Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung wegen Geruchsbelastung durch Kälberstall

Aktenzeichen  15 B 16.1001

Datum:
31.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 54891
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68
BauNVO § 15
BayVwVfG Art. 37

 

Leitsatz

Eine Baugenehmigung verletzt Rechte des Nachbarn, wenn sie hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist und infolge dessen im Falle der Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten (im Fall des Anbaus eines Kälberstalls des Rücksichtnahmegebots wegen Geruchsbelastung) nicht auszuschließen ist. Eine Baugenehmigung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Baugenehmigung für einen Kälberstall muss mithin auch Angaben zum Tierbestand haben. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 6 K 13.775 2014-12-09 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Das Verfahren wird eingestellt.
II.
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. Dezember 2014 ist wirkungslos geworden.
III.
Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens jeweils zur Hälfte.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Der Beigeladene trägt seine in beiden Instanzen entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.
IV.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1. Das Verfahren ist aufgrund der übereinstimmenden Erledigterklärungen der Parteien (Schriftsätze vom 26. September 2016 und vom 4. Oktober 2016) beendet und in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. Dezember 2014 ist wirkungslos geworden (§ 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht bei Erledigung der Hauptsache nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Für die hierbei maßgebliche Beurteilung der Erfolgsaussichten bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses kommen wegen des kursorischen Charakters der Kostenentscheidung etwa erforderliche weitere Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts nicht in Betracht; auch schwierige Rechtsfragen sind nicht mehr zu entscheiden (BayVGH, B. v. 25.09.2007 – 26 N 05.1670 – juris Rn. 2; B. v. 5.2.2015 – 15 N 12.1518 – juris Rn. 2).
a) In Orientierung an §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO entspricht es der Billigkeit, die Kosten für das erstinstanzliche Verfahren jeweils hälftig zwischen dem Beklagten und dem Beigeladenen aufzuteilen, weil die Klage – entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts – vom Berufungsgericht wegen Unbestimmtheit der angefochtenen Baugenehmigung bis zum erledigenden Ereignis (Erlass des Änderungsbescheids vom 31. August 2016) voraussichtlich als begründet erachtet worden wäre.
Eine Baugenehmigung verletzt Rechte des Nachbarn, wenn sie hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist und infolge dessen im Falle der Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten – im vorliegenden Fall des Rücksichtnahmegebots zulasten des Klägers hinsichtlich der Geruchsbelastung – nicht auszuschließen ist. Eine Baugenehmigung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt mithin vor, wenn eine Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (vgl. BayVGH, B. v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16; B. v. 27.5.2011 – 14 B 10.773 – juris Rn. 24 ff.; B. v. 5.10.2011 – 15 CS 11.1858 – juris Rn. 14; OVG NW, B. v. 30.5.2005 – 10 A 2017/03 – BauR 2005, 1495 = juris Rn. 4 ff.; ThürOVG, U. v. 24.11.2005 – 1 KO 531/02 – juris Rn. 31 ff. – jeweils m. w. N.).
Die ursprüngliche Baugenehmigung vom 27. März 2013 genügte den Bestimmtheitsanforderungen hinsichtlich des Rücksichtnahmegebots in Bezug auf die zu prognostizierende Geruchsbelastung nicht. Ihr ließ sich nicht entnehmen, von welchem Tierbestand in dem streitgegenständlichen Stallanbau des Beigeladenen genau auszugehen sein sollte. Eine nähere von der erteilten Baugenehmigung umfasste Betriebsbeschreibung i. S. von § 3 Nr. 3, § 9 der Verordnung über Bauvorlagen und bauaufsichtliche Anzeigen (Bauvorlagenverordnung – BauVorlV) hinsichtlich der Art und Anzahl der unterzubringenden Tiere war dem Bauantrag nicht beigefügt. Der in der genehmigten Planzeichnung erfolgten Bezeichnung als „Kälberstall“ ließ sich – unabhängig von der fehlenden eindeutigen Festlegung der Anzahl der unterzubringenden Tiere – schon nicht hinreichend entnehmen, ob es hier um Kälberaufzucht oder um Kälbermast ging, was aber für die Geruchsbelastung relevant sein kann. Zum genauen Tierbestand finden sich in der ursprünglichen Baugenehmigung auch keine Inhalts- oder Nebenbestimmungen. Auch dem genehmigten Eingabeplan – laut dem auf der westlichen und der östlichen Stallhälfte jeweils 10 Einzelboxen eingezeichnet sind, wobei die Restfläche der westlichen Stallhälfte als „Lager“ und die Restfläche der östlichen Stallhälfte als „Kälberstall“ bezeichnet wird – ließen sich hinsichtlich des zu besetzenden Tierbestandes keine eindeutigen Aussagen entnehmen. Die vom Verwaltungsgericht aus den schriftsätzlichen Angaben des Beigeladenen übernommenen Angaben zur Rinderhaltung, wonach von einem Besatz von 25 Kälbern und damit von 7,5 GV auszugehen sei, ergab sich mithin (zunächst) nicht aus Bauvorlagen bzw. aus der ursprünglichen Baugenehmigung. War somit mangels eines der angefochtenen Baugenehmigung zugrunde liegenden feststellbaren Tierbestands die Baugenehmigung unbestimmt, betraf dies Parameter zur Regelung der Geruchsbelastung und damit mit Blick auf das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot eine nachbarrechtsrelevante Frage.
b) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt hingegen der Beklagte als – vgl. oben a) – voraussichtlich im Berufungsverfahren Unterlegener allein, weil der Beigeladene im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt hat und deshalb gem. § 154 Abs. 3 VwGO insofern nicht an der Kostenlast zu beteiligen ist (vgl. BayVGH, B. v. 18.8.2015 – 15 B 13.1951 – juris Rn. 11).
c) Schon weil der Beigeladene mit seinem in erster Instanz gestellten Sachantrag auf Klageabweisung im Falle einer streitigen Berufungsentscheidung voraussichtlich unterlegen gewesen wäre (vgl. Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 162 Rn. 69 m. w. N.), entspricht es billigem Ermessen, dass dieser seine außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen selbst trägt (§ 162 Abs. 3‚ § 154 Abs. 3 VwGO).
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie orientiert sich an der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht, gegen die keine Einwände erhoben worden sind. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens verbleibt es bei der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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