Baurecht

Rechtsschutzinteresse für eine Klage gegen die Rücknahme einer Genehmigung

Aktenzeichen  2 L 69/20

Datum:
28.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 2. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0428.2L69.20.00
Normen:
§ 42 Abs 1 VwGO
§ 48 VwVfG
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Das Rechtsschutzinteresse für eine Anfechtungsklage gegen die Rücknahme einer Genehmigung entfällt, wenn der Verwertung der Genehmigung zivilrechtliche Hindernisse entgegenstehen, die sich schlechthin nicht ausräumen lassen.(Rn.14)

Verfahrensgang

vorgehend VG Halle (Saale), 14. Mai 2020, 8 A 425/18 HAL, Urteilvorgehend VG Halle (Saale), 14. Mai 2020, 8 A 425/18 HAL, Urteil

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die für erstattungsfähig erklärt werden.
Der Streitwert wird für das Rechtsmittelverfahren auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme einer Genehmigung für eine Biogasanlage.
Mit Bescheid vom 29. Januar 2016 erteilte der Beklagte der Klägerin eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Biogasanlage auf dem Grundstück Gemarkung (W.), Flur A, Flurstück 83/47. Die Genehmigung sollte erlöschen, wenn die Anlage nicht bis zum 1. Juni 2018 in Betrieb genommen worden ist. Gegen den Genehmigungsbescheid erhob der Beigeladene am 29. März 2016 im Verfahren 8 A 224/19 HAL (vormals 2 A 91/16 HAL) Klage.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2018 nahm der Beklagte den Genehmigungsbescheid vom 29. Januar 2016 gemäß § 48 VwVfG zurück. Hiergegen erhob die Klägerin am 4. Juli 2018 im Verfahren 8 A 425/18 HAL Klage.
Mit Bescheid vom 5. Februar 2019 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der im Genehmigungsbescheid vom 29. Januar 2016 gesetzten Frist für die Inbetriebnahme der Anlage gemäß § 18 Abs. 3 BImSchG ab. Hiergegen erhob die Klägerin am 11. März 2019 im Verfahren 8 A 163/19 HAL Klage.
Mit Urteil vom 14. Mai 2020 – 8 A 425/18 HAL – wies das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin gegen den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 29. Mai 2018 ab. Hiergegen hat die Klägerin am 3. Juli 2020 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Dieser Antrag ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Mit weiterem Urteil vom 14. Mai 2020 – 8 A 163/19 HAL – wies das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 5. Februar 2019 ab. Hiergegen hat die Klägerin ebenfalls am 3. Juli 2020 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Dieser Antrag ist Gegenstand des Verfahrens 2 L 70/20.Z.
Schließlich hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Mai 2020 das Verfahren 8 A 224/19 HAL bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren 8 A 425/18 HAL ausgesetzt.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2021 hat die M. GmbH (MPW), die Eigentümerin des Vorhabengrundstücks, folgendes ausgeführt:
„Wir hatten im Oktober 2014 mit der A. UG eine Absichtserklärung zur Errichtung einer Biogasanlage unterschrieben. Da die Voraussetzungen für eine Weiterführung und Verpachtung durch Dr. P. jedoch nie erfüllt wurden, ist es auch nie zu einem wirksamen Pachtverhältnis zwischen uns und der A. UG / Biogas O. & V. GmbH gekommen. Unabhängig vom Ausgang der BUND-Klage können wir Ihnen hiermit ausdrücklich zusichern, dass wir uns von den Plänen von Dr. P. ausdrücklich distanzieren und zukünftig auch keinerlei Pachtvertrag mit der A. UG (Biogas O. & V. GmbH) oder anderen von Dr. P. gegründeten Gesellschaften mit dem Ziel der Errichtung einer Biogasanlage (aus Schlachtabfällen) auf unserem Gelände zustimmen werden.“
Nachdem der Beigeladene dieses Schreiben vorgelegt hatte, hat der Berichterstatter die Klägerin mit Verfügung vom 17. Januar 2022 gebeten, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob ihr Rechtsschutzinteresse entfallen ist, weil das Vorhabengrundstück nicht mehr zur Verfügung steht. Die Klägerin hat innerhalb der ihr gesetzten Frist keine Stellungnahme abgegeben.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Soweit das Rechtsschutzinteresse für eine Klage nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils und nach Stellung des Berufungszulassungsantrags entfällt, wird der Antrag auf Zulassung der Berufung bzw. die Klage unzulässig. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist dann abzulehnen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25. März 2013 – 2 ZB 12.1266 – juris Rn. 3; SächsOVG, Beschluss vom 23. März 2022 – 6 A 641/20 – juris Rn. 1 m.w.N.).
So liegt es hier. Das Rechtsschutzinteresse für die Klage gegen den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 29. Mai 2018 ist nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils und nach Stellung des Berufungszulassungsantrags entfallen, weil das Vorhabengrundstück der Klägerin nicht mehr zur Verfügung steht.
Das allgemeine Rechtsschutzinteresse für eine (Anfechtungs-)Klage ist dann nicht (mehr) gegeben, wenn der Kläger mit der Klage eine Verbesserung seiner Rechtsstellung nicht (mehr) erreichen kann, wenn also die Inanspruchnahme des Gerichts sich als für die subjektive Rechtsstellung des Klägers zurzeit nutzlos darstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2005 – 6 B 37.05 – juris Rn. 6 m.w.N.; Urteil des Senats vom 23. August 2017 – 2 L 57/15 – juris Rn. 62). Das ist bei einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung auch dann anzunehmen, wenn der Antragsteller an der Verwertung der begehrten Genehmigung gehindert und deshalb die Genehmigung ersichtlich nutzlos wäre. Ein solcher Fall kann bei fehlender (und nach Lage der Dinge auch nicht erreichbarer) privatrechtlicher Berechtigung gegeben sein: An einer (Bau-)Genehmigung, die sich mit Rücksicht auf die privatrechtlichen Verhältnisse nicht verwirklichen lässt, hat der Antragsteller kein schutzwürdiges Interesse (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 1973 – IV C 49.71 – juris Rn. 14 ff.). In diesem Sinne ist eine Rechtsverfolgung auch dann nutzlos, wenn ihr Ziel die Erteilung einer Genehmigung ist, die sich mit Rücksicht auf die rechtlichen Verhältnisse nicht verwirklichen lässt. Hiernach fehlt das Rechtsschutzinteresse für eine Verpflichtungsklage, wenn der Verwertung der erstrebten Genehmigung zivilrechtliche Hindernisse entgegenstehen, die sich schlechthin nicht ausräumen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 1993 – 4 B 110.93 – juris Rn. 3 m.w.N.). Diese Grundsätze gelten für eine Anfechtungsklage gegen die Rücknahme einer Genehmigung entsprechend.
Nach diesen Grundsätzen ist das Rechtsschutzinteresse der Klägerin für die Klage gegen den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 29. Mai 2018 entfallen. Nach den Ausführungen der M. GmbH (MPW), der Eigentümerin des Vorhabengrundstücks, in dem vom Beigeladenen vorgelegten Schreiben vom 17. Dezember 2021 ist diese nicht (mehr) bereit, das Vorhabengrundstück an die Klägerin zu verpachten, so dass diese auf Dauer gehindert ist, die mit dem Bescheid vom 29. Januar 2016 genehmigte Biogasanlage auf dem Grundstück Gemarkung (W.), Flur A, Flurstück 83/47, zu verwirklichen. Die im vorliegenden Verfahren begehrte Aufhebung des Rücknahmebescheides vom 29. Mai 2018 wäre für sie vor diesem Hintergrund nutzlos.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben