steht.
3. Die streitbefangene Baugenehmigung wurde für das Vorhaben als Sonderbau erteilt (Art. 2 Abs. 4 Nr. 8 Bayerische Bauordnung – BayBO -), so dass gem. Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO insbesondere die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vor-habens nach den §§ 29 bis 38 BauGB zum Prüfungsmaßstab gehört.
3.1 Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass sich das Vorhaben bauplanungs-rechtlich nach § 34 BauGB beurteilt. Das mit der streitgegenständlichen Baugeneh-migung zugelassene Bauvorhaben verstößt in bauplanungsrechtlicher Hinsicht allerdings gegen das in § 34 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot und damit gegen drittschützende Rechte der Klägerin, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren. Das Rücksichtnahmegebot ist vorliegend jedenfalls – auch bei einer hier wohl vorliegenden Gemengelage – dem Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu entnehmen, wobei dessen Anforderungen mit denen des § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO inhaltlich identisch sind.
3.1.1 Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, den die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vor-haben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG B. v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m. w. N.). Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U. v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 22; U. v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 16). Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U. v. 25.2.1977, a. a. O.).
3.1.2 Hinsichtlich der Zumutbarkeit von Belästigungen kann grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) zurück-gegriffen werden (vgl. BayVGH, B. v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris Rn. 29). Ebenso ist für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärm als Maßstab die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BImSchG vom 26. August 1998 (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm, GMBl. 1998 S. 503) heranzuziehen (BVerwG, U. v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 17). Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Immissionen, die das immissionsschutzrechtlich zulässige Maß nicht überschreiten, begründen keine Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots, das insoweit keinen andersartigen oder weitergehenden Nachbarschutz vermittelt (BVerwG, U. v. 30.9.1983 – 4 C 74/78 – juris Rn. 11/14). Nach § 5 Nr. 1 BImSchG sind Anlagen so zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.
Normkonkretisierende Richtwerte für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärm enthält grundsätzlich die TA Lärm. Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z. B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2 der TA Lärm) und Bewertungsspannen (z. B. A.2.5.3 des Anhangs zur TA Lärm) Spielräume eröffnet (BVerwG, U. v. 29.8.2007 – 4 C 2.07 – juris Rn. 12; U. v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 18). Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundes-Immissionsschutzgesetz und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. BVerwG, U. v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris Rn. 22; U. v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 19).
3.1.3 Geht es um die Lösung einer Immissionskonfliktlage, reicht es in der Regel aus, wenn dem Emittenten aufgegeben wird, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten (vgl. grundlegend BVerwG, U. v. 5.11.1968 – I C 29.67 – juris Rn. 11; BayVGH, B. v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris Rn. 31). Überschreiten die bei der Nutzung der Anlage entstehenden Immissionen bei regelmäßigem Betrieb die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze, dann genügt es zur Sicherung der Nachbarrechte allerdings nicht, in der Baugenehmigung den maßgeblichen Immissionsrichtwert als Grenzwert festzulegen und weitere Nebenbestimmungen vorzubehalten; vielmehr muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden (vgl. BayVGH, U. v. 18.7.2002 – 1 B 98.2945 – juris Rn. 53 ff.; B. v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris Rn. 31). Im Genehmigungsverfahren hat der Bauwerber dann nachzuweisen (vgl. auch § 1 Abs. 4 Alt. 2 BauVorlV), dass er die Zumutbarkeitskriterien der TA Lärm für jeden bestimmungsgemäßen Betriebszustand, also auch für eine Maximalauslastung, einhält. Deshalb sind an die Einschätzung der Einhaltung der Zumutbarkeitskriterien hohe Anforderungen zu stellen. Um im Genehmigungsverfahren „auf der richtigen Seite zu liegen“, sind mögliche Unsicherheiten durch entsprechende Sicherheitszuschläge auszugleichen. Andernfalls würden die regelmäßig nicht zu vermeidenden Unsicherheiten bei nachträglichen Kontrollen zulasten der zu schützenden Betroffenen gehen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, U. v. 31.5.2005 – 1 LB 4/05 – juris Rn. 39).
3.1.4 Dies zugrunde gelegt, stellt die streitbefangene Baugenehmigung nicht in ausreichender Weise sicher, dass in den im Gebäude der Klägerin befindlichen betriebsfremden schutzbedürftigen (Wohn- und Schlaf-)Räume im 1. Obergeschoss der für die Nacht – unabhängig von der Gebietsart nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchst a bis f der TA Lärm – geltende Immissionsrichtwert von 25 dB(A) nach Nr. 6.2 Satz 1 der TA Lärm eingehalten werden kann (vgl. dazu grundsätzlich zutreffend Auflage Nr. 1 der streitbefangenen Baugenehmigung i. V. m. Nr. 1 des Nachgangsbescheids vom 24.2.2016). Die durch den Betrieb der Beigeladenen innerhalb von Gebäuden herrührenden Geräusch- bzw. Körperschallübertragungen werden weder durch die Maßgaben der Betriebsbeschreibung vom … Februar 2016 noch durch die Nebenbestimmungen der streitbefangenen Baugenehmigung in solcher Art und Weise begrenzt, dass die Einhaltung des nächtlichen Immissionsrichtwerts nach Nr. 6.2 Satz 1 der TA Lärm für jeden bestimmungsgemäßen Betriebszustand des Lokals der Beigeladenen, also auch im Falle seiner Maximalauslastung in der Nachtzeit, d. h. von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr (vgl. zu den Beurteilungszeiten Nr. 6.4 der TA Lärm), ausreichend verlässlich gewährleistet ist.
3.1.4.1 Grundsätzlich zutreffend verfügt die streitbefangene Baugenehmigung im Wege der Nebenbestimmung nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG) zwar insbesondere die Geltung der Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.2 der TA Lärm (vgl. Auflage Nr. 1 der streitbefangenen Baugenehmigung i. V. m. Nr. 1 des Nachgangsbescheids vom …2.2016). Allerdings zeigt sich trotz der von der Beigeladenen zur Verhinderung unzumutbarer Geräuscheinwirkungen auf die im Gebäude der Klägerin befindliche Wohnnutzung erforderlich gehaltenen bauakustischen/schalltechnischen Maßnahmen (vgl. Betriebsbeschreibung vom …2.2016 i. V. m. der schalltechnischen Stellungnahme des Büros … vom …2.2016 und …3.2016) und der verfügten Nebenbestimmung (vgl. Auflage Nr. 1 des streitbefangenen Baugenehmigung), dass (auch) damit eine Verhinderung ton- bzw. informationshaltiger Geräusche an den relevanten Immissionsorten im Anwesen der Klägerin (vgl. Nr. 3 des streitbefangenen Bescheids) nicht verlässlich sichergestellt werden kann.
Das von der Beigeladenen beauftragte Büro … geht davon aus, ein Informations-zuschlag müsse dann vergeben werden, wenn das Schallereignis zusätzlich eine Information beinhalte. Geräusche aus einer Gaststätte rechtfertigten keinen Informationszuschlag, nur weil eine Zuordnung zur Gaststätte hergestellt werden könne. Sei neben dem Takt eines Liedes auch die Melodie erkennbar, so sei ein Informationszuschlag gerechtfertigt und müsse vergeben werden (vgl. Schreiben vom …2.2016, S. 2). Welche konkreten Konsequenzen hieraus bei der schalltechnischen Begutachtung allerdings im Einzelnen gezogen wurden, lässt sich jedoch weder der Stellungnahme vom … Februar 2016 noch dem Schreiben vom … Februar 2016 noch der weiteren Stellungnahme vom … März 2016 entnehmen. Einerseits wird im Schreiben vom … Februar 2016 nämlich ausgeführt, es werde pauschal ein Informationszuschlag von 3 dB(A) trotz fachlicher und rechtlicher Bedenken berücksichtigt, andererseits ist im Schreiben vom … Februar 2016 davon die Rede, ein Zuschlag für Ton- und Informationshaltigkeit erfolge, soweit notwendig.
Die Beklagte hat den Zuschlag für Ton- und Informationshaltigkeit bei ihren nach Aktenlage zuletzt durchgeführten Messungen am … Oktober 2016 – anders noch als in den Messungen vom … November 2015 (vorgelegt in Anlage zum Schreiben vom …12.2015 im Verfahren M 8 SN 15.4541) – ausdrücklich nicht berücksichtigt. Sie führt dazu aus, die Musikgeräusche aus der Gaststätte der Beigeladenen, in der am Tag der Messung offensichtlich kein nennenswerter Betrieb vorgeherrscht hatte, seien am jeweiligen Immissionsort zwar hörbar gewesen, jedoch nicht besonders hervortretend. Tieffrequentierte Geräusche (Bässe) seien auffälliger gewesen, rechtfertigten jedoch keinen Tonhaltigkeitszuschlag. Damit setzt sich die Beklagte in einen nicht aufgelösten fachlichen Widerspruch zu ihren früheren Aussagen zur Berücksichtigung (deutlich) wahrnehmbarer Bässe im Rahmen der Zuschlagsvergabe nach Nr. A.3.3.5 des Anhangs zur TA Lärm.
Wenn die Beigeladene in ihrer ausdrücklich zum Gegenstand der Betriebsbeschreibung gemachten schalltechnischen …-Stellungnahme vom … Februar 2016 davon ausgeht, ein Zuschlag für Informationshaltigkeit nach Nr. A.3.3.5 des TA Lärm sei pauschal i. H. v. 3 dB(A) berücksichtigt, macht sie zudem bereits selbst, gerade mit Blick auf das weitere …-Schreiben vom … Februar 2016, einen schalltechnisch nicht ausreichend verlässlich bestimmbaren bzw. begrenzten Betriebsumfang zum Bauantragsgegenstand. Bereits aus diesem Grunde erweist sich die vorgelegte Betriebsbeschreibung für die Darstellung eines realistischen Lokalbetriebs nicht als ausreichend.
Bei einer Gesamtschau der Aussagen der Beigeladenen zur Beschreibung ihres Betriebs und den Bewertungen der Messungen der Beklagten ist mithin festzustellen, dass dort kein hinreichend bestimmtes und realistisches Betriebsgeschehen zugrunde gelegt wurde, so dass sich die vorhabenbedingten Immissionsbelastungen der Klägerin schon vor diesem Hintergrund nicht als ausreichend konservativ bemessen („auf der sicheren Seite liegend“) und verlässlich dargestellt erweisen. Vielmehr wäre es notwendig gewesen, die vorhandenen Unsicherheiten bei einer – wie hier – unklaren Erkenntnislage zur Wahrnehmbarkeit und Intensität potentiell lästiger bzw. störender Bässe – durch entsprechende Sicherheitszuschläge nach Nr. A.3.3.5 der Anlage zur TA Lärm, auszugleichen.
3.1.4.2 Auch genügt die streitige Baugenehmigung nicht in ausreichender Weise dem Zuschlagssystem der TA Lärm.
Ein Zuschlag für Ton- und Informationshaltigkeit eines Geräuschs ist nach den normkonkretisierenden Bestimmungen der TA Lärm dann geboten, wenn ein oder mehrere Töne hörbar hervortreten (Hansmann in: Landmann/Rohmer, Stand Mai 2016, TA Lärm, Anhang 3.3.5). Die TA Lärm enthält keine abschließenden Festlegungen, sondern umschreibt sie im Anhang unter Nr. A.2.5.2 und A.3.3.5 lediglich begrifflich.
Tonhaltigkeit erfasst dabei eine durch das Hervortreten einzelner Töne gekennzeichnete Auffälligkeit von Geräuschen. Sie war in Abschnitt 2.422.3 der TA Lärm 1968 noch mit den Worten „z. B. brummende, heulende, singende, kreischende und pfeifende Töne” umschrieben. Dementsprechend können als tonhaltig solche Geräusche bezeichnet werden, die lautmalerisch darstellbar sind und/oder, wenn der konkrete Geräuschverursacher deutlich erkennbar ist (vgl. Feldhaus/Tegeter, Stand 2014, TA Lärm, Anhang A.3 Rn. 13). Zu diesen durch den maßgeblichen Höreindruck zumeist deutlich identifizierbaren lästigen Komponenten tritt die von der TA Lärm nicht weiter umschriebene Informationshaltigkeit hinzu. Auch hierbei geht es, wie aus den Regelungen in A.2.5.2 des Anhangs zur TA Lärm folgt, um ein auffälliges Geräuschgeschehen (etwa einer Außengastronomie oder einer Musikveranstaltung). Gemeinsames Kennzeichen der mit den Zuschlägen für Ton- und Informationshaltigkeit erfassten Lästigkeitskomponenten ist damit das Merkmal der Auffälligkeit. Wenn und soweit objektiv als lästig empfundene Komponenten aus dem übrigen Lärmgeschehen auffällig hervortreten, weil sie deutlich wahrnehmbar sind und eine besondere Störwirkung entfalten, soll der damit verbundenen Lästigkeit für den Menschen bei der Beurteilung nach der TA Lärm durch Zuschläge Rechnung getragen werden. Dies führt nach A.3.3.5 des Anhangs zur TA Lärm bei der Ton- und Informationshaltigkeit im Ergebnis dazu, dass die in die Beurteilung einfließende Intensität der lästigen Geräuschkomponente so behandelt wird, als wäre die Geräuschquelle verdoppelt (3 dB(A)) bzw. sogar vervierfacht (6 dB(A); vgl. OVG NRW, U. v. 18.2.2013 – 2 A 2135.11 – juris Rn. 71 ff.).
Auch wenn die Vergabe der Zuschläge dabei in Abhängigkeit von der subjektiven gutachterlichen Wahrnehmung festgelegt wird, wobei auch Erfahrungswerte von vergleichbaren Anlagen zu berücksichtigen sind, sofern diese vorliegen (vgl. A.2.5.2 des Anhangs zur TA Lärm), führt dies vorliegend dazu, dass der Betrieb der Beigeladenen ton- bzw. informationshaltige Schallimmissionen jedenfalls in den Wohnungen im 1. Obergeschoss des klägerischen Anwesens hervorruft. Ausweislich der Messberichte der Beklagten vom … Oktober 2016 waren in beiden Wohnungen Musikgeräusche aus der Schank- und Speisewirtschaft der Beigeladenen hörbar, wenn auch nicht besonders hervortretend. Zudem war nach den Feststellungen des Lärmgutachters der Beklagten die beim üblichen Betrieb auftretende Lärmsituation nicht gegeben. Bässe waren dabei auffälliger wahrnehmbar. Dabei ergaben sich an den relevanten Immissionsort Messwerte des nächtlichen Beurteilungspegels von 22,7 dB(A) und 22,9 dB(A). Obwohl eine eindeutige Zuordnung der Bässe zu dem streitgegenständlichen Vorhaben möglich war – und dort im Übrigen auch nur eine mäßige Betriebsauslastung festzustellen war, wurde von der Vergabe des (Mindest-)Zuschlags von 3 dB(A) für Ton- und Informationshaltigkeit nach Nr. A.3.3.5 der TA Lärm abgesehen. Im Falle der Vergabe dieses Zuschlags hätte sich an beiden relevanten Immissionsorten eine Überschreitung des nächtlichen Immissionsrichtwerts von 25 dB(A) i. S. d. Nr. 6.2 Satz 1 der TA Lärm ergeben. Es kann damit auch unter Berücksichtigung der Beschränkung des von der Beigeladenen vorgesehenen Maximalpegels der Musikanlage des Lokals der Beigeladenen auf 95 dB(A) sowie auch unter Einbeziehung der weiteren bauakustischen Schutzmaßnahmen, wie sie in der schalltechnischen Stellungnahme vom … März 2016 im Einzelnen beschrieben sind und zudem (teilweise) auch Gegenstand der Auflagen der streitbefangenen Baugenehmigung sind, nicht davon ausgegangen werden, dass das Vorhaben die erforderliche Rücksichtnahme auf die nächtliche Wohnruhe des benachbarten Anwesens der Klägerin nimmt. Die Beigeladene hat es verabsäumt, die Unsicherheiten der vom Betrieb ihres Lokals ausgehenden Geräuschimmissionen durch entsprechende Sicherheitszuschläge und bauliche Maßnahmen der Schallentkoppelung verlässlich auszugleichen. Dies hat die Beklagte im streitbefangenen Bescheid nicht korrigiert. Damit konnte von der Beigeladenen nicht der notwendige Nachweis geliefert werden, dass sie mit ihrem Betrieb bauakustisch und schalltechnisch „auf der sicheren Seite liegt“. Zudem verstößt sie damit auch gegen die von der Beklagten verfügte Auflage Nr. 4 der streitbefangenen Baugenehmigung i. V. m. Auflage Nr. 1.8 der Baugenehmigung vom … August 2015, wonach die Geräusche der Musikdarbietungen an den Immissionsorten nicht informations- oder tonhaltig sein dürfen.
Dies wird vom schalltechnischen Bericht des von der Klägerin beauftragten Büros …-… GmbH vom … November 2016 bestätigt. Dieses stellt unter Zugrunde-legung der aus Sicht dieses Büros notwendigen Zuschläge nach Nr. A.3.3.5 des Anhangs zur TA Lärm eine Überschreitung des nächtlichen Immissionsrichtwerts nach Nr. 6.2 der TA Lärm um bis zu 1,9 dB(A) fest.
Nach Auffassung der Kammer geht …-… dabei zutreffend davon aus, dass die in die schutzbedürftigen Räume des 1. Obergeschoss des klägerischen Anwesens übertragenen Schallanteile der Musikdarbietungen in den Räumen der Beigeladenen in einer Weise informationshaltig sind, dass dies die Vergabe eines Zuschlags nach Nr. A.3.3.5 des Anhangs zur TA Lärm rechtfertigt. Kontinuierlich durchlaufende Bässe und rhythmische Schläge der klägerischen Musikdarbietungen in schutzbedürftigen Räumen sind in diesem Sinne als zuschlagsrelevante Schallkomponenten zu qualifizieren, wenn sie – wie hier – ausreichend deutlich wahrnehmbar sind und eine besondere Störwirkung entfalten. Aufgrund der damit verbundenen überdurchschnittlichen Lästigkeit für Menschen, die sich insbesondere während der Nachtzeit in schutzbedürftigen Räumen i. S. d. Nr. 6.2 Satz 1 der TA Lärm i. V. m. DIN 4109 aufhalten, ist es nach Auffassung der Kammer nicht notwendig, dass daneben (auch) eine Melodie der klägerischen Musikdarbietungen erkennbar ist.
Die der streitbefangenen Baugenehmigung zugrundeliegenden schalltechnischen Untersuchungen und Auskünfte des von der Beigeladenen beauftragten Büros … vom … und … Februar 2016 sowie vom … März 2016 erweisen sich sonach insgesamt als nicht ausreichend aussagekräftig und rechtfertigen daher auch nicht die von der Beklagten im Genehmigungsverfahren – unter der Anordnung von etlichen, bislang zudem nicht nachweisbar vollzogenen Nebenbestimmungen (Sitzungsniederschrift vom 28.11.2016, S. 21) – angestellte Prognose, die Klägerin werde durch den Betrieb der Beigeladenen nicht unzumutbar beeinträchtigt.
Aus Sicht der Kammer wäre es insbesondere notwendig gewesen, unter konkreter Berücksichtigung der bauakustischen Gegebenheiten der Anwesen …-straße 42 und 44 (einschließlich der Maßnahmen in der …-Stellungnahme vom …3.2016 und deren abschirmender Leistungsfähigkeit) die Musikanlage so einzubauen, einzumessen und abzuregeln, dass die Geräusche der Musikdarbietungen an den maßgeblichen Immissionsorten die hier insbesondere maßgeblichen Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.2 der TA Lärm auch einhalten. Bislang wurde, weder nach Aktenlage noch nach dem Vortrag der Beteiligten, ein ausreichend konservativ bemessener maximal zulässiger Innenpegel ermittelt und auch verbindlich festgelegt. Der von der Beigeladenen herangezogene Maximalpegel von 95 dB(A) ist hierzu ausweislich der zwischenzeitlichen messtechnischen Feststellungen der Klägerin und auch der Beklagten ebenso wenig ausreichend wie die Umsetzung der baulichen Schallschutzmaßnahmen (vgl. …-Schreiben vom …2 und …3.2016). Entgegen der dort ausdrücklich vertretenen Auffassung der Gutachter der Beigeladenen kann bis dato gerade nicht davon die Rede sein, dass mit diesen bauakustischen Maßnahmen und der Einhal-tung des maximalen Innenpegels von 95 dB(A) unzumutbare Schalleinwirkungen auf die Wohnungen im Anwesen der Klägerin auszuschließen sind. Es wäre aus Sicht der Kammer vorliegend vielmehr insbesondere notwendig gewesen, Musikdarbietungen in den Räumen der Beigeladenen ausnahmslos nur als Hintergrundbeschallung zuzulassen – dies vor allem auch mit Blick auf die Genehmigung als Schank- und Speisewirtschaft, ausdrücklich aber gerade nicht als Vergnügungsstätte – und diese zudem zu verpflichten, sie auf einen entsprechenden – wie vorstehend ausgeführt schalltechnisch belastbar ermittelt und ausreichend konservativ bemessenen – reduzierten maximalen Innenpegel dauerhaft und nachweisbar dokumentiert abzuregeln und hierüber auch einen unabhängigen, sachverständigen oder fachbehördlichen Nachweis einzufordern. Die Regelungen im streitbefangenen Bescheids i. V. m. der Baugenehmigung vom … Januar 2004 und dem Nachgangsbescheid vom … Februar 2016 sind hierzu nicht ausreichend.
Auch hätte es nach Auffassung der Kammer nahegelegen, wenn die Beklagte die Aufnahme des Betriebs im Lokal der Beigeladenen jedenfalls zur Nachtzeit im Sinne einer aufschiebenden Bedingung davon abhängig gemacht hätte, dass sämtliche bauakustischen und schalltechnischen Maßnahmen von der Beigeladenen vollständig umgesetzt werden und hierüber sowie zur ausreichenden Abschirmungswirkung ein entsprechender, unabhängiger sachverständiger oder fachbehördlicher Nachweis erbracht wird. Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang auch festzustellen, dass es die Beklagte nach eigener Aussage bislang unterlassen hat, zu überprüfen, ob die streitgegenständliche Baugenehmigung auch tatsächlich bauakustisch und schallschutztechnisch umgesetzt worden ist (vgl. Sitzungsniederschrift vom 28.11.2016, S. 21).
3.2 Erweist sich nach dem vorstehend Ausgeführten die streitbefangene Baugenehmigung bereits wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme als nachbarrechtsverletzend, bedarf es keiner streitigen Entscheidung mehr zu der Frage, ob die nähere Umgebung nach den vorhandenen Nutzungen (vgl. dazu die Feststellungen im Augenscheintermin vom 28.11.2016) als faktisches Mischgebiet oder als Gemengelage zu qualifizieren und welche Folge hieraus mit Blick auf den – im Falle der Annahme eines faktischen Baugebiets inmitten stehenden und drittschützenden – Gebietserhaltungsanspruch abzuleiten ist. Die Annahme eines faktischen Mischgebiets dürfte allerdings schon im Hinblick auf den überwiegenden Wohnanteil im Quartier problematisch sein. Erschwerend für dessen Annahme kommt hinzu, dass die Beklagte im bauaufsichtlichen Vollzug die kaum verschleierten diskothekenartigen bzw. -ähnlichen Nutzungen in der näheren Umgebung, namentlich in den nach Angaben der Beklagten lediglich als Gaststätten genehmigten Lokalen … und … bislang duldet (vgl. dazu Vermerk der Beklagten vom …2.2016 und ihre Erklärung im Augenscheintermin und der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2016, Sitzungsniederschrift S. 8 und 21). Denn § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB stellt auf die tatsächlich vorhandene Bebauung und deren Nutzung ab, so dass es zunächst nicht darauf ankommt, ob diese genehmigt ist oder nur in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständige Behörde mit ihrem Vorhandensein abgefunden hat.
Ebenfalls nicht abschließend zu entscheiden ist über die Frage nach der Einordnung der Art der Nutzung des Lokals der Beigeladenen entweder als Schank- und Speisewirtschaft mit Hintergrundmusik oder als Vergnügungsstätte (diskothekenähnliche/-artige Nutzung; vgl. aktuell Decker in: Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 8. Aufl. 2017, § 4a BauNVO Rn. 18 und 20 m. w. N.). Wie allerdings bereits im Beschluss vom 16. Dezember 2015, M 8 SN 15.4541, ausgeführt, spricht nach Auffassung der Kammer aufgrund von Art und Umfang des Betriebs des Lokals der Beigeladenen und seiner nachdrücklichen Schwerpunktsetzung (auch) auf Musikdarbietungen mit erheblicher Lautstärke, gerade auch mit Blick auf die im Augenschein gewonnenen Erkenntnisse, unverändert weit Überwiegendes für eine Einstufung als Vergnügungsstätte.
Fernliegend dürfte indes mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO die Auffassung der Klägerbevollmächtigten sein, das Vorhaben widerspreche dem Abstandsflächen recht.
Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG -).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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