Baurecht

Nachbarklage gegen Vorbescheid, Rechtsschutzbedürfnis (verneint), keine Hemmung der Geltungsdauer eines Vorbescheids durch Nachbarrechtsbehelf, Wahlrecht des Bauherrn, ob er für ein Bauvorhaben von der Bindungswirkung eines Vorbescheids, Gebraucht macht

Aktenzeichen  M 11 K 18.4058

Datum:
11.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52523
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Gründe

I. Die Klage hat keinen Erfolg.
Die gegen den der Beigeladenen erteilten Vorbescheid vom 26. Juni 2018 gerichtete Anfechtungsklage ist bereits unzulässig, da es dem Kläger insoweit am erforderlichen Rechtschutzbedürfnis fehlt.
Das erforderliche Rechtsschutzinteresse für eine Klage kann im Einzelfall fehlen, wenn das Verfahren der Klagepartei offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb als nutzlos erscheint (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BayVGH, U.v. 27.1.2017 – 15 B 16.1834 – juris Rn. 14; Hoppe in Eyermann, VwGO,15. Auflage 2019, § 80, Rn. 82 f.). So liegt der Fall hier.
1. Entgegen der von Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung „erledigt“ sich ein erteilter Vorbescheid zwar nicht bereits allein durch die Erteilung einer das gleiche Vorhaben betreffenden Baugenehmigung. Jedenfalls solange die Baugenehmigung nicht bereits vollständig durch Errichtung des genehmigten Vorhabens umgesetzt wurde, erscheint es ohne weiteres denkbar, dass ein Bauherr ggf. Änderungen seines Vorhabens beantragt oder ggf. auch verschiedene Vorhaben auf dem Grundstück parallel verfolgt, sodass es auf die Bindungswirkung eines zuvor erteilten Vorbescheids weiterhin maßgeblich ankommt (vgl. auch VG München, U.v. 24.11.2020 – M 1 K 18.4073 – juris Rn. 34: Rechtsschutzinteresse eines Bauherren trotz Erteilung einer Baugenehmigung an einen Dritten).
2. Zu beachten ist vorliegend allerdings, dass zwischenzeitlich die dreijährige Geltungsdauer des Vorbescheids abgelaufen ist (Art. 71 Satz 2 BayBO). Die von dem Kläger erhobene Nachbarklage hemmte den Lauf der Frist nicht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dies im Anschluss an eine entsprechende Entscheidung der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts München vom 23. August 2008 (Az. M 1 K 08.1923) in einer grundlegenden Entscheidung vom 15. März 2010 (Az. 1 BV 08.3157 – juris) ausführlich dargelegt und begründet; soweit demgegenüber in der Literatur teils abweichende Auffassungen vertreten werden (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand Sept 2021, Art. 71, Rn. 126 f.) überzeugt dies nicht.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in der o.g. Entscheidung aus, dass selbst bei Annahme einer aufschiebenden Wirkung von Nachbarrechtsbehelfe gegen einen Vorbescheid eine solche unter Zugrundelegung der sog. Vollziehbarkeitstheorie und dem bayerischen Landesrecht nicht dazu führt, dass der Fristlauf des Vorbescheids während der Dauer der Rechtsbehelfsverfahren gehemmt wäre. Der Bauherr sei durch einen Nachbarrechtsbehelf nicht gehindert, einen an den Vorbescheid anknüpfenden Bauantrag zu stellen und die für die Erteilung der Baugenehmigung zuständige Behörde sei – solange dessen Geltungsdauer nicht abgelaufen ist – auch an den noch nicht bestandskräftigen Vorbescheid gebunden (sog. relative Bestandskraft des Vorbescheids). Rechtschutzmöglichkeiten betroffener Nachbarn würden nicht unzumutbar eingeschränkt; sofern eine Baugenehmigung erteilt werde, sei der klagende Nachbar lediglich gezwungen, auch diese Baugenehmigung anzufechten. Der Lauf der Geltungsfrist des Vorbescheids werde auch nicht durch die gesetzlichen Regelungen gehemmt. Die Bayerische Bauordnung sehe insoweit abweichend von den Regelungen anderer Bundesländer eine Hemmung des Fristlaufs nur bei der Baugenehmigung und der Teilbaugenehmigung, nicht jedoch beim Vorbescheid vor. Art. 71 Satz 4 BayBO verweist zwar auf Art. 69 Abs. 2 Satz 2 BayBO, nicht aber auf Art. 69 Abs. 1 Halbsatz 2 BayBO. Bei dieser unterschiedlichen Behandlung von Baugenehmigung und Vorbescheid habe sich der Gesetzgeber von sachgerechten Erwägungen leiten lassen, da der Bauherr von einem Vorbescheid stets Gebrauch machen kann, indem er eine an ihn anknüpfende Baugenehmigung beantrage. Die Aufwendungen für den Bauantrag seien regelmäßig erheblich geringer als diejenigen für die Realisierung des Bauvorhabens, das der Bauherr mangels aufschiebender Wirkung der Nachbarklage auf eigenes Risiko realisieren könne. Die Behörde sei im Baugenehmigungsverfahren auch im Fall der Anfechtung durch einen Dritten an den Vorbescheid gebunden.
Eine Verlängerung des Vorbescheids wurde von Seiten der Beigeladenen nicht beantragt, sodass der streitgegenständliche Vorbescheid mit Ablauf des 19. Juli 2021 unwirksam wurde (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB) und sich damit durch Zeitablauf zu diesem Zeitpunkt erledigt hat.
3. Zwar dürfte es der Annahme einer Erledigung entgegenstehen, wenn der Vorbescheid über eine zwischenzeitlich erteilte Baugenehmigung weiterhin Rechtswirkungen zeitigt. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall.
Weder nach dem Inhalt des Bauantrags vom 10. Dezember 2018 noch dem Inhalt des Baugenehmigungsbescheids vom 17. Dezember 2019 ist erkennbar, dass für die Beteiligten des Baugenehmigungsverfahrens Bindungswirkungen des Vorbescheids vom 26. Juni 2018 in irgendeiner Art und Weise entscheidungsrelevant gewesen wären. Die Beigeladene hat im Rahmen ihres Bauantrags vom 10. Dezember 2018 weder durch Ankreuzen der entsprechenden Angaben im Formular (Bl. 12 d.BA) noch an sonstiger Stelle der Antragsunterlagen auf den erteilten Vorbescheid Bezug genommen. Es wurde von der Beigeladenen vielmehr ein neues, eigenständiges Baugenehmigungsverfahren angestrengt und durchgeführt. Einem Bauherrn bleibt es dabei unbenommen, von einem – trotz Drittanfechtung wirksamen (s.o.) – Vorbescheid keinen Gebrauch zu machen und sein Bauvorhaben zur umfänglichen Prüfung im Baugenehmigungsverfahren zu stellen. Der vom Bauherrn so bestimmte Antragsgegenstand bestimmt in der Folge auch den Umfang der behördlichen Prüfung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens. Hiervon ausgehend hat die Bauaufsichtsbehörde das zur Genehmigung gestellte Vorhaben, einschließlich der von Klägerseite erhobenen Einwendungen, erneut umfassend geprüft; etwaige der Baugenehmigung zugrunde gelegte Bindungswirkungen des Vorhabens lassen sich weder dem Baugenehmigungsbescheid vom 17. Dezember 2019 noch dem Akteninhalt dieses Baugenehmigungsverfahrens entnehmen.
Da die Baugenehmigung vom 17. Dezember 2019 demnach unabhängig von dem angefochtenen Vorbescheid erteilt wurde und dieser wegen Ablaufs seiner Geltungsdauer auch künftig keinerlei Bindungswirkungen für Bauvorhaben auf dem Vorhabengrundstück mehr entfalten kann, erweist sich die vorliegend weiter aufrechterhaltene Anfechtungsklage des Klägers als offensichtlich nutzlos.
Auf diese nach Klageerhebung eingetretene Erledigung des streitgegenständlichen Vorbescheids durch Zeitablauf hätte die Klagepartei vorliegend prozessual etwa durch Abgabe einer Erledigungserklärung reagieren können. Dies hat der anwaltlich vertretene Kläger indes auch in der mündlichen Verhandlung nicht getan, obwohl die Frage der Erledigung des Vorbescheids in der Verhandlung ausdrücklich angesprochen wurde und der Beklagte sich hierzu auch geäußert hat.
Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich aus der Stellungnahme des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, wonach von einer Erledigung des Vorbescheids ausgegangen wurde (wenn auch fälschlicherweise bereits seit dem Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung, s.o.), im Übrigen keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass seitens des Beklagten oder der Beigeladenen dem streitgegenständlichen Vorbescheid auch nur der „Rechtschein“ einer fortbestehenden Bindungswirkung beigemessen würde. Auch sonst ist ein etwaiges (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse der Klägerseite weder ersichtlich noch dargetan.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, dass der Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, die Anträge gestellt und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff ZPO.


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