Baurecht

Ergänzung der Baugenehmigung – Zeitweiser Verzicht auf genehmigte lärmintensive Betriebsabläufe

Aktenzeichen  1 CS 16.2051

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 7, § 146 Abs. 4 S. 6
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 Zwar handelt es sich bei § 80 Abs. 7 VwGO um ein eigenständiges Verfahren. Gleichwohl wird die Bezeichnung der Beteiligten aus dem ursprünglichen Verfahren, auf dem das Änderungsverfahren aufbaut, beibehalten (entgegen BVerwG BeckRS 2016, 40935). (red. LS Andreas Decker)
2 Stützt sich eine Eilentscheidung auf mehrere, selbständig tragende Erwägungen, so kann die Beschwerde nur dann Erfolg haben, wenn sie sämtliche tragenden Erwägungen erschüttert. (red. LS Andreas Decker)

Verfahrensgang

M 1 S7 16.3394 2016-09-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, die Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks ist, wendet sich in erster Linie gegen den Lärm, der von den Anlagen der Beigeladenen zu 1 ausgeht, die in dem durch Bebauungsplan festgesetzten Gewerbegebiet Brauereiausstattungen produziert und am selben Standort auch eine Brauerei betreibt.
Nachdem das Verwaltungsgericht zunächst die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung vom 12. Mai 2015 angeordnet hatte, weil mangels ausreichender Betriebsbeschreibung eine Rechtsverletzung der Antragstellerin nicht ausgeschlossen werde haben können, ergänzte das Landratsamt mit Bescheid vom 29. März 2016 die Baugenehmigung. Zur vorsorglichen Absicherung der festgesetzten Immissionsrichtwerte verzichtete die Beigeladene zu 1 mit Schreiben vom 29. Juli 2016 gegenüber dem Landratsamt während der täglichen Ruhezeiten auf von der Baugenehmigung gestattete lärmintensive Fahrbewegungen auf dem Betriebsgelände. Dem anschließend gestellten Antrag der Beigeladenen zu 1, die sofortige Vollziehung der Baugenehmigung wieder herzustellen, hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Zum einen sprächen nunmehr überwiegende Gründe für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und ihrer Nebenbestimmungen. Zum anderen falle auch die erfolgsunabhängige Interessenabwägung zugunsten der Beigeladenen zu 1 aus. Denn der verbindliche Verzicht auf lärmintensive Tätigkeiten während der Ruhezeiten schließe eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte voraussichtlich aus.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Antragstellerin, den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und den Änderungsantrag der Beigeladenen zu 1 abzulehnen. Das Verwaltungsgericht folge zu Unrecht der lärmtechnischen Beurteilung der Beigeladenen zu 1 und des Landratsamts. Zur Begründung verweist sie auf die detaillierte Stellungnahme des von ihr beauftragten Ingenieurbüros. Auch fehle dem Ergänzungsbescheid die notwendige Bestimmtheit, weil unklar bleibe, welche Unterlagen der Baugenehmigung zugrunde lägen und welche Nebenbestimmungen im Einzelnen einzuhalten seien.
Der Antragsgegner und die Beigeladenen treten der Beschwerde entgegen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Da eine Änderung der Beteiligtenstellung in Nachbarstreitigkeiten bei einem Antrag des Bauherrn nach § 80 Abs. 7 VwGO lediglich zu Verwirrungen führt, behält der Senat aus Gründen der Zweckmäßigkeit – ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei § 80 Abs. 7 VwGO um ein eigenständiges Verfahren handelt – die Bezeichnung der Beteiligten aus dem ursprünglichen Verfahren bei, auf dem das Änderungsverfahren aufbaut (a.A. BVerwG, B.v. 7.1.2016 – 4 VR 3.15 – BayVBl 2016, 466). Die geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben keine Veranlassung, die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern.
Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Beschluss, mit dem es auf Antrag der Beigeladenen zu 1 die frühere Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung korrigiert und den Eilantrag der Antragstellerin in vollem Umfang abgelehnt hat, sowohl auf eine allgemeine, vom Erfolg der Anfechtungsklage unabhängige Interessenabwägung als auch darauf gestützt, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin nach dem Erlass des Ergänzungsbescheids vom 29. März 2016 voraussichtlich erfolglos bleiben werde. Stützt sich eine Eilentscheidung aber auf mehrere, selbständig tragende Erwägungen, so kann die Beschwerde nur dann Erfolg haben, wenn sie sämtliche tragenden Erwägungen erschüttert, weil nur dann dem Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Vorrang einzuräumen ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2014 – 4 B 50.13 – juris).
Im vorliegenden Fall kann daher offenbleiben, ob die Angriffe der Antragstellerin gegen das nach ihrer Auffassung unzureichende Schutzniveau der Baugenehmigung gegen vom Betrieb der Anlage ausgehende Beeinträchtigungen durchgreifen. Denn die Beschwerdebegründung vermag die Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass – ungeachtet des Ausgangs in der Hauptsache – nach dem Verzicht der Beigeladenen zu 1 auf genehmigte lärmintensive Tätigkeiten während der Ruhezeiten dem Interesse des Anlagenbetreibers der Vorrang einzuräumen sei vor dem Interesse der Antragstellerin, bis zur Bestandskraft der Baugenehmigung von den Auswirkungen der Anlage verschont zu bleiben, nicht substantiiert in Frage zu stellen. Soweit die Antragstellerin sich mit der Bestimmtheit des Ergänzungsbescheids vom 29. März 2016 beschäftigt, den sie damit konkludent in ihre Beschwerde einbezieht, verkennt sie, dass im Ergänzungsbescheid hinreichend deutlich wird, welche geänderten Unterlagen Gegenstand der Baugenehmigung sind und dass auch der Inhalt der immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen keinen Zweifeln unterliegt. Entscheidend für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens bleibt aber, dass die Antragstellerin sich nicht mit den Auswirkungen auseinandersetzt, die mit dem Wegfall lärmrelevanter Tätigkeiten während der Ruhezeiten verbunden sind. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Erklärung der Beigeladenen zu 1, während der Ruhezeiten nach Nr. 6.5 Satz 1 Nr. 1 der TA Lärm auf von der Baugenehmigung gestattete, lärmintensive Tätigkeiten zu verzichten, verbindlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.2006 – 4 80.05 – juris) und damit eine Überschreitung des Immissionsrichtwerts trotz des Zuschlags in den störempfindlichen Ruhezeiten voraussichtlich ausgeschlossen werden kann. Dass damit dem Interesse am Betrieb der Anlage ungeachtet vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens der Vorrang eingeräumt werden kann, liegt umso näher, als viel dafür spricht, dass dem Grundstück der Antragstellerin nicht der Schutz eines allgemeinen Wohngebiets zusteht, sondern dieses als Teil des Außenbereichs nur das Schutzniveau eines Mischgebiets nach Nr. 6.1 der TA Lärm beanspruchen kann. Nach Aktenlage dürfte die spornartig in den Außenbereich sich vorschiebende Wohnbebauung südlich der Kreisstraße Ausdruck einer unorganischen Siedlungsstruktur sein und daher keinen im Zusammenhang bebauten Ortsteil nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB darstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 47 Abs. 1 GKG.


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