Baurecht

Unbestimmtheit eines für zwei Grundstücke einheitlich ergangenen Straßenausbaubeitragsbescheids

Aktenzeichen  6 BV 17.1319

Datum:
27.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 197
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b, Nr. 4b aa), Art. 19 Abs. 7 S. 1
AO § 119 Abs. 1, § 125 Abs. 1, § 157 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Ein Bescheid, mit dem die Straßenausbau- oder Erschließungsbeiträge für zwei jeweils selbstständig nutzbare Buchgrundstücke desselben Eigentümers ohne weitere Aufschlüsselung in einem Betrag festgesetzt werden, ist rechtswidrig. Der Mangel kann nur innerhalb der Festsetzungsfrist geheilt werden.
2. Die Festsetzung eines Straßenausbaubeitrags hat grundsätzlich für jedes Buchgrundstück im Interesse der Rechtsklarheit und Eindeutigkeit getrennt zu erfolgen. Der ohne nähere Aufschlüsselung für zwei Buchgrundstücke erlassene einheitliche Beitragsbescheid verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot (BayKAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b iVm § 119 Abs. 1 AO) und ist nichtig. (Rn. 14 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Gebot der Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Beitragsfestsetzung wird auch dann Genüge getan, wenn in einem Bescheid die Beiträge für mehrere Buchgrundstücke getrennt ausgewiesen und festgesetzt werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Abweichung vom formellen Grundstücksbegriff ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein Festhalten an ihm gröblich unangemessen wäre. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn ein Grundstück, das mangels hinreichender Größe allein nicht bebaubar ist, bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands völlig unberücksichtigt bleiben würde, obwohl es zusammen mit einem oder mehreren angrenzenden Grundstücken desselben Eigentümers ohne Weiteres baulich angemessen genutzt werden kann (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 40564). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 3 K 15.1218 2017-05-23 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 23. März 2017 – W 3 K 15.1218 – wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden‚ sofern nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
Der Straßenausbaubeitragsbescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2015 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht festgestellt hat.
Anwendung findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 7 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) in der Fassung vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 449) dieses Gesetz in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (der Bek. vom 4.4.1993, GVBl. S. 264, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2016, GVBl. S. 351). Dabei kommt es allerdings auf die vom Verwaltungsgericht problematisierte gemeindliche Eigenbeteiligung in der Ausbaubeitragssatzung der Beklagten nicht entscheidungserheblich an (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 27.9.2018 im Parallelverfahren 6 BV 18.1320). Der von der Beklagten ohne nähere Aufschlüsselung erlassene einheitliche Beitragsbescheid für zwei Buchgrundstücke verstößt nämlich gegen das Bestimmtheitsgebot und ist daher bereits aus formalen Gründen nichtig.
Die Beitragsfestsetzung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b KAG i.V.m. § 119 Abs. 1 AO). Der Beitragsbescheid muss in seinem verfügenden Teil (Bescheidsformel oder Tenor) erkennen lassen, von wem was für welche Maßnahme und für welches Grundstück gefordert wird (vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b KAG i.V.m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO). Können durch die vorrangige Auslegung des Bescheides etwaige Zweifel an der Bestimmtheit nicht beseitigt werden, so ist dieser nichtig (§ 125 Abs. 1 AO). Ein solcher Mangel kann nur durch Erlass eines neuen Bescheids innerhalb der Festsetzungsfrist geheilt werden (zum insoweit vergleichbaren Erschließungsbeitragsrecht: Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 17 Rn. 11 m.N.d. Rspr.).
Nach ständiger Rechtsprechung ist grundsätzlich für jedes Buchgrundstück im Interesse der Rechtsklarheit und Eindeutigkeit (vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b und 4b KAG in Verbindung mit § 119 Abs. 1, § 157 Abs. 1 Satz 2 AO) ein eigener Beitrag festzusetzen (BayVGH, B.v. 30.4.2014 – 6 ZB 13.2640 – juris Rn. 5; U.v. 17.12.1992 – 6 B 90.427 – juris Rn. 24; U.v. 8.7.1992 – 6 B 90.1953; vgl. auch HessVGH, B.v. 4.4.1995 – 5 TH 1264/93 – NVwZ-RR 1995, 599, 600; OVG NW, B.v. 29.7.1994 – 3 B 935/93 – NVwZ-RR 1995, 108; NdsOVG, U.v. 12.12.1989 – 9 A 62/88 – NVwZ 1990, 590; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 17 Rn. 12). Dem Gebot der Bestimmtheit und Eindeutigkeit einer Beitragsfestsetzung wird auch dann Genüge geleistet, wenn in einem Bescheid die Beiträge für mehrere Buchgrundstücke getrennt ausgewiesen und festgesetzt werden.
Ausweislich des vom Senat eingeholten Grundbuchauszuges sind die beiden Grundstücke des Klägers FlNr. 79 und FlNr. 80 unter den laufenden Nummern 1 und 2 im Grundbuch eingetragen. Es handelt sich damit um zwei verschiedene Buchgrundstücke. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 18. Oktober 2010 einen einheitlichen Straßenausbaubeitrag für beide Buchgrundstücke festgesetzt, ohne den auf das jeweilige Buchgrundstück entfallenden Anteil aufzuschlüsseln. Es kann auch nicht durch Auslegung des Bescheides festgestellt werden, welcher Beitrag auf welches Buchgrundstück entfällt.
Die Voraussetzungen für die von der Beklagten angenommene „wirtschaftliche Einheit“ von Grundstücken liegen nicht vor. Eine Abweichung vom formellen Grundstücksbegriff ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein Festhalten an ihm gröblich unangemessen wäre. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn ein Grundstück, das mangels hinreichender Größe alleine nicht bebaubar ist (Handtuchgrundstück), bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands völlig unberücksichtigt bleiben würde, obwohl es zusammen mit einem oder mehreren angrenzenden Grundstücken desselben Eigentümers ohne weiteres baulich angemessen genutzt werden kann (BVerwG, B.v. 21.12.2015 – 9 B 46.15 – NVwZ-RR 2016, 438; U.v. 24.2.2010 – 9 C 1.09 – BVerwGE 136, 126 Rn. 26). Nur dann ist ausnahmsweise auf den „wirtschaftlichen Grundstücksbegriff“ zurückzugreifen mit der Folge, dass die mehreren Buchgrundstücke, die eine zusammenhängende wirtschaftliche Einheit in der Hand desselben Eigentümers bilden, beitragsrechtlich als ein einziges einheitliches Grundstück zu behandeln sind (BayVGH, U.v. 17.12.1992 – 6 B 90.427 – juris Rn. 25; vgl. auch Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 8 m.w.N. d. Rspr.).
Die Voraussetzungen hierfür liegen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Das Grundstück FlNr. 79 weist eine Größe von 677 m² und das Grundstück FlNr. 80 von 870 m² auf. Beide Grundstücke sind aufgrund ihrer Größe und ihres Zuschnitts selbstständig bebaubar. Eine einheitliche Nutzung oder eine tatsächliche Überbauung begründen für sich allein keine wirtschaftliche Einheit (BayVGH, U.v. 17.12.1992 – 6 B 90.427 – juris Rn. 26). Es ist auch nicht relevant, dass die Grundstücke aneinandergrenzen und einem einheitlichen landwirtschaftlichen Betrieb dienen.
Eine Heilung des angefochtenen Bescheids durch Erlass eines neuen Bescheids scheidet aus. Die vierjährige Festsetzungsfrist, die mit Entstehen der sachlichen Beitragspflichten im Jahr 2009 begann, ist am 31. Dezember 2013 – noch während des Laufs des Widerspruchsverfahrens – abgelaufen (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b bb 3. Spiegelstrich KAG i.V.m. § 169, § 170 Abs. 1 AO). Zudem dürfen nach Art. 19 Abs. 7 Satz 2 KAG (i.d.F. vom 26.6.2018, GVBl. S. 449) ab 1. Januar 2018 keine Straßenausbaubeiträge mehr festgesetzt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10‚ § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen‚ weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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