Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung wegen behaupteter Verschattung einer Photovoltaikanlage bei Wahrung der Abstandsflächen

Aktenzeichen  1 ZB 18.696

Datum:
18.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14520
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 6

 

Leitsatz

Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht‚ von jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen‚ wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung scheidet in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden (daher hier Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch behauptete Beschattung einer Photovoltaikanlage verneint). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 17.1157 2018-01-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin wendet sich als Nachbarin gegen eine dem Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung für den Umbau eines Einfamilienhauses zu einem Zweifamilienhaus auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung A* … (im Folgenden: Baugrundstück). Das Grundstück der Klägerin grenzt nordöstlich an das Baugrundstück an. An der gemeinsamen Grundstücksgrenze befindet sich auf dem Grundstück der Klägerin eine Garage, auf der eine Photovoltaikanlage installiert ist. Durch den Umbau rückt das bestehende Gebäude auf dem Baugrundstück näher an das Grundstück der Klägerin heran. Die abstandsflächenrelevante Wandhöhe des geplanten Gebäudes beträgt in diesem Bereich unter Einrechnung der Giebelfläche ca. 5,45 m. Die künftige Außenwand hat einen Abstand von der gemeinsamen Grundstücksgrenze von ca. 4,90 m. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplan Nr. … “G* …- …“ der Beigeladenen zu 2. Mit Baugenehmigung vom 23. Februar 2017 wurde dem Beigeladenen zu 1 die Baugenehmigung für den Umbau erteilt und hierfür eine Befreiung von der Baugrenze des Bebauungsplans gewährt. Die von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 24. Januar 2018 abgewiesen. Das Bauvorhaben verletze keine drittschützenden Vorschriften. Die Baugrenzen dienten nicht dem Schutz des Nachbarn. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liege nicht vor, da das Vorhaben die gesetzlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Klägerin einhalte und sowohl die Verschattung des Grundstücks als auch der Photovoltaikanlage hingenommen werden müsse.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist, liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Die Klägerin wird, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, durch die erteilte Befreiung hinsichtlich der Baugrenze nicht in eigenen Rechten verletzt. Bei einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung befreit wird, dem Nachbarschutz dienen. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 2011). Bei der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans hat der Nachbar über den Anspruch auf Würdigung seiner nachbarlichen Interessen hinaus keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – BauR 1998, 1206). Für Festsetzungen eines Bebauungsplans ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob und inwieweit die Festsetzung Drittschutz vermitteln will (vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – NVwZ 1987, 409). Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung und Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen sind in der Regel nicht nachbarschützend, können aber nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträger diese Wirkung haben (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52.95 – NVwZ 1996, 170; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – NVwZ 1996, 888).
Die Klägerin trägt schon nicht substantiiert vor, woraus sich eine drittschützende Wirkung der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze ergeben könnte. Aus dem Umstand, dass die Beigeladene zu 2 dem streitgegenständlichen Bauantrag das Einvernehmen verweigert hat, lassen sich keine Rückschlüsse auf den Willen des Plangebers ziehen. Dieser müsste sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der Gemeinde (Sitzungsprotokolle etc.) ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2013 – 1 ZB 11.2893 – juris Rn. 4). Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf dem Nachbargrundstück reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – BayVBl 2016, 710). Anhaltspunkte für einen dergestalt dokumentierten Planungswillen werden im Zulassungsantrag nicht genannt.
Soweit vorgetragen wird, die Befreiung sei rechtswidrig, da kein atypischer Fall vorliege und sie städtebaulich nicht vertretbar sei, kommt es hierauf nicht an. Bei der Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen werden Nachbarrechte nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung objektiv rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 1 CS 17.693 – juris Rn. 3).
Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung von nicht nachbarschützenden Vorschriften die Rechte des Nachbarn verletzt ist nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat (vgl. BVerwG, B. v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – NVwZ-RR 1999, 8). Das Verwaltungsgericht hat diese Maßstäbe zutreffend angewandt.
Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht‚ von jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen‚ wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Nach der Rechtsprechung des Senats scheidet eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung in aller Regel aus, wenn – wie hier – die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7; B.v. 25.3.2013 – 1 CE 13.332 – juris Rn. 5; B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17; vgl. auch BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – NVwZ 1999, 879). Das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme ist insoweit vom Landesgesetzgeber mit diesen Belangen in den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften konkretisiert worden. Das Verwaltungsgericht ist hiervon ausgegangen und hat unter Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls zutreffend dargelegt, dass keine Ausnahmesituation vorliegt, die trotz der in Art. 6 BayBO zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen würde.
Eine solche Ausnahmesituation ergibt sich vorliegenden Fall nicht wegen der auf der Garage der Klägerin befindlichen Photovoltaikanlage. Die Klägerin hat bereits nicht dargelegt, in welchem Umfang mit einer Verschattung und einer Einbuße bei der Stromerzeugung der Photovoltaikanlage zu rechnen ist. Die Behauptung, die Funktion der Photovoltaikanlage sei aufgehoben, ist weder belegt noch nachvollziehbar. Der Hinweis auf den monatlichen Ertrag der gesamten Stromerzeugung am Anwesen der Klägerin lässt sich nicht in Beziehung zu den vom geplanten Bauvorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen setzen. Mit dem Heranrücken um 4,40 m des nur ca. 10,50 m breiten Gebäudes mit Erdgeschoss und Dachgeschoss ist keine Situationsveränderung zu erkennen, die eine ausreichende Besonnung der Photovoltaikanlage ausschließt. Selbst wenn man von einer gewissen finanziellen Einbuße bei der Stromerzeugung ausgeht, führt dies nicht zur Rücksichtslosigkeit des Vorhabens. Solche mit der Situationsänderung verbundenen Einbußen können eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht begründen, da ein Anspruch des Einzelnen darauf, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu bleiben, nicht besteht (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.1997 – 4 B 195.97 – NVwZ-RR 1998, 540; BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 15 CS 13.1561 – juris Rn.15). Indem die Klägerin die Photovoltaikanlage auf einem Grenzgebäude angebracht hat, hat sie sich im besonderen Maße dem Risiko ausgesetzt, dass die Funktion derselben durch bauliche Anlagen auf dem Nachbargrundstück beeinträchtigt werden, da sie eine umfassende Besonnung durch Vorhalten eines Freiraums auf dem eigenen Grundstück nicht sicherstellen kann.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 trägt, da dieser sich am Verfahren beteiligt hat und durch seine Begründung das Verfahren gefördert hat (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 162 Rn. 17 m.w.N.). Da die Beigeladene zu 2 sich nicht geäußert hat, entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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