Baurecht

Verpflichtung zur Erteilung eines Vorbescheids für ein Doppelhaus

Aktenzeichen  1 ZB 18.335

Datum:
19.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28958
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört, wobei der Bebauungszusammenhang regelmäßig am letzten Baukörper endet. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.1207 2017-11-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 23. November 2017 wird der Streitwert für das Klageverfahren auf 25.000 Euro festgesetzt. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung eines Doppelhauses auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung H …
Das Grundstück liegt östlich der S …straße in der Gemeinde H … und ist mit einem Wohngebäude bebaut. Nördlich und südlich grenzt entlang der Straße weitere Wohnbebauung an. Das Gelände steigt von der Straße aus nach Osten hin steil an. Östlich und nordöstlich schließen sich auf den Grundstücken FlNr. …, … und … großflächige, teils dicht bewachsene Freiflächen an. Mit Bescheid vom 22. Februar 2016 erteilte der Beklagte einen Vorbescheid mit Antworten auf die (zuletzt) gestellten Fragen. In Bezug auf die vorliegende Frage 4 wurde ausgeführt, dass die Verschiebung des Bauraumes – im Mittel um 3,0 m nach Osten – auf die imaginäre „hintere Baulinie“, die sich aus den Nachbargrundstücken S …straße … ergibt, nicht zulässig sei. Die daraufhin erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. November 2017 hinsichtlich der Frage 4 abgewiesen. Der Teilbebauungs- und Baulinienplan aus dem Jahr 1955 sei funktionslos geworden. Das Vorhaben würde sich mit der beantragten Bauraumverschiebung bzw. -erweiterung auf den Außenbereich erstrecken und öffentliche Belange beeinträchtigen.
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung, der nach seinem erkennbaren Rechtsschutzziel dahingehend auszulegen ist, dass er sich gegen die erstinstanzlich erfolgte Klageabweisung wendet, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt.
1. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall.
1.1 Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Vorhaben sich mit der beantragten Bauraumverschiebung bzw -erweiterung in den Außenbereich erstreckt. Die Zulassungsbegründung zeigt keine Umstände auf, die eine Zurechnung des geplanten gesamten Vorhabenstandorts zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB rechtfertigen könnten.
Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879).
Nach diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der im Rahmen einer Ortseinsicht getroffenen Feststellungen zu Recht davon ausgegangen, dass der Bebauungszusammenhang an der Ostwand des Bestandsgebäudes auf dem Vorhabengrundstück endet. Soweit das Zulassungsvorbringen eine imaginäre Baulinie zwischen den Anwesen S …straße … und … bzw. … annimmt, lässt es unberücksichtigt, dass die Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich nicht gradlinig verlaufen muss, sondern grundsätzlich auch vor- und zurückspringen kann (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1990 – 4 B 103.90 – BayVBl. 1991, 473). Das Verwaltungsgericht hat dementsprechend darauf abgestellt, dass das Gelände nicht nur von der Straße stark nach Osten ansteigt, sondern unmittelbar von der Ostwand des Bestandsgebäudes aus sehr steil ansteigt und die Bebauungstiefe der Gebäude auf den weiter nördlich befindlichen Grundstücken S …straße … im Hinblick auf die Topographie, insbesondere die Geländeneigung und das stark bewegte Geländerelief keine prägende Wirkung für das Vorhabengrundstück hat. Das Zulassungsvorbringen setzt dem vom Verwaltungsgericht im Rahmen seines Ortstermins gewonnenen Eindruck nur die eigene gegenteilige Betrachtung entgegen, ohne damit die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu erschüttern. Auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Bebauung auf Nachbargrundstücken genehmigt wurde, kommt es ungeachtet der fehlenden Darlegung einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation nicht an.
1.2 Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, das nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB zu beurteilende Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Das Vorhaben beeinträchtigt jedenfalls die öffentlichen Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinn des § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Ortseinsicht die Einschätzung der unteren Naturschutzbehörde bestätigt habe, wonach eine Verschiebung des Bauraums in die steile Hanglage eingreife und das sehr naturnah geprägte Gelände und das Landschaftsbild verändern würde. Das Zulassungsvorbringen erschöpft sich hierzu in dem Vortrag, dass östlich der S …straße jede Baumaßnahme einen Eingriff in die Hanglage mit sich bringe und dies in der Vergangenheit kein Hindernis für eine massive Bebauung gewesen sei. Es lässt dabei unberücksichtigt, dass die konkreten Verhältnisse auf dem Vorhabengrundstück in den Blick zu nehmen sind. Das Zulassungsvorbringen vermag aber auch keine Zweifel an der Lage des Vorhabengrundstücks im Landschaftsschutzgebiet „… aufzuzeigen, denn es lässt die Regelungssystematik der Schutzverordnung außer Acht. In § 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung des Landkreises S … über die Inschutznahme … wird der generelle Bereich des Schutzgebiets definiert. Aus diesem Schutzbereich werden anschließend die in § 1 Abs. 3 der Verordnung genannten Gebiete ausgenommen. Soweit die Klägerin weiter ausführt, dass diese Schutzverordnung durch die Verordnung „Landschaftsschutzgebiet A …“ vom 1. Oktober 1997 ersetzt worden sei und nach § 6 dieser Verordnung die bei Inkrafttreten bebauten Grundstücke von den Beschränkungen der Landschaftsgebietsverordnung ausgenommen seien, lässt sie bereits unberücksichtigt, dass sich der Geltungsbereich der vom Landkreis L … … … erlassenen Verordnung auf dessen Landkreis beschränkt.
Da bei der Frage, ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ausreicht (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000, 1171), kommt es nicht darauf an, ob das Vorhaben sich als eine siedlungsstrukturell zu missbilligende, nicht geordnete Ausweitung eines in Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) darstellt.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Es fehlt bereits an einer Darlegung dieses Zulassungsgrunds (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), der in der Zulassungsbegründung eingangs erwähnt, aber nicht ausgeführt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.1.1.2 und 9.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013). Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war die Klärung wesentlicher bauplanungsrechtlicher Fragen zur Zulässigkeit des Bauvorhabens, so dass im erstinstanzlichen Verfahren eine Reduzierung des Streitwerts nach Nr. 9.2 des Streitwertkatalogs auf einen Bruchteil des sich aus Nr. 9.1.1.2 ergebenden Streitwerts nicht angezeigt ist. Die Abänderungsbefugnis für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG. Für das Zulassungsverfahren erscheint aufgrund des auf Frage 4 des Vorbescheids beschränkten Streitgegenstands die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe von 12.500 Euro als angemessen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben