Baurecht

Nachbarantrag, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmegebot, Tiefgaragenzufahrt

Aktenzeichen  15 CS 22.1437

Datum:
12.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16894
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 2 S 22.1276 2022-05-20 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die der Beigeladenen vom Landratsamt R. mit Bescheid vom 20. Januar 2022 erteilte Nachtrags- (Tektur-) Genehmigung zum Neubau dreier Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 23 Nutzungseinheiten und Tiefgarage.
Die Beigeladene ist Inhaberin einer Baugenehmigung vom 13. Mai 2020 über den Neubau zweier Mehrfamilienhäuser mit jeweils sechs Wohnungen und Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung L., einer Baugenehmigung vom 26. Juli 2021 über den Neubau von elf Geschosswohnungen mit Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung L. sowie einer Nachtrags- (Tektur-) Genehmigung vom 8. Juli 2021 zum Bauvorhaben auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung L. Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung L. Daran schließt im Osten, getrennt durch die F. straße, das Baugrundstück FlNr. … Gemarkung L. und an dieses das weitere Baugrundstück FlNr. … Gemarkung L. an. Sämtliche Grundstücke befinden sich im unbeplanten Innenbereich des Marktes L.
Mit Unterlagen vom 25. Oktober 2021 reichte die Beigeladene einen Änderungsantrag zur Vereinigung der Genehmigungsverfahren betreffend die Grundstücke FlNrn. … … und … Gemarkung L. sowie eine Änderung der Tiefgarage und eine Anpassung der Höhenlage ein. Das Landratsamt Regensburg erteilte hierzu mit Bescheid vom 20. Januar 2022 die Nachtrags- (Tektur-) Genehmigung. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg (RO 2 K 22.240), über die noch nicht entschieden ist. Mit Schriftsatz vom 26. April 2022 beantragte der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Mai 2022 ablehnte. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass das in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet genehmigte Wohnbauvorhaben einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch des Antragstellers – seine Existenz unterstellt – sowie das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletze.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren fort. Er ist der Ansicht, das Bauvorhaben verstoße gegen den Gebietsprägungserhaltungsanspruch, weil es mit 23 Wohneinheiten die in der Umgebung vorhandenen Wohneinheiten deutlich sprenge. Dies genüge für ein Umschlagen von Quantität in Qualität, auch wenn die Aufteilung auf drei Gebäude erfolge. Für den objektiven Betrachter stelle sich das Projekt als Gesamtvorhaben dar. Es übersteige zudem stark die umliegende Bebauung und auch ein Vergleich der Grund- und Geschossflächenzahl sei als Indiz für die Verletzung des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs zu werten. Die Dimension der Anlage trage eine neue Art der baulichen Nutzung ins Baugebiet, die geeignet sei, die typische Umgebung von Zwei- bis Dreifamilienhäusern hin zu Wohnblocks zu verändern. Außerdem verstoße das Bauvorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Da sich die Tiefgarageneinfahrt nur 30 m vom Grundstück des Antragstellers entfernt befinde, besteht die Befürchtung, dass bereits bei wenigen Kraftfahrzeugen, die in die Tiefgarage wollen, ein Rückstau entstehe und das Grundstück des Antragstellers nur noch erschwert angefahren werden könne. Schließlich werde auf den Baugrundstücken ein alter Baumbestand abgeholzt, gehe fruchtbarer Boden verloren und sinke der Grundwasserspiegel, was zu einem Verlust von Lebensräumen für Pflanzen und Tieren führe.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. Mai 2022 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 21. Februar 2022 gegen den Bescheid des Landratsamts Regensburg vom 20. Januar 2022 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Bauvorhaben widerspreche der gebietstypischen Prägung Wohnen nicht; ein Umschlagen von Quantität in Qualität liege nicht vor. Auf die Ausmaße der Gebäude komme es nicht an. Trotz der unterirdischen Verbindung sei das Vorhaben oberirdisch als drei eigenständige Baukörper wahrzunehmen. Wohnen sei hinsichtlich eines Umschlagens von Quantität in Qualität nicht mit gewerblichen Nutzungen vergleichbar. Die Entfernung zur Tiefgarageneinfahrt betrage tatsächlich 56 m; die Behauptungen zu Verkehrserschwernissen gingen ins Blaue hinein. Hinsichtlich der weiteren Einwendungen sei keine subjektive Rechtsverletzung des Antragstellers aufgezeigt.
Die Beigeladene beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller könne sich nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen, da das Bauvorhaben im unbeplanten Innenbereich ausgeführt werde. Im Übrigen betreffe die Anzahl der Wohnungen nicht die Art der baulichen Nutzung und ein Umschlagen von Quantität in Qualität komme nur in restriktiven Einzelfällen in Betracht. Entgegen dem Vortrag des Antragstellers handle es sich bei dem Bauvorhaben auch nicht um einen einheitlichen Gebäudekomplex. Vielmehr würden drei Gebäude auf zwei Baugrundstücken errichtet, die – äußerlich aber nicht erkennbar – über eine gemeinsame Tiefgarage verbunden seien. Das Bauvorhaben verstoße auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die Abstandsflächen seien eingehalten und die Tiefgaragenzufahrt befinde sich in größtmöglichem Abstand zum Antragsteller. Die Anfahrt der Tiefgarage sei zudem auch über andere Straßen als nur die F. straße möglich. Eine subjektive Rechtsverletzung durch den Rückbau des alten Baumbestandes sowie den Tiefgaragenaushub liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der auf Aufhebung der Nachtrags- (Tektur-) Genehmigung vom 20. Januar 2022 gerichteten Anfechtungsklage zu Recht abgelehnt. Die allein zu prüfenden Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt, weil seine Klage im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Die angefochtene Baugenehmigung dürfte, worauf es allein ankommt, nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen, die zumindest auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen geht hier demnach zulasten des Antragstellers aus.
1. Der Antragsteller kann sich nicht auf einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch berufen.
Das Vorbringen, der Antragsteller könne sich auf die Wahrung der typischen Prägung des Gebiets berufen (Gebietsprägungsanspruch oder Gebietsprägungserhaltungsanspruch), weil das Bauvorhaben mit 23 Wohneinheiten die Anzahl der in der Umgebung vorhandenen Wohneinheiten deutlich sprenge, führt nicht zum Erfolg. Unabhängig davon, ob man einen solchen Anspruch überhaupt für denkbar hält, setzt sich der Antragsteller nicht damit auseinander, dass für ein behauptetes nachbarrechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren müsste, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste. Mit den (strengen) Voraussetzungen oder Fallgruppen unter denen ein solcher Ausnahmefall angenommen werden könnte (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 – juris Rn. 17), setzt sich die Beschwerde nicht hinreichend auseinander. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen ein Wohnen in Mehrfamilienhäusern gegenüber einem Wohnen in Ein- oder Zweifamilienhäusern negativ zu beurteilen sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2021 – 15 ZB 20.3151 – juris Rn. 16). Denn es kommt hierbei weder auf die Zahl der Wohnungen (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2021 – 9 ZB 21.466 – juris Rn. 8) noch auf die Ausmaße der Gebäude an (vgl. NdsOVG, B.v. 28.5.2014 – 1 ME 47/14 – juris Rn. 14).
2. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich auch keine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens gegenüber dem Antragsteller im Hinblick auf die Zufahrtsituation zur Tiefgarage der genehmigten Gebäude.
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann zwar in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 20; B.v. 30.1.2018 – 15 ZB 17.1459 – juris Rn. 11). Insoweit ist aber weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Zugänglichkeit zum Anwesen des Antragstellers „dem Grunde nach“ und auf Dauer in Frage gestellt wäre (vgl. BayVGH, U.v. 6.12.2000 – 26 N 00.1059 – juris Rn. 34 ff.). Unabhängig davon, ob die Tiefgaragenzufahrt – wie der Antragsteller meint und was dem Planungsstand vor der angefochtenen Genehmigung vom 20. Januar 2022 entsprach – 30 m oder – entsprechend den genehmigten Plänen – ca. 56 m von seiner Grundstücksgrenze entfernt liegt, kommt ein derartige Situation auch deshalb nicht in Betracht, weil sich die Zufahrt zum Grundstück des Antragstellers ausweislich der vorhandenen Luftbilder nicht einmal in derselben Straße wie die Tiefgaragenzufahrt befindet, sondern vom Kreuzungsbereich F. straße – K. straße weitere ca. 12 m entfernt ist. Im Übrigen sind die mit der genehmigten Nutzung üblicherweise verbundenen Belastungen durch zu- und abfahrende Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs regelmäßig als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2022 – 15 CS 22.43 – juris Rn. 17).
3. Soweit der Antragsteller einen Verlust von Lebensräumen für Pflanzen und Tiere aufgrund des Abholzens alter Baumbestände und einer Flächenversiegelung geltend macht, wird hiermit keine Verletzung drittschützender Belange aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene im Beschwerdeverfahren einen eigenen Antrag gestellt hat und damit auch ein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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