Baurecht

Verpflichtungsklage, bauaufsichtliches Einschreiten, Carport, Abstandsflächen

Aktenzeichen  W 5 K 19.1354

Datum:
25.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48627
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5
BayBO Art. 76 S. 1
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen den auf dem Baugrundstück errichteten Carport der Beigeladenen ist unbegründet. Den Klägern steht kein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten – hier in Form einer Baubeseitigungsanordnung bezüglich des Carports – zu. Der Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 13. September 2019, mit dem der Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.
Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die Entscheidung nach dieser Vorschrift steht im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Ein Dritter hat daher keinen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, sondern nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert zum einen, dass die Antragsteller durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt sind (Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 133. EL April 2019, Art. 76 Rn. 487), zum anderen, dass das Ermessen des Antragsgegners auf Null reduziert ist (Decker in Simon/Busse, a.a.O., Art. 76 Rn. 486). Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf Einschreiten ist dem Dritten bzw. dem Nachbarn nur dann zuzubilligen, wenn eine Störung des Nachbarn in subjektiven Rechten von solchem Ausmaß und solcher Schwere vorliegt, dass jede andere Entscheidung als ein Einschreiten zu Gunsten des Nachbarn ermessensfehlerhaft wäre. Dafür sind Ausmaß und Schwere der Störung oder Gefährdung der Rechtsgüter des Nachbarn maßgebend (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2002 – 1 ZB 01.2759 – juris mit Hinweis auf BayVerfGH, E.v. 3.12.1993 – Vf. 108-VI-92 – juris).
2.
Im vorliegenden Fall können die Kläger die begehrte Baubeseitigung nicht mit Erfolg beanspruchen. Denn das Vorhaben – in seiner konkret erfolgten Bauausführung – unterfällt der Privilegierung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO, ist damit nicht abstandsflächenpflichtig und verletzt die Kläger nicht in ihren Nachbarrechten. Hierzu hat die Kammer im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes (W 5 E 19.1317) mit Beschluss vom 17. Oktober 2019 ausgeführt:
„Gemäß Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden, zulässig Garagen einschließlich deren Nebenräume, überdachte Tiefgaragenzufahrten, Aufzüge zu Tiefgaragen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3,00 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9,00 m, bei einer Länge der Grundstücksgrenze von mehr als 42 m darüber hinaus freistehende Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3,00 m, nicht mehr als 50 m³ Brutto-Rauminhalt und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 5 m; abweichend von Abs. 4 bleibt bei einer Dachneigung bis zu 70 Grad die Höhe von Dächern und Giebelflächen unberücksichtigt.
Der Carport als offene Garage hält – was von der Antragstellerseite nicht in Abrede gestellt wird – sowohl die höchstzulässige Länge von 9,00 m sowie die mittlere Wandhöhe von maximal 3,00 m ein. Die Länge wird, wie im Abstandsflächenrecht üblich, entlang der der Grundstücksgrenze gegenüberliegenden – hier fiktiven – Außenwand des Carports gemessen (Dhom/Franz/Rauscher in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 133. EL, Stand: April 2019, Art. 6 Rn. 562 und 566). Dabei haben nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO die Länge des Wohnhauses und sonstiger nicht privilegierter Anlagen unberücksichtigt zu bleiben. Vor diesem Hintergrund wird auch die gemäß Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO maximal zulässige Länge von 15 m durch die die Abstandsflächentiefe gegenüber der Grundstücksgrenze der Antragsteller nicht einhaltende Bebauung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayBO gewahrt.
Die Privilegierung nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO entfällt auch nicht durch die bauliche Verbindung des Carports mit dem Hauptgebäude der Beigeladenen. Die in Art. 7 Abs. 4 Satz 3 BayBO 1998 noch ausdrücklich enthaltene Anforderung, dass die Verbindung der nach Art. 7 Abs. 4 Satz 1 BayBO zulässigen Grenzbebauung mit einem Hauptgebäude zulässig ist, soweit dieses Gebäude für sich betrachtet die auf es selbst treffenden Abstandflächen einhält, ist – verklausuliert – in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO 2008 aufgegangen. Danach sind die dort aufgezählten Vorhaben, damit auch Garagen, in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden. Der Bezugnahme auf die Abstandsflächen eines (Haupt-)Gebäudes ist zu entnehmen, dass dieses selbst auch im Fall des Anbaus einer Garage „in dessen Abstandsflächen“ die eigenen Abstandsflächen einhalten muss, wenn das privilegierte Grenzgebäude an Ort und Stelle die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO erfüllen soll (BayVGH, B.v. 5.11.2015 – 15 B 15.1371 – juris; vgl. auch Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 133. EL, Stand: April 2019, Art. 6 Rn. 543; Molodovsky/Waldmann in Molodovsky/Famers/Wald-mann, Bayerische Bauordnung, 122. EL November 2016, Art. 6 Rn. 262 m.w.N.). Nach dem am 11. Oktober 2019 durchgeführten Aufmaß spricht alles dafür, dass das Hauptgebäude die bauplanungsrechtlich festgelegte Abstandsfläche von 2,50 m (vgl. hierzu die Ziffer 11 der Allgemeinen Auflagen der Baugenehmigung vom 30.04.1959) im hier maßgeblichen Anbaubereich einhält. Im Rahmen der Baukontrolle wurde nämlich festgestellt, dass im Bereich des angebauten Carports der Grenzabstand zwischen der östlichen Außenwand des Hauptgebäudes und der gemeinsamen Grundstücksgrenze zwischen 2,80 m und 2,92 m beträgt. Damit führt der – im Übrigen abgesehen von den Stützpfeilern offen gestaltete Carport – gerade nicht zu einer relevanten Verschärfung der im weiteren Verlauf der östlichen Außenwand möglicherweise bestehenden Abstandsflächenproblematik (vgl. hierzu die Ergebnisse des gerichtlichen Augenscheins im Verfahren W 5 K 18.715).“
Das Vorbringen der Kläger in der mündlichen Verhandlung ist nicht geeignet, abweichend davon einen Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften aufzuzeigen. Soweit der Klägerbevollmächtigte eine unzureichende Aufmaßung hinsichtlich der Höhe des Hauptgebäudes der Beigeladenen beanstandet und dabei die Annahme vertreten hat, das Hauptgebäude der Beigeladenen weise eine Höhe von ca. 6,50 m auf und halte die Abstandsflächen aufgrund einer von der Baugenehmigung aus dem Jahr 1959 abweichenden Bauausführung des Hauptgebäudes der Beigeladenen nicht ein, vermag dies der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Gegen die gerügte Abstandsflächenrechtsverletzung des Hauptgebäudes der Beigeladenen spricht – in Bezug auf die gesamte Länge der östlichen Außenwand des Hauptgebäudes – bereits, dass die zum Zeitpunkt der Genehmigung des Hauptgebäudes der Beigeladenen gültige Fassung der Bayerischen Bauordnung von 1901 gar keine Abstandsflächenregelung vorgesehen hat, geschweige denn, dass ausweislich einer solchen Regelung die Tiefe der Abstandsfläche in Relation zur von Klägerseite beanstandeten Gebäudehöhe zu bemessen wäre. Ein entsprechender Regelungsinhalt findet sich erst in den Abstandsflächenvorschriften, die die Bayerische Bauordnung erstmals in ihrer Fassung vom 1. August 1962 enthält (vgl. Art. 6 BayBO 1962). In der Baugenehmigung vom 30. April 1959 wird dementsprechend lediglich bestimmt, dass der Neubau genau auf die im Plan mit roter Tinte eingezeichnete Fläche – Baulinie – zu setzen ist (vgl. hierzu insbesondere § 1 BayBO 1901) und zur Wahrung eines freien Lichteinfalls an der Nachbarseite sowie zur Vermeidung einer engen Reihe (Gang/Winkel) nach § 49 BayBO 1901 mit dem Neubau ein Abstand von 2,50 m von der Grenze des Nachbarn einzuhalten hat. Der Abstand von 2,50 m entspricht ferner der Vorgabe von Ziffer 3 a) (1) der baupolizeilichen Richtlinien für bäuerliche Siedlungsbauten (abgedruckt in: Englert/Mang, Bayerische Bauordnung, 11. Aufl. 1957, Anhang 52). Damit sind aber keine Regelungen angesprochen, aufgrund derer ein Verstoß des Hauptgebäudes der Beigeladenen gegen Vorschriften des Abstandsflächenrechts verbunden sein könnte, weshalb eine etwaige Verletzung des Grenzabstands von 2,50 m einer Privilegierung des Carports nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO nicht entgegensteht. Im Übrigen ist – wie vorerwähnt – speziell im Anbaubereich des Carports der Grenzabstand von 2,50 m gewahrt und es lässt sich darüber hinaus nicht ausmachen, dass der Carport – selbst wenn dieser Abstand im weiteren Verlauf der östlichen Außenwand teilweise geringfügig unterschritten wäre – in seiner konkreten Ausgestaltung zu einer relevanten Verschärfung der abstandsflächenrelevanten Situation führen kann.
Soweit die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass aufgrund der Aufschüttung und der errichteten Terrasse ein Abstandsverstoß im hinteren Bereich des Grundstücks entstehe, ist dies für die vorliegend relevante Frage der abstandsflächenrechtlichen Privilegierung des Carports nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO ohne Bedeutung. So finden diese Anlagen keinen Eingang in die Bemessung der maximal zulässigen Gesamtlänge des Carports von 9 m (Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO) oder der maximal zulässigen Länge von 15 m, welche die durch Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayBO privilegierte Grenzbebauung insgesamt einzuhalten hat (Art. 6 Abs. 9 Satz 2 BayBO). Zudem hat die Kammer bereits im Urteil vom 21. November 2019 zu der Streitsache W 5 K 18.715 ausgeführt, dass von der Aufschüttung und der Terrasse im rückwärtigen Bereich des Baugrundstücks keine Abstandsflächen ausgehen (vgl. S. 12 des Urteils).
Damit steht das Bauvorhaben der Beigeladenen nicht in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne von Art. 76 Satz 1 BayBO. Es kann damit offenbleiben, ob sich darüber hinaus aus der Baugenehmigung vom 21. Dezember 1991 (BG-1191-27117), wonach im hier maßgeblichen Bereich zwischen dem Wohngebäude der Beigeladenen und der um ca. 0,50 m versetzten, gemeinsamen Grundstücksgrenze ein überdachter PKW-Stellplatz vom Landratsamt W. genehmigt worden ist, Rechtswirkungen in Bezug auf den nunmehr vorgesehenen Carport ableiten lassen.
3.
Im Ergebnis scheidet der geltend gemachte Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen das Vorhaben der Beigeladenen mangels eines Verstoßes gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften aus. Gleiches gilt für den darin enthaltenen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neuverbescheidung, so dass es auf die Frage einer ordnungsgemäßen Ermessensentscheidung der Bauaufsichtsbehörde nicht ankommt.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladene sich durch Antragstellung ihres Bevollmächtigten am Kostenrisiko beteiligt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.


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