Baurecht

Nachbarklage gegen Vorbescheid, Unbeplanter Innenbereich, Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage, Rücksichtnahmegebot, Abweichung, Präklusion nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (verneint)

Aktenzeichen  M 8 K 19.6030

Datum:
17.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18001
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BayBO Art. 63
BayBO Art. 6
UmwRG § 6

 

Leitsatz

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin wird durch den streitgegenständlichen Vorbescheid nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Nach Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Einreichung eines Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erlassen werden. Als feststellender Verwaltungsakt stellt der Vorbescheid im Rahmen der vom Bauherrn gestellten Fragen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die Gegenstand der Prüfung sind, fest und entfaltet während seiner regelmäßigen Geltungsdauer von drei Jahren (Art. 71 Satz 2 BayBO) Bindungswirkung für ein nachfolgendes Baugenehmigungsverfahren.
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung und/oder einen Vorbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung/der Vorbescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22). Für den Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung/der Vorbescheid gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung/den Vorbescheid drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden.
2. Der Vortrag der Klägerin ist nicht aufgrund der innerprozessualen Präklusion des § 6 UmwRG ausgeschlossen.
2.1. Der Anwendungsbereich von § 6 UmwRG ist bereits nicht eröffnet.
Nach § 6 UmwRG hat eine Person oder eine Vereinigung im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 UmwRG (hierzu zählt die Klägerin als juristische Person, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwRG iVm § 61 Nr. 1, 2. Alt. VwGO) innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder gegen deren Unterlassen dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben.
2.1.1. Nach der subsidiären Auffangvorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Alt. 1 UmwRG zählen zu den hiervon erfassten „Entscheidungen“ auch Verwaltungsakte, durch die andere als in den § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 2b UmwRG genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden.
Entscheidungen bzw. Verwaltungsakte in diesem Sinn können grundsätzlich auch Baugenehmigungen und Vorbescheide sein (vgl. Marquard: Klagebegründungsfrist und innerprozessuale Präklusion: § 6 UmwRG in der Praxis, NVwZ 2019, 1162; Feller/Schiller in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 94. EL Dezember 2020, § 1 Rn. 106 und 109; Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/9526, S. 36). Voraussetzung hierfür ist, dass der Verwaltungsakt, hier also der Vorbescheid „unter Anwendung“ umweltbezogener Rechtsvorschriften erlassen worden ist (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.4.2018 – 2 CS 18.198, NuR 2019, 483; Happ in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 1 UmwRG, Rn. 19). Insoweit kommt es nur darauf an, ob Vorschriften mit Umweltbezug von der Baugenehmigungsbehörde zu prüfen waren, unabhängig davon, ob sie tatsächlich geprüft wurden (vgl. Marquard: Klagebegründungsfrist und innerprozessuale Präklusion: § 6 UmwRG in der Praxis, NVwZ 2019, 1162, m.w.N.). Weiterhin ist nicht erforderlich, dass gerade die Verletzung von umweltbezogenen Rechtsvorschriften geltend gemacht wird (vgl. Happ in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 1 UmwRG, Rn. 19, m.w.N.).
§ 1 Abs. 4 UmwRG definiert den Begriff der „umweltbezogenen Rechtsvorschriften“ als Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen iSv § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG oder Faktoren im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG beziehen. Die Anforderungen an den notwendigen Umweltbezug dürfen nicht überspannt werden (Fellenberg/Schiller in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, a.a.O., § 1 Rn. 161). Das Wort „Umwelt“ muss nicht in Titel oder Überschrift vorkommen; auch muss der Umweltschutz nicht Zweck der Bestimmung sein. Entscheidend ist allein, ob sich die betreffende Rechtsvorschrift in irgendeiner Weise auf die Umwelt bezieht (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs 18/9526, S. 32; Molodovsky/Famers/Waldmann in: Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, 52. Update März 2021, Art. 66 Rn. 127ff, m.w.N.).
Erfasst sind regelmäßig Bestimmungen des materiellen Umweltrechts und das umweltbezogene Verfahrensrecht. Bei allen anderen Rechtsnormen ist jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die in Bezug genommene Bestimmung voraussichtlich unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf die Umwelt hat (Fellenberg/Schiller in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, a.a.O., § 1 Rn. 162f).
2.1.2. Vorliegend waren bereits keine umweltbezogenen Rechtsvorschriften beim Erlass des angefochtenen Vorbescheids anzuwenden.
Gegenstand eines Vorbescheids sind – wie bereits ausgeführt – einzelne konkrete Fragen zu einem Vorhaben. Allein der Bauherr bestimmt durch die von ihm gestellten Einzelfragen sowohl den Prüfungsumfang des Genehmigungsverfahrens als auch den sachlichen Umfang der Bindungswirkung des Vorbescheids (vgl. Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 141. EL März 2021, Art. 71 Rn. 89 u. 103). Die hier streitgegenständlichen Fragen beziehen sich auf das Einfügen dem Maß der baulichen Nutzung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB nach (Frage 3) sowie auf das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht (Frage 6, 1. Spiegelstrich).
2.1.2.1. Zweifelsohne können auch Vorschriften des Baugesetzbuchs zu den umweltbezogenen Rechtsvorschriften iSd § 1 Abs. 4 UmwRG zählen. Dies kann jedoch nur für diejenigen Vorschriften des Baugesetzbuchs gelten, die sich tatsächlich in irgendeiner Weise auf die Umwelt beziehen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2018 – 2 CS 18.198, NuR 2019, 483). § 34 Abs. 1 BauGB kann zwar (auch) umweltbezogen sein, soweit das Einfügungsgebot vor spezifisch umweltbezogenen Belastungen schützen soll, nicht aber, soweit es – wie hier – allgemein um das Einfügen nach Art oder Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise oder der überbaubaren Grundstücksfläche geht (vgl. Happ in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, a.a.O., § 1 UmwRG, Rn. 31; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 20.11.2020 – 10 S 66/20, NVwZ-RR 2021, 335).
Zweck des Abstandsflächenrechts ist die Sicherstellung ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung der Räume in Gebäuden, der Brandschutz und das Freihalten von Flächen für erforderliche Nebenanlagen (vgl. Schönfeld in: BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 18. Edition, Stand: 1.4.2021, Art. 6 Rn. 1 ff). Ein Umweltbezug im obigen Sinne ist insoweit nicht auszumachen.
2.1.2.2. Fragen des kommunalen Naturschutzes – hier in Gestalt der Baumschutzverordnung der Beklagten vom 18. Januar 2013 (BaumschutzV) – waren ebenfalls nicht Gegenstand des Vorbescheidsverfahrens.
Gemäß § 5 Abs. 1 BaumschutzV kann das Entfernen, Zerstören oder Verändern geschützter Gehölze auf Antrag genehmigt werden. Für den Vollzug ist die untere Naturschutzbehörde der Beklagten zuständig, § 9 Abs. 1 BaumschutzV. Wird die Maßnahme durch ein Vorhaben veranlasst, dass nach anderen Rechtsvorschriften gestattungsbedürftig ist, so ist der Antrag bei der für diese Verfahren zuständigen Behörde einzureichen. Die für das Gestattungsverfahren zuständige Behörde – im Falle eines Vorbescheids die untere Bauaufsichtsbehörde – entscheidet nach Maßgabe der BaumschutzV im Einvernehmen mit der unteren Naturschutzbehörde, § 9 Abs. 2 BaumschutzV.
Entsprechend der dem Vorbescheidsantrag beigefügten Baumbestandserklärung (Bl. 10f. d.A.) wurde kein Antrag auf Beseitigung und / oder Veränderung von geschützten Gehölzen gestellt. Ferner hatte keine der Vorbescheidsfragen – erst recht nicht die beiden hier streitgegenständlichen – einen solchen Antrag zum Gegenstand. Daher kommt es auch nicht darauf an, dass die Beigeladene von der Beklagten nach einer formalen – nicht inhaltlichen – Überprüfung der Antragsunterlagen (vgl. Bl. 33 d.A.) routinemäßig aufgefordert wurde, eine Baumbestandserklärung bzw. einen Baumbestandsplan einzureichen. Allein durch diese gegenstandslose Nachforderung wird der vom Bauherrn durch seine Vorbescheidsfragen eingegrenzte Prüfungsumfang nicht berührt bzw. erweitert.
Auch waren Fragen des Baumschutzes von der Beklagten nicht im Rahmen der bauplanungsrechtlichen Fragestellung(en) zu beantworten oder zu erwägen. Zwar können Belange des Baumschutzes ggf. das Verlangen nach einer Verschiebung oder Modifikation des Baukörpers rechtfertigen, wenn hierdurch geschützte Bäume erhalten werden können und dies zu keiner oder allenfalls geringfügigen Beschränkung des bestehenden Baurechts führen würde (BayVGH, B.v. 23.10.2018 – 2 ZB 16.936 – juris Rn. 6; VG München, U.v. 28.2.2011 – M 8 K 10.6250 – juris Rn. 41, jeweils m.w.N.). Allerdings ist die Frage, ob Gesichtspunkte des Baumschutzes hinter einem gegebenen Baurecht zurückzutreten haben, im Rahmen der als Ermessensbestimmung ausgestalteten Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BaumschutzV, bei der Prüfung, ob eine beantragte Fällungsgenehmigung versagt werden kann, zu klären (vgl. VG München, U.v. 28.2.2011 – M 8 K 10.6250 – juris Rn. 42), nicht im Rahmen der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Einfügungskriterien.
Dass die Beklagte die Vorgaben der BaumschutzV im streitgegenständlichen Vorbescheidsverfahren weder zu prüfen hatte, noch tatsächlich geprüft hat, ergibt sich insbesondere auch daraus, dass im Vorbescheid ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass mit einem (etwaigen) Baugenehmigungsantrag ein Baumbestandsplan vorzulegen sei.
Überdies handelt es sich bei der Baumschutzverordnung der Beklagten um eine kommunale Rechtsvorschrift und damit um keine Rechtsvorschrift des Bundes- oder Landesrechts im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG iVm § 1 Abs. 4 UmwRG (vgl. hierzu Schlacke: Aktuelles zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2019, 1392; vgl. auch BayVGH, B.v. 11.4.2018 – 2 CS 18.198, NuR 2019, 483; B.v. 8.10.2020 – 2 ZB 19.449, BeckRS 2020, 26750 wonach ein Bebauungsplan keine Rechtsvorschrift des Bundes oder des Landes darstellt), sodass auch insoweit der Anwendungsbereich des § 6 UmwRG nicht eröffnet ist.
2.2. Selbst wenn man dem nicht folgen wollte, wäre das Vorbringen der Klägerin gleichwohl nicht präkludiert.
2.2.1. Regelungszweck des § 6 UmwRG ist die Verfahrensbeschleunigung indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gehalten wird (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9526, S. 41; BT-Drs. 18/12146, S. 16, BT-Drs. 19/4459, S. 32). Damit soll für das Gericht und die übrigen Beteiligten klar und unverwechselbar feststehen, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird (BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8/17, NVwZ 2019, 1202; U.v. 29.10.2020 – 4 CN 9/19, NVwZ 2021, 331). Auf rein rechtliche Bewertungen aktenkundiger Tatsachen findet § 87b VwGO iVm § 6 UmwRG keine Anwendung (BayVGH, B.v. 22.5.2020 – 22 ZB 18.856 – juris Rn 64).
Bereits mit der Klageerhebung war der Umfang des Prozessstoffes durch den im Schriftsatz vom 3. Dezember 2019 gestellten Antrag, die Beschränkung der Anfechtung des streitgegenständlichen Vorbescheids auf zwei konkrete Einzelfragen und die Vorlage des angefochtenen Vorbescheids hinreichend definiert und eingegrenzt. Späterer, lediglich ergänzender Tatsachenvortrag wird von § 6 UmwRG nicht ausgeschlossen (BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8/17, NVwZ 2019, 1202).
2.2.2. Vom Eintritt der innerprozessualen Präklusion macht das Gesetz ferner zwei Ausnahmen. Neben der genügenden Entschuldigung der Verspätung des Vortrags (§ 6 Satz 2 UmwRG iVm § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) verweist § 6 Satz 3 UmwRG auf § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO, wonach die Präklusion auch in dem Fall nicht greift, dass das Gericht den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten mit geringem Aufwand ermitteln kann.
Aufgrund des im Verwaltungsprozess geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes ist das Gericht unabhängig vom Vortrag der Beteiligten zur Ermittlung des Sachverhalts insbesondere durch Prüfung der Behördenakten berechtigt und verpflichtet, § 86 Abs. 1 VwGO (vgl. Rixen in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 86 Rn. 60ff.). Der Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet das Gericht, von sich aus alles zu tun, um den Tatsachenstoff für eine richtige rechtliche Beurteilung zusammenzutragen. Die Amtsermittlungspflicht besteht insbesondere auch dann, wenn es der Beteiligte an substantiiertem Sachvortrag fehlen lässt (vgl. Rixen in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung a.a.O., § 86 Rn. 14).
Es besteht zwar die Auffassung in der Literatur, dass der Amtsermittlungsgrundsatz angesichts der innerprozessualen Verwirkungsanordnung in § 6 UmwRG eingeschränkt werde (vgl. Schlacke: Aktuelles zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2019, 1392, m.w.N.). Weder der Wortlaut des § 6 UmwRG noch die Gesetzesbegründung enthalten jedoch einen Hinweis darauf, dass die Regelung den Zweck hat, den Amtsermittlungsgrundsatz in der Weise zu ändern, dass nunmehr im Anwendungsbereich des § 6 UmwRG Bestandteile des Beibringungsprinzips gelten sollten. Darüber hinaus kann die innerprozessuale Präklusion nicht den Sinn haben, die Gerichte zu gängeln. Eine Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes entspricht auch nicht der Systematik des UmwRG, denn nach § 2 Abs. 1 UmwRG sind Umweltrechtsbehelfe nach Maßgabe der VwGO zu erheben. Mit Blick auf die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des geringen Aufwandes nach § 6 Satz 3 UmwRG iVm § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO ist ferner zu berücksichtigen, dass die Verwaltungsakten generell Grundlage der Urteilsfindung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind; ob die Ermittlung des Sachverhalts durch das Studium der Verwaltungsakten überhaupt als Aufwand verstanden werden kann, erscheint deshalb unabhängig von der Frage einer Verzögerung und damit auch im Anwendungsbereich von § 6 UmwRG fraglich. Die Bewältigung des Rechtsstoffes fällt überdies allein in die Verantwortung des Gerichts (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2020 – 22 ZB 18.856 – juris Rn. 72f, m.w.N., vgl. ferner Marquard: Klagebegründungsfrist und innerprozessuale Präklusion, § 6 UmwRG in der Praxis, NVwZ 2019, 1162).
Vorliegend war es dem Gericht mit geringem Aufwand möglich, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung der Klägerin anhand der vorgelegten Behördenakten und der Einnahme eines Augenscheins zu ermitteln, § 6 UmwRG iVm § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Eine Ermittlung des Sachverhalts „mit geringem Aufwand“ kommt außerdem insbesondere dort in Betracht, wo die Klagebegründungsobliegenheit – wie hier – eine bloße Förmlichkeit ist und deshalb die strenge Rechtsfolge der Präklusion nicht rechtfertigt (Fellenberg/Schiller in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, a.a.O., § 6 Rn. 84).
3. Der streitgegenständliche Vorbescheid verstößt nicht zulasten der Klägerin gegen das Bestimmtheitsgebot, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
3.1. Baugenehmigungen und Vorbescheide müssen nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG inhaltlich hinreichend bestimmt sein, sodass sie vollständig, klar und unzweideutig sind. Dies bedeutet, dass die im Genehmigungsbescheid getroffene Regelung und damit auch der Inhalt, die Reichweite und der Umfang der genehmigten Nutzung für die Beteiligten des Verfahrens – gegebenenfalls nach Auslegung (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19) – eindeutig zu erkennen sein müssen (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30), damit der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen und Drittbetroffene zweifelfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2009 – 1 CS 09.221 – juris Rn. 20; B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris Rn. 6; VGH Kassel, B.v. 30.1.2012 – 4 B 2379/11 – juris Rn. 5).
Ein Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass dem Bauherrn nur inhaltlich hinreichend bestimmte Baugenehmigungen bzw. Vorbescheide erteilt werden. Nachbarrechte können aber dann verletzt sein, wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung oder eines Vorbescheids Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung oder des Vorbescheids nicht eindeutig festgestellt werden können und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstößt (vgl. BayVGH, U.v. 20.5.1996 – 2 B 94.1513 – BayVBl. 1997, 405 f.; B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 25.7.2019 – 1 CS 19.821 – juris Rn. 14; VGH Mannheim, B.v. 23.11.2017 – 3 S 1933/17 – juris Rn. 8). Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich dabei nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht (vgl. BVerwG, B.v. 15.11.2007 – 4 B 52.07 – juris Rn. 6; OVG Münster, U.v. 6.6.2014 – 2 A 2757/12 – juris Rn. 73; OVG Schleswig, B.v. 11.8.2014 – 1 MB 18.14 – juris Rn. 9; OVG Lüneburg, B.v. 26.1.2012 – 1 ME 226/11 – juris Rn. 22).
3.2. Der verwendete Maßstab von 1:200 für die Bauzeichnungen und von 1:1.000 für den Lageplan sind bei Berücksichtigung der (eher spärlich) verwendeten Vermaßungen (gerade noch) ausreichend, um das abgefragte Vorhaben und dessen Kubatur im oben genannten Sinne hinreichend klar und unzweideutig – ggf. durch Abmessen – zu ermitteln und die Verletzung von Nachbarrechten auszuschließen. Ob und inwieweit die dem Vorbescheidsantrag beigefügten Pläne den Vorgaben des § 8 BauVorlV iVm Art. 71 Satz 4 BayBO, Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO genügen, ist daher nicht entscheidungserheblich.
Da es für die Frage der hinreichenden Bestimmtheit in Bezug auf Nachbarrechte nur auf die Bauvorlagen, die zum Gegenstand des Vorbescheidsantrags gemacht wurden, ankommt, waren überdies die von der Beigeladenen im Gerichtsverfahren vorgelegten umfangreichen ergänzenden Pläne insbesondere zu den Abstandsflächen insoweit nicht beachtlich.
3.2.1. Die von der Klägerin gerügte Länge des Wandvorsprungs an der gemeinsamen Grundstücksgrenze lässt sich anhand der Plandarstellungen „Grundrissvorschlag Regelgeschoss“ und „Grundrissvorschlag Erdgeschoss“ ohne Weiteres durch Abmessen feststellen. Die Breite der Wand beträgt ca. 2,20 m. Einer Maßkette hatte es daher zur Wahrung von Nachbarrechten nicht bedurft. Dass sich dieses Maß nicht mit derselben Exaktheit dem Lageplan mit einem Maßstab von 1:1000 entnehmen lässt, ist dem gewählten Maßstab immanent und führt nicht zu einer Verletzung von Nachbarrechten.
Die Gesamtlänge der Kommunwand zum Nachbargrundstück ist überdies im Lageplan mit 14,20 m vermaßt. Diese Maßangabe ist ausreichend, um die Wandbreite hinreichend zu bestimmen und eine Verletzung von Nachbarrechten auszuschließen. Insoweit kommt es auch nicht auf die ungenaue zeichnerische Darstellung dieser Wand im Abstandsflächenplan an (der Strich, mit dem die östliche Außenwand dargestellt wird, endet nicht bündig an der sich im rechten Winkel anschließenden südlichen Außenwand, sondern ragt um ca. 1,00 mm über diese hinaus). Bei einem Widerspruch zwischen zeichnerischen Darstellungen und vermerkten Maßangaben kommt letzteren nämlich grundsätzlich der Vorrang zu (vgl. VGH BW, B.v. 22.5.1997 – 8 S 1183/97, BRS Bd. 59 Nr. 151).
3.2.2. Soweit die Klägerin rügt, dass die Balkonanbauten an der Südwestfassade nicht vermaßt seien, ist darauf hinzuweisen, dass die Tiefe der die Klägerin betreffenden Balkone durch Abmessen („Grundrissvorschlag Regelgeschoss“) ohne Weiteres ermittelt werden kann. Sie beträgt ca. 1,00 m. Die Höhe der Balkonanlage ist überdies mit 16,33 m in der Darstellung „Schnitt B-B“ vermaßt. Damit kann auch die das Nachbargrundstück betreffende, von der Balkonanalage ausgelöste Abstandsfläche berechnet werden. Unschädlich ist insoweit, dass die Tiefe der im „Schnitt B-B“ dargestellten Balkone nicht mit der Tiefe im „Grundrissvorschlag Regelgeschoss“ übereinstimmt (dort ca. 1,00 m, im „Schnitt B-B“ ca. 1,20 m, jeweils abgegriffen). Dieser Widerspruch in den genehmigten Plandarstellungen betrifft die Klägerin nicht. Denn hiervon sind lediglich die Balkone an der Westseite, durch welche der „Schnitt B-B“ läuft, betroffen. Die Abstandsflächen dieser Balkone fallen jedoch aufgrund des Abstands zur Grundstücksgrenze nicht auf das Nachbargrundstück. Der Abstand der westlichen Außenwand des Vorhabens im Innenhof (Gebäudeteil …straße) zum Nachbargrundstück beträgt ca. 18,60 m, die Höhe der Balkonanlage ist mit 16,33 m vermaßt (vgl. auch den Abstandsflächenplan).
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht maßgeblich, dass die Beklagte die hier nicht streitgegenständliche Frage 8 des Vorbescheids zur Genehmigungsfähigkeit der Balkonanlage aufgrund fehlender Vermaßungen und unvollständiger Darstellung ablehnte. Eine die Klägerin in ihren Rechten verletzende Widersprüchlichkeit ist damit nicht verbunden.
3.2.3. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass die Darstellung der Baukörpergrundfläche im Lageplan hinsichtlich der Grafik zumindest missverständlich ist, da die gewinkelte Ecksituation nebst Balkonanlage nicht – wie die übrige Baukörpergrundfläche – schraffiert, sondern ohne farbliche Hinterlegung dargestellt ist. Aus den weiteren Plandarstellungen („Grundrissvorschlag Regelgeschoss“ und „Grundrissvorschlag Erdgeschoss“) ist jedoch die Baukörpergrundfläche hinreichend bestimmbar, um eine Nachbarrechtsverletzung auszuschließen.
3.2.4. Soweit die Klägerin rügt, dass die Abstandsflächen nicht mit hinreichender Gewissheit anhand der genehmigten Planvorlagen ermittelt werden könnten, insbesondere deshalb, weil die Baukörpertiefe, welche die Lage der Südostfassade definiere, nicht vermaßt sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Baukörpertiefe entlang der …straße mit hinreichender Bestimmtheit durch Abmessen mit ca. 16,00 m aus den insoweit kongruenten Plänen ermittelbar ist („Grundrissvorschlag Regelgeschoss“, „Grundrissvorschlag Erdgeschoss“, und „Schnitt BB“).
Die das Nachbargrundstück betreffenden, durch das Vorhaben ausgelösten Abstandsflächen sind anhand der genehmigten Planzeichnungen hinreichend ermittelbar (s.u.). Sämtliche zur Ermittlung der Abstandsflächen erforderliche Maßangaben sind entweder in den genehmigten Plänen vermerkt oder können durch Abmessen ermittelt werden. Eine die Nachbarrechte der Klägerin verletzende Unbestimmtheit ist auch diesbezüglich nicht auszumachen.
Soweit die Klägerin ausführt, dass der dem Vorbescheidsantrag beigefügte Abstandsflächenplan zu ihren Lasten fehlerhafte Darstellungen enthalte, wendet sie sich im Ergebnis nicht gegen die einzelnen ihr Gebäude betreffenden in den Plänen vermerkten Maßangaben („Schnitt B-B-2“, „Grundrissvorschlag Regelgeschoss“), sondern gegen die von der Beigeladenen ermittelten und im Abstandsflächenplan eingetragenen Abstandsflächen, welche vom Nachbargrundstück auf das Vorhabengrundstück fallen (sollen). Dem ist entgegenzuhalten, dass selbst wenn der Abstandsflächenplan fehlerhaft wäre, dies in Bezug auf Nachbarrechte dann nicht von Belang wäre, wenn – wie hier – die zutreffenden Abstandsflächen anhand der übrigen Bauzeichnungen zweifelsfrei ermittelt werden können. Die Abweichung wird von den tatsächlich anfallenden Abstandsflächen erteilt, unabhängig von etwaigen Fehlern eines den Bauvorlagen beigefügten Abstandsflächenplanes. Denn sogar die gegen Abstandsflächenrecht verstoßende Errichtung eines Gebäudes an der Grundstücksgrenze oder mit einem für das Einhalten der Abstandsfläche auf dem Baugrundstück zu geringen Grenzabstand hat nicht zur Folge, dass die Abstandsfläche (teilweise) auf dem Nachbargrundstück liegt (BayVGH, B.v. 14.1.2009 – 1 ZB 08.97, NVwZ-RR 2009, 628).
3.3. Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot in nachbarrechtliche Hinsicht ergibt sich schlussendlich auch nicht daraus, dass in Frage 3 die Gebäudegrundfläche „ohne Rückgebäude“ abgefragt wurde, obschon sich in den streitgegenständlichen Bauzeichnungen kein Rückgebäude findet, dessen Zulässigkeit im Rahmen des Vorbescheidsantrags abgefragt wurde. Diese Ungenauigkeit in der Fragestellung lässt sich anhand der insoweit eindeutigen Bauzeichnungen ohne Weiteres aufklären.
4. Der Vorbescheid verstößt hinsichtlich der Frage 3 nicht gegen drittschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts, insbesondere nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
4.1. In Frage 3 wurde das Einfügen des Vorhabens in die maßgebliche Umgebung dem Maß der baulichen Nutzung nach und nach der überbaubaren Grundstücksfläche abgefragt.
Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz ist insoweit, da sich die Genehmigungsfähigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB beurteilt, aus dieser Vorschrift herzuleiten. Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im Innenbereich wendet, kann mit seiner Klage nur durchdringen, wenn eine angefochtene Baugenehmigung oder ein planungsrechtlicher Vorbescheid gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt (stRspr, BVerwG, U.v. 5.12. 2013 – 4 C 5.12, ZfBR 2014, 257, m.w.N.). Dies gilt auch hinsichtlich der Bauweise (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5/12, BVerwGE 148, 290 – juris Rn. 19f.).
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – juris Rn. 9). Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
4.2. Dieses berücksichtigend wird der im Rahmen des Rücksichtnahmegebots notwendige Interessenausgleich zwischen hinzutretender und vorhandener Bebauung durch das Vorhaben gewahrt.
Zur Bestimmung dessen, was dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, ist insbesondere die nähere Umgebung als (städte-)baulicher Rahmen, in den das Vorhaben- und Nachbargrundstück eingebettet sind, sowie die jeweilige besondere bauliche Situation der betroffenen Grundstücke in den Blick zu nehmen (vgl. grundlegend zur Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung iSd § 34 Abs. 1 BauGB: BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9/77, BVerwGE 55, 369 (380); B.v. 27.3.2018 – 4 B 60.17, ZfBR 2018, 479). Die maßgebliche Umgebung – hier die Bebauung entlang der …straße, …straße und …straße, im Geviertsinnern im Süden begrenzt auf der Höhe des Anwesens …straße 48 – ist vorliegend geprägt von massiver Blockrandbebauung und dichtester Bebauung auch im rückwärtigen Bereich unter Verzicht auf die Bebauung auflockernde Freiflächen. Die rückwärtige Bebauung erreicht Höhenentwicklungen von bis zu vier bzw. fünf Geschossen (etwa …straße 60, Fl.Nr. … oder …straße 49a, Fl.Nr. …*).
Angesichts der verdichteten rückwärtigen Umgebungsbebauung – auch gerade auf dem Nachbargrundstück – wird das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot durch das Vorhaben nicht verletzt. Die Klägerin hat die durch die Umgebungsbebauung vorgegebenen Veränderung hinzunehmen. Eine erdrückende Wirkung geht von dem Vorhaben ebenso wenig aus wie eine unzumutbare Verschattung.
4.2.1. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens aufgrund seiner Höhe bzw. seines Volumens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ würde (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 28; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Eine solche Wirkung kommt daher vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27).
Mit einer Firsthöhe von 22,55 m und einer Wandhöhe von 18,20 m überragt das Vorhaben das Vordergebäude des Nachbargrundstücks mit einer Firsthöhe von 22,36 m und einer Wandhöhe von 17,43 m allerdings nur unbedeutend. Für die Annahme einer „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 30). Dies gilt insbesondere dann, wenn beide Gebäude – wie hier – im dicht bebauten städtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2010 – 2 ZB 07.3200 – juris Rn. 3; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9). Auch hinsichtlich der zweigeschossigen Rückgebäude des Nachbargrundstücks ist aufgrund der prägenden Umgebung die Annahme einer erdrückenden Wirkung fernliegend.
Das gilt auch hinsichtlich der sich direkt an der Grenze befindenden Fenster in der Hoffassade des Vordergebäudes. Angesichts der geringen Tiefe der vorspringenden Brandwand des Vorhabens von lediglich ca. 2,20 m sowie der Tiefe der neben den Fenstern auskragenden Balkonanlage von ca. 1,20 m und der Breite des betroffenen befensterten Wandteils von ca. 3,00 m (jeweils abgegriffen) kann schon nicht von einer „schachtartigen“, unzumutbaren Situation gesprochen werden, zumal zum eigenen Innenhof nach Süden hin keine Beeinträchtigung gegeben ist. Insoweit war auch zu berücksichtigen, dass durch den Abriss der vorhandenen rückwärtigen Bebauung auf dem Vorhabengrundstück eine Art Belichtungshof entsteht, an dessen Wirkung auch das Nachbargrundstück partizipiert.
4.2.2. Auch ein unzumutbarer Verschattungseffekt – insbesondere hinsichtlich der Fenster in der grenzständigen Hoffassade des Vordergebäudes – ist nicht auszumachen.
Das in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen, bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze in der Regel nicht rücksichtslos und daher hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 24; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 28 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 19.3.2015 – 1 B 19/15 – juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 4.8.2014 – 1 B 56/14 – juris Rn. 19). Dass diese Grenze vorliegend aufgrund einer besonderen Belastungswirkung im konkreten Fall überschritten sein könnte, ist nicht ersichtlich.
Die Gebäudetiefe des Vorhabens wird durch die faktische rückwärtige Baugrenze entlang der …straße bauplanungsrechtlich vorgegeben. Jede diese faktische Baugrenze aufnehmende Bebauung auf dem Vorhabengrundstück würde aufgrund des ungewöhnlichen Grundstückszuschnitts von Vorhaben- und Nachbargrundstück zwangsläufig zu einer Reduzierung der Belichtung des betroffenen Fassadenteils führen.
Das Vorhaben nimmt jedoch auf die vorhandenen Fenster in der Grenzwand in ausreichendem Maße Rücksicht. Aufgrund der geringen Tiefe des auskragenden Kommunwandteils (ca. 2,20 m) ist eine unzumutbare Verschattung nicht zu besorgen, zumal das Vorhaben im Westen des Nachbargrundstücks situiert ist. Die Belichtung von Osten und Süden wird durch das Vorhaben gar nicht, die Belichtung von Westen durch den Versatz der Gebäude zueinander nur teilweise tangiert. Überdies vergrößert sich gegenüber dem derzeitigen Zustand zumindest im rückwärtigen Bereich durch Abbruch der Bestandsgebäude (eingeschossiger Fahrradschuppen und dreigeschossiges Rückgebäude) die Freifläche auf dem Vorhabengrundstück nicht unerheblich, wodurch die Belichtungssituation der Fenster in den unteren Geschossen gegenüber dem bisherigen Zustand verbessert wird. Die vorhabenbedingte Verschattung führt daher nicht zu solch schlechten Lichtverhältnissen, die als untragbare Zustände im Sinne eines Missstands zu qualifizieren wären, der keinesfalls hingenommen werden kann.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die (Belichtungs-)Situation der fraglichen Fenster maßgeblich durch die Vorbauten (Balkonanlage und Erker) an der Hofseite des Vordergebäudes sowie die beiden zweigeschossigen Rückgebäude im Osten und im Süden beeinflusst wird. Sofern die Klägerin auf eben diese besondere Situation ihres Grundstücks und die vorhandene abgestufte Bebauung hinweist, kann sie damit nicht durchdringen. Sie hat keinen Anspruch darauf, die Belichtung ihrer Gebäude bzw. der hier betroffenen Fenster über das Vorhabengrundstück zu bewirken. Das Rücksichtnahmegebot gewährleistet weder eine bestimmte Dauer oder „Qualität“ der natürlichen Belichtung noch die unveränderte Beibehaltung einer insoweit zuvor gegebenen Situation (OVG Hamburg, B.v. 26.9.2007 – 2 Bs 188/07, ZfBR 2008, 283).
Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die betroffene Befensterung in der Grenzwand bauaufsichtlich genehmigt ist (wie die Klägerin ausführt) oder nicht schutzwürdig ist, da der betreffende Außenwandteil als Brandwand hätte ausgebildet werden müssen (wie die Beigeladene meint). Eine weitere Sachaufklärung war nicht geboten, da das Gebot der Rücksichtnahme gewahrt wird (vgl. zu Fenstern in einer Grenzwand: VG München, U.v. 24.6.2013 – M 8 K 12.2787, BeckRS 2013, 59441). Weiterhin war nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin sich (wie die Beigeladene meint) aufgrund § 242 BGB hinsichtlich der Fenster nicht auf die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme berufen kann.
4.3. Überdies kommt es nicht darauf an, ob sich das Bauvorhaben objektiv in die maßgebliche Umgebung einfügt, denn aus dem Rücksichtnahmegebot kann kein Recht des Nachbarn abgeleitet werden, dass in seiner Nachbarschaft nur objektiv rechtmäßige Bauvorhaben entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 26). Dieses berücksichtigend kann die Klägerin mit ihrem Einwand, dass sich ein dem Vorhaben vergleichbares Bezugsobjekt hinsichtlich des Gesamtvolumens unter Berücksichtigung der überbaubaren Grundstücksfläche, also mit vergleichbarer Kubatur bei gleicher Dichte in der maßgeblich näheren Umgebung nicht finde, nicht gehört werden.
Gleiches gilt für den Einwand, dass die Beigeladene die Baukörpertiefe im Bereich der …straße auf eine dem klägerischen Vordergebäude entsprechende Baukörpertiefe reduzieren könne. Dies kann die Klägerin gestützt auf die Vorgaben des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme nicht einfordern. Das Rücksichtnahmegebot legt dem Bauherrn nämlich keine Pflicht auf, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97/97 – juris Rn. 6).
5. Das Inaussichtstellen einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO a.F. von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO a.F. wegen Überschreitens der Abstandsfläche – Frage 6, 1. Spiegelstrich – verletzt ebenfalls keine Rechte der Klägerin.
Insofern kann offenbleiben, ob sich die Klägerin aufgrund eigener Abstandsflächenverstöße nach Treu und Glauben, § 242 BGB, überhaupt auf einen möglichen Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht berufen kann (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 2 ZB 14.2605 – juris).
5.1. Die Bayerische Bauordnung wurde insbesondere hinsichtlich des Abstandsflächenrechts zum 1. Februar 2021 geändert. Bei der Anfechtung einer Baugenehmigung oder eines Vorbescheids durch einen Nachbarn ist grundsätzlich auf die Umstände zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen. Änderungen zu Lasten des Bauherrn werden nicht berücksichtigt, selbst wenn sie während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens eintreten. Hat sich dagegen die Sach- und Rechtslage zugunsten des Bauherrn geändert, ist materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BayVGH, B.v. 18.1.2010 – 1 ZB 07.3187 – juris Rn. 12, m.w.N.).
Nach dem seit 1. Februar 2021 anzuwendenden Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 BayBO bleiben bei der Bemessung der Abstandsflächen bei Gebäuden an der Grundstücksgrenze die Seitenwände von Vorbauten und Dachaufbauten, auch wenn sie nicht an der Grundstücksgrenze errichtet werden, außer Betracht.
Da die in Aussicht gestellte Abweichung keine Rechte der Klägerin verletzt, kann gleichwohl offenbleiben, ob aufgrund der veränderten, für die Bauherrin günstigeren Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt (letzte mündliche Verhandlung) zumindest hinsichtlich der Balkonanlage keine Abweichung von den Vorgaben des Abstandsflächenrechts für das Vorhaben mehr erforderlich wäre. Daher kann auch dahinstehen, ob die streitgegenständliche Balkonanlage überhaupt einen Vorbau im Sinne von Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F. darstellt, bzw. ob das Hinausragen der östlichen Außenwand des Vorhabens über die gemeinsame Grundstücksgrenze hinaus die Anwendung dieser Vorschrift („Gebäude an der Grundstücksgrenze“) hindert.
5.2. Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind.
Da bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Schutzzweck der Norm nicht auf andere Weise entsprochen werden kann, muss es im Einzelfall besondere Gründe geben, die es rechtfertigen, dass die Anforderung zwar berücksichtigt, ihrem Zweck aber nur unvollkommen entsprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris, RdNr. 34 m.w.N.; vgl. grundsätzlich zu den Voraussetzungen einer Abweichung auch: BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16 ff; B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; U.v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231 – juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3; B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 8 ff).
5.2.1. Grundsätzlich sind nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Sie müssen auf dem Grundstück selbst legen, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO. Wie sich den dem Vorbescheidsantrag beigefügten Bauzeichnungen entnehmen lässt, können die östliche Gebäudeaußenwand hinsichtlich des auskragenden Teils auf einer Breite von ca. 2,20 m (im Übrigen greift Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO), die Hoffassade des westlichen Gebäudeteils (entlang der …straße) und die Balkonanlage an der südlichen Hoffassade des Vorhabens die Abstandsfläche nicht einhalten.
Die Abstandsfläche H der östlichen Hoffassade beträgt 19,13 m (Wandhöhe: 18,20 m, vermaßt im „Schnitt B-B“ u. „Schnitt B-B-2“, Art. 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 BayBO zuzüglich der Höhe des Daches, welche zu einem Drittel anzurechnen ist: 21,00 m -18,20 m / 3 = 0,93 m, jeweils vermaßt im „Schnitt B-B-2“, Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO aF bzw. Art. 6 Abs. 5a Satz 3 BayBO). Der Abstand zur Grundstücksgrenze beträgt dagegen lediglich ca. 3,10 m (abgegriffen). Die Abstandsfläche kann ersichtlich nicht auf eigenem Grund eingehalten werden.
Gleiches gilt für die Balkonanlage (welche abstandsflächenrechtlich aufgrund ihrer Wirkung wie ein versetzter Außenwandteil zu behandeln ist, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO) an der südlichen Hoffassade des Vorhabens. Mit einer Höhe von 16,33 m (vermaßt im „Schnitt B-B“) und einem Abstand zur Grundstücksgrenze von ca. 7,50 m (abgegriffen) hält auch sie die erforderliche Abstandsfläche auf eigenem Grund nicht ein.
Auch die Abstandsfläche der Hoffassade des westlichen Gebäudeteils (* …straße) kommt (rein rechnerisch) zu einem geringen Teil auf dem Nachbargrundstück zu liegen. Die Abstandsfläche H beträgt dort ebenfalls 19,13 m (Wandhöhe und Dachhöhe sind identisch mit denen der südlichen Hoffassade), der Abstand zur Grundstücksgrenze beläuft sich lediglich auf ca. 18,70 m (abgegriffen). Soweit im „Schnitt A-A“ Dachgauben dargestellt sind (eine davon im abgeknickten Eckbereich, welche die Klägerin nicht betrifft), sind diese aufgrund ihrer Abmessungen (1,20 m mal 1,80 m, abgegriffen) ersichtlich untergeordnet (Art. 6 Abs. 8 Nr. 3 BayBO aF bzw. Art. 6 Abs. 5a Satz 5 BayBO) und aufgrund dessen nicht abstandsflächenpflichtig. Dass diese Gauben weder im „Schnitt B-B-2“ noch im „Schnitt B-B“ dargestellt sind, verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.
5.2.2. Es kann offenbleiben, ob die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO nach Einfügung von Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO noch eine atypische Situation voraussetzt (Bayer. Landtag Drucksache 17/21474, zu Nr. 5 (Art. 6); vgl. zu den Voraussetzungen einer Atypik auch: BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris, RdNr. 34 m.w.N.), denn eine solche liegt hier zweifelsohne vor.
5.2.2.1. Zwar ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass bloße Bauwünsche des Bauherrn allein keine atypische Situation zu belegen vermögen. Allerdings ist vorliegend die atypische Situation in dem außergewöhnlichen Grundstückszuschnitten von Vorhaben- und Nachbargrundstück aufgrund des rechtwinkligen Versprungs der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu sehen. Bei einem ideal geschnittenen Grundstück mit geradem Grenzverlauf hätte die streitgegenständliche, östliche Kommunwand des Vorhabens aufgrund Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO grundsätzlich keine Abstandsflächen einzuhalten.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Klägerin gerade aufgrund des Versprungs der Grundstücksgrenze an dieser Stelle selbst nicht in gleicher Tiefe grenzständig anbauen kann. Allerdings nimmt im Gegenzug das Vorhaben auf die in der auf der Grenze errichteten Fassade befindlichen Fenster Rücksicht. Anstatt eines Grenzanbaus im Rahmen der geschlossenen Bauweise rückt das Vorhaben zugunsten der Fenster von der gemeinsamen Grenze ab, wodurch eben dieser abgerückte Außenwandteil abstandsflächenpflichtig wird, vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO.
5.2.2.2. Dieser rechtwinklige Versprung der gemeinsamen Grundstücksgrenze ist ferner nicht der einzige Umstand, aufgrund dessen die vorliegende Situation als atypisch zu werten ist. Auch die Lage der betroffenen Grundstücke in einem seit langer Zeit dicht bebauten großstädtischen Innenstadtquartier, in dem allenfalls wenige Gebäude die nach heutigen Maßstäben erforderlichen Abstände zu den jeweiligen Grundstückgrenzen einhalten, vermittelt eine besondere Atypik, die eine Abweichung von der Einhaltung der Regelabstandsflächen gegenüber Nachbarn rechtfertigt (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris, Rn. 36). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Atypik in Bezug auf die Hoffassade des Gebäudeteils an der …straße.
Sowohl die Höhenentwicklung als auch die Gebäudetiefe sind planungsrechtlich aus der Umgebungsbebauung ableitbar, bzw. von dieser vorgegeben. Wie bereits ausgeführt, ist die Umgebung geprägt durch massive bauliche Verdichtung zulasten von Freiflächen im rückwärtigen Bereich. Eine städtebauliche Situation, die bei Ausnutzung des vorhandenen Baurechts die Einhaltung der Abstandsflächen ebenso wie auf dem vergleichbar bebauten Nachbargrundstücken ausschließt, begründet ebenfalls eine Atypik. In dicht bebauten innerstädtischen Bereichen ist eine atypische Situation nämlich auch dann anzunehmen, wenn jede bauliche Veränderung entsprechend der vorgegebenen baulichen Situation geeignet ist, eine Abstandsflächenüberschreitung auszulösen (vgl. BayVGH, B. v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; VG München, B.v. 12.9.2017 – M 8 SN 17.3732, bestätigt durch BayVGH, B.v. 4.12.2017 – 2 CS 17.1969 – juris).
5.2.3. Zwar ist der Klägerin auch darin zuzustimmen, dass die planungsrechtliche Zulässigkeit nicht per se einen Anspruch auf Abweichung von den Abstandsflächen bedingt. Allerdings werden – gemessen am Schutzzweck der Abstandsvorschriften – die schützenswerten Belange der Klägerin (im Wesentlichen Belichtung, Besonnung und Belüftung) durch die Inaussichtstellung der Abweichung nicht unzumutbar beeinträchtigt.
Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17). Art. 6 BayBO bezweckt im nachbarlichen Verhältnis die Gewährleistung ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung, nach umstrittener Ansicht auch den sozialen Wohnfrieden (BayVGH, U.v. 31.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 33). Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich dabei nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 20).
Die vom Vorhaben ausgelösten Abstandsflächen betreffen weitestgehend lediglich den vor die Fassade auskragenden Erker, welcher in Richtung des Vorhabengrundstücks nicht über Fenster verfügt, sondern von Süden her belichtet wird (vgl. Augenscheinsprotokoll), sodass eine Beeinträchtigung insoweit kaum spürbar ist. Ferner sind Freiflächen in geringem Umfang betroffen. Soweit die Balkonanlage von den Abstandsflächen erfasst wird, ist darauf hinzuweisen, dass hiervon aufgrund der Lage des Vorhabens im Westen nur die Besonnung aus dieser Himmelsrichtung zu einem geringen Teil betroffen ist, da die jeweiligen Außenkanten der Balkonanlage und der östlichen Außenwand des Vorhabens weitestgehend auf gleicher Höhe liegen. Unzumutbare Einbußen an Belichtung, Besonnung und Belüftung sind aufgrund dessen nicht zu besorgen.
Überdies verbessert sich durch den Abbruch der vorhandenen Rückgebäude die Situation auch des Nachbargrundstücks und insbesondere der Balkonanlage, da durch die Vergrößerung der Freiflächen eine bessere Belichtung von Südwesten her möglich ist, zumal das Nachbargebäude selbst aufgrund der dichten Bebauung kaum über eigene Freiflächen verfügt. Diese Verbesserung der Situation wird angesichts des auskragenden Wandteils aufgrund dessen Tiefe von lediglich ca. 2,20 m auch nicht (wie die Klägerin meint) dergestalt geschmälert, dass sie keine Berücksichtigung mehr finden könnte. Vielmehr bleibt dieser Wandteil für die Belichtung von Osten und Süd-Westen ohne Einfluss.
5.2.4. Bei Berücksichtigung der Gesamtsituation ist auch ein die Belange der Klägerin überwiegendes Bauherreninteresse gegeben. Hierzu zählt nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch die Schaffung von zeitgemäßem Wohnraum (BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 5).
Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen war zum einen zu berücksichtigen, dass auch das Vordergebäude des Nachbargrundstücks die erforderlichen Abstandsflächen nicht einzuhalten vermag. Dies betrifft insbesondere die Balkonanlage an der Hoffassade (Tiefe ca. 1,20 m, abgegriffen) sowie den Erker (Tiefe ca. 1,50 m, abgegriffen). Da der oberste Balkon der Balkonanlage überdacht ist (vgl. Augenscheinsprotokoll) ist die Höhe der Überdachung maßgeblich (Wirkung wie ein versetzter Außenwandteil, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO). Die maßgebliche Höhe beträgt 16,76 m („Schnitt B-B-2“). Der Abstand zur Grundstücksgrenze beträgt jedoch lediglich ca. 0,60 m (abgegriffen). Weiterhin vermag der Erker mit einer Höhe von 18,54 m („Schnitt B-B-2“) bei einem Abstand zur Grundstücksgrenze von ca. 5,80 m (abgegriffen) die erforderliche Abstandsfläche ebenfalls nicht einzuhalten.
Bei der Prüfung der Vergleichbarkeit der wechselseitigen Verletzung der Abstandsflächenvorschriften ist keine zentimetergenaue quantitative Entsprechung gefordert (OVG Berlin, U.v. 11.2.2003 – 2 B 16.99 – juris Rn. 30), vielmehr ist auch die Qualität der mit der Verletzung einhergehenden Beeinträchtigungen von Bedeutung (BayVGH, B.v. 30.12.2008 – 1 CE 08.3253 – juris Rn. 10, m.w.N.). Daher kann auch offenbleiben, ob das süd-westliche Rückgebäude des Nachbargrundstücks tatsächlich, wie in den dem Vorbescheidsantrag beigefügten Bauvorlagen dargestellt, nicht grenzständig, sondern mit einem geringen Abstand zur gemeinsamen Grenze errichtet wurde, was grundsätzlich – wie die Beigeladene zutreffend ausführt – dessen Abstandsflächenpflichtigkeit zur Folge hätte.
Hinsichtlich des Nachbargrundstücks ist bei der Würdigung der wechselseitigen Abstandsflächenverstöße festzustellen, dass die Belichtung, Besonnung und Belüftung von Westen her betroffen ist, hinsichtlich des Vorhabengrundstücks von Osten. Die Überschreitungen kommen im Wesentlichen jeweils auf Balkonanlagen bzw. Freiflächen oder untergeordneten bzw. nicht von dieser Seite belichteten Gebäudeteilen zu liegen. Auch war zu berücksichtigen, dass die Gebäude in einem dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen, in dem gerade Vorbauten, Erker und Balkonanlagen die seitlichen Grenzabstände regelmäßig nicht einhalten. Eine unzumutbare Belastung des Nachbargebäudes ist auch angesichts dessen nicht auszumachen.
Das Interesse der Beigeladenen an der Schaffung von Wohnraum, also an der sinnvollen wirtschaftlichen Verwertung des vorhandenen Baugrundstücks unter Einhaltung bzw. Ausnutzung des bauplanungsrechtlich zulässigen Rahmens überwiegt das Interesse der Klägerin, hiervon verschont zu bleiben. Insbesondere ist die hier vorgesehene Bebauung städtebaulich vorgegebenen und führt auf Seiten der Klägerin lediglich zu hinzunehmenden, nicht unzumutbaren Einbußen.
5.2.5. Die Beklagte hat sich im Rahmen der Prüfung der Abweichung mit der Situation auch der betroffenen Nachbarn in sachgerechter auf den Einzelfall bezogener Weise auseinandergesetzt. Ermessensfehler sind insoweit nicht erkennbar, § 114 VwGO.
Insbesondere liegt kein Ermessensfehler darin, dass die Beklagte im Vorbescheid eine eigene Abstandsflächenüberschreitung des Nachbargrundstücks von ca. 40 m² anführt, welche die Klägerin als nicht nachvollziehbar rügt und welche nicht der im genehmigten Abstandsflächenplan dargestellten Überschreitung von ca. 70 m² entspricht. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass dem streitgegenständlichen Vorbescheid nicht entnommen werden kann, wie die Bauaufsichtsbehörde diese Überschreitung berechnet hat. Die in der Ermessenserwägung angesetzten Werte von ca. 50 m² Überschreitung durch das Vorhaben und ca. 40 m² durch das Nachbargrundstück dienten der Behörde allerdings ersichtlich nur dazu, das Prinzip der Wechselseitigkeit gegenseitiger Abstandsflächenüberschreitung herauszustellen und die einseitige – hier eindeutig nicht gegebene (s.o.) – Belastung eines Nachbarn auszuschließen, was im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
Aufgrund der Offensichtlichkeit der wechselseitigen Abstandsflächenüberschreitung (s.o.) war eine zentimetergenaue Berechnung der jeweiligen Überschreitung jedoch gar nicht angezeigt. Mit dem Einwand, dass die dem Nachbargrundstück zuzurechnende eigene Abstandsflächenüberschreitung – welche sie selbst mit ca. 26 m² beziffert – mit verschiedenen Werten angegeben worden sei (im Abstandsflächenplan mit ca. 70 m², im Vorbescheid mit ca. 40 m² und in einem von der Beigeladenen zu den Gerichtsakten gegebenen, ergänzendem Abstandsflächenplan mit ca. 93 m²), was eine Rechtsverletzung der Klagepartei bedinge, kann die Klägerin nicht durchdringen. Eine Rechtsverletzung könnte nur vorliegen, wenn die Belange der Klägerin im Rahmen der Abweichungsentscheidung nicht zutreffend ermittelt und berücksichtigt worden wären.
Die Beklagte folgerte aus der wechselseitigen Abstandsflächenüberschreitung jedoch nicht, dass die Klägerin aufgrund dessen keinen Anspruch auf Abwägung ihrer Belange habe (vgl. § 242 BGB). Vielmehr hat die Beklagte die Rechte der Klägerin auf gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie auf ausreichende Belichtung der Wohn- und Aufenthaltsräume erkannt, gewürdigt und in knapper, aber ausreichender Weise mit den öffentlichen Belangen abgewogen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 155 Abs. 4, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben