Baurecht

Festsetzung eines Baugebiets im Überschwemmungsgebiet

Aktenzeichen  1 N 16.1370

Datum:
28.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32418
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1, Abs. 7
WHG § 76, § 77

 

Leitsatz

Aus der Pflicht zur Vornahme von Ausgleichsmaßnahmen für die Überplanung eines Überschwemmungsgebietes folgt, dass die Ausgleichsfläche bei Inkrafttreten des Bebauungsplans rechtlich gesichert sein und die Baumaßnahme zeitnah in Angriff genommen werden muss. Es genügt nicht, dass die Gemeinde feststellt, dass die Eigentümerin der betreffenden Grundstücke mit einer rechtlichen Sicherung der Maßnahme einverstanden sei. Auch der Hinweis in der Begründung des Bebauungsplans auf die Pflicht der Gemeinde zu den notwendigen Ausgleichsmaßnahmen kann die notwendige rechtliche Verbindlichkeit nicht begründen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bebauungsplan der Antragsgegnerin “Am …”, bekanntgemacht am 29. April 2016, ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über den Normenkontrollantrag konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
1. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es – wie vorliegend – um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) eines Eigentümers geht, dessen Grundstück außerhalb des Bebauungsplangebiets liegt. Insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die die fehlerhafte Behandlung eines abwägungserheblichen privaten Belangs als möglich erscheinen lassen. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist allerdings nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen, und sie darf nicht in einem Umfang und einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (vgl. BVerwG, B.v.12.12.2018 – 4 BN 22.18 – ZfBR 2019, 272; B.v.10.2.2016 – 4 BN 37.15 – ZfBR 2016, 376; B.v.11.11.2015 – 4 BN 39.15 – ZfBR 2016, 156; B.v. 8.6.2011 – 4 BN 42.10 – Baurecht 2011, 1641).
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass durch die Ausweisung der zusätzlichen Bebauung die Fließrichtung des wild abfließenden Oberflächenwassers sowie die Hochwassersituation im Hinblick auf sein Grundstück nachteilig verändert würden, beruft er sich auf eigene, abwägungserhebliche Belange. Das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung scheidet auch nicht offensichtlich aus. Zum einen verweist der Antragsteller zutreffend auf die (teilweise) Versiegelung der Fläche (vgl. NdsOVG, U.v. 2.6.2014 – 1 KN 136.12 – juris Rn. 50). Zum anderen können nach den hydrologischen Stellungnahmen Nachteile für die bestehende Bebauung durch wild abfließendes Oberflächenwasser durch die Schaffung eines Rückhalteraumes auf der östlich an das Plangebiet angrenzenden Fläche vermieden werden; die Retentionswirkung der geplanten Rückhaltung wird auch einer Überschwemmungssituation durch Hochwasser zugrunde gelegt. Mit dem Normenkontrollantrag bemängelt der Antragsteller aber u.a. die Umsetzung dieser erforderlichen Maßnahmen im Bebauungsplan.
Der Antragsteller hat im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung den Hochwasserschutz angemahnt, sodass es nicht darauf ankommt, wie sich die Aufhebung des § 47 Abs. 2a VwGO auf bereits anhängige Normenkontrollverfahren auswirkt (vgl. dazu VGH BW, U.v. 18.10.2017 – 3 S 642.16 – NVwZ-RR 2018, 215; OVG Saarl, B.v. 22.5.2018 – 2 C 472.17 – juris Rn. 19). Es kann daher auch dahinstehen, ob nach dem Vorliegen der hydrologischen Stellungnahmen eine erneute (eingeschränkte) Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung veranlasst gewesen wäre (§ 4a Abs. 3 S. 1 und 4 BauGB).
2. Der Antrag ist auch begründet. Zwar fehlt dem Bebauungsplan nicht die städtebauliche Erforderlichkeit, die der Antragsteller zunächst im Aufstellungsverfahren besonders gerügt hatte (2.1). Er ist aber jedenfalls wegen der mangelnden Festsetzung von Ausgleichs- und Schutzmaßnahmen im Bebauungsplanverfahren fehlerhaft und damit gesamtunwirksam. Das gilt sowohl für die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen nach § 77 WHG (2.2) als auch für die Maßnahmen zum Schutz vor wild abfließendem Oberflächenwasser (2.3).
2.1. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung erforderlich ist. Was in diesem Sinne erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht. Nicht erforderlich sind danach Pläne, die nicht dem wahren Willen der Gemeinde entsprechen, bei denen also zwischen Planungswillen und Planungsinhalt eine Diskrepanz besteht, sowie Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist ferner verletzt, wenn ein Bebauungsplan aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt. In dieser Auslegung wird der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke gesetzt, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt. Für die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung ist demgegenüber das Abwägungsgebot maßgeblich, das gemäß § 1 Abs. 7 BauGB darauf gerichtet ist, die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen und unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen zu vermeiden (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. B.v. 25.7.2017 – 4 BN 2.17 – juris Rn. 3; U.v.10.9.2015 – 4 CN 8.14 – BVerwGE 153, 16; U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537).
Nach diesen Maßgaben liegt ein Verstoß gegen das Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit der Bauleitplanung nicht vor. Insbesondere liegt keine unzulässige Planung vor, weil die Gemeinde, wie der Antragsteller vorträgt, nicht das tatsächlich festgesetzte Mischgebiet wolle, sondern ihr städtebauliches Ziel der Gewinnung von Flächen für ortsansässige Gewerbetreibende nur mit einem Gewerbegebiet verwirklichen könne. Die Antragsgegnerin hat im Aufstellungsbeschluss, in der Begründung zum Bebauungsplan und in der Abwägung deutlich gemacht, dass nur solche Gewerbebetriebe angesiedelt werden sollen, die sich mit einer Wohnnutzung vertragen. Dies wurde durch die Gliederung des Mischgebiets unterstrichen, nach der auf der Erdgeschossebene keine Wohnnutzung zulässig ist. Nach der Konzeption des Bebauungsplans sind damit insbesondere auch Gebäude vorgesehen, in denen Gewerbe und Wohnen nebeneinander stattfindet. Die Antragsgegnerin hat weiter einen örtlichen Bedarf für wohngebietsverträgliche Gewerbebetriebe aufgezeigt. Der pauschale Verweis auf leerstehende Gewerbeflächen und die Aufzählung, welche Gewerbebetriebe in einem Mischgebiet nicht zulässig sind, können diese Annahme nicht entkräften.
2.2. Überschwemmungsgebiete, zu denen auch die noch nicht als solche festgesetzten Gebiete gehören (vgl. die Definition in § 76 Abs. 1 Satz 1 WHG), sind in ihrer Funktion als Rückhalteflächen zu erhalten. Soweit überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dem entgegenstehen, sind rechtzeitig die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu treffen (§ 77 Satz 1 und 2 WHG in der zum Satzungserlass maßgeblichen Fassung).
Bei dem Plangebiet handelt es sich unbestritten um ein Überschwemmungsgebiet im Sinn von § 76 WHG und bei Verwirklichung der vorgesehenen Baumaßnahmen wird die Funktion des Bereichs als unbebauter naturnaher Rückhalteraum (vgl. OVG Rh-Pf, U.v. 24.2.2000 – 1 A 11106/99 – juris Rn. 24) negativ berührt. Es kann vorliegend dahinstehen, ob das Erhaltungsgebot als gesetzliche Planungsschranke höherrangigen Rechts oder als abwägungsrelevantes planungsrechtliches Optimierungsgebot bzw. als Planungsleitsatz zu verstehen ist, der im Rahmen der Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB in Bezug auf die Belange des Hochwasserschutzes (§ 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB) zu berücksichtigen ist und dabei das Abwägungsergebnis stark vorprägt (vgl. für letzteres BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – juris Rn. 42; OVG SH, B.v. 16.11.2018 – 1 MR 3/18 – juris Rn. 26). Weiter kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob Gründe des öffentlichen Wohls für die Baugebietsausweisung sprechen, da weder im noch außerhalb des Bebauungsplans rechtsverbindlich Ausgleichsmaßnahmen festsetzt werden.
Geht man vom gesetzlichen Dispens vom Erhaltungsgebot aus, statuiert § 77 WHG eine Pflicht zur Vornahme von Ausgleichsmaßnahmen, die sowohl die Planungswie die Umsetzungsebene betreffen. Sie müssen zum Funktionsersatz geeignet sein, im Umfang alle notwendigen Maßnahmen umfassen und in zeitlicher Hinsicht so rechtzeitig erfolgen, dass auch kein temporärer Funktionsverlust erfolgt (vgl. Rossi in Siedler/Zeitler/Dahme, WHG, Stand 1.6.2018, § 77 Rn. 17). Die Funktion von Rückhalteflächen besteht darin, den Abfluss von Hochwasser zu verlangsamen, vor allem Abflussspitzen zu reduzieren. Ausgleichsmaßnahmen sind solche, die dem Verlust der Rückhaltefläche und damit dem auf dieser Fläche vorhandenen Rückhaltevolumen entgegenwirken oder ihn kompensieren (vgl. Drost, Das neue Wasserrecht, Stand Dezember 2018, § 77 WHG Rn. 12, 14). Die gutachterliche Stellungnahme vom 8. März 2016, die zu der Frage Stellung nimmt, ob es bei einem 100-jährlichen Abflussereignis des S.baches durch die geplanten baulichen Maßnahmen zu einer Verschlechterung der Überschwemmungssituation für den Bestand kommt, stellt einen Vergleich zwischen der bestehenden Situation und der geplanten Bebauung und dem Erdwall auf dem östlich angrenzenden Grundstück her. Daraus lässt sich entnehmen, dass der Erdwall, der bei Starkregenereignissen einen Retentionsraum für das Niederschlagswasser schaffen soll, auch als geeignete Ausgleichsmaßnahme bei einem Hochwasserereignis angesehen wird. Mit der Aufschüttung soll eine Ersatzfläche geschaffen werden, die Wasser aufnehmen und langsam abgeben kann. Die Ausgleichsfläche muss aber bei Inkrafttreten des Bebauungsplans rechtlich gesichert sein und die Baumaßnahme muss zeitnah in Angriff genommen werden. Es genügt nicht, dass die Gemeinde feststellt, dass die Eigentümerin des östlich angrenzenden Grundstücks mit einer rechtlichen Sicherung der Maßnahme einverstanden sei. Auch der Hinweis in der Begründung des Bebauungsplans auf die Pflicht der Gemeinde zu den notwendigen Ausgleichsmaßnahmen und die anliegenden gutachterlichen Stellungnahmen können die notwendige rechtliche Verbindlichkeit nicht begründen. Da der Erdwall als Ausgleichsmaßnahme nicht nur die Anlieger des Plangebiets schützen soll, sondern auch die Planbetroffenen, wäre eine Festsetzung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 16b BauGB und eine damit verbundene Erweiterung des Planungsgebiets veranlasst gewesen.
2.3. Auch hätte es einer Festsetzung im Bebauungsplan für die geplanten baulichen Maßnahmen zum Schutz vor wild abfließendem Oberflächenwasser gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 16b BauGB bedurft. Weder die geplante Trassierung der Erschließungsstraße noch der Erdwall sind Bestandteil des Bebauungsplans geworden.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 VwGO.
4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
5. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Entscheidung in Nr. I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan (§ 10 Abs. 3 BauGB).


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