Baurecht

Nachbarklage – Notwegerecht

Aktenzeichen  M 9 K 19.1176

Datum:
16.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 52302
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 873
GBO § 19
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 124, § 124 a Abs. 4, § 167 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
BayBO Art. 66 Abs. 2 S. 4, S.6

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. zu tragen. Der Beigeladene zu 2. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Klägerin nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (VG München, U.v. 25.9.2019 – M 9 K 19.994 – juris m. w. N.).
Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften ist nicht ersichtlich.
Insbesondere ist die Entstehung eines Notrechts nicht zu befürchten.
Die Sicherung der Erschließung betrifft grundsätzlich nur öffentliche Belange. Sollte die Erschließung nicht gesichert sein, begründet dies somit im Grunde keine nachbarlichen Abwehrrechte (BVerwG, B.v. 21.4.1989 – 4 B 85/89 – juris). Der Ausnahmefall, dass eine Baugenehmigung wegen des Fehlens einer Erschließung des Vorhabengrundstücks dadurch in ein durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschütztes Eigentumsrecht des Nachbarn eingreift, dass sie gleichsam im Wege einer „Automatik“ eine unmittelbare Verschlechterung seiner Rechte bewirkt und effektiver Rechtsschutz vor den Zivilgerichten nicht (mehr) erreicht werden kann, weil die Baugenehmigung (zuvor) in Bestandskraft erwächst und damit auch für die Zivilgerichte bindende Wirkung entfaltet (VG München, B.v. 5.7.2018 – M 9 SN 18.1433 – juris; U.v. 23.11.2016 – M 9 K 15.4601 – juris m.w.N.), ist vorliegend nicht gegeben.
Dies folgt, wie bereits ausführlich im Hinweisschreiben des Gerichts und nochmals in der mündlichen Verhandlung erläutert wurde, aus drei Gesichtspunkten:
1. Wie auch im Hinblick auf einen etwaigen zivilrechtlichen Folge- bzw. Parallelprozess von Relevanz sein dürfte, ist die Erschließung bereits von Nordosten her gesichert, unabhängig davon, ob das Vorhabengrundstück im Innen- oder im Außenbereich liegt. Nur die Beschreibung des herrschenden (Vorhaben-) Grundstücks im Bestandsverzeichnis streitet für die Ansicht der Klägerin („Grünland, Wassern“). Sowohl die vorab erfolgte (unbeschränkte) Einigung, § 873 Abs. 1 BGB, und Eintragungsbewilligung, § 19 GBO (Bl. 32 / Rückseite d. Gerichtsakts), als auch der Grundbucheintrag aber sehen keine Einschränkungen vor. Demnach ist der Eigentümer des herrschenden Vorhabengrundstücks – ohne Einschränkungen – berechtigt, über das klägerische Grundstück in sein Grundstück und zurück zu gelangen. Das Argument, das Geh- und Fahrtrecht sei seinerzeit nur für ein landwirtschaftlich oder landwirtschaftsähnlich genutztes Grundstück bestellt worden und mit zwei zu erschließenden Mehrfamilienhäusern auf dem Vorhabengrundstück „überreizt“, findet somit weder eine Stütze in der Eintragung noch in den zugrunde liegenden Urkunden. Wie den Beteiligten bekannt sein dürfte, kommt es für die Entstehung des dinglichen Rechts aber maßgebend (nur) hierauf an (statt aller Schöner u. a., Grundbuchrecht, Stand: 15. Auflage 2012, Rn. 1115 f.). Die Bezeichnung des herrschenden Grundstücks, das nicht Gegenstand der Belastung ist, ist nicht letztentscheidend.
Auch allgemein liegen die Dinge so, dass bei derartigen Rechten stets die Bedürfnisse eingeschlossen sind, die sich aus dem Wandel der Zeit ergeben haben und noch ergeben werden. Dazu gehört insbesondere die allgemeine Zunahme des Kraftfahrtverkehrs und der Zahl der Kraftfahrzeuge je Haushalt wie auch die allgemein üblichen Änderungen hinsichtlich der Nutzungsintensität der Grundstücke (ausdrücklich BayVGH, U.v. 22.1.2010 – 14 B 08.887 – juris; VG München, B.v. 20.2.2019 – M 9 SN 18.4319 – juris; vgl. auch MüKoBGB, BGB, Stand: 7. Aufl. 2017, BGB § 1018 Rn. 59).
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass diese Zufahrt auch in tatsächlicher Hinsicht keinen verkehrlichen Bedenken begegnet – trotz der parallelen Tiefgaragenzufahrt zu FlNr. 80, Gemarkung W. -, wie bereits aus der Stellungnahme des Sachgebiets Verkehr, ÖPNV vom 5. Oktober 2015 im Vorbescheidsverfahren (Bl. 54 d. BA-VB) hervorgeht und wovon sich das Gericht auch vor Ort überzeugen konnte. Dies umso mehr, als der Baugenehmigungsbescheid verpflichtend die Schaffung einer Wendemöglichkeit innerhalb des Vorhabengrundstücks vorsieht, damit vorwärts in die Kreisstraße eingefahren werden kann (Ziff. 5.3.1).
Das Leitungsrecht verläuft im Süden der FlNr. 80, Gemarkung W., und wird dort auch genutzt, wie dem Vorbescheid und nachrichtlich dem der Baugenehmigung zugrundeliegenden Plan G06, Entwässerung, zu entnehmen ist. Die anderslautende Aussage im Baugenehmigungsbescheid ist einem Versehen geschuldet.
2. Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass die klägerischen Bedenken auch angesichts der weiteren Zufahrt von Südwesten her wenig nachvollziehbar bzw. im Grunde vorgeschoben sind.
Wie der Klägerbevollmächtigte selbst eingangs des Augenscheins ausführte, wurde der Baustellenverkehr komplett über diese separate, südwestliche Zufahrt abgewickelt, womit das Klageziel „eigentlich“ erreicht sei, habe sich die Klägerin doch (vorgeblich) v. a. wegen des Schwerlastverkehrs Sorgen um den Zustand der Zufahrt gemacht. Es kann dahinstehen, wo die klägerischen Bedenken liegen oder lagen. Klarzustellen ist, dass die Erschließung des Vorhabengrundstücks in bauplanungsrechtlicher Hinsicht auch von Südwesten her gesichert ist – und dies völlig unabhängig davon, von welcher Seite der tägliche Zu- und Abfahrtsverkehr nach Aufnahme der Nutzung abgewickelt wird.
In wegemäßiger Hinsicht umfasst das bauplanungsrechtliche Erfordernis der gesicherten Erschließung nach allgemeiner Meinung regelmäßig nur den hinreichenden Anschluss des Baugrundstücks – nicht: aller baulichen Anlage(n) – an das öffentliche Straßennetz (vgl. BVerwG, U.v. 3.5.1988 – 4 C 54/85 – NVwZ 1989, 353; U.v. 26.9.1983 – 8 C 86/81 – juris; VG München, B.v. 20.2.2019 – M 9 SN 18.4319 – juris; B.v. 5.7.2018 – M 9 SN 18.1433 – juris; weiter bei Battis u.a., BauGB, Stand: 13. Aufl. 2016, § 30 Rn. 24; EZBK, BauGB, Stand: 130. EL August 2018, § 30 Rn. 40 und 44). Das bedeutet, dass die Erschließung i. S. d. § 30 Abs. 1 BauGB gesichert bzw. vorhanden ist, wenn sie bis an die Grundstücksgrenze heranreicht.
Das ist vorliegend der Fall: Die südwestliche Erschließung, vermittelt durch an FlNr. 81/4 und 81/3, Gemarkung W., bestehenden Geh- und Fahrtrechten, reicht bis an das Vorhabengrundstück heran.
3. Weiter unabhängig von alledem ist die Erschließung also nicht nur von zwei Seiten – völlig unproblematisch – gesichert, sondern ist die Klägerin mit ihrem Vorbringen auch von vorn herein ausgeschlossen. Die auf eine angeblich fehlende Erschließung gestützten Rechtsbehelfe sind ohne Weiteres unbegründet (nicht unzulässig, vgl. BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 14/85 – juris), da u. a. die Vorbescheidsvariante 3 die Erschließung umfasste, vgl. den Lageplan auf Bl. 39 d. BA-VB und Ziff. 2 der Gründe. Die streitgegenständliche Baugenehmigung übernimmt diese Variante (Bl. 1 / Rückseite und 5 d. BA-BG). Der Vorbescheid wurde – zu Recht, vgl. nur die Liste der Anlieger auf Bl. 58 f. d. BA-BG – öffentlich bekanntgemacht und nicht beklagt; damit hat er Bindungswirkung gegenüber den Nachbarn.
Wieso diese Bindungswirkung nicht bestehen sollte, hat der Bevollmächtigte der Klägerin zwar behauptet, aber nicht näher erläutert. Eine etwaige rechtliche Unterfütterung dieser These bleibt somit im Dunkeln.
Nur der Vollständigkeit halber ist die Klägerseite im Übrigen noch darauf hinzuweisen, dass durchaus die Verpflichtung (in eigener Sache) besteht, das Veröffentlichungsblatt der zuständigen Bauaufsichtsbehörde zu lesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene zu 1. hat sich durch Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben, weswegen es der Billigkeit entspricht, der Klägerseite auch ihre außergerichtlichen Kosten aufzubürden. Der Beigeladene zu 2. dagegen hat auf eine Antragstellung verzichtet. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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