Baurecht

Relevante Umgebung für die Beurteilung der Einwirklung auf das Ortsbild

Aktenzeichen  9 ZB 15.779

Datum:
3.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 43653
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34

 

Leitsatz

Bei der Beurteilung, ob eine Störung des Ortsbildes nach § 34 BauGB durch die Anbringung einer Werbetafel vorliegt, ist auf eine weitere Umgebung abzustellen als im Rahmen des Einfügensgebotes. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 14.890 2015-02-19 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Beigeladene hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die beigeladene Gemeinde beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Februar 2015, mit dem der Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 5. August 2014 verpflichtet wird, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung einer beleuchteten Fremdwerbeanlage im Gemeindegebiet der Beigeladenen zu erteilen. Nach der neuen Werbeanlagensatzung der Beigeladenen vom 17. September 2014 sind u. a. Werbeanlagen, die nicht an der Stätte der Leistung angebracht sind, dort unzulässig, „wo das Wohnen überwiegt“.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Beigeladene beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie auf besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
1. Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Beigeladene innerhalb offener Frist hat darlegen lassen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Der Rechtsauffassung der Beigeladenen, falls das ca. 80 m vom Vorhabenstandort entfernte T…-Einkaufszentrum bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung berücksichtigt werde, sei ein Kreis mit einem entsprechenden Radius um den Vorhabenstandort zu ziehen, in dessen Fläche die Wohnbebauung ganz erheblich überwiege, liegt ein unzutreffendes Verständnis der „näheren Umgebung“ i. S. d. § 34 BauGB zugrunde.
aa) Maßstabsbildend im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (st. Rspr., vgl. BVerwG, B. v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 – NVwZ 2014, 1246 = juris Rn. 7 m. w. N.). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG B. v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris Rn. 2). Auch für die Beurteilung eines Bereichs als eines faktischen Baugebietes ist die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB maßgebend (§ 34 Abs. 2 BauGB „Eigenart der näheren Umgebung“; vgl. BVerwG, B. v. 11.2.2000 – 4 B 1/00 – juris Rn. 18). Die von der Beigeladenen gewählte Kreismethode wird als rein schematische Festlegung der näheren Umgebung den zuvor genannten Anforderungen nicht gerecht.
bb) Demgegenüber stellt das Verwaltungsgericht bei seiner Bewertung der näheren Umgebung nachvollziehbar in erster Linie auf die Nutzungen beiderseits entlang der Ortsdurchfahrt (W… Straße) im Umgriff des Vorhabenstandorts unter Einbeziehung des Einkaufsmarkts ab. Der Vorhabenstandort liegt, wie die vom Verwaltungsgericht in seine Betrachtung einbezogenen gewerblichen Nutzungen (Gebrauchtwagenhandel, Kfz-Betrieb und Einkaufscenter), ebenfalls an der W… Straße an. Wie die sich in den Akten befindlichen Lagepläne und Luftbilder zeigen, ist die Bebauung entlang der Ortsdurchfahrt, beginnend mit der Bebauung auf dem Baugrundstück in Richtung Nordosten von der Bau- und Nutzungsstruktur mit z.T. ebenfalls gewerblich genutzten Freiflächen deutlich anders geprägt als die nordwestlich des Baugrundstücks befindliche sowie die im südwestlich Verlauf der W… Straße anliegende Wohnbebauung. Insbesondere die von der Beigeladenen in Bezug genommene Wohnbebauung nordwestlich des Baugrundstücks im Bereich der Straßen „K…“ und „A…“ ist von der W… Straße abgesetzt und weist mit ihrer Einzel- und Doppelhausbebauung eine ihrer Zweckbestimmung folgende eigene Baustruktur auf, die keine wechselseitige Prägung mit dem Vorhabenstandort erkennen lässt. Die von der genannten Wohnbebauung abweichende andersartige Bebauungsstruktur spiegelt sich hier u. a. in der gewerblichen Nutzung der Gebäude entlang der W… Straße in nordöstlicher Richtung wider. Von dieser Gewerbebebauung wird das Baugrundstück – trotz Wohnnutzung – aufgrund der Gebäudesituierung in unmittelbarer Nachbarschaft zum gewerblich genutzten Gebäude auf dem Grundstück FlNr. …/… wesentlich mitgeprägt. Die Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die nähere Umgebung zum Vorhabenstandort entspreche unter Berücksichtigung u. a. des Wohnhauses, an dem die Werbeanlage angebracht werden soll, einem faktischen Mischgebiet, lässt vor diesem Hintergrund keine ernstlichen Zweifel aufkommen. Es kann deshalb dahinstehen, was gelten würde, wenn die nähere Umgebung einem allgemeinen Wohngebiet entspräche oder als Gemengelage zu bewerten wäre.
b) Der Vortrag, die geplante Werbeanlage störe mit einer Fläche von 9,36 m² ersichtlich das Ortsbild, führt nicht zur Zulassung der Berufung.
aa) Die das Ortsbild schützende Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB stellt auf einen größeren maßstabbildenden Bereich als auf die für das Einfügensgebot maßgebliche nähere Umgebung ab; es kommt auf das „Orts“-Bild, also auf das Erscheinungsbild zumindest eines größeren Bereichs der Gemeinde an (vgl. BVerwG, U. v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 NVwZ 2000, 1169 = juris Rn. 15, 17). Eine derart weitreichende Kraft geht von der geplanten Werbeanlage am gegenständlichen Standort nicht aus.
bb) Soweit eine anlagenbezogene Verunstaltung i. S. d. Art. 8 Satz 1 BayBO und eine Verunstaltung des Ortsbilds i. S. d. Art. 8 Satz 2 BayBO eingewandt werden, kann auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden, mit denen sich das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert auseinandersetzt.
Davon abgesehen sind die Vorschriften der Bayerischen Bauordnung, die die Baugestaltung betreffen, weder dritt- noch nachbarschützend; dies gilt auch für Gemeinden (vgl. Simon/Busse, BayBO, Stand September 2015, Art. 8 Rn. 283 ff. m. w. N.). Da es für die Zulässigkeit der Berufung der Beigeladenen auf ihre materielle Beschwer ankommt, die nur gegeben ist, wenn die angefochtene Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu einer Verletzung subjektiver Rechte der Beigeladenen führen kann (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, Vor §124 Rn. 30 m. w. N.), kann das Rechtsmittel der Beigeladenen von vornherein keinen Erfolg haben, soweit sie eine Verletzung der nicht drittschützenden Regelungen des Art. 8 BayBO geltend macht.
c) Die Darlegungen der Beigeladenen über den ihrer Ansicht nach vorliegenden Widerspruch des Vorhabens zu ihrer Werbeanlagensatzung lassen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils aufkommen.
aa) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, entsprechend seiner Bewertung zum (planungsrechtlich relevanten) Umfeld des Baugrundstücks sowie unter Berücksichtigung der räumlichen Beschränkung der Werbeanlagensatzung für das Gebiet Nr. 1 „W… Straße“ stehe fest, dass am Ort des Bauvorhabens das Wohnen jedenfalls nicht überwiege.
Soweit die Beigeladene auf ihre vom Verwaltungsgericht abweichende Rechtsauffassung zur planungsrechtlichen Unzulässigkeit verweist, nimmt sie auf ihre Darlegungen zur näheren Umgebung i. S. d. § 34 BauGB Bezug, die überwiegend durch Wohnen geprägt sei. Aus den zuvor genannten Gründen dringt die Beigeladene mit diesen Darlegungen nicht durch. Insbesondere kommt es weder beim planungsrechtlichen Begriff der „näheren Umgebung“ noch bei der ortsgestalterischen Regelung in § 4 Nr. 3 der Werbeanlagensatzung auf einen bloß schematisch gesetzten Radius an, dessen Ausgangspunkt der Standort der Werbeanlage markiert.
Das Vorbringen der Beigeladenen, aus dem angefochtenen Urteil werde nicht deutlich, was das Verwaltungsgericht unter dem Begriff „Ort“ („… steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass am Ort des geplanten Bauvorhabens das Wohnen jedenfalls nicht überwiegt“, vgl. S. 8 d. UA) genau meine, trifft in der Sache nicht zu. Mangels sich aus der Werbeanlagensatzung ergebender Anhaltspunkte, was unter „dort wo Wohnen überwiegt“ zu verstehen ist, hat das Verwaltungsgericht auf die planungsrechtlich maßgebende nähere Umgebung unter Berücksichtigung des Geltungsbereichs der Werbeanlagensatzung abgestellt. Dies ist nicht zu beanstanden und entspricht – jedenfalls was die Bezugnahme auf die nähere Umgebung i. S. d. § 34 BauGB betrifft – auch dem Zulassungsvorbringen, wonach der (maßgebende) Bereich „ähnlich wie bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung nach § 34 BauGB“ zu fassen sei. Nachdem die nähere Umgebung zum Vorhabenstandort einem faktischen Mischgebiet entspricht, dem definitionsgemäß das zu fordernde Mindestmaß an Einheitlichkeit fehlt, um Anlagen der Fremdwerbung aufgrund ihrer Funktionswidrigkeit zum Charakter des Baugebiets generalisierend durch ortsgestalterische Satzung ausschließen zu können (vgl. BVerwG, U. v. 28.4.1972 – 4 C 11/69 – BayVBl 1973, 471), und der Vorhabenstandort auch in keinem Teilbereich dieses Mischgebiets liegt, in dem das Wohnen überwiegt (vgl. BayVGH, B. v. 11.2.2014 – 1 ZB 12.1614), steht dem Vorhaben § 4 Nr. 3 der Werbeanlagensatzung nicht entgegen.
bb) Der in der Zulassungsbegründung vorgebrachte Einwand, die geplante Werbeanlage widerspreche auch § 3 der Werbeanlagensatzung, wonach sich Werbeanlagen u. a. in das Straßenbild einfügen müssten und keine Beeinträchtigung des Ensembles bzw. des Straßenbilds hervorrufen dürften, Werbeanlagen müssten auch von der Größe her angepasst sein, führt nicht zur Zulassung der Berufung. Dabei kann die Wirksamkeit dieser Regelung zugunsten der Beigeladenen unterstellt werden. Denn die von der Beigeladenen in Bezug genommene Fotomontage (Bauvorlage) lässt nicht erkennen, dass das Vorhaben den genannten Anforderungen widersprechen würde. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind der Anbringungsort und seine Umgebung reizlos und ästhetisch ohne besondere Wertigkeit. Dies gilt gleichermaßen für das Straßenbild im Bereich des Vorhabens. Nachdem sich die geplante Werbeanlage ausweislich der Fotomontage in ihrer Größe dem zweigeschossigen Gebäude, an dessen Nordostwand sie angebracht werden soll, unterordnet und den „Straßen- und Platzraum“ nicht unangemessen dominiert, ist auch insoweit kein Verstoß gegen § 3 der Werbeanlagensatzung zu sehen.
2. Soweit die Beigeladene zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vorträgt, im Ergebnis bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, jedenfalls sei die Sach- und Rechtslage nicht einfach zu beurteilen, weshalb die Berufung aus diesen beiden Gesichtspunkten heraus zuzulassen sei, geht die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht über das hinaus, was die Beigeladene zur Begründung ihrer Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ausgeführt hat. Besondere Schwierigkeiten im Sinn offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124 Rn. 27) haben sich dabei nicht ergeben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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