Baurecht

vorläufiger Rechtsschutz, Drittanfechtungsklage eines Nachbarn, beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis, Aufstauen und Umleiten von Grundwasser durch Bauvorhaben, wasserrechtliches Rücksichtnahmegebot

Aktenzeichen  8 CS 21.2166

Datum:
9.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34506
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§ 80a, 80 Abs. 5, 114, 146
WHG §§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 2 Nr. 1, 13 Abs. 1
BayWG Art. 15

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 2 S 21.2866 2021-08-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Eilverfahren als Grundstücksnachbarin gegen die sofortige Vollziehung eine der Beigeladenen erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis.
1. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … Gemarkung M* … (S* … straße *), das mit einem Hotelgebäude bebaut ist. Die Beigeladene ist Eigentümerin der nördlich angrenzenden Grundstücke FlNr. … und … (S* … straße, **). Die Grundstücke liegen im dicht bebauten Zentrum im Stadtgebiet der Antragsgegnerin.
2. Der Gebäudebestand auf den Grundstücken der Beigeladenen (ebenfalls ein Hotelgebäude) war baurechtlich genehmigt; die Antragsgegnerin kann die Bauakten aus den 1970er-Jahren aber nicht (mehr) auffinden. Nach der früheren Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin führte sie neben einem Baugenehmigungsverfahren kein gesondertes wasserrechtliches Verfahren durch. Ob im Rahmen der früheren Baugenehmigung für die Grundstücke FlNr. … und … wasserrechtliche Belange geprüft wurden, ist unklar. Auf der 1. Teilbaugenehmigung für die Baugrubenumschließung [Schlitzwände einschließlich Berliner Verbau] vom 7. Dezember 1970 für das Grundstück FlNr. … (S* … straße *; vgl. VG-Akte S. 295) sowie auf der Baugenehmigung vom 27. Mai 1971 betreffend FlNr. … (VG-Akte S. 296) ist Folgendes vermerkt:
„Wasserrechtliche Erlaubnis*:
Falls durch die Bauarbeiten (Fundamentaushub u.ä.) der Grundwasserspiegel angeschnitten werden sollte, wird hiermit die beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis gemäß §§ 2, 3 Abs. 1 Ziff. 6 und § 7 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie Art. 17 des Bayer. Wassergesetzes widerruflich erteilt. Dabei ist zu beachten, dass eine Verunreinigung des Grundwassers, insbesondere durch Baumaschinen, Öl, Benzin und dergleichen unbedingt zu vermeiden ist.
Die Beseitigung der Abwässer und die Einleitung gesammelter Niederschlagswässer in das Grundwasser bleiben einem gesonderten Verfahren vorbehalten (§§ 2, 3 Abs. 1 Ziff. 5 Bayer. Wassergesetz und § 7 Bayer. Wasserhaushaltsgesetz).“
3. Die Beigeladene plant ein Vorhaben zum Bau eines mehrstöckigen Hotelgebäudes auf den Grundstücken FlNr. … und … Der dortige Gebäudebestand wurde zurückgebaut; erhalten blieben die wohl im Jahr 1971 errichteten Betonschlitzwände, die bis in den gering durchlässigen tertiären Boden hineinreichen und zur Herstellung einer dichten Baugrube verwendet werden sollen. Vorhandene Lücken zu den auf den Nachbargrundstücken im Norden/Nordosten im Jahr 1979 errichteten Schlitzwänden (B* …str. …, Z* …str. *) sollen im Westen und Osten der Grundstücke der Beigeladenen mit Bohrpfahlwänden geschlossen werden, sodass ein gemeinsamer Baukörper entsteht, der den Grundwasserstrom über seine gesamte Breite beeinflusst.
Das Vorhaben wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 7. Oktober 2019 baurechtlich genehmigt. Über die hiergegen von der Antragstellerin erhobenen Klage (Az. M 8 K 19.5465) hat das Verwaltungsgericht München noch nicht entschieden.
4. Mit Bescheid vom 10. Mai 2021 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die beschränkte Erlaubnis nach Art. 15 BayWG, im Zusammenhang mit dem baurechtlich genehmigten Neubau eines Hotelgebäudes auf den Grundstücken FlNr. … und … während der Bauzeit Grundwasser zu entnehmen, zutage zu fördern, zutage zuleiten und abzuleiten (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 WHG), Grundwasser aufzustauen, abzusenken und umzuleiten (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 WHG) und Stoffe sowie Injektionen in den Untergrund einzubringen (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Abs. 2 Nr. 2 WHG, vgl. Ziff. I). Die sofortige Vollziehung der Ziffer I. wurde angeordnet (Ziff. II). Die Erlaubnis ist unter Nebenbestimmungen erteilt (Ziff. IV). Um einen Grundwasseraufstau durch das Bauvorhaben zu verringern, sind Grundwasserüberleitungen zu erstellen (Ziff. IV 3.3 bis 3.5 i.V.m. Tektur vom 6.5.2021). Das entlang der S* … straße anströmende Grundwasser soll nach drei Kernbohrungen durch die Bohrpfahlwände über Rohrleitungen (100 mm) unterhalb der Bodenplatte des Neubaus ostwärts (Gefälle 1%) abgeleitet werden.
Zu der von der Antragstellerin gerügten Verletzung des wasserrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme stellt die Begründung des Bescheids fest, dass der errechnete Aufstau aus wasserwirtschaftlicher Sicht zu keinen nachteiligen Beeinträchtigungen der benachbarten Anwesen führe (vgl. dort S. 9 f.). Der maximale Aufstau im Bereich der S* … straße * liege bei ca. 11 cm; er werde durch die bestehende Schlitzwand und nicht durch die neu geplanten Bohrpfahlwände verursacht (vgl. dort S. 10, 18).
5. Die Antragstellerin hat beim Verwaltungsgericht München am 27. Mai 2021 Klage gegen den Bescheid erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Am 31. Mai 2021 hat sie beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederherzustellen.
6. Das Verwaltungsgericht München hat mit Beschluss vom 4. August 2021 die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27. Mai 2021 (Az. M 2 K 21.2865) gegen den Bescheid vom 10. Mai 2021 wiederhergestellt. Der Bescheid verletze die Antragstellerin voraussichtlich in deren Rechten. Die Antragsgegnerin habe bei ihrer Prognose nachteiliger Wirkungen auf ihr Grundstück die bisherige Aufstauung von 11 cm durch die seit den 1970er Jahren vorhandene Betonschlitzwand ermessensfehlerhaft ausgeblendet. Deren baurechtliche und ggf. wasserrechtliche Genehmigung habe sich durch den Abriss der von ihr rechtlich nicht abtrennbaren Gebäude erledigt. Die Beigeladene sei deshalb so zu behandeln, als würde sie die Betonschlitzwand neu errichten. Selbst wenn man von offenen Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Drittanfechtungsklage ausginge, fiele die Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Die Auswirkungen einer längeren Bauzeit auf die Verkehrssituation in der S* … straße seien nicht besonders gravierend; finanzielle Nachteile bei der Beigeladenen stellten kein anzuerkennendes Interesse für den Sofortvollzug dar.
7. Am 17. August 2021 haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils Beschwerde erhoben. Sie beantragen,
den Antrag der Antragstellerin unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 4. August 2021 abzulehnen.
8. Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
9. Unter dem 16. August 2021 ließ die Beigeladene ein hydrogeologisches Gutachten für einen neuen Antrag erstellen. Durch Herstellung zweier weiterer Grundwasserüberleitungen zwischen der südlichen Schlitzwand und der östlichen Bohrpfahlwand soll der maximale Grundwasseraufstau im Bereich S* … straße * von 11 cm auf 3,8 cm reduziert werden; eine Reduzierung „auf null“ sei technisch unmöglich.
Die Antragstellerin erhielt die Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Zudem wurde ihr nachträglich die Gelegenheit zur Äußerung zum Tekturantrag vom 6. Mai 2021 gegeben.
10. Die Antragsgegnerin hat ihre Ermessenserwägungen mit Schriftsatz vom 2. September 2021 (hilfsweise) ergänzt. Der durch die Schlitzwand verursachte Grundwasseraufstau von 11 cm sei wasserwirtschaftlich hinnehmbar. Die Schlitzwand sei bautechnisch ohne Entfernung der Außenwand des Nachbargebäudes nicht zu beseitigen. Schäden, die infolge eines Grundwasserhöchststands einträten, seien „Bauherrnrisiko“; die Antragstellerin hätte ihr Gebäude wasserdicht bauen müssen.
11. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des umfangreichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg.
Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2021 im Ergebnis (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2020 – 8 CS 20.1973 – ZfB 2021, 34 = juris Rn. 10; B.v. 21.5.2003 – 1 CS 03.60 – NVwZ 2004, 251 = juris Rn. 16) zu Recht wiederhergestellt.
A. Der Antrag der Antragstellerin ist nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
1. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Sie behauptet, durch die angegriffene wasserrechtliche Erlaubnis in ihren Rechten verletzt zu sein. Da sie nicht Adressatin des angefochtenen Bescheids ist, setzt dies voraus, dass sie die Verletzung einer Vorschrift geltend macht, die sie als Dritte zu schützen bestimmt ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 35.07 – BVerwGE 132,64 = juris Rn. 14). Die Antragstellerin beruft sich auf eine Verletzung des wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots. Sie befürchtet, dass die der Beigeladenen erlaubte Gewässerbenutzung (Aufstau von Grundwasser) die Bausubstanz ihres angrenzenden Nachbargebäudes schädigt. Solche Auswirkungen sind nicht von vornherein ausgeschlossen; ob sie tatsächlich – was die Beschwerdeführer bestreiten – eintreten, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrags (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2018 – 3 C 18.16 – BVerwGE 162, 135 – juris Rn. 24; B.v. 26.3.2007 – 7 B 75.06 – juris Rn. 6).
2. Die Antragstellerin hat ihr Klagerecht auch nicht verwirkt.
Die Verwirkung ist ein Hauptanwendungsfall des aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Verbots widersprüchlichen Verhaltens. Sie bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, weil seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts unter Berücksichtigung des beim Verpflichteten oder bei einem Dritten daraus erwachsenden Vertrauens als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Seit der Entstehung des Rechts und der Möglichkeit seiner Geltendmachung muss längere Zeit verstrichen sein (Zeitmoment) und der Berechtigte muss unter Verhältnissen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment). Erst hierdurch wird die Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (Vertrauensmoment). Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment sind nicht präzise voneinander zu trennen. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (vgl. BVerwG, B.v. 15.1.2020 – 2 B 38.19 – IÖD 2020, 103 = juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 30.6.2021 – 8 B 20.1833 – juris Rn. 26).
Das Verwaltungsgericht hat das Umstandsmoment im Hinblick auf die Unklarheiten über die Genehmigungslage der bestehenden Schlitzwand und deren tatsächlichen Verlauf verneint (vgl. UA Rn. 42). Die Beschwerden setzen dem nichts Substanzielles entgegen. Dass die Antragstellerin die Schlitzwand bemerkt haben mag, kann eine positive Kenntnis von der Genehmigungslage und der – erst im Rahmen des wasserrechtlichen Antrags der Beigeladenen – näher erkundeten Lage im Boden nicht ersetzen. Dem Senat erschließt sich auch nicht, weshalb es sich der Antragstellerin früher hätte aufdrängen müssen, die Frage der Genehmigung der Schlitzwand aufzuklären (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2018 – 2 C 10.17 – BVerwGE 163, 36 = juris Rn. 26).
B. Der Antrag ist auch begründet.
In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann (vgl. BVerwG, B.v. 16.9.2014 – 7 VR 1.14 – NVwZ 2015, 82 = juris Rn. 10). Bei offenen Erfolgsaussichten findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BVerwG, B.v. 14.4.2005 – 4 VR 1005.04 – BVerwGE 123, 241 = juris Rn. 12).
Nach diesem Maßstab überwiegt das Interesse der Antragstellerin, weil sie der in der Hauptsache mit ihrer (Dritt-)Anfechtungsklage angegriffene Bescheid vom 10. Mai 2021 voraussichtlich in subjektiven Rechten verletzt. Die Entscheidung, der Beigeladenen für ihr Vorhaben eine beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis zu erteilen (vgl. § 12 Abs. 2 WHG, Art. 15 Abs. 1 BayWG), erging unter Verletzung des Anspruchs der Antragstellerin auf ermessensgerechte – d.h. insbesondere rücksichtnehmende – Beachtung und Würdigung ihrer Belange. Auf die objektive Rechtmäßigkeit des Bescheids kommt es dagegen nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2011 – 6 C 2.10 – NVwZ 2011, 613 = juris Rn. 32; BayVGH, B.v. 17.5.2018 – 8 ZB 16.1977 – juris Rn. 26).
1. Aus dem in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 13 Abs. 1 WHG verankerten wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebot folgt, dass bei allen wasserrechtlichen Gestattungen, somit auch bei der beschränkten Erlaubnis nach Art. 15 BayWG (vgl. Knopp in Sieder/Zeitler, BayWG, Stand Februar 2019, Art. 15 Rn. 18 ff.), im Rahmen der Ermessensbetätigung Belange Dritter einzubeziehen sind, deren rechtlich geschützte Interessen von der beantragten Gewässerbenutzung in individualisierter und qualifizierter Weise betroffen werden. Diesen Dritten steht ein Anspruch auf ermessensgerechte – d.h. insbesondere rücksichtnehmende – Beachtung und Würdigung ihrer Belange mit dem ihnen objektiv zustehenden Gewicht zu (vgl. BVerwG, B.v. 6.9.2004 – 7 B 62.04 – ZfW 2005, 227 = juris Rn. 10; U.v. 15.7.1987 – 4 C 56.83 – BVerwGE 78, 40 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 8 ZB 21.1100 – juris Rn. 11).
Die Beantwortung der Frage, ob eine qualifizierte Beeinträchtigung eines Drittbetroffenen vorliegt, erfordert – wie beim baurechtlichen Rücksichtnahmegebot – eine gerechte Abwägung der sich gegenüberstehenden Belange. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme zu Gute kommen soll, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge jeweils zuzumuten ist (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.2001 – 4 B 80.01 – BauR 2002, 1359 = juris Rn. 4; BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1587 – KommJur 2021, 272 = juris Rn. 38; B.v. 11.2.2020 – 8 ZB 19.1481 – ZfW 2020, 134 = juris Rn. 12).
2. Die Abwägung der Belange der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin in dem angegriffenen Bescheid vom 10. Mai 2021 leidet an einem Rechtsfehler, weil die Auswirkungen des Aufstaus von Grundwasser durch die seit 1971 auf den Grundstücken der Beigeladenen vorhandenen Schlitzwände, die in deren Neuvorhaben eingebunden sind, auf das Grundstück der Antragstellerin unzureichend berücksichtigt wurden.
a) Die seit den 1970er-Jahren bestehenden Schlitzwände auf den Grundstücken der Beigeladenen sind Gegenstand der wasserrechtlichen Erlaubnis vom 10. Mai 2021.
Mit dem Bescheid wurde der Beigeladenen u.a. erlaubt, das Grundwasser durch Anlagen, die hierfür bestimmt oder geeignet sind, aufzustauen und umzuleiten (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 WHG). Einer solchen wasserrechtlichen Erlaubnis kommt wegen des tatbestandlichen Merkmals der „Anlage“, ohne die Art und Maß der Gewässerbenutzung (vgl. § 10 Abs. 1 WHG) schwer zu konkretisieren sind, ausnahmsweise der Charakter einer Anlagengenehmigung zu (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, 12. Aufl. 2019, § 9 Rn. 76 m.w.N.). Die zum Zweck der Lückenschließung und Herstellung einer dichten Baugrube (vgl. Gutachten … vom 27.1.2021 S. 13 f. und Anlage 5; Tektur vom 6.5.2021 S. 3) neu geplanten Bohrpfahlwände sollen – ebenso wie die vorhandenen Schlitzwände – bis in die gering durchlässigen tertiären Böden hineinreichen. Damit entsteht ein gemeinsamer Baukörper, der den Grundwasserstrom über seine gesamte Breite beeinflusst (vgl. Gutachten … vom 27.1.2021 S. 14; Tektur vom 6.5.2021 S. 3).
Dieser gemeinsame Baukörper bildet eine neue Gesamtanlage („aliud“). Dementsprechend hat die Antragsgegnerin – in formeller Hinsicht – das wasserrechtliche Verfahren neu aufgerollt und eine einheitliche neue Erlaubnis für die Gesamtanlage (Neu- und Altbestand) – d.h. nicht nur eine ggf. zusätzliche Teilerlaubnis für die neu eingebrachten Anlagenteile (v.a. Bohrpfahlwände, vgl. zur Abgrenzung auch Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, Stand September 2020, § 8 WHG Rn. 42; Czychowski/Reinhardt, WHG, § 8 Rn. 50) – erteilt. Dies ist sachgerecht, weil die neu entstehende Gesamtanlage wasserrechtliche Belange (v.a. Aufstauwirkung) neu aufwirft (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.1996 – 11 C 9.95 – BVerwGE 101, 347 = juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 22 CS 18.2572 – ZUR 2019, 491 = juris Rn. 45 ff.: B.v. 23.10.2019 – 15 ZB 18.1275 – juris Rn. 12 ff.).
b) Der Bescheid enthält keine Abwägung dazu, ob der Antragstellerin (als Rücksichtnahmebegünstigte) der Aufstau durch die Bestandschlitzwand von 11 cm (weiterhin) zuzumuten ist, noch, ob es der Beigeladenen (als Rücksichtnahmeverpflichtete) zuzumuten ist, Maßnahmen zur Verringerung des Aufstaus zu treffen.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Antragsgegnerin bei der Abwägung der sich gegenüberstehenden Belange der Beteiligten im Rahmen der Prüfung einer Verletzung des wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots pauschal unterstellt hat, dass der seit den 1970er Jahren andauernde, von der Bestandsschlitzwand ausgehende Aufstau von 11 cm der Antragstellerin ohne Weiteres zuzumuten sei (vgl. Bescheid vom 10.5.2021 S. 10, 18). Der angegriffene Bescheid stützt sich dabei auf die fachliche Einschätzung des Wasserwirtschaftsamts, das die Auswirkungen des Vorhabens auf die Nachbarschaft an der von den Betonschlitzwänden beeinflussten „Bestandssituation“ gemessen hat (vgl. WWA, Gutachten vom 12.4.2021 S. 5).
Dem Beschwerdevorbringen, die Antragsgegnerin habe bei ihrer Ermessensbetätigung nicht aus der schieren Existenz der Nutzung auf deren rechtliche Irrelevanz geschlossen, sondern die Auswirkungen der Bestandsschlitzwand auf das Anwesen der Antragstellerin detailliert in ihr Ermessen eingestellt (vgl. Schriftsatz der Beigeladenen vom 30.8.2021 S. 8 f. und der Antragsgegnerin vom 2.9.2021 S. 12), kann nicht gefolgt werden. Insbesondere fehlt jede Auseinandersetzung mit der Frage, ob der bestehende Grundwasseraufstau von 11 cm – insbesondere auch im Hinblick auf das zwischen den Beteiligten streitige Ausmaß des Grundwasseranstiegs in den letzten Jahrzehnten – (weiterhin) zumutbar und damit erlaubnisfähig ist (vgl. auch Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG). Der Bescheid lässt insoweit keine Abwägung der widerstreitenden Belange durch die Wasserrechtsbehörde erkennen, sondern erschöpft sich in der Feststellung, dass „der errechnete Aufstau aus wasserwirtschaftlicher Sicht zu keinen nachteiligen Beeinträchtigungen der benachbarten Anwesen führt“ (vgl. dort S. 9). Dass ein Grundwasseraufstau von 11 cm aus wasserwirtschaftlicher Sicht objektiv hinnehmbar sein mag, kann die Abwägung schutzwürdiger nachbarlicher Belange nicht ersetzen; hierauf hat das Wasserwirtschaftsamt nach Bescheiderlass zu Recht hingewiesen (vgl. WWA, E-Mail vom 18.6.2021, Anlage AG 2). Auch zu der Frage, ob es der Beigeladenen zumutbar ist, etwaige Maßnahmen zur Verringerung des Aufstaus zu treffen (wie in dem neuen Gutachten des Fachbeistands der Beigeladenen vom 16.8.2021 dargestellt), enthält der angegriffene Bescheid keinerlei Erwägungen.
Auch den Behördenakten lassen sich keine Anhaltspunkte zur Frage der Zumutbarkeit des Aufstaus durch die bestehende, vom Neubauvorhaben eingebundenen Schlitzwände entnehmen. Im Gegenteil hat die Antragsgegnerin erst am 14. Juni 2021 – d.h. nach Bescheiderlass – das Wasserwirtschaftsamt gebeten, zu der Frage, ob der „Aufstau an der Schlitzwand jetzt so erlaubnisfähig wäre, um eine „Einschätzung und ausführliche fachliche Stellungnahme gebeten“ (vgl. E-Mail vom 14.6.2021, Anlage AG 2, S. 276 VG-Akte). Zumindest bis dahin hat sie die Auffassung vertreten, der bisherige Aufstau von 11 cm sei irrelevant, weil er der „tatsächliche Zustand“ sei, der sich nicht verschlechtere (vgl. Schriftsatz vom 4.6.2021 an das VG S. 4).
c) Die Zugrundelegung des bestehenden Aufstaus von 11 cm als „tatsächlicher Zustand“ erweist sich in der Sache als ermessensfehlerhaft.
Die Betonschlitzwände waren nicht wasserrechtlich genehmigt, sodass sie bei der Interessenabwägung nicht ohne Weiteres als „legale Vorbelastung“ berücksichtigt werden können (vgl. BVerwG, B.v. 7.4.2016 – 4 B 37.15 u.a. – BauR 2016, 1285 = juris Rn. 1; U.v. 22.6.1990 – 4 C 6.87 – NVwZ 1991, 64 = juris Rn. 29). Eine gesonderte wasserrechtliche Erlaubnis, die hierfür nötig war und ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.3.2020 – 1 ZB 18.2516 – W+B 2020, 116 = juris Rn. 5; Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 9 WHG Rn. 79; zum Erfordernis einer gesonderten wasserrechtlichen Erlaubnis neben der Baugenehmigung nach der in den 70iger Jahren geltenden Bestimmung des Art. 91 BayBO 1962 vgl. auch Mang/Simon, BayBO, Band I, Stand 1.2.1981, Art. 91 Rn. 16, 16b), wurde unstreitig nicht erteilt. Eine solche ist auch nicht erkennbar gemeinsam mit der Baugenehmigung des früheren Gebäudebestands erteilt worden. Der Zusatz auf der 1. Teilbaugenehmigung vom 7. Dezember 1970 (vgl. oben Rn. 4 ff.) regelt – wie auch die Baugenehmigung vom 27. Mai 1971 betreffend FlNr. … (vgl. VG-Akte S. 296) – nach seinem objektiven Erklärungswert nur eine vorübergehende Gewässerbenutzung während der Bauphase (Fundamentaushub u.ä.), nicht aber die dauerhafte Einbringung einer grundwassersperrenden Schlitzwand. In diesem Sinn regelte der in der (Teil-)Baugenehmigung in Bezug genommene § 3 Abs. 1 Nr. 6 WHG 1957 lediglich das „Entnehmen, Zutagefördern, Zutageleiten und Ableiten von Grundwasser“; der hier relevante Benutzungstatbestand betreffend das „Aufstauen, Absenken und Umleiten von Grundwasser durch Anlagen, die hierzu bestimmt oder geeignet sind“, bestand schon damals (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1 WHG 1957, der § 9 Abs. 2 Nr. 1 WHG entspricht). Auch eine frühere „gängige Verwaltungspraxis“ der Antragsgegnerin, wasserrechtliche Belange ausschließlich in einem Baugenehmigungsverfahren zu behandeln, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Baugenehmigungsakten betreffend die vormalige Bebauung der Grundstücke der Beigeladenen kann die Antragsgegnerin nicht (mehr) auffinden. Dies betrifft eindeutig die Sphäre der zur Aktenführung verpflichteten Antragsgegnerin (vgl. etwa Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 29 Rn. 29 ff.) und kann nicht zulasten der rechtschutzsuchenden Antragstellerin gehen.
d) Rechtlich unerheblich ist deshalb die Frage, ob eine wasserrechtliche Erlaubnis durch den Abriss der Bestandsgebäude nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG unwirksam geworden wäre; die Auffassung des Verwaltungsgerichts (vgl. UA Rn. 78 ff.) begegnet – wie die Beschwerden zutreffend einwenden (vgl. Schriftsätze vom 30.8.2021 S. 7 ff und vom 2.9.2021 S. 10 ff.) – insoweit rechtlichen Bedenken. Die Gewässerbenutzung (Aufstau bzw. Umleitung von Grundwasser) wurde durch den Rückbau der oberhalb der Schlitzwände vorhandenen Bausubstanz nicht beendet, sondern dauert an. Nicht entscheidungserheblich ist zudem, ob die errichteten Schlitzwände in ihrem konkreten Ausmaß (südwestliche Erweiterung zur S* … straße) von einer etwaigen Erlaubnis abgedeckt wären (vgl. Schriftsatz der Antragstellerin an das VG vom 4.7.2021 S. 22 f.).
3. Der Ermessensfehler wurde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht in zulässiger Weise durch Ergänzung geheilt (§ 114 Satz 2 VwGO).
a) Im Schriftsatz vom 2. Juli 2021 an das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin vorgetragen, der durch die komplette Schlitzwand (bis zur S* … straße) verursachte, maximal mögliche Aufstau von 11 cm sei nach heutigen Maßstäben aus wasserwirtschaftlicher Sicht grundsätzlich hinnehmbar und daher erlaubnisfähig (vgl. dort S. 12). Vorab hatte sie eine fachliche Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts M* … vom 18. Juni 2021 eingeholt. Darin wurde der Grundwasseraufstau von 11 cm als wasserwirtschaftlich hinnehmbar bewertet. Das Wasserwirtschaftsamt wies gleichzeitig darauf hin, dass die Wasserrechtsbehörde dann aber eine Abwägung zwischen den Interessen des Bauherrn und denen des Nachbarn treffen müsse; evtl. seien Maßnahmen wie Grundwasserüberleitungen zu verlangen (vgl. VG-Akte S. 276). In der Beschwerdebegründung vom 2. September 2021 hat die Antragsgegnerin ihre Ermessenserwägungen ergänzt (vgl. dort Ziff. IV = S. 16 f.). Aufstauhöhen von 10 cm seien in M* … bei Grundwasserschwankungen von mehreren Dezimetern regelmäßig hinzunehmen; eine Beseitigung der Schlitzwand, die auch das Gebäude der Antragstellerin statisch sichere, sei bautechnisch nicht möglich (vgl. dort S. 18; vgl. dazu die E-Mails des Fachbeistands … vom 17. und 19.8.2021, Anlage AG 5, 6). Das Risiko, dass Gebäude bei Erreichen des Höchstgrundwasserstands geschädigt würden, sei dem Bauherrn zuzurechnen, der wasserdicht bauen müsse.
b) Diese Ergänzung von Ermessenserwägungen dürfte nach summarischer Prüfung im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden können (§ 114 Satz 2 VwGO).
aa) Ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen im Einzelfall zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht (hier: WHG, BayWG) und dem Verwaltungsverfahrensrecht. Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (stRspr, vgl. nur BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81 = juris Rn. 32 m.w.N.).
Aus § 114 Satz 2 VwGO ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen. Diese Vorschrift regelt nicht die Voraussetzungen für die materiell-rechtliche und verwaltungsverfahrensrechtliche Zulässigkeit des Nachschiebens von Ermessenserwägungen, sondern betrifft nur deren Geltendmachung im Prozess. Ihr Zweck ist es, klarzustellen, dass ein materiell- und verwaltungsverfahrensrechtlich zulässiges Nachholen von Ermessenserwägungen nicht an prozessualen Hindernissen scheitert (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81 = juris Rn. 34 m.w.N.).
§ 114 Satz 2 VwGO schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen ergänzen kann, nicht hingegen, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 – 1 C 14.10 – BVerwGE 141, 253 = juris Rn. 11). Der Verwaltungsakt wird durch die Regelung definiert, die er trifft; diese besteht nicht nur aus dem Regelungsausspruch, sondern im Falle eines Ermessensverwaltungsakts auch aus der Ermessensentschließung. Nachgeschobene Ermessenserwägungen können deshalb einer neuen Ermessensentschließung gleichkommen, wenn sie nicht nur die bereits gegebene Begründung verdeutlichen bzw. anreichern, sondern den Verwaltungsakt in seinem Wesen ändern (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 90). Eine solche Wesensveränderung ist durch das prozessökonomische Grundanliegen, das § 114 Satz 2 VwGO verfolgt, nicht zu überwinden. Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass ein (völliges) Auswechseln der bisherigen Begründung, genauso wie eine erstmalige Begründung der Ermessensentscheidung, nicht dem § 114 Satz 2 VwGO unterfällt (vgl. BT-Drs. 13/3993 S. 13).
Kommt ein Nachschieben von Ermessenserwägungen nach dem Vorstehenden in Betracht, so muss dies bestimmt geschehen. Wird die Änderung erst im laufenden Verwaltungsprozess erklärt, so muss die Behörde – zur Gewährleistung einer sachgemäßen Rechtsverteidigung (Art. 19 Abs. 4 GG) für den Betroffenen – unmissverständlich deutlich machen, dass es sich dabei nicht lediglich um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81 = juris Rn. 35).
bb) Ausgehend von diesen Maßstäben kann die erstmalige Anstellung von Ermessenserwägungen in Bezug auf den von der Bestands-Schlitzwand verursachten Grundwasseraufstau von 11 cm im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr als Anreicherung der bisher gegebenen Begründung verstanden werden, sondern als neue Ermessensbetätigung (vgl. auch BayVGH, U.v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099 – NVwZ-RR 2018, 606 = juris Rn. 46). Die Frage, an welchem Maßstab eine qualifizierte Beeinträchtigung nachbarlicher Belange (Rücksichtnahmegebot) zu prüfen ist, wurde damit im Kern ausgetauscht. Während der ursprüngliche Bescheid darauf abgestellt hat, dass sich die seit den 1970er-Jahren vorzufindende Bestandssituation für die Nachbarn nicht verändert, gelangt die „Ergänzung“ zu dem Schluss, dass der durch die Schlitzwand verursachte Aufstau von 11 cm zumutbar sei. Damit wurde die Entscheidung aus Sicht der Drittbetroffenen mit einem neuen argumentativen Unterbau versehen (vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 209). Eine „offene“ Ermessensbetätigung ist in diesem Verfahrensstadium regelmäßig erschwert (vgl. OVG NW, U.v. 29.6.2010 – 18 A 1450/09 – NWVBl 2010, 471 = juris Rn. 120; VGH BW, U.v. 23.7.2008 – 11 S 2889/07 – VBlBW 2009, 264 = juris Rn. 70).
c) Abgesehen davon sind die von der Antragsgegnerin ergänzten Ermessenserwägungen unzureichend und nicht frei von Rechtsfehlern (§ 114 Satz 1 VwGO).
aa) Die Erwägung der Antragsgegnerin, ein Aufstau von 11 cm sei aus wasserwirtschaftlicher Sicht hinnehmbar, kann die Abwägung der Interessen der Vorhabenträgerin einerseits und der Nachbarn andererseits (vgl. oben Rn. 30) nicht ersetzen. Dies hat das Wasserwirtschaftsamt richtig erkannt und gegenüber der Antragsgegnerin klargestellt, dass die Wasserrechtsbehörde zu prüfen hätte, ob „heute“ (d.h. anders als 1971) evtl. Maßnahmen wie Grundwasserüberleitungen o.ä. zu verlangen seien (vgl. E-Mail vom 18.6.2021, Anlage AG 2 = S. 276 VG-Akte). Eine solche Abwägung der widerstreitenden Belange unter Erwägung von Maßnahmen zur Verringerung des bestehenden Grundwasseraufstaus findet sich in der (hilfsweisen) Ergänzung von Ermessenserwägungen (vgl. Schriftsatz vom 2.9.2021 Ziff. IV = S. 16 ff.) nicht.
Soweit die Antragsgegnerin – an anderer Stelle (Schriftsatz vom 2.9.2021 S. 12) – anführt, der seit Jahrzehnten bestehende Zustand habe nicht zu Nachteilen für Nachbarn geführt, fehlt es bereits an einer unmissverständlichen Erklärung, dass es sich hierbei nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81 = juris Rn. 35). Die Frage, welcher Prognosezeitraum einer solchen Abwägung zugrunde zu legen wäre, bedarf deshalb keiner Entscheidung. Die hierzu vertretene Auffassung der Antragstellerin (100 Jahre) dürfte den im Rahmen des wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots an den Eintritt einer Rechtsverletzung anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab wohl überspannen. Der objektivrechtliche Besorgnisgrundsatz (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 28.6.2019 – 7 B 26.18 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 9.7.2019 – 8 ZB 19.296 – NVwZ-RR 2020, 306 = juris Rn. 18) ist hier nicht anwendbar. Denn für einen Verstoß gegen das wasserrechtliche Rücksichtnahmegebot reicht es nicht aus, dass ein Schadenseintritt über viele Jahrzehnte denkbar ist; um eine Gewässerbenutzung Dritter abzuwehren, bedarf es vielmehr – auch in zeitlicher Hinsicht – einer hinreichend konkreten Beeinträchtigung geschützter Belange (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2020 – 8 ZB 19.1481 – ZfW 2020, 134 – juris Rn. 13).
bb) Auch die Ermessenserwägung, eine Rücksichtnahme der Beigeladenen sei nicht zu verlangen, weil das Gebäude der Antragstellerin nicht bis zum Höchstgrundwasserstand wasserdicht errichtet worden sei („Bauherrnrisiko“) und diese mit einem Grundwassereintritt gerechnet habe (vgl. Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 2.9.2021 Ziff. IV = S. 17 unten), leidet bei summarischer Prüfung an Rechtsfehlern.
Mit diesen Erwägungen hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine abwägungserhebliche schutzwürdige Position dem Grunde nach abgesprochen (vgl. auch Schriftsatz vom 2.9.2021 S. 8 ff.). Allein die Tatsache, dass tiefergelegene Kellerräume auch schon vor Erreichen des höchstmöglichen Grundwasserstands (515,3 m ü. NN) – unabhängig von der Schlitzwand – voller Wasser liefen, rechtfertigt dies aber nicht.
Dem Senat erschließt sich nicht, weshalb die Schlitzwand erst ab einem Grundwasserstand von 515,49 m ü. NN einen Aufstau verursachen sollte (so aber Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 2.9.2021 S. 9). Den Antragsunterlagen lässt sich dies nicht entnehmen. Der Fachbeistand der Beigeladenen errechnet bei einem Höchstgrundwasserstand von 515,6 m ü. NN (HHW 1940 plus Sicherheitszuschlag 0,3 m) auf dem Grundstück der Antragstellerin einen maximalen Aufstau von 11 cm (vgl. Tektur vom 6.5.2021 S. 3 ff; Stellungnahme vom 14.7.2021). Dies impliziert nicht, dass es bei einem niedrigeren Grundwasserstand nicht ebenfalls zu einem Grundwasseraufstau von weniger als 11 cm kommen kann, zumal die Unterkante der Schlitzwand tief in den Boden hineinreicht (etwa bei Kote 508,0, vgl. Gutachten … vom 27.1.2021 S. 12). Das Interesse der Antragstellerin, auf ihrem Grundstück keine künstlich erhöhten Grundwasserverhältnisse zu haben, ist nicht erst ab Erreichen eines höchstmöglichen Grundwasserstands schutzwürdig. Teile ihres Kellers bzw. der dortigen Anlagen liegen unterhalb des höchst möglichen Grundwasserstands (515,3 m ü. NN) und laufen daher Gefahr, schon bei einem niedrigeren Grundwasserstand Schaden zu nehmen.
Das Gebäude der Antragstellerin ist baurechtlich genehmigt (vgl. Baugenehmigung vom 17.4.1961, Anlage ASt. 62), sodass eine abwägungserhebliche schutzwürdige Position dem Grunde nach vorliegt (vgl. auch BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – NVwZ 2005, 328 = juris Rn. 23). Dass der Keller baurechtswidrig errichtet oder verändert worden wäre oder in seiner Bauausführung nicht dem (damaligen) Stand der Technik entspräche, ist weder dargelegt noch erkennbar (vgl. auch der in Anlage ASt. 63 vorgelegte Bericht des Städt. Prüfamts für Baustatik vom 29.6.1961). Im Übrigen dürfte die Existenz des Gebäudes im Rahmen der Abwägung wohl auch dann nicht außer Betracht bleiben, wenn es nicht vollauf dem Stand der Technik entspräche; die Schutzbedürftigkeit der Belange der Antragstellerin wäre hierdurch allenfalls gemindert, entfiele aber nicht. Die Vermutungen der Antragsgegnerin, der Bauherr des Anwesens S* … straße * habe „allen Anschein“ nach mit eintretendem Grundwasser gerechnet, sind nicht entscheidungsrelevant; die Antragstellerin ist dem auch konkret entgegengetreten (vgl. Schriftsatz vom 8.10.2021 S. 88, 95, Anlagen 71a bis c).
Soweit die Antragsgegnerin der Antragstellerin ein „Bauherrnrisiko“ zuweisen will, führt dies für die hier relevanten wasserrechtlichen Fragen nicht weiter; die von ihr angeführte Rechtsprechung (vgl. Schriftsatz vom 2.9.2021 S. 9) ist darauf nicht übertragbar. Andernfalls wäre es drittbetroffenen Grundeigentümern auch praktisch unmöglich, sich auf subjektiv-öffentliche Abwehrrechte gegenüber Aufstau oder Umleitung von Grundwasser (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 WHG) aus dem wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebot zu berufen (vgl. aber BayVGH, B.v. 11.5.2020 – 8 CS 19.1633 – juris Rn. 54).
cc) Soweit die Antragsgegnerin ihrer Ermessensentscheidung (ergänzend) zugrunde gelegt hat, die Beseitigung der bestehenden Schlitzwand sei bautechnisch nicht möglich (vgl. Schriftsatz vom 2.9.2021 S. 17), lässt sich im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht abschließend klären, ob sie von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist (vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, § 114 Rn. 189 f.).
Die Antragsgegnerin hat insoweit die gutachterliche Aussage des Fachbeistands der Beigeladenen (vgl. E-Mails vom 17. und 19.8.2021, Anlagen AG 5 und 6) kurzhändig übernommen. Diese Aussage wird vom Fachbeistand der Antragstellerin substanziiert bestritten (vgl. Schreiben des Dipl. Ing. Dr. S. vom 28.9.2021, Anlage ASt. 68).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 3, 159 Satz 1 VwGO unter entsprechender Anwendung des § 100 Abs. 1 ZPO.
D. Der Streitwert bemisst sich nach §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; er beruht auf der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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