Baurecht

Erfolgreicher Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bzgl. einer Klage gegen die Baugenehmigung eines Verbrauchermarkt-Carports – Inzidentprüfung des maßgeblichen Bebauungsplanes

Aktenzeichen  RN 6 S 20.1431

Datum:
12.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41316
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 2 Abs. 4 S. 4, Art. 6 Abs. 5 S. 1, Art. 60 S. 1 Nr. 2
BauGB § 12 Abs. 1, § 214 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, die Gültigkeit bzw. Nichtigkeit eines Bebauungsplans festzustellen, da dies im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Aufgabe des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist. Das Verwaltungsgericht kann jedoch nicht verpflichtet sein, einen erkennbar unwirksamen Bebauungsplan anzuwenden und damit eine erkennbar unrichtige Entscheidung zu treffen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verstoß gegen § 12 Abs. 1 BauGB ist kein unbeachtlicher Fehler, sondern ein beachtlicher Fehler, der zur Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans führt. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das ergänzende Verfahren des § 214 Abs. 4 BauGB dient der Planerhaltung durch Neuvornahme der fehlerhaften Handlung, nicht durch Unbeachtlicherklärung ebenjener fehlerhaften Handlung, was den entscheidenden Unterschied zu den übrigen Planerhaltungsvorschriften ausmacht. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Durch bei anderen Behörden – hier dem Landratsamt – befindliche Duplikate beschlossener Bebauungspläne, können nicht jegliche Zweifel hinsichtlich der Zugehörigkeit nicht gesondert ausgefertigter Teile zur Satzung ausgeräumt werden. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung des Landratsamtes Deggendorf vom 11. August 2020 (Az. 40-178-2019-B) wird hinsichtlich des Carports angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, mit der er sich gegen eine dem Beigeladenen zu 1) vom Landratsamt Deggendorf erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines bereits bestehenden Verbrauchermarktes mit 69 Stellplätzen (großflächiger Einzelhandel) und einen noch nicht errichteten Carport wendet.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 424/2 der Gemarkung … (* …, …*), das mit einem derzeit vermieteten Wohnhaus bebaut ist und nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt. Westlich grenzt das Grundstück Fl.Nr. 426 der Gemarkung … (* …, …*) an, auf dem in den Jahren 2013 und 2014 der gegenständliche Verbrauchermarkt mit über 1400 m² Verkaufsfläche errichtet worden ist. Das Grundstück Fl.Nr. 426 war ursprünglich im Flächennutzungsplan als allgemeines Wohngebiet dargestellt und bereits in der Vergangenheit mit einem Verbrauchermarkt mit einer Verkaufsfläche von knapp 1000 m² bebaut.
Mit Urteil vom 7. Februar 2017 im Verfahren RN 6 K 13.942 hob das Verwaltungsgericht Regensburg die ursprünglich erteilte Baugenehmigung vom 23. Oktober 2013 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 8. Dezember 2014 auf. Der am 18. März 2013 beschlossene Bebauungsplan „SO Einkaufsmarkt Hellip Straße“ sei unwirksam, da die Ausfertigung erst nach der Bekanntmachung erfolgt sei. Die deshalb geltenden gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften seien nicht eingehalten.
Am 15. Juni 2017 machte die Beigeladene zu 2) den Bebauungsplan „SO Einkaufsmarkt Hellip Straße“ rückwirkend bekannt.
Mit Beschluss vom 31. August 2018 im Verfahren 15 ZB 17.1003 lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) den von der Beigeladenen zu 2) gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan „SO Einkaufsmarkt Hellip Straße“ sei bereits deshalb unwirksam, weil die Beigeladene zu 2) mit ihm keinen Vorhaben- und Erschließungsplan gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB) erstellt und als Bestandteil des Bebauungsplans beschlossen habe. Die Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 ff. BauGB seien bei materiellen Verstößen gegen die Planermächtigungsnorm des § 12 BauGB nicht einschlägig.
Die Beigeladene zu 2) beschloss am 8. Oktober 2018 die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB. Die öffentliche Auslegung im ergänzenden Verfahren gemäß § 214 Abs. 4 BauGB in Verbindung mit § 3 Abs. 2 BauGB mit gleichzeitiger Beteiligung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange gemäß § 4 Abs. 2 BauGB fand in der Zeit vom 12. November 2018 bis 14. Dezember 2018 statt. Den Betroffenen wurde gemäß § 4a Abs. 3 BauGB in der Zeit vom 12. März 2019 bis 1. April 2019 erneut Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.
Mit Formblättern vom 6. März 2019 ließ der Beigeladene zu 1) einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Verbrauchermarktes (großflächiger Einzelhandel) mit 69 Stellplätzen stellen.
Am 1. Juli 2019 beschloss der Stadtrat der Beigeladenen zu 2) den vorhabenbezogenen Bebauungsplan „SO Einkaufsmarkt Hellip Straße“ als Satzung. Die Satzung wurde jedoch nicht bekannt gemacht. Aus der Sitzungsniederschrift des Stadtrates vom 25. Mai 2020 ergibt sich, dass die Bekanntmachung nur bei Übereinstimmung der im Rahmen des Bauantrags eingereichten Planunterlagen mit dem Bebauungsplan erfolgen sollte. Bei Überprüfung dessen wurde festgestellt, dass der Lärmschutz nicht ausreichend gewährleistet gewesen wäre. Daher sollte zu besseren Abschirmung des Parkplatzes der gegenständliche Carport errichtet werden, weshalb die Festsetzungen des Bebauungsplans geändert wurden.
Der erneut geänderte Bebauungsplanentwurf vom 25. Mai 2020 wurde gemäß § 4a Abs. 3 BauGB in der Zeit vom 5. Juni 2020 bis 26. Juni 2020 verkürzt ausgelegt. Dies wurde am 27. Mai 2020 ortsüblich bekannt gemacht. Den beteiligten Behörden und sonstigen Trägern öffentlicher Belange wurde gemäß § 4 Abs. 3 BauGB zur Abgabe ihrer Stellungnahme eine Frist bis 26. Juni 2020 gesetzt.
Am 20. Juli 2020 beschloss der Stadtrat der Beigeladenen zu 2) den vorhabenbezogenen Bebauungsplan „SO Einkaufsmarkt Hellip Straße“ erneut als Satzung. Die Ausfertigungsunterschrift vom 23. Juli 2020 befindet sich auf der Planzeichnung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Der Vorhaben- und Erschließungsplan in seiner Fassung vom 20. Juli 2020 wurde hinter dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan – sowohl in den Akten der Stadt als auch in den Akten des Landratsamtes – lose abgeheftet. Die ortsübliche Bekanntmachung erfolgte am 10. August 2020. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan setzt eine abweichende Bauweise sowie Baugrenzen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. §§ 22 Abs. 4 und 23 BauNVO fest (siehe Ziffer 1.1.2. der textlichen Festsetzungen und Nr. 3 der Zeichenerklärung für planliche Festsetzungen).
Mit Bescheid vom 11. August 2020 erteilte das Landratsamt Deggendorf dem Beigelanden zu 1) die beantragte Baugenehmigung. Die planlichen und textlichen Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans „SO Einkaufsmarkt Hellip Straße“ wurden zum Bestandteil des Bescheids gemacht. Der Genehmigung liegt unter anderem der Eingabeplan Außenanlagen und Carport (Blatt 97 Akte 1 von 2 des Landratsamtes) zugrunde. Der Carport soll parallel zur östlichen Grundstücksgrenze auf einer Länge von 15,25 m über fünf Stellplätzen errichtet und an die bestehende Lärmschutzwand (s. Rückwand in der Zeichnung) angebaut werden.
Das Vorhaben sei nach § 30 BauGB zulässig, da es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspreche. Für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan würden abweichende Festsetzungen zu den erforderlichen Abstandsflächen gelten, Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO. Der Bebauungsplan lasse Abstandsflächen geringerer Tiefe als der in Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO vorgeschriebenen zu.
Mit Schriftsatz vom 12. August 2020 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erhoben. Das Verfahren wird unter dem Az. RN 6 K 20.1432 geführt.
Mit Schriftsatz ebenfalls vom 12. August 2020 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich des Carports gestellt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Bebauungsplan sei aufgrund mehrerer Mängel nichtig. Er sei nicht erforderlich, § 1 Abs. 3 BauGB, sondern solle eine Fehlentwicklung legalisieren. Zur Nahversorgung reichten der Norma- und Edekamarkt in circa 500 m Entfernung aus. Die Größe des Verbrauchermarktes sei nicht erforderlich. Die Höhenfestsetzung von 8,14 m sei für den Verbrauchermarkt an sich nicht erforderlich sondern diene nur der Photovoltaikanlage und ermögliche als „aliud“ ein Gebäude mit einer durchgehenden Höhe von 8,14 m. Die Festsetzung der Grundflächenzahl (GRZ) von 0,6 stelle eine unwirksame Scheinfestsetzung dar, da eine Überschreitung bis auf eine GRZ von 0,95 möglich sei und ausgeschöpft werde. Zudem sei die Abwägung fehlerhaft, da die Nachteile für den Antragsteller nicht erkannt wurden. Es bestehe ein Gebietserhaltungsanspruch, der beim Satzungsbeschluss verkannt worden sei. Der Trennungsgrundsatz sei verletzt. Es liege kein Entwicklungskonzept gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB vor. Die Bebaubarkeit des südlichen Grundstückteils des Antragstellers sei nicht genügend berücksichtigt worden. Der Carport halte die gesetzlichen Abstandsflächen nicht ein. Insbesondere sei Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO nicht einschlägig. Zudem sei das Rücksichtnahmegebot verletzt. Der Carport entfalte erdrückende Wirkung. Er verhindere Belichtung, Belüftung und Besonnung und nehme die Sicht aus den westlichen Fenstern des Wohnhauses. Das Blechdach könne bei Regen zu höheren Lärmimmissionen und bei Sonnenschein zu Hitzeabstrahlung und Blendung führen. Die Schallschutzberechnungen seien zudem fehlerhaft.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung des Landratsamtes Deggendorf, Az. 40-178-2019-B, vom 11. August 2020 zur Errichtung eines Verbrauchermarktes mit 69 Stellplätzen hinsichtlich des Carports anzuordnen.
Das Landratsamt Deggendorf beantragt für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, eine Befugnis der unteren Bauaufsichtsbehörde zur inzidenten Normverwerfung bestehe nicht. Der Carport befinde sich innerhalb der festgesetzten Baugrenzen für Nebenanlagen. Im Vorhaben- und Erschließungsplan, der Bestandteil des Bebauungsplans sei, seien die zulässigen Maße des Carports dargestellt. Der im Eingabeplan dargestellte Carport entspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans. Durch den Bebauungsplan sei eine abweichende Bauweise nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB und § 22 Abs. 4 BauNVO festgelegt. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO räume dem Städtebaurecht den Vorrang ein, die Errichtung von Grenzgebäuden ohne Grenzabstand zu regeln.
Die Beigeladene zu 2) ließ mit Schriftsatz vom 28. September 2020 im Wesentlichen wie folgt Stellung nehmen. Der genehmigte Carport entspreche den Festsetzungen des wirksamen Bebauungsplans. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung sei grundsätzlich von der Wirksamkeit des zugrunde liegenden Bebauungsplans auszugehen, es sei denn dieser erweise sich als offensichtlich unwirksam (BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 2 CS 14.2456 – juris). Die vom Antragsteller vorgebrachten Einwendungen seien im Wesentlichen schon im Bauleitplanungsverfahren berücksichtigt und abgewogen worden (s. Abwägungstabellen als Anlagen BG1 und BG2). Der Bebauungsplan sei erforderlich, um die Nahversorgung entsprechend den Kundenanforderungen sicherzustellen. Die Dimension des Baukörpers sei nur eine Frage der Erforderlichkeit, wenn das Vorhaben generell für seine Zwecke überdimensioniert sei (BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 2 CS 14.2456 – juris). Ein Gebietserhaltungsanspruch sei die Folge von durch Bauleitplanung erlassenen Baugebietsfestsetzungen, sodass dieser bei der Aufstellung eines Bebauungsplans nicht zu berücksichtigen sei. Zudem habe sich bereits in der Vergangenheit ein Einzelhandelsmarkt auf dem Grundstück befunden, sodass sich hinsichtlich der Art der Nutzung nichts geändert habe. Der Bebauungsplan verkürze die Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO rechtmäßig. Von dem Carport gehe nicht ansatzweise eine unzumutbare erdrückende oder abriegelnde Wirkung aus. Der Antragsteller werde durch das Vorhaben nicht mit unzumutbaren Geräuschimmissionen belastet, der schalltechnische Bericht sei fachlich nicht zu beanstanden.
Der Antragsteller erwiderte daraufhin mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 im Wesentlichen, der Stadtrat sei in seinem Beschluss 2020 fälschlicherweise von der Situation bei Aufstellung des Bebauungsplans 2013 (Edekamarkt noch nicht errichtet) ausgegangen. Maßgebend sei jedoch der Zeitpunkt der Beschlussfassung 2020 (Edekamarkt errichtet), da der Bebauungsplan von 2013 unheilbar nichtig sei (BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 15 ZB 17.1003 – juris Rn. 24).
Der Beigeladene zu 1) hat sich im Verfahren nicht geäußert.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze in diesem Verfahren und in dem Verfahren RN 6 K 20.1432 sowie der in diesen Verfahren vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
A.
Der Antrag ist hinsichtlich des noch nicht errichteten Carports zulässig, da der Antragsteller durch die teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mangels vollendeter Tatsachen einen rechtlich relevanten Vorteil zu erlangen vermag und somit ein Rechtsschutzbedürfnis vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 9 CS 15.1762 – juris Rn. 18 m.w.N.).
B.
Der Antrag ist zumindest hinsichtlich des Carports auch begründet, weil der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht absehbar ist und im Rahmen der Interessenabwägung das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hinsichtlich des Carports überwiegt.
Der Antrag hat nur dann Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des streitgegenständlichen Verwaltungsakts überwiegt. Da an der Umsetzung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse besteht, richtet sich diese Interessenabwägung in der Regel nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Führt diese summarische Prüfung dazu, dass der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so kann kein Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligter daran bestehen, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige Verwaltungsakt sofort vollzogen wird. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil nach der im vorläufigen Rechtschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, kann der Antrag abgelehnt werden, ohne dass es einer zusätzlichen Interessenabwägung bedarf. Denn der Bürger hat grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 11 CS 08.3273 – juris m.w.N.). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Nach derzeitiger Einschätzung des Gerichts ist der vorhabenbezogene Bebauungsplan „SO Einkaufsmarkt an der Hellip Straße“ wegen eines Ausfertigungsmangels unwirksam, sodass der Carport die deswegen geltenden gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften verletzt.
Der streitgegenständliche Verbrauchermarkt mit einer Verkaufsfläche von mehr als 1.400 m² ist ein Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 Nr. 4 BayBO. Bei Sonderbauten prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 60 Satz 1 BayBO die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB (Nr. 1), Anforderungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes und auf Grund dieses Gesetztes (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3). Die Klage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung den Kläger in eigenen nachbarschützenden Rechten verletzt. Es ist daher unerheblich, ob die Baugenehmigung einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält, insbesondere ob die Vorschriften des jeweiligen Verfahrens eingehalten wurden.
1. Die Baugenehmigung ist in Bezug auf den noch nicht errichteten Carport rechtswidrig, da der Bebauungsplan unwirksam ist, sodass die Festsetzungen über die abweichende Bauweise und die Baugrenzen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. §§ 22 Abs. 4 und 23 BauNVO für die Anordnung des Carports in Bezug auf die seitlichen Grundstücksgrenzen nicht maßgeblich sind. Die Baugenehmigung verstößt daher hinsichtlich des Carports gegen die gemäß Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO zum Prüfprogramm gehörende Abstandsflächenvorschrift des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO.
Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, die Gültigkeit bzw. Nichtigkeit eines Bebauungsplans festzustellen, da dies im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Aufgabe des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist. Das Verwaltungsgericht kann jedoch nicht verpflichtet sein, einen erkennbar unwirksamen Bebauungsplan anzuwenden und damit eine erkennbar unrichtige Entscheidung zu treffen. Das Verwaltungsgericht prüft daher inzident die Wirksamkeit des Bebauungsplans, wobei es nicht ungefragt in eine Fehlersuche eintritt (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.1989 – 4 B 149/89 – juris).
a) Das Gericht geht zwar davon aus, dass die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens im Sinne des § 214 Abs. 4 BauGB hinsichtlich des Fehlers nach § 12 Abs. 1 BauGB nicht ausgeschlossen war.
Dem Beschluss des BayVGH vom 31. August 2018 (15 ZB 17.1003) ist nicht zu entnehmen, dass die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens im Sinne des § 214 Abs. 4 BauGB bei einem Verstoß gegen § 12 Abs. 1 BauGB ausgeschlossen ist:
Aufgrund der Unwirksamkeit des Bebauungsplans am Maßstab des § 12 BauGB (zur mangelnden Einschlägigkeit der Planerhaltungsvorschriften – §§ 214 ff. BauGB – bei materiellen Verstößen gegen die Planungsermächtigungsnorm des § 12 BauGB vgl. VGH BW, U.v. 10.4.2014 – 8 S 47/12 – BauR 2014, 2064 = juris Rn. 106) bleibt es bei dem vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnis, dass Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO keine Anwendung findet und dass deshalb nach Osten hin die nachbarschützende Abstandsfläche von 1 H gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO, die aufgrund der Sonderbauqualität des genehmigten Vorhabens (Art. 2 Abs. 4 Nr. 4 BayBO) zum Prüfprogramm des einschlägigen Verfahrens gem. Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO gehört, unter Verletzung subjektiver Rechte des Klägers rechtswidrig nicht eingehalten wird.
Ebenso verhält es sich mit dem Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 10. April 2014 (8 S 47/12), das zudem auf die Fehlerfolge der Gesamtunwirksamkeit hinweist:
Verstöße gegen die zwingenden Vorgaben des 12 Abs. 1 BauGB oder § 12 Abs. 3a Satz 1 BauGB führen nämlich zur Unwirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans (zu Abs. 1: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.01.2006 – 7 D 60/04.NE – BauR 2006, 1275 (1277); zu Abs. 3a: Bank, in: Brügelmann, BauGB, Stand: Juli 2012, § 12 Rn. 19), ohne dass Vorschriften zur Planerhaltung (§§ 214 ff. BauGB) eingriffen. Die Annahme einer Teilunwirksamkeit, die ohnehin im Verhältnis zur Gesamtunwirksamkeit eine von besonderen Umständen abhängende Ausnahme darstellt (BVerwG, Beschluss vom 24.04.2013 – 4 BN 22.13 – juris Rn. 3), kommt hier nicht in Betracht, da die Rechtsverstöße jeweils den gesamten Plan erfassen.
Es wird lediglich klargestellt, dass der Verstoß gegen § 12 Abs. 1 BauGB kein unbeachtlicher Fehler, sondern ein beachtlicher Fehler ist, der zur Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans führt. Die Unzulässigkeit der Durchführung eines ergänzenden Verfahrens kann dem nicht entnommen werden. Der BayVGH geht in seinem Beschluss vom 10. April 2013 (15 N 11.2513) ebenfalls davon aus, dass bei dem Fehlen eines Vorhaben- und Erschließungsplans die Möglichkeit der Heilung durch ein ergänzendes Verfahren besteht.
Zwar ist die Vorschrift des § 214 Abs. 4 BauGB systematisch bei den Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 ff. BauGB zu finden und dient auch der Planerhaltung, sodass rein vom Wortlaut der oben abgedruckten Entscheidungsausschnitte ausgehend, das ergänzende Verfahren von der Nichteinschlägigkeit erfasst sein könnte. Allerdings ist das ergänzende Verfahren von den übrigen Planerhaltungsvorschriften differenziert zu betrachten.
Das ergänzende Verfahren ist eine Möglichkeit, mit der eine Gemeinde auf die Unwirksamkeit des Bebauungsplans reagieren kann, um das angestrebte Ergebnis – die Aufstellung eines wirksamen Bebauungsplans – zu erreichen, ohne das Verfahren vollständig wiederholen zu müssen. Es handelt sich um eine „Wiedereinsetzung in den letzten fehlerfreien Verfahrensstand“ (BVerwG, B.v. 10.1.2017 – 4 BN 18/16 – juris; EZBK/Kalb/Külpmann, 133. EL Mai 2019, BauGB § 214 Rn. 201). Fehler können grundsätzlich durch Nachholung bzw. Neuvornahme der fehlerhaften Verfahrenshandlung und Wiederholung des gesamten nachfolgenden Verfahrens geheilt werden. Im ergänzenden Verfahren können nicht nur formelle, sondern auch materielle Fehler geheilt werden (Battis/Krautzberger/Löhr/Battis, 14. Aufl. 2019, BauGB § 214 Rn. 23). Für die Anwendung des ergänzenden Verfahrens reicht aus, dass die konkrete Möglichkeit der Fehlerbehebung im ergänzenden Verfahren besteht (BVerwG, U.v. 16.12.1999 – 4 CN 7/98 – juris). Diese Möglichkeit besteht nicht, wenn die zu behebenden Mängel den Kern der Abwägungsentscheidung betreffen und damit die Planung als Ganzes von vornherein in Frage stellen (BVerwG, B.v. 5. Juli 2016 – 4 BN 15/16 – juris). Das ergänzende Verfahren dient also der Planerhaltung durch Neuvornahme der fehlerhaften Handlung, nicht durch Unbeachtlicherklärung ebenjener fehlerhaften Handlung, was den entscheidenden Unterschied zu den übrigen Planerhaltungsvorschriften ausmacht.
Der konkret vorliegende Fehler, das gänzliche Fehlen eines Vorhaben- und Erschließungsplans, kann in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden, da die konkrete Möglichkeit besteht, dass dieser Fehler behoben werden kann und die Planung als Ganzes dadurch nicht in Frage gestellt wird. Das Gericht legt dieser Auffassung insbesondere zugrunde, dass der Vorhaben- und Erschließungsplan regelmäßig den „ersten Schritt“ bei der Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans darstellt, sodass bei „Wiedereinsetzung in den letzten fehlerfreien Verfahrensstand“ de facto das gesamte nachfolgende Aufstellungsverfahren erneut durchzuführen ist. Die Planung als Ganzes wird dadurch nicht in Frage gestellt. Vielmehr begünstigt die Erstellung und Einbeziehung eines Vorhaben- und Erschließungsplans die Planung in Bezug auf den vorhabenbezogenen Bebauungsplan.
b) Allerdings leidet der vorhabenbezogene Bebauungsplan an einem Ausfertigungsmangel und ist daher insgesamt unwirksam.
Der Vorhaben- und Erschließungsplan wurde nicht gesondert ausgefertigt und ist auch nicht durch eine „gedankliche Schnur“ mit dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan verbunden, die der „Identitätsfunktion“ bzw. „Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion“ der Ausfertigungsunterschrift für den gesamten Inhalt des Bebauungsplans (unter Einschluss des Vorhaben- und Erschließungsplans) Genüge tun würde. Lediglich der vorhabenbezogene Bebauungsplan selbst trägt den Ausfertigungsvermerk samt Ausfertigungsunterschrift des ersten Bürgermeisters vom 23. Juli 2020. Da der Vorhaben- und Erschließungsplan mit ihm weder fest noch „gedanklich“ verbunden ist, ist der Vorhaben- und Erschließungsplan von der Ausfertigungsunterschrift des Bebauungsplans nicht umfasst und hätte gesondert ausgefertigt werden müssen.
Bebauungspläne sind als Satzungen (§ 10 Abs. 1 BauGB) nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO auszufertigen. Dies gebietet das in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 BV verfassungsrechtlich verankerte Rechtsstaatsprinzip, das die Identität der anzuwendenden Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen verlangt. Durch die Ausfertigung wird die Satzung als Originalurkunde hergestellt, die den Willen des Normgebers nach außen wahrnehmbar macht. Zudem wird dadurch bestätigt und sichergestellt, dass der Inhalt des als Satzung beschlossenen Bebauungsplans mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt (sog. „Identitätsfunktion“ bzw. „Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion“). Der Vorhaben- und Erschließungsplan muss ebenfalls die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ausfertigung erfüllen, da er gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB inhaltlicher Bestandteil des Bebauungsplans wird.
Sofern der Bebauungsplan nicht aus einem einzigen Satzungsteil besteht bzw. nicht alle Einzelteile ausgefertigt sind, müssen daher alle regelnden Teile / Seiten des Bebauungsplans entweder fest miteinander verbunden sein oder es muss auf den ausgefertigten Teilen / Seiten in einer Weise auf die nicht ausgefertigten Bestandteile der Satzung Bezug genommen werden, die jeden Zweifel an der Identität bzw. Zusammengehörigkeit ausschließt (vgl. zu dem Ganzen BayVGH, U.v. 1.5.2018 – 15 N 17.1175 – juris Rn. 30 ff. m.w.N.).
Diese Anforderungen erfüllt der gegenständliche vorhabenbezogene Bebauungsplan nicht.
Zwar trägt der nicht gesondert ausgefertigte Vorhaben- und Erschließungsplan dasselbe Endfassungsdatum, wie die ausgefertigte Planzeichnung (20. Juli 2020) und ist auf dem Deckblatt mit Vorhaben- und Erschließungsplan „SO Einkaufsmarkt an der Hellip Straße“ betitelt. Es fehlt allerdings gerade auf der ausgefertigten Planzeichnung mit den textlichen und grünordnerischen Festsetzungen jegliche Bezugnahme auf den Vorhaben- und Erschließungsplan in der Fassung vom 20. Juli 2020. Die textlichen Festsetzungen nehmen zwar in der Ziffer 1.1.8.1 (Gebäudehöhe im gesamten Geltungsbereich) Bezug auf einen Vorhaben- und Erschließungsplan:
Die Wandhöhen sind dem Vorhaben- und Erschließungsplan zu entnehmen.
Allerdings wird dadurch nicht j e d e r Zweifel daran ausgeräumt, dass gerade der Vorhaben- und Erschließungsplan in seiner Fassung vom 20. Juli 2020 eine Einheit mit dem die Ausfertigungsunterschrift enthaltenden vorhabenbezogenen Bebauungsplan bildet. Die Bezugnahme ohne die Angabe, welche Fassung des Vorhaben- und Erschließungsplans gemeint ist, ist nicht hinreichend bestimmt (BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 38), da der Vorhaben- und Erschließungsplan in drei Fassungen existiert (vom 8. Oktober 2018, vom 25. Mai 2020 und vom 20. Juli 2020). Das bloße Abheften des Vorhaben- und Erschließungsplans vom 20. Juli 2020 in demselben Ordner mit dem ausgefertigten vorhabenbezogenen Bebauungsplan begründet keine hinreichende körperliche Verbindung, die den Verzicht auf eine „gedankliche Schnur“ rechtfertigen würde (BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 40 ff.). Die Entnahme oder das Auswechseln wäre ohne Substanzzerstörung bei dieser Sachlage möglich, d.h. die Auseinandertrennung der einzelnen Bestandteile des Bebauungsplans würde nicht zwangsläufig zur Zerstörung der Gesamturkunde führen.
Auch die dem Gericht vorliegende Akte des Landratsamtes (Plattling BebPl SO Einkaufsmarkt an der Hellip Straße i.d.F.v. 20.7.20 bek. Am 10.08.2020), in der sich der Vorhaben- und Erschließungsplan nur in der Fassung vom 20. Juli 2020 befindet, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern.
Durch bei anderen Behörden – hier dem Landratsamt – befindliche Duplikate beschlossener Bebauungspläne, können nicht jegliche Zweifel hinsichtlich der Zugehörigkeit nicht gesondert ausgefertigter Teile zur Satzung ausgeräumt werden. Denn insbesondere nach vielen Jahren oder Jahrzehnten seit dem Satzungsbeschluss und der Bekanntmachung wird sich womöglich nicht mehr zweifelsfrei klären lassen, ob an die Behörde tatsächlich die beschlossene, oder aber eine abweichende (ggf. Entwurfs-) Version übermittelt wurde. Zudem trägt gem. § 10 Abs. 3 Satz 2 BauGB allein die erlassende Kommune die Verantwortung dafür, dass in ihrer räumlichen Sphäre die „richtige“, d.h. die als Satzung beschlossene Fassung vorgehalten wird (BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 41).
Auch gab es nicht von Beginn der Planung an nur einzige Fassung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans, die möglicherweise jeden Zweifel an der Zugehörigkeit des nicht gesondert ausgefertigten Vorhaben- und Erschließungsplans vom 20. Juli 2020 zur Satzung ausschließen würde. Vielmehr existieren in den Akten der Stadt verschiedene Fassungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Diese sind zwar jeweils durch unterschiedliche Datumsangaben voneinander zu unterscheiden und aus der Gesamtschau der in den Akten der Stadt befindlichen Unterlagen könnte sich eine „gedankliche Schnur“ zwischen dem jeweils mit selbem Datum versehenen Vorhaben- und Erschließungsplan und vorhabenbezogenen Bebauungsplan ergeben. Diese Annahme würde allerdings – wie bereits erläutert – eine Bezugnahme in der Weise erfordern, dass jeder Zweifel an der jeweiligen Zusammengehörigkeit ausgeräumt wird. Das schlichte Übereinstimmen von Datumsangaben auf den Plänen stellt keine solche Bezugnahme dar.
Die derzeitig weder nummerierten noch sonst systematisch geordneten oder fest verbundenen Akten der Stadt entbehren somit sowohl der Grundlage einer „gedanklichen Schnur“ als auch einer festen physischen Verbindung, sodass der Vorhaben- und Erschließungsplan in der Fassung vom 20. Juli 2020 gesondert ausgefertigt hätte werden müssen.
Hintergedanke dieser nach gefestigter Rechtsprechung bestehenden Ausfertigungsanforderungen ist nicht etwa, den Gemeinden das vorsätzliche manipulative Austauschen einzelner Teile des Bebauungsplans zu unterstellen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass im Rahmen der über einen langen Zeitraum erfolgenden Routinearbeit mit dem Planungsakt divergierende Fassungen regelnder Bebauungsplanbestandteile versehentlich ausgetauscht werden, sodass dann – möglicherweise nach vielen Jahren – insbesondere mangels Möglichkeit der Orientierung am Inhalt einer satzungswiedergebenden Bekanntmachung (§ 10 Abs. 3 BauGB) kaum oder nicht mehr rekonstruiert werden kann, welche Fassung tatsächlich beschlossen wurde (BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 42).
Auszuschließen ist auch, dass Vorhaben- und Erschließungsplan und vorhabenbezogener Bebauungsplan vorliegend ausnahmsweise „körperlich“ in einer Planurkunde vereinigt wurden. Dies würde sachliche und räumliche Identität beider Pläne erfordern (BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 15 ZB 17.1003 – juris Rn. 16 m.w.N.). Die Stadt hat den Vorhaben- und Erschließungsplan in seiner Fassung vom 20. Juli 2020 aber gerade nicht „eins zu eins“ in dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan übernommen. Insbesondere die – dreidimensionale – Kubatur des Vorhabens ergibt sich lediglich aus dem Vorhaben- und Erschließungsplan.
Der Ausfertigungsmangel erfasst die gesamte Satzung und führt damit zur Unwirksamkeit des gesamten vorhabenbezogenen Bebauungsplans, sodass eine Entscheidung über die zahlreichen vom Antragssteller vorgebrachten Rügen, insbesondere hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans, entbehrlich ist.
c) Da der Carport an der Grundstücksgrenze errichtet werden soll, hält er die nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderliche Abstandsflächentiefe von 3 m nicht ein.
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 1 H, mindestens 3 m.
Der Carport ist abstandsflächenpflichtig gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Er stellt ein Gebäude im Sinne des Art. 2 Abs. 2 BayBO dar, da er als „offene Garage“ im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 3 Garagenverordnung (GaV) gilt (Simon/Busse/Dirnberger, 137. EL Juli 2020, BayBO Art. 2 Rn. 51 und 522).
Die Tiefe der Abstandsfläche bestimmt sich gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 BayBO nach der Wandhöhe, die in Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO legaldefiniert ist. Die Wandhöhe ist demnach das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut. Die Dachhaut ist die Oberkante der Dacheindeckung. Der Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut liegt ausweislich der Zeichnung bei 2,13 m über der Geländeoberfläche. Die Höhe des Pultdaches mit einer Dachneigung von 21 ° ist gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO nicht hinzuzurechnen, da die Neigung weniger als 45 ° beträgt. Da 1 H (Art. 6 Abs. 4 Satz 6 BayBO) demnach nur 2,13 m betragen würde, ist gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO eine Abstandsflächentiefe von 3 m einzuhalten. Da die Rückwand des Carports unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze liegen soll, würde die erforderliche Abstandsflächentiefe nicht eingehalten.
aa) Nicht einschlägig ist im vorliegenden Fall Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO, wonach eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Zum einen ist aufgrund der Unwirksamkeit des Bebauungsplans Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO, der dem Städtebaurecht grundsätzlich den Vorrang einräumt und dadurch Grenzanbauten ermöglichen kann, nicht anzuwenden. Zum anderen umfasst zwar der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO („nach planungsrechtlichen Vorschriften“) auch die planungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 BauGB, die jedoch beim gegenständlichen Carport nicht vorliegt. Voraussetzungen hierfür wäre, dass sich der Carport in die Bauweise der Umgebung einfügen würde. Die nähere Umgebung weist jedoch vorranging eine offene Bauweise auf, § 22 Abs. 2 BauNVO, die durch einen seitlichen Grenzabstand gekennzeichnet ist. Die Baukörper in der näheren Umgebung treten als einzelne in Erscheinung und sind nicht etwa durch eine geschlossenen Bauwand geprägt (EZBK/Blechschmidt, 138. EL Mai 2020, BauNVO § 22 Rn. 23). Bei nicht wenigen der (in der näheren Umgebung) vorhandenen grenzständigen Bauten dürfte es sich um solche Gebäude handeln, die unter Art. 6 Abs. 9 BayBO fallen und somit nicht ausschlaggebend für die Bauweise im Sinne des § 22 BauNVO sind. Die ansonsten vorhandenen grenzständigen Gebäude treten nur vereinzelt auf und prägen daher die Umgebung nicht durch eine Bauweise ohne seitliche Grenzabstände.
bb) Art. 6 Abs. 5 Satz 3 und 4 BayBO finden keine Anwendung, da diese Regelungen nur Abstandsflächen geringerer Tiefe, nicht jedoch ihr vollständiges Fehlen legalisieren können.
cc) Der Carport ist auch nicht von Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO erfasst, da er mit 15,25 m bereits länger als 9 m in Bezug auf die östliche Grundstücksgrenze ist, sodass es auf die mittlere Wandhöhe nicht mehr ankommt.
dd) Die Rückwand des Carports ist auch nicht von Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO umfasst sein, da die Wandhöhe 2,13 m beträgt.
2. Ob der Antragsteller diesen Abstandsflächenverstoß überhaupt rügen kann, oder ob ihm dies nach Treu und Glauben wegen eines eigenen vergleichbaren Abstandsflächenverstoßes verwehrt bleiben könnte, wird im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu klären sein.
Im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ist es regelmäßig unbillig, einen Nachbarn den mit der Grenzbebauung des anderen Nachbarn verbundenen Nachteilen auszusetzen, ihm selbst aber eine vergleichbare Ausnutzung seines Grundstücks zu verwehren, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben nicht schwerer wiegt als der eigene Verstoß und in gefahrenrechtlicher Hinsicht keine völlig untragbaren Zustände entstehen (vgl. Sächsisches OVG, U.v. 17.7.2003 – 1 B 438/01 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 18.11.2002 – 3 S 882/02 – juris).
Ausweislich des Eingabeplans Außenanlagen und Carport (Blatt 97 Akte 1 von 2 des Landratsamtes) erstreckt sich das Nebengebäude des Antragstellers an dessen westlicher Grundstücksgrenze über eine Länge von 10,30 m, sodass es wohl nicht mehr von Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO erfasst ist. Ob ein vergleichbarer Abstandsflächenverstoß, wie der des Beigeladenen zu 1) hinsichtlich des Carports vorliegt, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden.
3. Das Aussetzungsinteresse das Antragstellers überwiegt vorliegend das Interesse des Beigeladenen zu 1) an der Ausführung des Carports.
Zwar wird die nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderliche Abwägung von § 212a Abs. 1 BauGB in der Weise vorstrukturiert, dass dem Vollzugsinteresse ein erhebliches Gewicht beizumessen ist. Dennoch wird die Abwägung dadurch nicht präjudiziert (BayVGH, B. v. 4.12.2019 – 15 CS 19.2048 – juris Rn. 28).
Vorliegend erscheint zum einen der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hinsichtlich des Carports zu Gunsten des Antragstellers – nach der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage – grundsätzlich möglich. Der Vergleichbarkeit eines Abstandsflächenverstoßes könnte vorliegend entgegenstehen, dass der Carport mit 15,25 m Länge gegenüber dem Nebengebäude mit 10,30 m Länge eine um knapp ein Drittel größere Abstandsflächenverletzung mit sich bringen würde. Zum anderen besteht das Interesse des Beigeladenen zu 1) an der Errichtung des Carports gerade zum Schutz des Antragstellers. Der Carport soll vor Lärmimmissionen schützen, die ansonsten auf das Grundstück des Antragstellers und sich dort aufhaltende Menschen einzuwirken drohen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Dem Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 2) waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie jeweils keinen Antrag gestellt und sich somit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt haben (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
D.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) unter Berücksichtigung der Ziff. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Danach war die Hälfte des Streitwerts aus dem Hauptsacheverfahren (in Bezug auf die Baugenehmigung für den Carport) für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO anzusetzen.


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