Baurecht

Erteilung einer Baugenehmigung

Aktenzeichen  B 2 S 19.223

Datum:
5.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 39755
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6, Art. 59 S. 1, Art. 63 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5
BauNVO § 6, § 23
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 07.02.2019 wird wiederhergestellt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine den Beigeladenen erteilte baurechtliche Genehmigung vom 07.02.2019 betreffend den Neubau einer Beherbergungsstätte auf dem Grundstück Fl.-Nr. aaa/3 der Gemarkung N… Die Antragsteller sind Eigentümer des nordöstlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks Fl.-Nr. bb/2 der Gemarkung N. Das Grundstück der Antragsteller ist an der gemeinsamen Grundstücksgrenze grenzständig bebaut. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „Innerorts-Bebauungsplan“ des Marktes N. vom 16.05.2000. Der Standort des anstelle einer bestehenden Scheune zu errichtenden Vorhabens liegt außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen.
Den Beigeladenen wurde unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans bezüglich der Grundflächenzahl, der Geschossflächenzahl, der Baugrenze und der Kniestockhöhe mit Bescheid vom 07.02.2019 eine Baugenehmigung für den Neubau einer Beherbergungsstätte auf der Fl.-Nr. aaa/3 der Gemarkung N… erteilt. Der aus Erd-, Ober- und Dachgeschoss bestehende Baukörper soll hin zum Grundstück der Antragsteller traufständig und grenznah ausgeführt werden. In der Baugenehmigung wurde deshalb u.a. eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO von Art. 6 BayBO für die Nichteinhaltung der Abstandsflächen zu dem Grundstück der Antragsteller erteilt; die bauliche Anlage darf in einem Abstand von 0,515 m bis 0,700 m zur nordöstlichen Grundstücksgrenze errichtet werden. Die Abweichung von den Abstandsflächen Richtung Nordosten habe zugelassen werden können, da es sich bei dem beantragten Bauvorhaben um einen Anbau in gleicher Art und Weise zu dem Gebäude auf der Flurnummer bb/2 handle und der bauliche Brandschutz durch die Ausbildung der nordöstlichen Außenwand als Brandwand gesichert werde.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 07.03.2019, bei dem Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 08.03.2019, ließen die Antragsteller gegen die Baugenehmigung vom 07.02.2019 Klage erheben und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, auf dem Baugrundstück befinde sich derzeit eine alte Scheune, die mit dem Anwesen der Antragsteller eine Linie bilde und sich ungefähr auf gleicher Höhe bewege. Diese solle durch einen Neubau ersetzt und dabei der First in die Achse West-Ost gedreht werden. Die Gebäudehöhe betrage im Westen 10,63 m und im Osten 10,08 m. Demgegenüber habe die Bestandsscheune eine Firsthöhe von 9,54 m. Der Neubau sei somit etwa einen Meter höher als das Bestandsgebäude und überrage das Anwesen der Antragsteller deutlich. Das neue Gebäude werde über einen Kniestock von 90 cm verfügen und die Dachneigung werde von 46° auf 48° erhöht. Durch die Veränderungen löse das Vorhaben erheblich größere Abstandsflächen (22,9 m²) auf dem Grundstück der Antragsteller aus, als dies zuvor der Fall gewesen sei. Der westlich des Anwesens der Antragsteller liegende Innenhof, der als Garten genutzt werde, werde erheblich schlechter belichtet und belüftet. Einer Abstandsflächenübernahme hätten sie nicht zugestimmt. Im Gegensatz zur Bestandsscheune weise die Giebelwand 6 großflächige Fenster auf, die im Brandfall als 2. Rettungsweg dienen würden. Im Bedarfsfall würden die Fenster geöffnet und es könnten Flammen aus ihnen herausschlagen. Der geringe Abstand zwischen den Gebäuden führe dazu, dass Flammen die Außenwand des Gebäudes der Antragsteller erreichen könnten. Das historische Gebäude verfüge zwar über Steinwände, doch seien sowohl der Dachstuhl als auch Teile der Außenfassade aus Holz bzw. aus leicht entflammbaren Baumaterialien. Ein Brandüberschlag sei deshalb als nicht unwahrscheinlich anzusehen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung bestehe bei Beherbergungsbetrieben eine erhöhte Brandgefahr, da in derartigen Unterkünften die Nutzung von Campingkochern oder Ähnlichem üblich sei. Gegenüber einer unbeheizten und unbewohnten Scheune sei jegliche Nutzung mit einem von Menschen bewohnten Gebäude mit einer erhöhten Brandgefahr verbunden. Die Baugenehmigung verletze nachbarschützende Vorschriften. Die Ausnahme von den Abstandsflächenvorschriften sei rechtswidrig und nachbarrechtsverletzend erfolgt. Die Neuerrichtung eines Gebäudes anstelle der Scheune führe zu einer vollständig neuen Überprüfung. Das Abstandsflächenrecht sichere Freiflächen zwischen Gebäuden und gewährleiste dadurch eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Sinn der Sozialverträglichkeit. Gleichzeitig diene das Abstandsflächenrecht dem baulichen Brandschutz. Durch die Ausnahmegenehmigung werde der gesetzlich verfolgte Zweck beeinträchtigt. Die Begründung, dass es sich um einen Anbau in gleicher Art und Weise handle, sei offensichtlich unzutreffend. Das Bestandsgebäude sei eine unbewohnte und unbeheizte Scheune mit lediglich 4 kleineren Fenstern. Bei dem neuen Gebäude handle es sich um eine Pension mit großen Fensteröffnungen in der Nordwestfassade. Außerdem sei das neue Gebäude etwa 1 m höher. Durch die größeren Ausmaße werde die Belüftungs-, Besonnungs- und Beschattungsfunktion erheblich und spürbar beeinträchtigt. Insbesondere der im Innenhof liegende Garten werde deutlich stärker verschattet als zuvor. Die Drehung des Firstes führe in Verbindung mit der Erhöhung zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation. Auch die Gewährleistung des Brandschutzes werde beeinträchtigt. Von der unbewohnten Scheune mit ihren Steinmauern und wenigen Fensteröffnungen sei keine nennenswerte Brandgefahr ausgegangen. Durch die neue Nutzung und die Existenz von Fenstern erhöhe sich die Brandgefahr erheblich. Bei aus den Fenstern schlagenden Flammen entfaltete die Brandwand keine Wirkungen. Der Dachstuhl des Gebäudes der Antragsteller sei mit einer Hinterlüftung der Gestalt versehen, dass zwischen Fassadenmauerwerk und Dacheindeckung ein Lochband eingebracht sei. Dies bedeute, dass Funkenflug in das Gebäudeinnere gelangen könne. Bei der Erteilung der Abweichung habe das Landratsamt die Interessen der Antragsteller nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt. Eine Nutzung als Scheune könne nicht mit einer Nutzung als Pension verglichen werden. Der Umstand, dass das Anwesen der Antragsteller selbst an der Grenze errichtet worden sei, ändere an der Bewertung nichts. Eine verstärkte Inanspruchnahme sei nicht zu rechtfertigen.
Das Landratsamt Forchheim beantragt für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 08.05.2019, den Antrag abzulehnen.
Die streitige Genehmigung sei rechtmäßig ergangen. Entscheidend für die Gewährung der Abweichung von den Abstandsflächen sei gewesen, dass es sich bei dem beantragten Neubau der Beherbergungsstätte um einen Anbau in gleicher Art und Weise gehandelt habe und der bauliche Brandschutz gesichert sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Abweichung seien gegeben. Bei dem Neubau des Beherbergungsbetriebes handle es sich um einen Anbau in gleicher Art und Weise. Das Gebäude der Antragsteller und der Neubau würden keine unterschiedlichen Nutzungsarten aufweisen. In beiden Gebäuden stehe die Nutzung zum dauerhaften Aufenthalt zu Wohnzwecken im Vordergrund. Es sei unerheblich, dass es sich beim Neubau um einen gewerblichen Beherbergungsbetrieb handle. Entgegen der Auffassung der Antragsteller sei keine Verschlechterung der Verhältnisse hinsichtlich Belichtung, Besonnung und Belüftung zu erwarten. Das neue Gebäude weise bezüglich Wandund Firsthöhe gegenüber dem Altbestand keine wesentliche Veränderung auf. Eine verstärkte Verschattung des Gartens der Antragsteller sei nicht zu erwarten. Der Garten werde im Wesentlichen durch das Wohnhaus der Antragsteller verschattet und nicht spürbar durch den Neubau der Beigeladenen. Die Sonneneinstrahlung aus östlicher Richtung wäre weder in Bezug auf den Garten noch in Bezug auf das Wohnhaus beeinträchtigt. Die Sonneneinstrahlung aus südlicher Richtung sei bereits durch das Bestandsgebäude beeinträchtigt, ebenfalls die Sonneneinstrahlung aus westlicher Richtung. Sofern die Dachfläche des Gebäudes der Antragsteller zusätzlich betroffen werde, führe dies nicht zu einer relevanten Beeinträchtigung. Die Drehung der Firstrichtung führe zu keinen Nachteilen, da der First um die Hälfte der Gebäudebreite von der Grundstücksgrenze abrücke. Die nordöstliche Außenwand sei als Brandwand ausgebildet und der bauliche Brandschutz dadurch gewährleistet. Bezüglich der Fenster in der nordwestlichen Außenwand enthalte die BayBO keine Vorgaben. Dementsprechend seien keine zusätzlichen brandschutztechnischen Anforderungen zu stellen gewesen. Mangelnder Brandschutz auf Seiten der Antragsteller könne nicht zu zusätzlichen Anforderungen bei den Beigeladenen führen. Die Abweichung habe erteilt werden können, weil eine Verschlechterung der Gesamtsituation nicht zu erwarten gewesen sei.
Die mit Beschluss vom 11.03.2019 beigeladenen Bauherrn haben sich zum Rechtsstreit nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakte, auch im Klageverfahren B 2 K 19.293, verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
Nach § 212 a Abs. 1 des Baugesetzbuchs – BauGB – hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Dem Dritten steht aber die Möglichkeit offen, sich nach § 80 a Abs. 3 VwGO an das Gericht zu wenden und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage zu beantragen. Bei der Entscheidung über diesen Antrag hat das Gericht insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen.
Eine Baunachbarklage kann ohne Rücksicht auf die etwaige objektive Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung nur dann Erfolg haben, wenn die erteilte Genehmigung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die gerade auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten kann darüber hinaus wirksam geltend gemacht werden, wenn durch das Vorhaben das objektiv-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird, dem drittschützende Wirkung zukommen kann.
Nachdem es sich bei den genehmigten Vorhaben nicht um einen Sonderbau handelt, ergibt sich der Prüfungsrahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens aus Art. 59 Satz 1 BayBO. Nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage dürfte das Bauvorhaben der Beigeladenen voraussichtlich gegen zu Gunsten der Antragsteller drittschützende Vorschriften verstoßen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Auf dem Prüfungsfeld des Bauplanungsrechts ist maßgeblich der Bebauungsplan Nr. … „Innerortsbebauungsplan“ des Marktes N. vom 16.05.2000. Nachdem der Bebauungsplan als Art der baulichen Nutzung ein Mischgebiet nach § 6 BauNVO festsetzt, ist nach Abs. 2 Nr. 3 der Vorschrift ein Betrieb des Beherbergungsgewerbes zulässig.
Das genehmigte Vorhaben entspricht nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung (GRZ 0,6; GFZ 1,2), hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche (rückwärtige Baugrenze) und hinsichtlich der Gestaltung (Kniestock max. 0,50 m). Soweit deshalb bei Erteilung der Baugenehmigung auf der Grundlage von § 31 Abs. 2 BauGB Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt worden sind, kommt eine Verletzung von Nachbarrechten nur in Betracht, wenn entweder von einer nachbarschützenden Festsetzung rechtsfehlerhaft befreit wurde oder wenn bei einer die Nachbarn nicht schützenden Festsetzung die Würdigung nachbarlicher Interessen fehlerhaft erfolgt ist und insbesondere das Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme missachtet wurde (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 02/2019, § 31 BauGB Rn.69 m.w.N.). Dies dürfte vorliegend nicht der Fall sein.
Dass den von den erteilten Befreiungen betroffenen Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans über die Schaffung einer städtebaulichen Ordnung hinaus nachbarschützende Wirkung zuzumessen wäre, wird von den Antragstellern nicht geltend gemacht und ist für das Gericht auch nicht ersichtlich. Eine kursorische Prüfung der vom Gericht angeforderten Bebauungsplanunterlagen hat keine Hinweise darauf ergeben, dass die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zu den überbaubaren Grundstücksflächen oder zur Gestaltung ein wechselseitig einforderbares, nachbarliches Austauschverhältnis hätten begründen sollen. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass die rückwärtige Baugrenze zu einer Freistellung des denkmalgeschützten Gebäudes der Antragsteller hätte dienen sollen; die jenseits der rückwärtigen Baugrenze auf dem Baugrundstück vorhandene Bausubstanz genießt längerfristig Bestandsschutz. Auch bei objektiver Betrachtung der gemeindlichen Planung ergeben sich keine Anzeichen für eine nachbarschützende Sonderfunktion der tangierten Festsetzungen (vgl. Blechschmidt in Ernst Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand 02/2019, § 23 BauNVO Rn. 57 ff). Nachdem das Grundstück der Antragsteller im rückwärtigen Bereich mit einem Baudenkmal bebaut ist und dessen Standort im Bebauungsplan mittels Baugrenzen dauerhaft zur überbaubaren Grundstücksfläche bestimmt wurde, ist die Schaffung einer grundstücksübergreifenden Ruhezone im straßenabgewandten Bereich der benachbarten Grundstücke ausgeschlossen.
In den genehmigten Dimensionen erweist sich das Vorhaben gegenüber den Antragstellern nicht als nachbarrechtlich rücksichtlos und es verstößt deshalb nicht gegen das städtebauliche Gebot der Rücksichtnahme. Es bewegt sich vielmehr in dem baulichen Rahmen, den der Bebauungsplan für das Umfeld des historischen Erlanger Tores in N. allgemein vorsieht. Der Bebauungsplan setzt mit der Festsetzung II + D als Maß der baulichen Nutzung eine Bebauung mit Erd-, Ober- und Dachgeschoss als Vollgeschossen sowie eine Dachneigung von 48° bis 55° bei einem (aus gestalterischen Gründen) maximalen Kniestock von 0,50 m fest. Das genehmigte Vorhaben weist gegenüber diesem zulässigen Maß der baulichen Nutzung zwar einen höheren Kniestock von 0,90 m auf, es schöpft jedoch die zulässige Dachneigung von 55° nicht aus, sondern bleibt an der (Bebauungsplan-) Untergrenze von lediglich 48°. Das genehmigte Gebäude wird vor der südwestlichen Außenwand des bestehenden Gebäudes der Antragsteller an einer Stelle errichtet, an der sich derzeit eine bestandsgeschützte Scheune befindet. Die wechselseitigen Auswirkungen der Bebauung hinsichtlich Belichtung und Belüftung sowie den sogen. Sozialabstand sind den Berechtigten der aneinandergrenzenden Grundstücke gleichermaßen zuzurechnen und folglich im nachbarlichen Verhältnis hinzunehmen. Nach den aus der Rechtsprechung des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sich ergebenden Maßstäben ist weder schlüssig vorgetragen noch für das Gericht anderweitig feststellbar, dass das genehmigte Vorhaben die Grenze der Zumutbarkeit überschreitet. Eine solche kommt nur dann in Betracht, wenn das Vorhaben die gebotene Rücksichtnahme speziell auf die in seiner Umgebung vorhandene Bebauung vermissen lässt. Allein eine mögliche Verschlechterung des Lichteinfalls und eine weiter zunehmende Verschattung von Gartenflächen reichen für die Bejahung einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht aus. Derartige Folgen der Bebauung eines Nachbargrundstücks sind in aller Regel im Rahmen einer Veränderung der baulichen Situation hinzunehmen. Insoweit erfordert ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, dass eine qualifizierte Betroffenheit des Nachbarn besteht, die über bloße Lästigkeiten hinausgeht. Grundsätzlich muss jeder Grundstückseigentümer im dicht bebauten Bereich hinnehmen, dass sein Grundstück und die darauf befindlichen Gebäude zu gewissen Tageszeiten von Gebäuden in der Nachbarschaft verschattet werden (vgl. BayVGH, B. v. 24.06.2019 – 2 CS 19.969 Rn. 55). Der geringfügigen Erhöhung des Firstes steht ein optisches Abrücken des neuen Gebäudes gegenüber; statt der Giebelwand wendet sich künftig nur noch die niedrigere Traufseite zum Anwesen der Antragsteller hin.
2. Auf dem Prüfungsfeld des zum Bauordnungsrechts gehörenden Abstandsflächenrechts gemäß Art. 6 ff BayBO ist hingegen von einer Verletzung von Nachbarrechten der Antragsteller auszugehen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass das genehmigte Bauvorhaben die gesetzlichen Abstandflächen nicht einhalten wird; es soll in einem sich aufweitenden Abstand von 0,515 m bis 0,700 m zur nordöstlichen Grundstücksgrenze – und damit anschließend an das grenzständigen Gebäude der Antragsteller – errichtet werden. Die Errichtung des Neubaus in enger Reihe ist abstandsflächenrechtlich unzulässig und kann auch nicht mit Blick auf die Umgebungsbebauung zugelassen werden. Bei der abstandsflächenrechtlichen Prüfung kann nicht an das bestehende Gebäude angeknüpft werden, weil dieses vollständig abgebrochen werden soll und durch den Abbruch seinen Bestandsschutz verliert (vgl. BayVGH, B.v. 13.02.2001 – 20 B 00.2213 – juris; B.v.10.04.2001 – 25 ZB 01.700 – juris). Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ist eine Abstandsfläche vor Außenwänden nur dann nicht erforderlich, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Dies ist vorliegend schon deshalb nicht der Fall, weil das Gebäude außerhalb der laut Bebauungsplan überbaubaren Grundstücksflächen errichtet werden soll und demnach bauplanungsrechtlich gar nicht vorgesehen ist. Außerdem setzt der „Innerortsbebauungsplan“ in seinen Nummern 1.3 und 2.1 die offene Bauweise fest. Dass die grenznahe Bebauung aus der städtebaulichen Situation in der Umgebung abgeleitet werden müsste, wird weder von der Bauaufsichtsbehörde angenommen, noch sind vom Gericht die Voraussetzungen hierfür im Rahmen einer summarischen Prüfung feststellbar.
Unter Berücksichtigung der Ziele des Abstandsflächenrechts kann eine Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 nur zugelassen werden, wenn die dafür sprechenden Gründe so viel Gewicht haben, dass sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und dass sie die Einbuße an den Schutzgütern des Art. 6 im konkreten Fall als gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 15.09.2015 – 2 CS 15.1792 – juris; B.v. 16.7.2007 Nr. 1 CS 07.1340 – juris). Die bei jeder Abweichung geforderte Atypik kann durch den besonderen Zuschnitt des Grundstücks, durch die aus dem Rahmen fallende Bebauung auf dem Bau- oder Nachbargrundstück, aber auch aus Belangen des Denkmalschutzes oder aus städteplanerischen Erwägungen, wie der Sicherung eines gewachsenen Stadtbildes, begründet sein (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2007 – 14 B 03.572 – juris; B.v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 – juris; B.v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris). In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen (BayVGH, B.v. 18.10.2005 – 1 ZB 04.1597 – juris; B.v. 15.11.2005 – 2 CS 05.2817 – juris) oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Erteilung einer Abweichung rechtfertigen. Die für die Erteilung der Abweichung gegebene Begründung, es handle sich um eine der Nutzung auf dem Nachbargrundstück nach Art und Maß vergleichbare Nutzung, dürfte diesem Erfordernis kaum gerecht werden. Weitere Voraussetzung ist die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten Belange des Nachbarn. Dabei genügt es für die Erteilung einer Abweichung aber nicht, dass die Belange des Nachbarn nur geringfügig beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung nachbarlicher Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2008 – 1 CS 07.2192 – juris; B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris). Als äußerste Grenze für eine Abweichung ist allerdings in jedem Fall die Vermeidung von „engen Reihen“ zu beachten, die als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO anzusehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2001 – 25 ZB 01.700 – juris; U.v. 13.2.2001 – 20 B 00.2213 – juris; Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, Stand 12.2018, Art. 6 Rn. 612 und Art. 63 Rn. 47). In der gegebenen Konstellation würde nach dem Abbruch der Scheune durch die Neuerrichtung des Beherbergungsbetriebs eine sicherheitsrechtlich unerwünschte enge Reihe neu begründet und entgegen den (langfristigen) Festsetzungen des Bebauungsplans dauerhaft fortgeschrieben. Dies müssen die Antragsteller nach einer Aufgabe des Bestandsschutzes durch Abbruch der Scheune nicht hinnehmen.
Der Antragsgegner hat als unterliegender Teil gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es entspricht der Billigkeit, dass die beigeladenen Bauherren ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie sich nicht geäußert und mangels Antragstellung selbst auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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