Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung – Ablehnung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  15 C 21.907

Datum:
19.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9448
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 59, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Abs. 5
BayBO aF Art 68 Abs. 4
VwGO § 67 Abs. 4, § 146 Abs. 1, § 166
ZPO § 114
BGB § 912 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Frage, ob ein Nachbar einen Grenzüberbau zu dulden hat, ist rein zivilrechtlicher Natur und deshalb für den Erfolg einer Nachbaranfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung irrelevant. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Grenzüberbau hindert die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht, so dass ein solches Gebäude mit Überbau abstandsflächenrechtlich einem Grenzanbau gleichzustellen ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Nachbar kann sich nach Treu und Glauben bei der Anfechtung einer Baugenehmigung dann nicht mit Erfolg auf die Verletzung des nachbarschützenden Abstandsflächenrechts berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht den abstandsrechtlichen Vorgaben gegenüber dem Grundstück des Bauherrn entspricht, wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und wenn der Ausschluss der Berufungsmöglichkeit auf Abstandsflächenvorschriften nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 7 K 19.774 2021-03-03 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe für ihre beim Verwaltungsgericht erhobene Anfechtungsklage gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung V., das im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) liegt. Auf dem nördlich angrenzenden, im Eigentum der Beigeladenen stehenden Grundstück FlNr. … existiert seit vielen Jahren ein ca. 2,60 m hohes Nebengebäude mit einem Blechdach, das auf seiner südlichen Seite (nach den vorliegenden Lageplänen im westlichen Bereich teilweise als Überbau in das Grundstück der Klägerin hineinragend) zusammen mit der Südwand einer sich östlich anschließenden Garage auf einer Länge von insgesamt etwa 17,5 m an der Grenze zum Grundstück der Klägerin verläuft und das auf seiner gesamten Länge an das unmittelbar südlich angrenzende Nebengebäude der Klägerin angebaut ist. Das genannte Nebengebäude der Klägerin (vgl. hierzu auch die Beschlüsse des Senats vom 25. März 2019 – 15 C 2324 und vom 25. November 2020 – 15 ZB 20.2675) weist auf seiner Nordseite (in Richtung Beigeladenengrundstück) eine Höhe von etwa 6 m auf und verläuft (nach den Lageplänen im östlichen Bereich teilweise als Überbau in das Grundstück der Beigeladenen hineinragend) auf einer Länge von ca. 22 m an der Grenze zum Grundstück der Beigeladenen.
Nachdem die Stadt V. als Standortgemeinde zum 11. Januar 2019 die „Satzung der Stadt V. zum Schutz des Stadtbildes und zur Ordnung der Stadtentwicklung (…) (Gestaltungssatzung) vom 17. Januar 1995“ aufgehoben hatte, erteilte das Landratsamt N. … … … mit Bescheid vom 21. März 2019, der der Klägerin als Nachbarin am 3. April 2019 mit Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, der Beigeladenen die von ihr beantragte (nachträgliche) Baugenehmigung für das o.g. Nebengebäude mit Blechdach.
Mit ihrer hiergegen am 29. April 2019 beim Verwaltungsgericht Regensburg erhobenen Anfechtungsklage, über die nach Aktenlage noch nicht entschieden wurde, trägt die Klägerin u.a. vor, das streitgegenständliche Vorhaben stelle einen Schwarzbau dar, der schon vor Aufhebung der Gestaltungssatzung bestanden habe. Eine von der durch die Gestaltungssatzung vorgeschriebenen Ziegeleindeckung abweichende Dacheindeckung sei rechtswidrig und dürfe nicht genehmigt werden. Ihr – der Klägerin – sei eine von der Gestaltungssatzung abweichende Dacheindeckung bislang nicht gestattet worden. Zudem erstrecke sich das Nebengebäude der Beigeladenen teilweise als Überbau auf ihr Grundstück.
Mit – der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 6. März 2021 zugestellten – Beschluss vom 3. März 2021 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag der Klägerin, ihr für die am 29. April 2019 erhobene Anfechtungsklage Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ab. Die Klage – so die Begründung des Beschlusses – biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es komme nicht darauf an, ob die erteilte Baugenehmigung umfassend rechtmäßig sei. Entscheidend sei, ob durch die Baugenehmigung subjektive Nachbarrechte der Klägerin verletzt würden. Letzteres sei nicht der Fall. Aus einem etwaigen Überbau auf das Grundstück der Klägerin ergebe sich keine subjektive Rechtsverletzung. Die Baugenehmigung werde gem. Art. 68 Abs. 5 BayBO unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt. Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens werde nur die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit öffentlich-rechtlichen Rechtsvorschriften geprüft, so dass die Baugenehmigung grundsätzlich keine privatrechtsgestaltende Wirkung entfalte. Ein etwaiger Überbau durch das Nebengebäude stehe der Erteilung einer Baugenehmigung daher nicht entgegen; die Klägerin werde dadurch nicht in ihren Rechten verletzt. Aus einer von der Gestaltungssatzung abweichenden Dacheindeckung ergebe sich keine Rechtsverletzung der Klägerin. Bei der Gestaltungssatzung handele es sich gem. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO um eine örtliche Bauvorschrift. Einer Abweichung gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO habe es nicht bedurft, da zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung die Gestaltungssatzung bereits außer Kraft getreten gewesen sei. Abgesehen davon habe die vormalige Gestaltungsvorschrift zur Dacheindeckung keine nachbarschützende Funktion, sodass sich der Nachbarschutz im Falle der Erteilung einer Abweichung nur nach den Grundsätzen des Gebots der Rücksichtnahme gerichtet hätte. Es sei aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich die Dacheindeckung aus Blech gegenüber der Klägerin als rücksichtslos und unzumutbar erweise. Schließlich sei auch drittschützendes Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO nicht verletzt. Dass sich das Nebengebäude im südwestlichen Bereich teilweise als Überbau darstelle, hindere die Anwendung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften nicht. Die Vorgabe, dass Abstandsflächen auf dem Grundstück selbst liegen müssen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO), bezwecke weder die Verhinderung eines Überbaus noch dessen Besserstellung im Vergleich zu einem grenzständigen Gebäude, so dass der Überbau abstandsflächenrechtlich wie ein Grenzanbau zu behandeln sei. Das streitgegenständliche Nebengebäude sei wegen Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht abstandsflächenpflichtig. Hiernach sei eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Im unbeplanten Innenbereich dürfe damit ohne Einhaltung der nach Art. 6 BayBO grundsätzlich notwendigen Abstandsflächen an die Grenze gebaut werden, wenn die maßgebliche Umgebung sowohl von offener als auch von halboffener oder geschlossener Bauweise geprägt sei. Dies gelte auch dann, wenn die vorhandene Mischung von Gebäuden mit und ohne seitlichen Grenzabstand „regellos“ erscheine. Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Lagepläne sowie der Luftaufnahmen und der topografischen Karte aus dem Bayern Atlas sei die maßgebliche Umgebung (Umgriff des Straßengevierts R.gasse, P. Straße und M.platz) geprägt von geschlossener und halboffener Bauweise. Auf diversen (im Einzelnen näher aufgelisteten) Flurnummern befänden sich größere Nebengebäude in halboffener Bauweise, die auf einer Seite mit und auf der anderen Seite ohne seitlichen Grenzabstand errichtet seien, sowie auch Nebengebäude in geschlossener Bauweise, die zu keiner der beiden seitlichen Grundstücksgrenzen einen Grenzabstand einhielten. Aus diesem Grund dürfe jedenfalls nach den planungsrechtlichen Vorschriften an die seitliche Grundstücksgrenze gebaut werden, so dass die Einhaltung einer Abstandsfläche zum Grundstück der Klägerin nicht erforderlich sei. Es sei nicht ersichtlich, dass das streitgegenständliche Vorhaben der Beigeladenen gegen sonstige drittschützende Vorschriften verstoßen könnte.
Mit ihrer am 22. März 2021 (Montag) per Telefax beim Verwaltungsgericht Regensburg eingelegten Beschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe weiter. Sie habe auf Rücksichtnahme auf ihre gesundheitliche und finanzielle Situation gehofft. Es gelte doch „Gleiches Recht für Alle!“. Sie habe versucht, die Faktenlage vorzutragen, ohne anwaltlichen Beistand sei es ihr aber nicht möglich, diese auf den Punkt und konkret darzulegen. Der Schwarzbau auf FlNr. … habe schon vor der Satzungsänderung bestanden. Wenn nachträglich alles – wie vorliegend – genehmigt werde, seien Bauanträge überflüssig. Der Ehrliche, der zeitlich vor einem Bauvorhaben einen Antrag stelle, sei sonst der Dumme. In ihrer hilflosen Situation, in die sie nicht mutwillig geraten sei, seien die Erfolgsaussichten als offen zu bewerten. Sie brauche für ihre Prozessführung dringend Hilfe.
Der Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
und verweist zur Begründung auf die aus seiner Sicht überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Beschluss vom 3. März 2021.
Mit Schreiben vom 15. April 2021, mit dem sie u.a. auf ihren erstinstanzlichen Vortrag verweist, hat die Klägerin ihren Beschwerdevortrag ergänzt. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zwar gem. § 146 Abs. 1, § 147 Abs. 1 VwGO zulässig. Insbesondere hat der Gesetzgeber in § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO von dem grundsätzlichen Erfordernis, sich vor dem Verwaltungsgerichtshof durch einen Rechtsanwalt oder Hochschullehrer vertreten zu lassen, Prozesskostenhilfeverfahren ausdrücklich ausgenommen, sodass die Klägerin die Beschwerde auch persönlich, d.h. ohne Prozessbevollmächtigten, zulässigerweise erheben konnte (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 15 C 18.2324 – juris Rn. 3). Die Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe nur dann, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hier kann offenbleiben, ob die Klägerin die Kosten der Prozessführung nicht selbst tragen kann oder ob es zumutbar und erfolgversprechend wäre, sie auf die Verwertung ihres Grundvermögens zu verweisen. Denn der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann schon deshalb nicht positiv verbeschieden werden, weil die Rechtsverfolgung – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Hinreichend ist die Erfolgsaussicht dann, wenn die Entscheidung von einer schwierigen, ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn der vom Beteiligten vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 6.11.2020 – 15 C 20.2229 – juris Rn. 31). Zwar dürfen im Rahmen der Prüfung hinreichender Erfolgsaussichten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO die eigentliche Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht aus dem Hauptsacheverfahren in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert und die Anforderungen nicht überspannt werden (BVerfG, B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – NJW 2013, 1727 = juris Rn. 12). Die Klärung problematischer Rechts- oder Tatsachenfragen hat grundsätzlich nicht im Prozesskostenhilfeverfahren, sondern im Hauptsacheverfahren zu erfolgen. Sofern eine Beweiserhebung ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen wird, ist grundsätzlich Prozesskostenhilfe zu gewähren (BVerfG, B.v. 28.8.2014 – 1 BvR 3001/11 – juris Rn. 12). Der Erfolg muss als Voraussetzung der Gewährung von Prozesskostenhilfe mithin nicht gewiss sein; es genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die bereits gegeben ist, wenn ein Obsiegen ebenso infrage kommt wie ein Unterliegen (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichenden Erfolgsaussichten hatte. Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin durch die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 21. März 2019 nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insofern verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang auf die zutreffende Begründung des Verwaltungsgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat im Ausgangspunkt richtig darauf abgestellt, dass sich Dritte – wie hier die Klägerin als Nachbarin – mit einer Anfechtungsklage nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen einen Baugenehmigungsbescheid zur Wehr setzen können, wenn dieser nicht nur rechtswidrig ist, sondern die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 29.10.2020 – 15 ZB 20.469 – juris Rn. 9; B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.544 – juris Rn. 41; allg. zur Schutznormtheorie vgl. z.B. BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris Rn. 15; HessVGH, B.v. 3.3.2016 – 4 B 403/16 – NVwZ 2016, 1101 = juris Rn. 12; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 89). Ergänzend zu den im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. März 2021 in Bezug genommenen und einschlägigen Rechtsprechungsnachweisen weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich der gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Art. 59 BayBO relevanten Frage, ob dem streitgegenständlichen Vorhaben der Beigeladenen (auch wenn es bereits als Schwarzbau errichtet war und nachträglich legalisiert werden sollte) im Genehmigungsverfahren zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, korrekt auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung abgestellt (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. Rn. 97; B.v. 4.3.2021 – 15 ZB 20.3151 – juris Rn. 14). Insofern waren mithin eventuell vormals gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c), Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO entgegenstehende örtliche Bauvorschriften der bereits zum 11. Januar 2019 aufgehobenen Gestaltungssatzung im Zeitpunkt der späteren Genehmigungserteilung am 21. März 2019 nicht mehr zu berücksichtigen. Im Übrigen dienen örtliche Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 BayBO grundsätzlich nur dem öffentlichen Interesse (insbesondere der Durchsetzung gestalterischer Ziele der Gemeinde) und räumen dem Nachbarn grundsätzlich keine subjektiv-öffentlichen Abwehrrechte ein. Nachbarschutz vermag eine örtliche Bauvorschrift nur ganz ausnahmsweise zu vermitteln, wenn die Gemeinde – was vorliegend weder vorgetragen wurde noch ersichtlich ist – der Regelung erkennbar eine entsprechende Wirkung geben wollte (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.2021 – juris Rn. 53 m.w.N.).
b) Die vom Verwaltungsgericht hinsichtlich Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO angewendeten Rechtsgrundsätze decken sich mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363 – BayVBl 2011, 81 = juris Rn. 25; U.v. 20.10.2010 – 14 B 09.1616 – juris Rn. 31; U.v. 25.11.2013 – 9 B 09.952 – juris Rn. 46 ff.; B.v. 16.1.2014 – 9 CS 13.1808 – juris Rn. 13). Dass die Frage, ob ein Nachbar einen Grenzüberbau zu dulden hat (§ 912 Abs. 1 BGB), rein zivilrechtlicher Natur ist und deshalb für den Erfolg einer Nachbaranfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung wegen Art. 68 Abs. 4 BayBO in der bis 31. Januar 2021 geltenden Fassung (= Art. 68 Abs. 5 BayBO in der seit 1. Februar 2021 geltenden Fassung) irrelevant ist, ist in der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts ebenso bestätigt worden wie der Umstand, dass ein Überbau die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht hindert, sondern dass ein solches Gebäude mit Überbau abstandsflächenrechtlich vielmehr einem Grenzanbau gleichzustellen ist (vgl. BayVGH, 17.9.2020 – 9 CS 20.1414 – juris Rn. 19, 21).
c) Selbst für den Fall, dass die Einschlägigkeit des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO (entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des Senats) zu verneinen wäre, hätte die Anfechtungsklage mit dem Ziel der Kassation der Baugenehmigung vom 21. März 2019 keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Denn ein Nachbar kann sich nach Treu und Glauben (entsprechend § 242 BGB) bei der Anfechtung einer Baugenehmigung dann nicht mit Erfolg auf die Verletzung des nachbarschützenden Abstandsflächenrechts berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht den Vorgaben des Art. 6 BayBO (in der jeweils aktuellen Fassung) gegenüber dem Grundstück des Bauherrn (hier der Beigeladenen) entspricht, wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und wenn der Ausschluss der Berufungsmöglichkeit auf Art. 6 BayBO – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führt (BayVGH, B.v. 20.1.2021 – 15 CS 20.2892 – juris Rn. 27 m.w.N.). Diese Ausschlussvoraussetzungen sind vorliegend gegeben, weil das Nebengebäude der Klägerin, das ebenfalls an der gemeinsamen Grenze verläuft, auf größerer Länge die aktuellen Abstandsflächen des Art. 6 BayBO gegenüber der Beigeladenen nicht einhält und zudem ein deutlich größeres Bauvolumen sowie eine deutlich größere Höhe im Vergleich zum streitgegenständlichen Nebengebäude der Beigeladenen aufweist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Im Beschwerdeverfahren gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe fallen – anders als im Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz – Gerichtskosten an, wobei eine Kostenerstattung nicht stattfindet (§ 166 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO). Eine Streitwertfestsetzung ist im Hinblick auf die nach § 3 Abs. 2 GKG i.V. mit Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG anfallende Festgebühr jedoch entbehrlich.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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