Baurecht

Nachbarklage: Verböserung bei Wiederaufgreifen des Verfahrens (Lärmbelastung durch Tankstelle)

Aktenzeichen  1 B 15.1575

Datum:
2.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 744
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1 S. 1, Art. 49 Abs. 1, Art. 51 Abs. 1, Abs. 5
BauGB § 34

 

Leitsatz

Die Rechtsfolge des Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG, der die Korrektur einer bestandskräftigen Entscheidung erlaubt, beinhaltet nicht die Verpflichtung zum Erlass einer „günstigeren“ Entscheidung, sondern die Verpflichtung zum Erlass einer rechtmäßigen Entscheidung. Dem Antragsteller kommt, da in Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG lediglich auf die Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG verwiesen wird, kein Vertrauensschutz nach Art. 48 und Art. 49 BayVwVfG zu. (Rn. 24)

Verfahrensgang

M 9 K 11.2941 2013-01-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 als Gesamt-schuldner. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg.
Die gegen die Baugenehmigung aus dem Jahr 1999 gerichtete Anfechtungsklage ist bereits unzulässig (1.). Die gegen den Änderungsbescheid gerichtete Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid des Landratsamts vom 17. Mai 2011 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (2.). Die dabei zu Lasten der Kläger erfolgte Anhebung des Immissionsrichtwerts um 3 dB(A) an der nördlichen Gebäudeseite ihres Wohnhauses (IO 2a) auf 60 dB(A) ist rechtmäßig. Sie ist weder durch das wiederaufgegriffene Verwaltungsverfahren gesperrt, noch überschreitet die Belastung durch die Tankstelle der Beigeladenen zu 1 den festgesetzten Immissionsrichtwert.
1. Der Antrag der Kläger auf Aufhebung des ursprünglichen Baugenehmigungsbescheids ist unzulässig. Die Anfechtungsklage scheitert an der Bestandskraft der ursprünglichen Baugenehmigung aufgrund des vor dem Verwaltungsgericht im Verfahren M 16 K 00.1037 am 25. September 2001 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Darin hatten sich die Kläger, der Beklagte und die Beigeladene zu 1 darauf geeinigt, dass mit den dort im Einzelnen getroffenen Regelungen die Streitigkeiten hinsichtlich der Tankstelle der Beigeladenen zu 1 ihre Erledigung finden. Dieser Vergleich ist entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht durch das Urteil des Senats vom 30. Juli 2009 gegenstandslos geworden. Denn durch das vorgenannte Urteil wurde der Beklagte nur verpflichtet, das Baugenehmigungsverfahren für die Tankstelle hinsichtlich der Prüfung der Lärmbelastung des Anwesens der Kläger wieder aufzugreifen. Die Schlussfolgerung der Kläger, die Verpflichtung zum Wiederaufgreifen des Baugenehmigungsverfahrens ermögliche es, die Baugenehmigung als Ganzes zu Fall zu bringen, ergibt sich daraus nicht. Die Sachentscheidung in Nummer I des Tenors, wonach die Verpflichtungsklage auf Aufhebung der gesamten Baugenehmigung abgewiesen wurde und die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des vorgenannten Urteils (UA Rn. 57, 59, 60 und 70), dass aufgrund der Prognose der Fa. … vom 6. September 2004 im aufzugreifenden Verwaltungsverfahren lediglich eine Verschärfung der dem Schutz des Anwesens der Kläger vor den Tankstellengeräuschen dienenden Nebenbestimmungen der Baugenehmigung zu erwarten sei, lassen die Bestandskraft der Baugenehmigung im Übrigen unberührt.
Aus diesem Grund bleibt auch der hilfsweise gestellte Antrag, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden, ohne Erfolg.
2. Die Anfechtungsklage gegen den Änderungsbescheid des Landratsamts vom 17. Mai 2011 ist teils unzulässig, teils unbegründet.
Soweit die Kläger sich gegen die Nummern 3.3.2 (zum Beurteilungspegel an der Westfassade des Wohnhauses der Kläger von 57 dB(A) tags), 3.3.3 (zu den kurzzeitigen Geräuschspitzen) und 3.3.4.2 (zum Nachtbetrieb) wenden, ist sie unzulässig. Denn die in Nummern 3.3.2 und 3.3.3 getroffenen Nebenbestimmungen entsprechen der Regelung in der bestandskräftigen ursprünglichen Baugenehmigung. Die in Nummer 3.3.4.2 getroffene Regelung resultiert aus dem Vergleich vom 25. September 2001. Sie dient ebenfalls dem Schutz der Kläger und stellt eine Verbesserung gegenüber der ursprünglichen Baugenehmigung dar. Es fehlt daher an der erforderlichen Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO).
Soweit die Kläger die Aufhebung der Anhebung des Immissionsrichtwerts auf 60 dB(A) an der nördlichen Gebäudeseite ihres Wohnhauses (IO 2a) verfolgen, ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
Die Anhebung des Immissionsrichtwerts auf 60 dB(A) an der nördlichen Gebäudeseite des Wohnhauses der Kläger in Nummer 3.3.2 des Änderungsbescheids im Rahmen des insoweit wiederaufgenommenen Baugenehmigungsverfahren nach Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG ist rechtmäßig und für die Kläger zumutbar. Sie entspricht dem objektiv-rechtlich den Klägern zustehenden Schutzniveau. Da es sich bei einer Baugenehmigung einschließlich etwaiger Nebenbestimmungen um eine ohne Ermessensspielraum zu treffende (gebundene) Verwaltungsentscheidung handelt, kommt es weder auf die Frage, wann der Tankstellenbetrieb auf dem westlich der B … liegendem Grundstück FlNr. … eingestellt wurde, noch auf die Hintergründe der Festsetzung des Immissionsrichtwerts von 57 dB(A) in der ursprünglichen Baugenehmigung entscheidungserheblich an. Ebenso wenig ist es wegen Art. 46 BayVwVfG von Bedeutung, ob an der angegriffenen Entscheidung Personen mitgewirkt haben, die möglicherweise nach Art. 21 BayVwVfG befangen gewesen sind. Die Kläger werden durch die Anhebung des Immissionsrichtwerts nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Welche Geräuschimmissionen den Klägern aufgrund des Tankstellenbetriebs der Beigeladenen zu 1 zuzumuten sind, beurteilt sich anhand der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm – vom 26. August 1998 (GMBl S. 303). Dabei kommt der TA Lärm als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift des Bundes, soweit sie – wie hier – für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine auch im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmten Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit jeweils konkrete Immissionsrichtwerte zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.2007 – 4 C 2.07 – BVerwGE 129, 209; U.v. 11.12.2003 – 7 C 19.12 – BVerwGE 119, 329; BayVGH, B.v. 9.2.2010 – 22 CS 09.3255 – BayVBl 2011, 181). Einen weitergehenden Schutz als die Einhaltung des Immissionsrichtwerts nach Nummer 6.1 Buchst. c der TA Lärm von tags 60 dB(A) können die Kläger nicht beanspruchen, weil das Gebiet, in dem das Grundstück der Kläger liegt, bestenfalls einem Mischgebiet entspricht (Nummer 6.6 Satz 2 TA Lärm).
Dabei kann der Senat offenlassen, ob die Tankstelle, die aufgrund ihrer bestandskräftigen Genehmigung bei der Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu berücksichtigen ist, und die südlich anschließende Bebauung im Osten der B … die Anforderungen an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil erfüllen. Auf die Bebauung westlich der B … kommt es nicht an, weil der Bundesstraße wegen ihrer Breite und Verkehrsbedeutung trennende Wirkung zukommt. Nördlich der Tankstelle endet die Bebauung. Das Bahnhofsgebäude folgt erst in einer Entfernung von 150 m. Südlich der Tankstelle stehen das Wohngebäude der Kläger und ein weiteres Wohnhaus. Da im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids die südlich anschließende Freifläche noch nicht bebaut war – das Haus mit Apotheke und Arztpraxis ist erst Ende 2011 genehmigt worden -, und der weiter südlich folgende Gasthof mit Metzgerei sowie der Lebensmittelmarkt mehr als 70 m von den Wohnhäusern entfernt sind, spricht einiges dafür, dass auch südlich des zweiten Wohnhauses der Bebauungszusammenhang endet. Einer Tankstelle und zwei Wohnhäusern fehlt aber bereits das für einen Ortsteil erforderliche siedlungsstrukturelle Gewicht. Bei einem Siedlungssplitter im Außenbereich wäre das angemessene Schutzniveau mangels eines Außenbereichs-Immissionsrichtwerts unter Berücksichtigung des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme auf Grund einer Beurteilung im Einzelfall zu bestimmen, das keinesfalls besser als der Immissionsrichtwert für ein Mischgebiet liegen kann.
Aber auch soweit zu Gunsten der Kläger unterstellt wird, dass der Bebauungszusammenhang östlich der B … sich bis zum Edeka-Markt erstreckt und damit von einem Innenbereich nach § 34 BauGB auszugehen ist, können die Kläger einen weitergehenden Schutz als die Einhaltung eines Immissionsrichtwerts nach Nummer 6.1 Buchst. c der TA Lärm von tags 60 dB(A) für ein Mischgebiet nicht beanspruchen. Denn bei dieser städtebaulichen Situation, bei der aufgrund der prägenden Wirkung, die dem bestandskräftig genehmigten Tankstellenbetrieb der Beigeladenen zu 1 zukommt sowie aufgrund der im weiteren südlichen Verlauf überwiegend vorhandenen gewerblichen Nutzungen, sind die Wohnnutzung und die das Wohnen nicht wesentlich störende gewerbliche Nutzung weder quantitativ noch qualitativ in etwa gleich ausgeprägt (vgl. BVerwG, U.v. 5.4.1988 – 4 C 34.86 – BVerwGE 79, 309). Insoweit liegt es nahe, aufgrund der im Vordergrund stehenden gewerblichen Nutzung von einer Gemengelage auszugehen, wobei nach Nummer 6.7 Abs. 1 Satz 2 der TA Lärm auch insoweit der Immissionsrichtwert für ein Mischgebiet/Dorfgebiet nicht überschritten werden soll.
Entgegen der Auffassung der Kläger stellt sich die das Lärmschutzniveau vorgebende nähere Umgebung nicht als allgemeines Wohngebiet, sondern als Gemengelage oder bestenfalls als Mischgebiet dar. Bei der Bestimmung der näheren Umgebung ist darauf abzustellen, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die Umgebung auswirkt und andererseits die Umgebung den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369). Soweit die Kläger die Wohnbebauung westlich der Bundesstraße zur näheren Umgebung rechnen, weil die Emissionen des Tankstellenbetriebs sich auch dort auswirken und daher in der Baugenehmigung Immissionsrichtwerte für die Wohngebäude westlich der Bundesstraße festgesetzt worden sind, verkennen sie, dass allein die Reichweite der Immissionen eines Gewerbebetriebs die nähere Umgebung nicht zu bestimmen vermag. Vielmehr wird die wechselseitige bodenrechtliche Prägung durch Bau- und Nutzungsstrukturen, Freiflächen und andere Trennungslinien entsprechend der tatsächlichen baulichen Situation bestimmt, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.02 – juris). Auf der Grundlage der Feststellungen im Ortstermin vom 2. Mai 2017 gehört die Bebauung westlich der B … nicht mehr zur näheren Umgebung des Tankstellengeländes. Neben der Breite der Bundesstraße und ihrer Verkehrsbedeutung finden sich zu beiden Seiten der Bundesstraße deutlich abgegrenzte unterschiedliche Nutzungsstrukturen. Während der Bereich westlich der Bundesstraße überwiegend von Wohnnutzung geprägt ist, herrscht östlich der Bundesstraße die gewerbliche Nutzung vor. Selbst wenn man zugunsten der Kläger wegen der ebenfalls anzutreffenden Wohnnutzung ein Mischgebiet annimmt mit der Folge, dass sich nach § 34 Abs. 2 BauGB die zulässige Nutzungsart allein nach § 6 BauNVO bestimmt, können die Kläger keinen günstigeren Immissionsrichtwert als 60 dB(A) beanspruchen.
b) Entgegen der Auffassung der Kläger ist im vorliegenden Fall nach der TA Lärm keine Reduzierung des Immissionsrichtwerts um 3 dB(A) geboten, weil keine relevante Vorbelastung vorhanden ist. Der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche ist nach Nummern 3.2.1 Abs. 1 und 2.4 Abs. 3 der TA Lärm sichergestellt, wenn die aus Vor- und Zusatzbelastung bestehende Gesamtbelastung am maßgeblichen Immissionsort die Immissionsrichtwerte nach Nummer 6 der TA Lärm nicht überschreitet. Als Vorbelastung sind nach Nummer 2.4 der TA Lärm nur Geräuschemissionen von solchen Anlagen zu berücksichtigen, für die die TA Lärm gilt. Außer Betracht bleiben im vorliegenden Fall also insbesondere der von der B … ausgehende Verkehrslärm sowie der Lärm von der Bahnstrecke M* …-I* …, da Verkehrslärm – sofern er nicht anlagenbezogen ist – nach Nummer 1 der TA Lärm nicht dem Anwendungsbereich der TA Lärm unterfällt. Der von dem westlich der B … gelegenen Betrieb auf der FlNr. … ausgehende Lärm muss den Immissionsrichtwert für ein allgemeines Wohngebiet einhalten. Daher kann dessen Immissionsbeitrag nicht zu einer relevanten Erhöhung der vom Tankstellenbetrieb ausgehenden Zusatzbelastung führen. Maßgeblicher Immissionsort auf dem Grundstück der Kläger sind nach Nummern 2.3 Abs. 1 und A.1.3 Buchst. a der TA Lärm die Fenster in der Nordfassade des Wohnhauses der Kläger. Entgegen der Auffassung der Kläger kann das ehemalige Werkstattgebäude des Klägers auf demselben Grundstück ungeachtet einer eventuellen Absicht, das Werkstattgebäude zu Wohnzwecken zu nutzen, nicht als Immissionsort berücksichtigt werden. Denn Nummer A.1.3 Buchst. b der TA Lärm findet keine Anwendung, wenn sich der maßgebliche Immissionsort wie vorliegend bereits nach Buchst. a der Vorschrift bestimmt. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift, der nach bebauten und unbebauten Flächen differenziert sowie aufgrund der Systematik der Vorschrift.
c) Die Erhöhung des Immissionsrichtwerts um 3 dB(A) auf 60 dB(A) ist auch nicht durch das Wiederaufgreifen des Verfahrens aufgrund des Urteils des Senats vom 30. Juli 2009 gesperrt. Denn die Rechtsfolge des Art. 51 Abs. 1 BayVwVfG, der die Korrektur einer bestandskräftigen Entscheidung erlaubt, beinhaltet nicht die Verpflichtung zum Erlass einer „günstigeren“ Entscheidung, sondern die Verpflichtung zum Erlass einer rechtmäßigen Entscheidung. Das Verwaltungsverfahren wird dabei zunächst in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung befunden hat (vgl. BVerwG, B.v. 15.9.1992 – 9 B 18.92 – NVwZ-RR 1993, 667). Zugleich kann es in diesem neuen, vom ursprünglichen und abgeschlossenen Verfahren unabhängigen Verfahren darüber hinaus erforderlich werden, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Bei der zu treffenden Sachentscheidung ist allein die für den Verwaltungsakt aktuell geltende materielle Rechtslage maßgebend (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1982 – 8 C 75.80 – BayVBl 1983, 24). Die Behörde ist im wiederaufgegriffenen Verfahren nicht auf die in Art. 48 und Art. 49 BayVwVfG normierten Möglichkeiten der Aufhebung des Verwaltungsakts ex tunc oder ex nunc beschränkt, sondern sie hat zu entscheiden, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen, geändert oder im Wege eines Zweitbescheids bestätigt werden soll (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 15.08 – BVerwGE 135, 121).
Auch aus dem Urteil des Senats vom 30. Juli 2009 ergibt sich nichts anderes. Die dortigen Ausführungen (Rn. 60 und 70) stehen erkennbar im Zusammenhang mit den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 51 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG im Wiederaufnahmeverfahren. Davon unberührt bleibt jedoch die in einem zweiten Schritt vorzunehmende Prüfung und Entscheidung, welche Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung erforderlich sind, um das Anwesen der Kläger vor einer unzumutbaren Belastung durch die von der Tankstelle herrührenden Geräusche zu schützen (Rn. 64).
Die Kläger haben auch weder einen Anspruch auf Fortbestand des in der ursprünglichen Baugenehmigung festgesetzten Immissionsrichtwerts von 57 dB(A) noch genießen sie insoweit Vertrauensschutz. Denn aufgrund des Verweises in Art. 51 Abs. 5 BayVwVfG auf die Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG, nicht aber auf die Vertrauenstatbestände der Art. 48 Abs. 1 Satz 2, Art. 49 Abs. 2, 3 und 6 BayVwVfG ist klargestellt, dass ihnen kein Vertrauensschutz nach Art. 48 und Art. 49 BayVwVfG zukommt (vgl. BVerwG, B.v. 15.9.1992 a.a.O.; Falkenbach in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 51 Rn. 24). Die Kläger haben mit dem von ihnen eingelegten „außerordentlichen Rechtsbehelf“ des Art. 51 BayVwVfG den Bestandsschutz der ursprünglichen Baugenehmigung, die einen Immissionsrichtwert von 57 dB(A) festgesetzt hat, selbst in Frage gestellt. Dabei kommt es nicht entscheidungserheblich auf die näheren Umstände des Erlasses der Baugenehmigung an. Vor diesem Hintergrund ist auch eine Verböserung, d.h. eine dem Antragsteller ungünstigere Entscheidung im wiederaufgegriffenen Verfahren grundsätzlich möglich.
d) Der somit für die nördliche Gebäudeseite des Wohnhauses der Kläger maßgebliche Immissionsrichtwert nach Nummer 6.1 Buchst. c der TA Lärm von tags 60 dB(A) wird durch den vom Tankstellenbetrieb ausgehenden Lärm nach den Berechnungsergebnissen der schalltechnischen Untersuchung der Fa. … nicht überschritten (Nummern 3.2.1 Abs. 1, 2.4 Abs. 2 und 2.10 der TA Lärm), sodass durch die festgelegten Nebenbestimmungen ein ausreichender Schutz der Kläger gewährleistet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.2007 – 4 C 2.07 – BVerwGE 129, 209; U.v. 11.12.2003 – 7 C 19.12 – BVerwGE 119, 329; BayVGH, B.v. 9.2.2010 – 22 CS 09.3255 – BayVBl 2011, 181).
Die Zusatzbelastung wird nach Nummer A.1.2 Abs. 2 Buchst. a der TA Lärm nach der „bestimmungsgemäßen Betriebsart“ mit dem höchsten Beurteilungspegel ermittelt. Diese Betriebsart wird durch die Betriebsbeschreibung des Inhabers des Betriebs und gegebenenfalls durch behördliche Regelungen bestimmt. Sie erfasst die üblicherweise anzutreffenden Betriebsmodalitäten, nicht jedoch die Maximalauslastung. Denn anderenfalls wäre für seltene Ereignisse nach Nummer 7.2 der TA Lärm kein Anwendungsbereich mehr vorhanden. Der Nummer 7.2 der TA Lärm liegt jedoch das Anliegen zugrunde, einen gerechten Ausgleich zwischen den Belangen der Nachbarschaft der emittierenden Anlage und dem Wunsch des Anlagenbetreibers zu schaffen, diese fallweise auch unter Überschreitung der grundsätzlich einzuhaltenden Immissionsrichtwerte nutzen zu können (vgl. BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 22 B 14.395 – BauR 2015, 962). Da die Kundenfrequenz durch den Betreiber bei Tankstellen nur bedingt steuerbar ist aufgrund der im Einzelfall zu beachtenden Öffnungszeiten, der Lage der Tankstelle sowie etwaiger Zusatzangebote, ist von der üblichen Kundenfrequenz der konkreten Tankstelle auszugehen, die durch Erhebungen zu ermitteln ist. In diesem Sinn verfahren auch die Hessische Tankstellenstudie (Technischer Bericht zur Untersuchung der Geräuschemissionen von Tankstellen der Hessischen Landesanstalt für Umwelt vom 1. Februar 1991 und 31. August 1999) und die Bayerische Parkplatzlärmstudie (Empfehlungen zur Berechnung von Schallemissionen aus Parkplätzen, Autohöfen und Omnibusbahnhöfen sowie von Parkhäusern und Tiefgaragen) des Bayerischen Landesamts für Umwelt von August 2007. Beide Studien gehen von einem realistischen Durchschnittsbetrieb aus. Die Hessische Tankstellenstudie aus dem Jahr 1999, die nach Erlass der TA Lärm 1998 überarbeitet wurde um die Auswirkungen auf die Beurteilung der Tankstellengeräusche zu untersuchen und das Prognosemodell auf die Systematik der neuen TA Lärm anzupassen, führt dazu unter Nummer 5.2.3 ausdrücklich aus, dass die beobachtete durchschnittliche Kundenzahl erheblich unter der (möglichen) Maximalauslastung liegt.
Die vorliegend zugrunde gelegte Kundenfrequenz im zweitstärksten Umsatzmonat mit 580 Fahrzeugen im Zeitraum von Montag bis Freitag entspricht diesen Anforderungen. Die insoweit von der Beigeladenen zu 1 vorgelegten Zahlen, die sich aus der tatsächlichen Auslastung im zweitstärksten Umsatzmonat des Jahres 2010 ergeben und auf einer Auswertung der Kassenzettel beruhen, wurden von den Klägern nicht substantiiert bestritten. Demgegenüber stellt sich die unter Beweis gestellte Forderung der Kläger, die Beigeladene zu 1 müsse zur Aufklärung der Frage der Höhe der tatsächlichen Frequentierung der Tankstelle sämtliche Buchhaltungs- und Geschäftsunterlagen seit Eröffnung der Tankstelle im Jahr 1999 vorlegen, als unzulässiger Ausforschungsbeweis dar. Die Richtigkeit der zugrunde gelegten Kundenfrequenz wird auch durch die Werte der mit der Tankstelle der Beigeladenen zu 1 vergleichbaren Tankstelle in der Anlage 4 Nummer 4 der Tankstellenstudie bestätigt, die bei sechs Zapfstellen (vgl. dazu Nummer 5.2.5 der Tankstellenstudie) eine Gesamtanzahl von 647 Pkw aufweist. Darüber hinaus hat die Untersuchung der Fa. … auch entsprechend der Bayerischen Parkplatzlärmstudie den Lärmbeitrag von besonderen Fahrzeugbewegungen, insbesondere von Motorrädern und Lkw berücksichtigt, um die Lärmentwicklung der Tankstelle realistisch zu erfassen. Entgegen der Behauptung der Kläger hat die Untersuchung der Fa. … auch Tankvorgänge von Motorrädern, Lkw und Traktoren erfasst (s. Nummer 4.2 Tankvorgänge). Das gilt in gleicher Weise für Besuche von Kunden, die nicht tanken, sondern lediglich im Shop einkaufen (s. Nummer 4.2 Pkw-Parkgeräusche). Dabei sind entsprechend der Hessischen Tankstellenstudie auch die begleitenden Geräusche, wie laute Unterhaltung und Radiogeräusche oder Hupen, erfasst. Parkvorgänge direkt an der Grenze zum Grundstück der Kläger und die mehrfache Anlieferung von Treibstoff pro Tag wurden zutreffend nicht berücksichtigt, da sie den in der Baugenehmigung enthaltenen Nebenbestimmungen und der in Nummer II des gerichtlichen Vergleichs vom 25. September 2001 getroffenen Vereinbarung widersprechen. Da die schalltechnische Untersuchung der Fa. … nachvollziehbar und schlüssig zu dem Ergebnis kommt, dass durch den Betrieb der Tankstelle der maßgebliche Immissionsrichtwert nicht überschritten wird, besteht kein Anlass, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Eine Verminderung der Verkehrsgeräusche auf öffentlichen Verkehrsflächen nach Nummer 7.4 Abs. 2 der TA Lärm ist im vorliegenden Fall aufgrund der umgehenden Vermischung mit dem Verkehr auf der Bundesstraße nicht geboten. Auch der Spitzenpegel, der im hier maßgeblichen Mischgebiet tagsüber bis zu 90 dB(A) betragen darf, wird im vorliegenden Fall unterschritten. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang darauf abstellen, dass auch das (ehemalige) Werkstattgebäude als maßgeblicher Immissionsort zu berücksichtigen wäre, ist auf die vorstehenden Ausführungen unter Buchst. b zu verweisen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 als Gesamtschuldner (§ 154 Abs. 1, § 159 S. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO), weil ihr Rechtmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Beigeladene zu 2, die sich mangels Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


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