Baurecht

Verletzung des Rücksichtnahmegebots bei Nichteinhaltung der Abstandsflächen und Berechnung der Wandhöhe bei Geländeveränderungen

Aktenzeichen  RO 2 K 14.832

Datum:
24.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131123
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
NauNVO § 15
BayBO Art. 6

 

Leitsatz

1 Maßgeblich für die Berechnung der Wandhöhe eines Gebäudes ist die Geländeoberfläche. Fehlt eine Festsetzung der Geländeoberfläche ist die maßgebliche Geländeoberfläche grundsätzlich die natürliche, gewachsene Oberfläche und nicht die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche. Zwar ist als „natürliche Geländeoberfläche“ grundsätzlich die gewachsene und nicht etwa die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche zu verstehen. Dies meint jedoch nicht, dass die Geländeoberfläche „seit jeher so vorhanden“ gewesen sein muss.  (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2 Als zeitliche Grenze für die Feststellung, dass auch eine auf menschliche Einwirkungen zurückzuführende, gegenüber einem Nachbargrundstück erhöhte Geländeoberfläche als für die Abstandsflächenberechnung maßgebliche „vorhandene“ Geländeoberfläche angesehen werden kann, bietet es sich an, auf die am Zweck der Herstellung bzw. Wahrung des Rechtsfriedens orientierte dreißigjährige (Verjährungs-) Frist zurückzugreifen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Gegenstand der Klage ist der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 11.4.2014 (Az.: 63.1/03261/2013-01) in Gestalt des Änderungsbescheids vom 2.5.2014 (Az.: 63.1/03261/2013-01), den der Kläger mit Anfechtungsklage angreift, § 42 Abs. 1 1. Alternative Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Allerdings hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 24.8.2016 die Klage im Wege der nachträglichen objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO) um ein Verpflichtungsbegehren (bauaufsichtliches Einschreiten) in Gestalt einer Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 1 VwGO erweitern lassen. Bei einer nachträglichen Klagehäufung handelt es sich um eine Klageänderung i.S.d. § 91 Abs. 1 VwGO, die hier nicht nach § 173 VwGO i.V.m. § 264 Zivilprozessordnung (ZPO) privilegiert und daher nur zulässig ist, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Ist die Klageänderung unzulässig, ist sie mit Prozessurteil abzuweisen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 91 Rn. 24). Mit Eingang des erweiterten Klagebegehrens bei Gericht wurde der Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zu bauaufsichtlichem Einschreiten unbeschadet der Zulässigkeit der Klageänderung rechtshängig (§ 90 VwGO). Die Erklärung der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2016, dass an der Klageerweiterung nicht mehr festgehalten werde, ist dementsprechend als Teilrücknahme der Klage zu werten, der die Beklagte zugestimmt hat (§ 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Das Verfahren war daher insoweit gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Soweit sich der Kläger gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11.4.2014 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 2.5.2014 wendet, ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Es liegt keine Rechtsverletzung des Klägers durch den angefochtenen Baugenehmigungsbescheid in Gestalt des Änderungsbescheids vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Wer als Nachbar eine Baugenehmigung anficht, kann damit nur Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung rechtswidrig ist und hierdurch zu prüfende nachbarschützende Normen verletzt sind. Der Kläger kann im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur in seinen Rechten verletzt sein, wenn die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte des Nachbar dienen und die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass die genehmigte Planung vom 11.4./2.5.2014 bereits wegen der fehlenden Darstellung des ursprünglichen Geländes aufgrund Unbestimmtheit formell rechtswidrig sei, kann dies nicht zum Erfolg der Klage führen. Denn der Kläger macht insoweit einen Verstoß gegen die Bauvorlagenverordnung (vgl. § 8 BauVorlV) geltend. Den Anforderungen an die Bauvorlagen, wie sie in der Bauvorlagenverordnung festgelegt sind, kommt jedoch keine nachbarschützende Wirkung zu (BayVGH, B.v. 10.4.2006 – 1 ZB 04.3506 – juris; ebenso VGH Baden-Württemberg, B.v. 12.2.2007 – 5 S 2826/06 – juris). Denn die Vorschriften der Bauvorlagenverordnung haben als Ordnungsvorschriften zu gelten, deren einziger Zweck es ist, eine sachgerechte und schnelle Bearbeitung der Baugesuche bei gleichzeitiger Schonung der knappen (staatlichen) Ressourcen zu gewährleisten. Sie dienen damit allein dem Schutz der Interessen der (staatlichen) Bauverwaltung und des Bauherrn selbst, nicht jedoch dem Schutz der Nachbarn.
Eine unter Verstoß gegen die Anforderungen der Bauvorlagenverordnung erteilte Baugenehmigung kann vom Grundstücksnachbarn deshalb nur dann mit Erfolg angegriffen werden, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und infolgedessen eine Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Bauvorhabens nicht ausgeschlossen werden kann (BayVGH a.a.O.). Zwar bleiben hierbei die im Antrags- und Klageverfahren vorgelegten Ergänzungspläne außer Betracht. Im vorliegenden Fall können aber die Abstandsflächen zum Grundstück des Klägers dem Eingabeplan „Grundriss Kellergeschoss und Erdgeschoss“ entnommen werden. Das Geländeniveau des Baugrundstücks ist in den eingereichten Plänen hinreichend erkennbar. Da es bezüglich des Neubaus hierauf ankommt, ist eine weitergehende Darstellung des Geländes, etwa in den Bereich des Grundstücks des Klägers hinein, nicht zwingend geboten. Eine Unbestimmtheit zu Lasten des Klägers ist nicht ersichtlich.
Ebenso wenig führt der Einwand der formellen Unbestimmtheit hinsichtlich der nördlichen Einfriedung, bzw. Stützmauer zum Erfolg. Zwar ist die Einfriedung lediglich als Bestand im Freiflächengestaltungsplan verzeichnet, da sowohl die Bauherrin als auch die Beklagte davon ausgingen, dass diese als Bestand nicht vom Umfang der Genehmigung umfasst sei. Hinsichtlich der Mauer muss jedoch die Besonderheit Berücksichtigung finden, dass sie – auch wenn man sie als von der Genehmigung umfasst sieht – jedenfalls schon bestand und nicht neu errichtet wird. Der Kläger konnte auf Grund des Freiflächengestaltungsplans, in denen auch die Höhenangaben der verbleibenden Mauer verzeichnet waren, die Auswirkungen des Vorhabens erkennen. Ausgehend davon, dass Nachbarschutz hinsichtlich der Unbestimmtheit von Plänen dann gewährt wird, wenn aufgrund der Unbestimmtheit der Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale eine Verletzung der Nachbarechte bei der Bauausführung nicht ausgeschlossen werden konnte (BayVGH a.a.O.), der Nachbar also nicht erkennen kann, ob und in welchem Umfang er von dem geplanten Vorhaben betroffen ist, ist im vorliegenden Fall der Bestimmtheit für den Nachbarschutz Genüge getan. Die Gefahr, dass der Kläger aufgrund der Planunterlagen Auswirkungen der Mauer nicht einschätzen konnte, bestand gerade nicht.
Soweit sich der Kläger auf die Nichteinhaltung der Abstandsflächen beruft, kann dies nicht zum Erfolg führen. Da es sich nicht um einen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 Bayerische Bauordnung – BayBO handelt, wurde das Bauvorhaben gemäß Art. 59 BayBO im sogenannten vereinfachten Baugenehmigungsverfahren geprüft. Die Abstandsflächen gehören nicht zum Prüfprogramm im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO). Das Vorhaben wird vielmehr nicht hinsichtlich des Brandschutzes und der Abstandsflächenvorschriften geprüft, soweit nicht nach Art. 63 Abs. 1 BayBO Abweichungen beantragt wurden. Abweichungen von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften zu Lasten des Antragstellers wurden im Sinne des Art. 63 BayBO im Bescheid vom 11.04.2014/2.5.2014 nicht erteilt. Die streitgegenständliche Baugenehmigung trifft insoweit keine Regelung, so dass eine Verletzung von nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften insoweit nicht in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v.12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris; BayVGH, B.v. 17.3.2014 – 15 CS 13.2648 – juris).
Hinsichtlich der möglichen Verletzung nachbarschützender bauplanungsrechtlicher Vorschriften kommt allenfalls eine Verletzung des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme in Betracht, gegen das das streitgegenständliche Vorhaben jedoch ebenfalls nicht verstößt.
Das Rücksichtnahmegebot ist keine allgemeine Härteklausel, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht, sondern Bestandteil einzelner Vorschriften des Baurechts. Im unbeplanten Innenbereich – in dem das streitgegenständliche Vorhaben liegt – ist eine Verletzung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots ausgeschlossen, wenn sich ein Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbauten Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (BVerwG, U.v. 10.1.1999, BayVBl 1999, 568).
Das streitgegenständliche Vorhaben stellt sich weder im Hinblick auf die Einblickmöglichkeiten auf das klägerischen Grundstück, noch auf eine einmauernde oder abriegelnde Wirkung oder wegen Immissionen der Tiefgarage als unzumutbar und damit rücksichtslos dar.
Entspricht ein Bauvorhaben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO), ist für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – NVwZ-RR 1997, 516; BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 5.93 – juris Rn. 22; VG Ansbach, U.v. 6.5.2015 – AN 3 K 14.01416 – juris). Der Neubau des Klägers hält ausgehend von dem Geländeniveau des Baugrundstücks als natürlicher Geländeoberfläche und unter Berücksichtigung der Höhe des Bauwerks nach den eingereichten und genehmigten Plänen die Abstandsflächen ein. Wie sich aus dem vorgelegten Eingabeplan zu den Abstandsflächen ergibt, sind diese zum Grundstück des Klägers hin auch unter Berücksichtigung der Terrassenumwehrung des Neubaus gewahrt. Soweit an der nord-westlichen Ecke des Bauvorhabens sich nur ein Abstand von unter 6,90 m zum klägerischen Grundstück ergibt, das Gebäude aber einschließlich des Terrassengeländers 6,90 m (= H gem. Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO) hoch werden soll, wird dem dadurch Rechnung getragen, dass in diesem Bereich die Terrassenumwehrung entsprechend zurückversetzt wird. Die genehmigte Eingabeplanung lässt daher unbeschadet des Prüfungsumfangs im Baugenehmigungsverfahren nur eine Errichtung des Vorhabens unter Beachtung der gesetzlichen Abstandsflächen zu. Die vorragenden Balkone stellen zwar nach Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO keine untergeordneten Bauteile dar, da sie mehr als ein Drittel der Breite der Außenwand und mehr als 5 m in Anspruch nehmen. Auch das 16m-Privileg des Art. 6 Abs. 5 BayBO kommt vorliegend aufgrund der Gesamtlänge der auf der Nordseite des Bauvorhabens gelegenen Außenwand nicht zum Tragen. Die allein durch die vorragenden Balkone bedingten Abstandsflächen kommen allerdings noch innerhalb des Grundstücks zum Liegen.
Die Abstandsflächenberechnung leidet auch nicht deshalb an einem Fehler, weil von der Geländeoberfläche, wie sie sich auf dem klägerischen Grundstück darstellt, auszugehen wäre. Maßgeblich für die Berechnung der Wandhöhe eines Gebäudes ist gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO die Geländeoberfläche. Dies ist je nach Lage des Falls die natürliche oder eine festgesetzte Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück. Fehlt eine Festsetzung der Geländeoberfläche – wie hier – ist die maßgebliche Geländeoberfläche grundsätzlich die natürliche, gewachsene Oberfläche und nicht die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche. Im vorliegenden Fall ließ sich anhand der dem Gericht zur Verfügung stehenden historischen Karten, Luftbilder und Planunterlagen früherer Bauvorhaben auf dem Baugrundstück nachvollziehen, dass das Grundstück der Beigeladenen seit mindestens 1856 bebaut ist; seit 1890 mit einer Bebauung im rückwärtigen Raum zumindest ähnlich dem Gebäude, das im Vorfeld des geplanten Neubaus abgebrochen wurde. Ausweislich der historischen Pläne befindet sich ein rückwärtiges Gebäude mindestens seit 1907 an der nördlichen Grenze des Baugrundstücks. Auch zeigt eine Luftaufnahme aus dem Jahre 1945 den Gebäudebestand in etwa in der Form, wie auf Luftaufnahmen aus den Jahren 2007 und 2013. Anhaltspunkte, dass das äußere Gelände während der bebauten Zeit in den letzten Jahrzehnten verändert wurde, lassen sich nicht erkennen. Soweit der Klägervertreter vorbringt, die Aussage des Grabungsberichts, das Baufeld sei von modernen, neuzeitlichen Auffüllungen aus Bauschutt durchsetzt, spräche dafür, dass es sich bei dem Untergrund nicht mehr dergestalt um „gewachsenen Grund“ handele, dass er als Ebene für die Abstandsflächenberechnung herangezogen werden könne, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar ist als „natürliche Geländeoberfläche“ grundsätzlich die gewachsene und nicht etwa die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche zu verstehen. Dies meint jedoch nicht, dass die Geländeoberfläche „seit jeher so vorhanden“ gewesen sein muss. Als zeitliche Grenze für die Feststellung, dass auch eine auf menschliche Einwirkungen zurückzuführende, gegenüber einem Nachbargrundstück erhöhte Geländeoberfläche als für die Abstandsflächenberechnung maßgebliche „vorhandene“ Geländeoberfläche angesehen werden kann, bietet es sich an, auf die am Zweck der Herstellung bzw. Wahrung des Rechtsfriedens orientierte dreißigjährige (Verjährungs-)Frist (vgl. § 195 BGB a.F., § 197 Abs. 1 BGB n.F., § 900 BGB) zurückzugreifen (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2015 – 15 CS 14.2612 – juris, OVG RhPf, B.v. 28.9.2005 – 8 A 10424/05 – juris Rn. 19 bis 22 unter Hinweis auf BayVGH, B.v. 14.1.1991 – 14 CS 90.3270 m.w.N.; BayVGH, B.v. 17.3.2003 – 2 CS 03.98 – juris Rn. 13; vgl. auch BayVGH, B.v. 2.3.1998 – 20 B 97.912 – juris Rn. 13 m.w.N.: mehr als 25 Jahre). Jedenfalls, wenn eine Geländeveränderung mehr als 30 Jahre zurückliegt, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das Gelände manipulativ verändert wurde, um gesetzliche Regelungen zu unterlaufen. Für eine Geländeveränderung in den letzten 30 Jahren ist jedoch nichts ersichtlich. Die langjährige Bebauung im rückwärtigen Bereich spricht eindeutig gegen Geländeveränderungen in diesem Bereich. Sie deutet vielmehr auf eine Geländeveränderung vor mehr als 100 Jahren hin. Hierfür spricht auch, dass sich Planunterlagen von 1880 auf ein Ziegeleinanwesen beziehen und sich im Grabungsbericht vom 12.8.2014 die Aussage „Auffüllungen aus Bauschutt und sehr viel Ziegelbruch deuten darauf hin, dass das Untersuchungsmaterial bereits seit Neuzeit durch Bodenbearbeitung gestört ist. Evtl. wurde hier ab etwa 18. Jh. Kies entnommen (?).“ findet.
Ein Abstellen auf das Geländeniveau des klägerischen Grundstücks wäre daher nur dann geboten gewesen, wenn das rückwärtige Gebäude auf dem Baugrundstück an der Grenze zum klägerischen Grundstück unterkellert gewesen wäre, so dass auch die Mauer im unteren Bereich in Wahrheit keine reine Stützmauer, sondern die Rückwand des abgebrochenen Gebäudes gewesen wäre, was jedoch nicht der Fall ist. Aus dem vom Gericht mit Beweisbeschluss vom 1.10.2015 angeforderten Grabungsbericht ergibt sich, dass das gesamte Baufeld neben stellenweise noch vorhandenen, modernen Ziegelmauerstücken und kleineren Betonfundamentresten, die im Zuge der vorangegangenen Abbrucharbeiten nicht vollständig ausgebrochen wurden, mit einer mächtigen Auffüllung aus Bauschutt und Ziegelbruch durchsetzt war. Diese Auffüllschicht wies eine Stärke von ca. 2,8 m bis max. 3,5 m unter dem bestehendem Geländeniveau auf. Die Einfüllung war an einigen Stellen mit Brandschutt und gelöschtem Kalk bis zu einer Tiefe von etwa 4 m durchsetzt, und in einzelnen Bereichen mit stark humosem Erdreich und verbrannten Holzresten durchmischt, wobei eine eindeutige Unterteilung in einzelne, zeitlich voneinander unterscheidbare Schichten nicht möglich war. Ferner war das Areal, das sich etwa 30 m in Ost-West-Richtung und ca. 17 m in Nord-Süd-Richtung erstreckte und ein annäherndes Rechteck von 500 m² bildete, umgeben von einer ca. 2,5 m tief unter Geländeniveau gegründeten Ziegelmauer, sowie einer nicht zeitlich genau einzuordnenden Bruchsteinmauer, deren Sohle etwa auf Bautiefe bei ca. -3,5 m unter dem bestehenden Gelände liegt. Ein Keller, der anhand der aktuellen Arbeiten erst abgerissen wurde, wird nur für den Osten der Fläche erwähnt (Grabungstagebuch vom 8.8.2014; Gesprächsnotiz vom 8.8.2014). Diese Feststellungen stimmen mit den Erkenntnissen überein, die das Gericht auf Grund der vorliegenden älteren Planunterlagen für das Baugrundstück gewonnen hat. Auch nach diesen befand sich lediglich im östlichen Bereich des rückwärtigen Gebäudes ein Keller (vgl. Planunterlagen von 15.1.1896 und Planunterlagen von 1927). Laut Plan von 1927 erstreckte sich der Keller von der westlichen Außenmauer des Gebäudes, das an der Grenze zum Nachbargrundstück (damaliger Eigentümer H …; jetzt FlNr. 2218) stand, 4,64 m nach Westen. Der unterkellerte Bereich grenzt damit nicht an das klägerische Grundstück an. Für den Bereich an der Grenze zum klägerischen Grundstück weisen weder der Plan von 1927, noch andere Pläne einen Keller aus. Verzeichnet sind in anderen Bereichen vielmehr lediglich ins Erdreich gegründete Mauern (vgl. Planunterlagen von 1937, 1927, 1907, 1896, 1892, 1890). In Anbetracht der Detailgenauigkeit der früheren Pläne kann aber davon ausgegangen werden, dass weitere Keller auch verzeichnet worden wären.
Den bedingten Beweisanträgen, bzw. -anregungen des Klägervertreters vom 1.10.2015 auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis, dass hinter der streitgegenständlichen Mauer kein gewachsener Grund vorhanden war in Höhe der verbliebenen Mauer, sondern das Baugrundstück „ursprünglich“ auf Ebene des Klägergrundstücks lag, musste das Gericht nicht folgen. Zum einen ist die Anregung insoweit unbestimmt, als in zeitlicher Hinsicht bewiesen werden soll, dass das Baugrundstück ursprünglich auf der Ebene des Klägergrundstücks lag. Für das streitgegenständliche Vorhaben wäre jedoch lediglich relevant, wenn das Grundstück aktuell oder aber zumindest innerhalb der letzten 30 Jahre auf dem Niveau des Klägergrundstücks gelegen wäre. Im Übrigen ergibt sich aus den Grabungsunterlagen und den Lichtbildern, dass der Boden mit Bauschutt und Ziegelbruch durchsetzt war. Bei diesen Bodenverhältnissen ist es bereits zweifelhaft, ob die Anregung des Klägers, zu klären, ob die Mauer „erdberührt“ war, geeignet wäre, Hohlräume festzustellen. Hinsichtlich der Frage vor dem Abbruch noch vorhandener Keller bieten überdies die auf Grund des Beweisbeschlusses vom 15.1.2015 vorgelegten Unterlagen, Lichtbilder in Zusammenschau mit den früheren Planunterlagen bereits ausreichend Beleg dafür, dass an der Klägergrenze kein Keller vorhanden war und die Mauer in diesem Bereich eine Stützmauer und nicht lediglich die Rückwand eines Gebäudes war. Ebenso wenig musste das Gericht der Beweisanregung folgen, soweit der Klägervertreter anregte, dass die Abrechnungen der Baufirmen zum Beweis vorgelegt werden sollten, dass sich jenseits der Mauer bis zu den Bauarbeiten kein gewachsener Grund befand. Hier fehlt es bereits an der Geeignetheit, da sich aus den Abrechnungen jedenfalls nicht die Lage eines möglichen Hohlraums ergeben hätte. Da aufgrund der oben genannten Gründe das Gericht nicht davon ausgeht, dass es sich bei der Mauer um eine Gebäuderückwand handelt, kam es für die Berechnung der Abstandsflächen im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die Mauer genau an der Grundstücksgrenze zum klägerischen Grundstück oder zurückversetzt auf dem Grundstück des Beigeladenen steht. Der Beweisbeschluss vom 1.10.2015 konnte daher in seiner Ziffer I aufgehoben werden.
Hinsichtlich des Neubaus wurde daher zu Recht für die Abstandsflächenberechnung auf das Baugrundstück abgestellt, mit der Konsequenz, dass dieser die Abstandsflächen ausweislich des Plans einhält.
Anders stellt sich die Situation bezüglich der bestehenden nördlichen Mauer dar. Diese gründet auf dem Niveau des klägerischen Grundstücks, so dass die Abstandsflächen ausgehend hiervon zu berechnen wären. Da die Stützmauer das Fundament der Einfriedung bildet, gibt sie ihre Eigenständigkeit auf und ist in der Folge als Teil der Gesamtmauer zu betrachten. Daher ist ausweislich des Ergänzungsplans vom 14.8.2014 auf eine Gesamthöhe von ca. 2,6 m (ca. 1,7 m Stützmauer und 0,9 m Einfriedung) abzustellen (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, U.v. 24.3.2014 – 8 S 1938/12 – juris). Damit überschreitet die Mauer jedenfalls die 2 m Grenze, bis zu der gem. Art. 6 Abs. 9 Nr. 3 BayBO Stützmauern und geschlossenen Einfriedungen außerhalb von Gewerbe- und Industriegebieten ohne eigene Abstandsflächen zulässig sind. Es ist jedoch schon zweifelhaft, ob hinsichtlich der Mauer – auch wenn diese Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist – die Abstandsflächenfrage in der Genehmigung überhaupt neu aufgeworfen wird. Die komplette Mauer war als Bestand bereits vorhanden. Der bis zur Höhe des Baugrundstücks reichende Teil bildet nicht die Grundlage für die erstmalige Schaffung neuer Verhältnisse, sondern schreibt lediglich den vorhandenen und vom Kläger bereits bisher hinzunehmenden Unterschied in den Höhen der aneinandergrenzenden Grundstücke auch für die Zukunft fest (BayVGH, B.v. 17.4.2015 – 15 CS 14.2612 – juris). Im oberen 0,9 m hohen Bereich war die Mauer als Teil einer Gebäuderückwand vorhanden und nimmt nun die Funktion einer Einfriedung wahr. Insofern liegt eine Nutzungsänderung der Mauer im oberen Bereich vor. Eine Nutzungsänderung löst allgemein dann eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung aus, wenn sich im Vergleich zum bisherigen Zustand spürbare nachteilige Auswirkungen hinsichtlich der durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung oder des nachbarlichen „Wohnfriedens“ ergeben können (BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384 – juris; BayVGH U.v. 12.1.2007 – 1 ZB 05.2572 – juris; VG München, U.v. 22.3.2016 – M 1 K 15.3239 – juris). Vergleicht man hier die Situation jetzt (Stützmauer und Einfriedung) mit der Situation vor der Nutzungsänderung (Stützmauer und Gebäuderückwand), so ergeben sich in Bezug auf Belichtung, Belüftung und Besonnung keine negativen Auswirkungen. Im Gegenteil dürfte es hier unzweifelhaft zu einer deutlichen Verbesserung der Situation für den Kläger kommen. Allerdings macht der Kläger eine Verschlechterung der Situation im Hinblick auf die Einblickmöglichkeiten geltend und damit einen grundsätzlich vom Abstandsflächenrecht geschützten Belang ( „Wohnfrieden“). Zweifelhaft ist jedoch, ob dadurch eine neue Abstandsflächenpflichtigkeit der bestehenden Mauer ausgelöst wird, da diese neuen Einsichtsmöglichkeiten zum einen nicht durch die Nutzungsänderung der Mauer im oberen 0,9 m Bereich ausgelöst werden, sondern bereits durch den Abbruch des Grenzgebäudes entstanden sind. Zum anderen ist fraglich, ob der Belang der „Einsichtnahmemöglichkeit“ speziell bei Mauern ein durch das Abstandsflächenrecht geschützter Belang ist. Denn würde man den Wunsch des Klägers nach weniger Einsichtnahmemöglichkeiten im Fall der Mauer nachkommen, wäre das auf der Hand liegende Mittel eine Erhöhung der Mauer, was aber gerade noch größere Abstandsflächen bewirken würde. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass die Abstandsflächenfrage durch die neue Teilnutzung der Mauer neu aufgeworfen wurde und man den für die Abstandsflächenberechnung ungünstigsten Fall unterstellt, dass die Mauer auf der Grenz steht, ergibt sich dennoch hieraus keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots gegenüber dem Kläger. Denn die Tatsache, dass ein Vorhaben die Abstandsflächen nicht einhält kann zwar ein Hinweis auf einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sein, sie führt aber nicht automatisch dazu, dass das Vorhaben rücksichtslos ist. Im Übrigen stünde aufgrund der Funktion der Mauer als Stützmauer und notwendige Umwehrung gem. Art. 36 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO auch die Möglichkeit einer Abweichung als naheliegend im Raum, da die Grundstückssituation aufgrund des Geländesprungs und der Vorbelastung eine Atypik aufweist (vgl. VG Augsburg, U.v. 19. Mai 2016 – Au 5 K 15.1603 – juris).
Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Vorhaben die notwendige Rücksichtnahme auf nachbarliche Belange vermissen lässt, sind alle Umstände des Einzelfalles – insbesondere der tatsächlichen und rechtlichen Vorbelastung der Grundstücke und des Gebiets, der tatsächlichen und rechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Bauherrn und des Nachbarn sowie der Art und Intensität aller in Betracht kommenden städtebaulich relevanten Nachteile (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – BVerwGE 109, 314; B.v. 16.12.2008 – 4 B 68.08 – BRS 73 Nr. 82 [2008]; VGH Baden-Württemberg., B. v. 8.11.2007 – 3 S 1923/07 – VBlBW 2008, 147; B.v. 20.3.2012 – 3 S 223/12 – juris). Bei der im Zusammenhang mit dem Gebot der Rücksichtnahme anzustellenden Interessenbewertung ist ausschlaggebend, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Das Grundstück des Klägers war durch die zumindest jahrzehntelange massive Grenzbebauung und die ebenfalls bereits jahrzehntelang vorhandene Stützmauer vorbelastet. Der Kläger muss hierbei hinnehmen, dass Beeinträchtigungen, die von einem legal genutzten vorhandenen Bestand ausgehen bei der Interessenabwägung als Vorbelastung berücksichtigt werden, die seine Schutzwürdigkeit mindern (VG Saarland, B.v. 4.2.2013 – 5 L 15/13 – juris). Die gebotene Interesseabwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten des Beigeladenen aus. Auf Seiten des Klägers steht eine seit langen Jahren gegebene Geländesituation in Form eines Geländesprungs zum ca. 1,7 m höhergelegenen Baugrundstück. In Bezug auf Belichtung, Belüftung und Besonnung war das Grundstück Jahrzehnte einer massiven Grenzbebauung ausgesetzt. Diese Situation hatte dazu geführt, dass der östliche Bereich des klägerischen Grundstücks, ein dicht mit Bäumen besetzter Gartenbereich, vom Baugrundstück nicht eingesehen werden konnte. An dieser vor Nachbarblicken geschützten Lage möchte der Kläger festhalten, wozu allerdings nach Ansicht des Gerichts im Widerspruch steht, dass der Kläger zum einen zivilrechtlich versuchte, die Mauer beseitigen zu lassen und ferner im Laufe des streitgegenständlichen Verfahrens vorgeschlagene Abhilfemaßnahmen, wie z.B. eine Erhöhung der Mauer auf 1,4 m oder eine Milchglasscheibe vom Kläger abgelehnt wurden. Demgegenüber steht auf Seiten der Beigeladenen ihr Interesse, über ihr Eigentum gestaltend verfügen zu können, also Gebäude abzubrechen, das Grundstück baulich zu nutzen und zum Grundstück des Klägers hin ordnungsgemäß abzusichern (bauordnungsrechtlich gebotene Umwehrung Art. 36 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO). Bei dieser Interessenlage kann, selbst wenn man davon ausgeht, dass die Grenzmauer nicht die Abstandsflächen einhält, nicht allein daraus ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot angenommen werden. Erst Recht nicht – wie vom Kläger vorgetragen – von einem Verstoß trotz Einhaltung der Abstandsflächen.
Ein Verstoß wäre nur zu bejahen, wenn das Vorhaben des Beigeladenen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Vorbelastung für den Kläger unzumutbare Auswirkungen hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die in erster Linie geltend gemachte vermehrte Einsichtnahmemöglichkeit, von der das Gericht auch ohne Augenschein ausgeht und die anhand der Lichtbilder, Luftbilder und Pläne beurteilt werden kann, so dass das Gericht dem bedingten Beweisantrag des Klägers vom 1.10.2016 auf Augenschein nicht folgen musste, führt nicht zur Rücksichtslosigkeit des genehmigten Vorhabens. Denn es gibt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel weder einen Schutz vor Verschlechterung der Aussicht noch vor Einsichtsmöglichkeiten von benachbarten Häusern (BVerwG, U.v.13.6.1980 – 4 C 98.77 – NJW 1981, 473). Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass seine bisher für eine innenstädtische Lage ungewöhnlich gut vor Blicken geschützte Lage weiterhin besteht. Er hat nur einen Anspruch, vor unzumutbaren Einsichtsmöglichkeiten geschützt zu werden, die hier nicht vorliegen. Insbesondere in bebauten innerörtlichen Bereichen – wie hier – gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in das eigene Grundstück und in Gebäude genommen werden kann (vgl. OVG Bautzen, U.v. 31.05.2011 – 1 A 296/06 -, juris; OVG B-Stadt, B.v. 26.09.2007 – 2 Bs 188/07 -, ZfBR 2008, 73; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, U.v.8.5.2014 – 8 A 197/12 – juris). Die Grenze des Zumutbaren wird erst dann überschritten, wenn ein Vorhaben Einsichtsmöglichkeiten auf das Nachbargrundstück eröffnet, die über das hinzunehmende Maß hinausgehen, etwa wenn ein Balkon in unmittelbarer Nähe zu einem vorhandenen Schlafzimmerfenster errichtet werden soll oder wenn eine Dachterrasse aus kurzer Entfernung Einsichtsmöglichkeiten nicht nur in einen Innenhof, sondern auch in die Fenster eines Nachbargebäudes eröffnet (vgl. OVG Magdeburg, B. v. 12.12.2011 – 2 M 162/11 – BeckRS 2012, 46098, m.w.N.). Die mit der erhöhten Lage des Grundstücks der Beigeladenen verbundenen Einsichtsmöglichkeiten auf das klägerische Grundstück erreichen nicht das Ausmaß einer den Kläger unzumutbaren Beeinträchtigung. Die kürzeste Distanz von der nord-westlichen Ecke des Baugrundstücks zur süd-östlichen Ecke des klägerischen Wohnhauses beträgt über 9 m. Die Möglichkeit, insbesondere an der Mauer, direkt in den klägerischen Garten zu sehen besteht zwar unzweifelhaft, ist jedoch hinzunehmen. Es handelt sich beim Garten aber um einen weniger sensiblen Bereich, als z.B. einem Schlafzimmer. Soweit der Kläger vorbringt, dass die Mauer geradezu einlädt, an ihr zu verweilen und in den klägerischen Garten zu blicken, kann überdies nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass dies, da hinter der Mauer nicht unmittelbar eine Terrasse anschließt, nicht im vergleichbaren Umfang der Fall sein wird, wie bei den vom Kläger als vergleichbar herangezogenen Dachterrassen. Dachterrassen laden – zumindest bei schönem Wetter – zum täglichen Aufenthalt, ein einer Terrasse vorgelagertes Rasenstück im Regelfall nur zum gelegentlichen Verweilen ein. Auch vom Neubau selbst, der wie oben ausgeführt, die Abstandsflächen einhält, ergeben sich keine unzumutbaren Einblicke. Der Geländesprung, der insoweit das Grundstück des Klägers vorbelastet, führt nicht dazu, dass ausnahmsweise trotz Einhaltung der Abstandsflächen das Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird.
Auch soweit der Kläger vorbringt, dass das genehmigte Vorhaben einmauernd und erdrückend wirke, erkennt das Gericht hierin keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot. Nach der Rechtsprechung ist ein Vorhaben aus tatsächlichen Gründen in der Regel dann nicht als rücksichtslos bzw. „erdrückend“ anzusehen, wenn es mit seiner Lage und seinen Abmessungen die landesrechtlichen Abstandsvorschriften einhält (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – BayVBl. 1999, 568; BayVGH, B.v. 5.9.2016, a.a.O.), was für den Neubau – wie oben ausgeführt – der Fall ist. Es ist auch diesbezüglich nicht ausnahmsweise von einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme trotz Einhaltung der Abstandsflächen auszugehen. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls ist maßgeblich dafür, ob insbesondere dem Vorhaben abriegelnde, einmauernde bzw. erdrückende Wirkung zukommt (BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris – m.w.N.). Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B. v. 16.10.2012 – 15 ZB 11.1016 – juris). Eine erdrückende Wirkung könnte angenommen werden, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück derart unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für die Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die „schiere Größe des erdrückenden Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig“ ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine vom „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird. Dies ist im vorliegenden Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und insbesondere auch unter Berücksichtigung des Geländesprungs zum Grundstück des Klägers aber nicht der Fall. Das Vorhaben überschreitet in den Maßen insbesondere der Höhenentwicklung nicht den Rahmen, der durch die umgebende Bebauung in der G …straße, S …straße und W …straße vorhanden ist. Auch das Gebäude des Klägers weist lt. Beklagte eine vergleichbare Traufhöhe auf, zudem durch das aufgesetzte Satteldach eine größere Firsthöhe. Dass sich das Vorhaben mit Erdgeschoss und zwei Stockwerken hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfügt, ergibt sich auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Luftbilder nicht (Schreiben der Antragsgegnerin vom 18.08.2014 mit Anlageschreiben der Architekten vom 14.08.2014 und weiteren Anlagen). Eine rücksichtslose massive Bauweise weist das geplante Gebäude G …straße nicht auf. Hierzu trägt auch die zurückversetze Bebauung nach Norden hin im 2. Obergeschoss bei. Eine Grenzbebauung, wie sie bisher bestand, erfolgt nicht, so dass sogar von einer Verbesserung der Belichtungs- und Belüftungsverhältnisse auf dem Grundstück des Klägers auszugehen ist. Hinsichtlich der bestehenden Mauer gilt auch für die Frage der erdrückenden Wirkung, dass, selbst wenn man davon ausgeht, dass diese die Abstandsflächen nicht einhält, dies nicht automatisch zur Rücksichtslosigkeit führt. Auch insoweit sind wie oben ausgeführt die Vorbelastung des Grundstücks und die Gesamtumstände zu beachten. Die verbliebene Mauer war als Stützmauer und Bestandteil der Rückwand des Grenzgebäudes bereits Jahrzehnte vorhanden. Im Vergleich zur Situation mit Grenzgebäude stellt sich die aktuelle Situation auch im Hinblick auf die von Klägerseite vorgebrachte „erdrückende“ Wirkung als deutliche Verbesserung dar. Im Übrigen verdecken und stützen die unteren ca. 1,7 m der Mauer (die Stützmauer) ohnehin nur den auch ohne Bebauung vorhandenen Geländesprung, während mit den oberen 0,9 m ein Minimum an Umwehrung sichergestellt wird.
Das Vorhaben ist auch nicht hinsichtlich der Tiefgaragennutzung dem Kläger gegenüber rücksichtslos. Zum klägerischen Grundstück gewandt ist ausweislich des genehmigten Plans lediglich ein Kellerschacht (0,55 m x 1,15 m) vorgesehen. Dieser Lichtschacht dient der Belichtung und Querlüftung der Tiefgarage, die laut genehmigter Planunterlagen über eine natürliche Be- und Entlüftung verfügt. Inwiefern entgegen der Einschätzung der Fachstelle im Genehmigungsverfahren durch diesen Kellerschacht von geringfügiger Dimension unzumutbare Abgase, Lärm und insbesondere Quietschgeräusche von der Tiefgarage ausgehen sollen, erschließt sich schon aufgrund der Lage und Dimensionierung nicht. Zudem besteht eine Abschirmung durch die bestehende Mauer. Im Übrigen befindet sich der Schacht ca. 15 m von der süd-östlichen Ecke des Wohngebäudes des Klägers entfernt. Im näheren Umfeld des Kellerschachtes befindet sich lediglich der Garten, der nicht zum dauerhaften Wohnaufenthalt bestimmt ist.
Die Baugenehmigung verletzt ebenso keine drittschützende Norm des Denkmalschutzrechts. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG bedarf die Errichtung, Veränderung oder Beseitigung von Anlagen in der Nähe von Baudenkmälern einer Erlaubnis, wenn sich dies auf Bestand oder Erscheinungsbild eines der Baudenkmäler auswirken kann. Die Baugenehmigung umfasst gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. Art. 6 Abs. 3 BayDSchG diese denkmalschutzrechtliche Erlaubnis. Damit sind die denkmalschutzrechtlichen Belange vom Prüfprogramm der Baubehörde erfasst. Art. 6 BayDSchG kann Drittschutz vermitteln, weil der Eigentümer eines Baudenkmals durch die Errichtung eines Vorhabens in der Nähe seines Denkmals in der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt sein kann (BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 4 C 3/08 – BVerwGE 133, 347; BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 4). Dies ist jedoch nur der Fall, wenn sich die Errichtung des Vorhabens auf den Bestand oder das Erscheinungsbild des Baudenkmals erheblich auswirkt. Darüber hinaus lässt sich dem bayerischen Denkmalschutzgesetz jedoch kein allgemeiner Drittschutz zugunsten des Denkmaleigentümers entnehmen (BayVGH, U.v. 24.1.2013 – 2 BV 11.1631 – juris Rn. 21). Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG kann die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis versagt werden, soweit das Vorhaben zu einer Beeinträchtigung des Wesens, des überlieferten Erscheinungsbilds oder der künstlerischen Wirkung eines Baudenkmals führen würde und gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands sprechen. Bei dieser Beurteilung ist in erster Linie auf den Wissens- und Kenntnisstand sachverständiger Kreise abzustellen (BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 5; BayVGH B.v. 15.1.2002 – 14 ZB 00.3360 – juris). Während des Genehmigungsverfahrens wurden die Untere Denkmalschutzbehörde sowie das Landesamt für Denkmalpflege beteiligt und entsprechende Vorgaben in die Baupläne eingearbeitet. Anhaltspunkte für negative Auswirkungen auf das Gebäude des Klägers finden sich in den Ausführungen der Fachbehörden nicht. Soweit von Klägerseite vorgebracht wird, das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege habe mit Schreiben vom 4.3.2014 dem Vorhaben nicht zugestimmt, sondern es nur hingenommen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen könnte der Kläger daraus keinen Drittschutz ableiten, zum anderen bezog sich das Schreiben laut Betreff ohnehin auf die „Denkmal-AfA für die Sanierung des Bestandsgebäudes“ und die Formulierung ist die in diesem Zusammenhang übliche differenzierende Formulierung für die Frage der steuerlichen Abschreibung. Eine negative Auswirkung des Neubaus auf das Gebäude des Klägers kann dem Schreiben nicht entnommen werden. In der mündlichen Verhandlung führte ferner die Beklagte diesbezüglich zur Überzeugung des Gerichts aus, dass die Entwicklung durch das Bauvorhaben der Beigeladenen im Hinblick auf das Einzeldenkmal S …straße 19 a nicht negativ zu bewerten ist, weil die Blickbeziehungen nicht gestört werden. Die Einzeldenkmäler seien dort eindeutig zum öffentlichen Straßenraum hin orientiert und haben dort ihre Schaufassaden. Im rückwärtigen Bereich hin zum Grünraum seien sie hingegen deutlich reduziert. Das Ensemble würde durch den Neubau sogar gestärkt.
Eine Verletzung anderer, ebenfalls drittschützender Vorschriften ist weder ersichtlich noch vom Kläger hinreichend vorgetragen worden. Die Klage war daher abzuweisen.
Soweit das Verfahren einzustellen war, beruht die Kostenentscheidung auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren aus Gründen der Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und somit auch ein Prozesskostenrisiko getragen hat (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO). Der Klageabweisungsantrag der Beigeladenen bezog sich auch auf die mit Schriftsatz vom 24.8.2016 geänderte Klage.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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