Baurecht

Wohnnutzung neben Rettungswache

Aktenzeichen  9 CS 21.119

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6127
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2 Alt. 2
BImSchG § 3, § 22 Abs. 1
VwGo § 146 Abs. 4 S. 3, Abs. 6

 

Leitsatz

1. Ein Wohnbauvorhaben fügt sich, was die von ihm hinzunehmenden Immissionen angeht, in die „vorbelastete“ Eigenart der näheren Umgebung grundsätzlich ein, wenn es nicht stärkeren Belastungen ausgesetzt sein wird als die bereits vorhandene Wohnbebauung; die emittierende Nutzung braucht folglich gegenüber hinzukommender Wohnnutzung nicht mehr Rücksicht zu nehmen als gegenüber der bereits vorhandenen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bewertung der von einer Rettungswache ausgehenden Geräuschimmissionen stellt sich die Frage, ob Gesichtspunkte der sozialen Adäquanz eine besondere Betrachtung erfordern und zu einer Verschiebung der Zumutbarkeitsgrenze führen können. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 S 20.1857 2020-12-16 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Nr. I und II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16. Dezember 2020 werden aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Juni 2020 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zur Hälfte zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich als Nachbarin gegen die der Beigeladenen von der Beklagten mit Bescheid vom 4. Juni 2020 erteilte Baugenehmigung für den Neubau einer Wohnanlage mit 18 Wohneinheiten auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung K. (W.straße, K.). Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des 1980 in Kraft getretenen Bebauungsplans „… …“, der für den fraglichen Bereich ein Mischgebiet festsetzt. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des westlich davon gelegenen Grundstücks FlNr. … derselben Gemarkung (S.straße …), welches sich nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans befindet. Sie betreibt dort eine Rettungswache und nutzt die vorhandenen Räumlichkeiten nach ihren Angaben außerdem für Rotkreuzgemeinschaften, als Sozialstation, zur Breitenausbildung sowie als Geschäftsstelle für Servicedienste.
Gegen die Baugenehmigung vom 4. Juni 2020 erhob die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht (Az. W 4 K 20.923) über die noch nicht entschieden ist. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 hat das Verwaltungsgericht ihren außerdem gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage abgelehnt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Antragstellerin kein Gebietserhaltungs-, Gebietsprägungs- oder Gebietsprägungserhaltungsanspruch zustehe, da sich das Grundstück der Antragstellerin im nicht überplanten Innenbereich und das Baugrundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplans befänden. Die Antragstellerin werde mangels drittschützender Wirkung der Festsetzungen im Bebauungsplan zur Geschossigkeit (3 Vollgeschosse) und zur geschlossenen Bauweise nicht durch die von der Antragsgegnerin im Rahmen der Baugenehmigung erteilten Befreiungen verletzt. Das Vorhaben erweise sich gegenüber der Antragstellerin auch nicht als rücksichtslos, indem es sich von der Rettungswache ausgehenden Störungen aussetze, weshalb die Antragstellerin Einschränkungen bei deren Betrieb befürchte. Die genehmigte Wohnnutzung sei in dem im Bebauungsplan im dortigen Bereich festgesetzten Mischgebiet grundsätzlich zulässig. Es sei auch von der Wirksamkeit der Festsetzung zur Gebietsart auszugehen. Die Rettungswache befinde sich unbestritten ebenfalls in einem Mischgebiet. Sie sei aufgrund ihrer Lage bereits jetzt entsprechenden Beschränkungen nach der hier anwendbaren TA Lärm unterworfen und daher nicht schutzwürdig. Andernfalls käme es zu dem unbilligen Ergebnis, dass die Antragstellerin die im Mischgebiet zulässige Wohnnutzung verhindern könne.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Das Verwaltungsgericht habe im Hinblick darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist, die erforderliche sachgerechte Betrachtung des vorliegenden Einzelfalls nicht vorgenommen. Es werde nicht berücksichtigt, dass das Rotkreuzhaus der Antragstellerin seit beinahe 100 Jahren und schon seit Jahrzehnten vor der Festsetzung der Gebietsart u.a. als Rettungswache genutzt werde. Zudem sei die TA Lärm auf die bauliche Anlage der Antragstellerin nicht anwendbar. Eine Rettungswache diene sozialen Zwecken im Sinn der Ausnahmevorschrift Nr. 1 Abs. 2 Buchst. h TA Lärm. Es gebe am Standort auch die geschilderten weiteren Nutzungen, die Betreuungscharakter aufwiesen. Es bestehe die Gefahr, dass die Antragstellerin zivilrechtlich durch die Nutzer der Wohnbebauung nach § 1004 i.V.m. § 906 Abs. 1 BGB auf Unterlassung in Anspruch genommen werde, zumal die Frage der Erheblichkeit von Belästigungen der Nachbarschaft der tatrichterlichen Bewertung unterliege und ein Gleichlauf zwischen der öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen gerichtlichen Beurteilung nicht zwingend sei. Bei offenen Erfolgsaussichten müsse die Interessenabwägung in Anbetracht der bestandskräftigen, fast ein Jahrhundert andauernden und dem Gemeinwohl sowie der Aufrechterhaltung der Lebensrettung dienenden Nutzungen der Antragstellerin zu deren Gunsten ausfallen. Es drohe auch die Schaffung vollendeter Tatsachen, weil das Bauvorhaben kurz vor dem Abschluss stehe.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16. Dezember 2020 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 17. Juli 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Juni 2020 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Die Beigeladene beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin habe die Gelegenheit gehabt, im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans Einwendungen zu erheben. Die TA Lärm sei anwendbar. Der Betrieb der Antragstellerin stelle in erster Linie eine Rettungswache dar. Die Anlage diene nicht der Unterbringung oder Betreuung und sei somit keine soziale Einrichtung im Sinne der Ausnahmevorschrift zur TA Lärm. Selbst wenn die TA Lärm keine Anwendung fände, seien deren Schutzgedanken jedenfalls analog heranzuziehen. Darüber hinaus stünden Schutzansprüchen künftiger Bewohner die anzunehmende Privilegierung der Antragstellerin entgegen. Es ergebe sich keine Verschlechterung gegenüber der vorhandenen Situation. Die Bewohner könnten sich auch nicht auf wesentliche Beeinträchtigungen nach § 906 Abs. 1 BGB berufen. § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB sei zu berücksichtigen. Bei offenen Erfolgsaussichten müsse die Interessenabwägung zu Gunsten der Beigeladenen ausfallen. Im Fall des Obsiegens der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren obläge es der Beigeladenen die Rechtmäßigkeit des Vorhabens herbeizuführen. Es könne auch frühestens die Nutzung zu Beeinträchtigungen der Antragstellerin führen. Die Antragstellerin plane überdies die Verlegung der Rettungswache. Eine sofortige Einstellung der Rettungswache ohne Rücksicht auf deren Funktionen sei ohnehin nicht zu befürchten. Es drohten auch keine vollendeten Tatsachen. Das Bauvorhaben stehe kurz vor dem Abschluss. Eine Nutzungsaufnahme könne durch Nutzungsuntersagung rückgängig gemacht werden. Der Gesetzgeber habe mit § 212a BauGB auch eine grundsätzliche Entscheidung für den Sofortvollzug getroffen. Der Beigeladenen drohe ein massiver finanzieller Verlust, wenn sie bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zuwarten müsse. Ihre wirtschaftliche Existenz stehe auf dem Spiel.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die allein zu prüfenden Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin zu Unrecht abgelehnt. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind als offen anzusehen. Die demnach unabhängig von den Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen fällt zugunsten der Antragstellerin aus.
1. Ob die Anfechtungsklage der Antragstellerin wegen einer im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Verletzung ihrer Rechte aus dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme Erfolg haben wird, kann ohne eine weitere, im Hauptsacheverfahren durchzuführende Sachverhaltsaufklärung nicht prognostiziert werden. Insbesondere lässt sich derzeit mangels Vorliegens einer schallschutztechnischen Untersuchung der von der Rettungswache der Antragstellerin auf das Baugrundstück einwirkenden Immissionen nicht verlässlich einschätzen, ob sich durch die dort genehmigte Wohnbebauung die rechtlichen immissionsbezogenen Rahmenbedingungen für den Betrieb der Rettungswache aufgrund der hinzutretenden Bebauung verschlechtern. Nachdem auch die Genehmigungssituation hinsichtlich der Rettungswache der Antragstellerin anhand der Aktenlage nicht beurteilt und deshalb u.a. auch nicht festgestellt werden kann, dass und ob danach für die Beigeladene verbindlich festgelegt ist, was diese an Immissionen auf dem Baugrundstück zu dulden hat (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 45), kann nicht ausgeschlossen werden, dass infolge des Bauvorhabens (weitere) Auflagen auf die Antragstellerin zukommen würden.
Das Vorhaben der Beigeladenen dürfte nach § 30 Abs. 1 BauGB grundsätzlich zulässig sein, da es die Errichtung eines Wohngebäudes zum Gegenstand hat und damit dem im Bebauungsplan „… …“ festgesetzten Mischgebiet nach der Art seiner baulichen Nutzung nicht wiederspricht. Rechtliche Schranken der Zulassung ergeben sich indes aus § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als einer besonderen Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und zulässigen Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), soweit – wie nach Aktenlage voraussichtlich hier – für eine Konfliktlösung im Baugenehmigungsverfahren über das Gebot der Rücksichtnahme im Hinblick auf eine seinen Anforderungen ggf. bereits genügende Umsetzung in der den Festsetzungen des Bebauungsplans zu Grunde liegenden Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) noch Raum besteht (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2012 – 14 CS 12.294 – juris Rn. 15; B.v. 30.11.2011 – 2 CS 11.2212 – juris Rn. 17). Bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans wäre dem Gebot der Rücksichtnahme im Übrigen ebenfalls Rechnung zu tragen, unabhängig davon, ob dieses auf seine Ausprägung im Gebot des Einfügens in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB oder unmittelbar auf § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB gestützt wird.
§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Soweit – wie hier – ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2020 – 9 CS 20.976 – juris Rn. 25 m.w.N.). Die Zumutbarkeitsschwelle wird grundsätzlich überschritten, wenn die Störungen oder Belästigungen unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse erheblich im Sinn von § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit aber auch etwaige Besonderheiten in den Blick zu nehmen, die sich aus der spezifischen Eigenart oder der Umgebung des Baugebiets ergeben. Faktische Vorbelastungen können sich schutzmindernd auswirken (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – juris Rn. 22 f.). Soll ein Wohnbauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer vorhandenen emissionsträchtigen Anlage errichtet werden, kann der Schutz des Wohnens infolge dieser Situationsbelastung einen geringeren Stellenwert haben. Beeinträchtigungen, die innerhalb eines festgesetzten oder faktischen Baugebiets sonst nicht hinzunehmen wären, können in einer solchen Lage noch zumutbar sein (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris Rn. 26). Das Ausmaß, in dem sich das Lärmschutzniveau verringert, bestimmt sich nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls. Die äußerste Grenze ist bei der Schwelle zur Gesundheitsgefährdung zu ziehen. Gesunde Wohnverhältnisse (vgl. § 1 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB) müssen gewahrt, ein Wohnen ohne Gesundheitsgefahren muss möglich bleiben (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – a.a.O. Rn. 27; U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – juris Rn. 25).
Danach kann hier dem Verwaltungsgericht nicht ohne weiteres darin gefolgt werden, dass der Betrieb der Antragstellerin nicht schutzwürdig sei, soweit auf dem Baugrundstück die Richtwerte der von ihm unmittelbar herangezogenen TA Lärm für das festgesetzte Mischgebiet nicht eingehalten werden können (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – juris Rn. 22 f.). Es kann nicht außer Acht gelassen werden, dass das Baugrundstück am Rande des festgesetzten Mischgebiets, welches an ein Gebiet angrenzt, das nach gegenwärtiger Erkenntnislage ebenfalls als faktisches Mischgebiet zu beurteilen sein dürfte, von den tatsächlichen Gegebenheiten her durch die dort seit langer Zeit auf dem Nachbargrundstück betriebene und insoweit nach Aktenlage wohl grundsätzlich auch bestandsgeschützte Rettungswache, von der nach Angaben der Antragstellerin im Jahr 2019 3.300 Notfalleinsätze am Tag und 2.400 in der Nacht ausgingen, bei denen auch Sonderrechte wie Martinshorn und Blaulicht zum Einsatz kamen, wesentlich mitgeprägt wird.
Umgekehrt folgt aus dem im Rücksichtnahmegebot angelegten Prinzip der Gegenseitigkeit aber auch, dass der Betreiber einer emittierenden Anlage, der unabhängig von einem ihm zukommenden Bestandsschutz den Grundpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG unterliegt, nicht darauf vertrauen darf, vor Auflagen zum Schutz von heranrückender Wohnbebauung vor Immissionen verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – juris Rn. 26 f.; BayVGH, B.v. 4.8.2008 – 1 CS 07.2770 – juris Rn. 20). Verschlechtert eine beabsichtigte Wohnbebauung allerdings die rechtlichen immissionsbezogenen Rahmenbedingungen, unter denen eine benachbarte emittierende Anlage arbeiten muss, kann das Vorhaben rücksichtslos sein (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2020 – 15 CS 20.901 – juris Rn. 27; U.v. 27.2.2020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 42 m.w.N.; U.v. 14.2.2018 – 9 BV 16.1694 – juris Rn. 55; B.v. 4.8.2008 – 1 CS 07.2770 – a.a.O.). Ob dies hier der Fall ist, kann infolge des Fehlens einer aussagekräftigen schalltechnischen Untersuchung hierzu, die auch die noch aufzuklärende Genehmigungssituation der Rettungswache berücksichtigt, nicht beurteilt werden. Die von der Beigeladenen im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme des Sachverständigenbüros T. vom 23. November 2020, die auf der Basis, dass im Archiv des Stadtbauamts K. keine schallimmissionstechnische Untersuchung oder Genehmigung einer „Notfall-Einsatzzentrale“ für das Grundstück FlNr. … habe ausfindig gemacht werden können, die immissionsschutztechnischen Anforderungen an den Schallschutz gegen Außenlärm beim Neubauvorhaben S.straße, K. „kurz zusammenfasst“ und dabei von dem Erfordernis der Einhaltung der Immissionsschutzrichtwerte für ein Mischgebiet nach der TA Lärm auf dem Baugrundstück ausgeht, enthält eine solche schalltechnische Untersuchung nicht. Eine Verschlechterung der immissionsbezogenen Rahmenbedingungen für die Rettungswache der Antragstellerin erscheint hier auch nicht von vornherein ausgeschlossen.
a) Ein Wohnbauvorhaben fügt sich zwar, was die von ihm hinzunehmenden Immissionen angeht, in die „vorbelastete“ Eigenart der näheren Umgebung grundsätzlich ein, wenn es nicht stärkeren Belastungen ausgesetzt sein wird als die bereits vorhandene Wohnbebauung; die emittierende Nutzung braucht folglich gegenüber hinzukommender Wohnnutzung nicht mehr Rücksicht zu nehmen als gegenüber der bereits vorhandenen. Halten sich die Belästigungen in den Grenzen des der Wohnnutzung (ggf. unter Berücksichtigung eines „Mittelwerts“) Zumutbaren, so hat die emittierende Nutzung infolge der hinzukommenden Wohnbebauung keine immissionsschutzrechtlichen Beschränkungen zu befürchten. Überschreiten die Belastungen diese Grenze, so hat der Betrieb Einschränkungen bereits wegen der vorhandenen und nicht erst wegen der hinzukommenden Wohnbebauung hinzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1984 – 4 B 171.83 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.2351 – juris Rn. 12 m.w.N; B.v. 6.11.2015 – 9 ZB 15.944 – juris Rn. 9; SächsOVG, U.v. 10.4.2017 – 1 A 92/12 – juris Rn. 39 m.w.N.). Vorliegend ist wohl auch von einer grenznah zum Grundstück der Antragstellerin zu berücksichtigenden Wohnnutzung in den denkmalgeschützten Bestandsgebäuden auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung K., welches dem Baugrundstück nördlich benachbart ist, auszugehen. Zumindest in den Obergeschossen des ehemaligen „Wohn- und Kontorgebäudes“, bestehend aus einem zweigeschossigen Eckbau mit Kniestock und flachgeneigtem Walmdach (ehemaliges Bürgermeisterwohnhaus) im Osten und eines „durch Toranlage mit Terrassendach“ angebundenen „Weinkontorgebäudes“ im Westen, welches fast keinen Grenzabstand zum Grundstück der Antragstellerin aufweist, ist wohl seit Jahrzehnten Wohnnutzung fortlaufend genehmigt; es bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Verzicht auf die weitere Nutzung dieser Art oder darauf, dass sich eine (ggf. auch langjährige) Unterbrechung dieser Nutzung auf die Nutzungstauglichkeit des Gebäudes als Wohnhaus ausgewirkt hätte (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2021 – 9 CS 20.3163 – in Bezug auf ein weiteres Bauvorhaben der Beigeladenen auf diesem Grundstück).
Jedoch kann deshalb nicht ohne jede weitere Untersuchung der Immissionssituation auf dem Baugrundstück angenommen werden, dass dieses im Hinblick auf immissionsschutzrechtlich zu berücksichtigende Immissionsorte nicht näher an die emittierende Anlage der Antragstellerin „heranrückt“. Das zwar mindestens 14,42 m entfernt von der westlichen Grundstücksgrenze zu errichtende Bauvorhaben weist auf allen vier Geschossen unmittelbar zum Betriebshof der Antragstellerin mit den dahinterliegenden Gebäuden der Rettungswache hin ausgerichtete Fenster und Terrassentüren mit zugehörigen schutzbedürftigen Räumen nach der DIN 4109 auf. Nach den Bauvorlagen und der sonstigen Aktenlage ist es im nördlichen Teil seiner Westseite nach Abbruch der eingeschossigen, an der westlichen Grundstücksgrenze situierten Bestandsbebauung auf dem Baugrundstück auch in keiner Weise von den von der Rettungswache ausgehenden Immissionen abgeschirmt. Dagegen wies die westliche Außenwand des westlich gelegenen kleineren Bestandsgebäudes auf dem Grundstück FlNr. … nur ein Fenster im zuletzt nicht mehr als Wohnnutzung genehmigten Erdgeschoss auf, welches im Zuge der dem Verfahren 9 CS 20.3163 zugrundeliegenden Sanierung und teilweisen Nutzungsänderungen der Bestandsgebäude im Übrigen geschlossen wird. Im Verhältnis zu den südlich ausgerichteten Fenstern der Obergeschosse in diesem Gebäude mit fortbestehender Wohnnutzung könnte sich die Immissionsbelastung des Bauvorhabens, nicht nur in Bezug auf Immissionsorte auf Erdgeschossebene, verschärfter darstellen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieses zumindest teilweise an Emissionsquellen auf dem Grundstück der Antragstellerin, insbesondere im Bereich des zum Baugrundstück offenen Innenhofs, an den eine Garagenhalle für (Rettungs-) Fahrzeuge anschließt und wo Fahrzeuge wohl auch gewartet werden, näher heranrückt. Die außerdem in die Betrachtung einzubeziehende, ebenfalls mit Fenstern ausgestattete Westseite des östlichen Hauptgebäudes auf dem Grundstück FlNr. … dürfte, soweit sie nicht ohnehin vom westlichen Hauptgebäude abgeschirmt wird, von der westlichen Grundstücksgrenze jedenfalls weiter als das Bauvorhaben entfernt sein.
Hinsichtlich der direkten Ausrichtung schutzbedürftiger Räume – zum Teil ohne jede Abschirmung durch vorhandene bauliche Anlagen – zum Betriebshof der Antragstellerin hin, unterscheidet sich das Bauvorhaben auch gegenüber dem von der Antragsgegnerin erstinstanzlich angeführten Hotel auf dem der Rettungswache westlich benachbarten Grundstück FlNr. … Gemarkung K. und der Wohnbebauung auf den Grundstücken FlNr. … und … (B.straße * und *). Im Übrigen kann nach der Aktenlage auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich in der mittlerweile abgebrochenen, eingeschossigen, an der westlichen Grundstücksgrenze situierten Bestandsbebauung auf dem Baugrundstück, die nach im Verfahren 9 CS 20.3163 gewonnen Erkenntnissen wohl als Kfz-Werkstatt genutzt wurde, bestandsgeschützte schutzbedürftige Räume, wie etwa Büros, mit Fenstern zum Betriebshof der Antragstellerin befunden hätten. Eine solche gewerbliche Nutzung dürfte anders als die streitgegenständliche Wohnnutzung auch nicht dem Nachtbetrieb der Rettungswache ausgesetzt gewesen sein.
b) Nachdem vorliegend bisher keine schallschutztechnischen Untersuchungen zur Immissionsbelastung auf dem Baugrundstück und – soweit Baugenehmigungen für die Gebäude der Rettungswache dafür nichts hergeben – auch keine Ermittlungen zu den der Antragstellerin nach dem Gebot der Rücksichtnahme und den ihr nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG obliegenden Pflichten zur Immissionsvermeidung und -minderung zumutbaren Maßnahmen vorgenommen worden sind, lässt sich derzeit nicht abschätzen, ob die Immissionsbelastung auf dem Baugrundstück einem hier zumutbaren wohnverträglichen Maß entspricht oder in für die Antragstellerin zumutbarer Weise von dieser auf ein solches Maß reduziert werden könnte. Wäre dies der Fall, könnte die Antragstellerin das Bauvorhaben unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme nicht abwehren.
Die Baugenehmigungsbehörde hat bei der Entscheidung über die Genehmigung eines baurechtlich allgemein zulässigen Wohnbauvorhabens in der Nachbarschaft einer emittierenden Anlage davon auszugehen, dass deren Betreiber die ihm nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG obliegenden Pflichten erfüllt. Zwar ist die Durchsetzung dieser Pflicht nicht ohne weiteres gewährleistet, weil § 24 BImSchG ein Einschreiten gegen den die Grundpflichten nicht erfüllenden Betreiber in das Ermessen der zuständigen Behörde stellt. Jedoch wäre es nicht gerechtfertigt, demjenigen, der sein Grundstück in der baurechtlich allgemein zulässigen Weise bebauen will, dieses Recht nur deshalb vorzuenthalten, weil der Betreiber der emittierenden Anlage die ihm gesetzlich obliegenden Pflichten nicht erfüllt und die Behörde nichts tut, ihn dazu anzuhalten (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – juris Rn. 27; vgl. auch U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 9 CS 18.1076 – juris Rn. 34 m.w.N.).
c) Da es mangels Tatsachengrundlage im vorliegenden Eilverfahren nicht möglich ist, die auf das Baugrundstück einwirkenden Immissionsbelastungen im Einzelnen zu identifizieren und in der Folge hinsichtlich ihrer Zumutbarkeit zu beurteilen, kann und muss vorliegend nicht abschließend der von der Antragstellerin aufgeworfenen Frage nachgegangen werden, ob das Verwaltungsgericht, das die Rettungswache der Antragstellerin im Hinblick auf die Zumutbarkeit der von ihr ausgehenden Geräuschimmissionen als den Immissionsrichtwerten der TA Lärm für ein Mischgebiet unterworfen angesehen hat, zu Recht – auch im Hinblick auf die weiteren Nutzungen der Gebäude der Rettungswache – nicht vom Vorliegen einer vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausgenommenen Anlage für soziale Zwecke im Sinne der Nr. 1 Abs. 2 Buchst. h der TA Lärm ausgegangen ist (vgl. z.B. Hansmann in Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand August 2020, TA Lärm Nr. 1 1. Rn. 22; BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – juris Rn. 25; OVG NW, U.v. 6.3.2006 – 7 D 92/04.NE – juris Rn. 73; vgl. aber auch BayVGH, B.v. 6.11.2000 – 20 ZS 00.2796 – juris Rn. 2). Ob die für das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme relevante Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG überschritten ist, ist jedenfalls eine Frage der jeweiligen Einzelfallbeurteilung. Diese richtet sich insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit, wobei wertende Elemente wie die Herkömmlichkeit, die Sozialadäquanz und die allgemeine Akzeptanz mitbestimmend sind (vgl. BayVGH, B.v. 16. Juli 2019 – 15 ZB 17.2529 – juris Rn. 24 m.w.N.). Soweit hier nicht auf die TA Lärm als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift gemäß § 48 BImSchG zurückgegriffen werden könnte, käme ggf. deren analoge Anwendung bzw. ihre Heranziehung als Orientierungshilfe („grober Anhalt“) in Betracht, wobei allerdings eine nur schematische Werteanwendung in jedem Fall unzulässig wäre (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.1994 – 4 B 16/94 – juris Rn. 3). Unabhängig von der Frage der direkten Anwendbarkeit der TA Lärm wird sich vorliegend ggf. die Frage stellen, ob Gesichtspunkte der sozialen Adäquanz der Geräuschimmissionen eine besondere Betrachtung erfordern und zu einer Verschiebung der Zumutbarkeitsgrenze führen können (vgl. 3.2.2 TA Lärm; BayVGH, B.v. 16.7.2019 – 15 ZB 17.2529 – juris Rn. 30 m.w.N.).
2. Die nach alledem vorzunehmende allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an einer Aufhebung des Sofortvollzugs und dem Interesse der Beigeladenen, von der Genehmigung weiterhin, auch in Form der Realisierung der Nutzung, Gebrauch machen zu können, fällt zulasten der Beigeladenen aus.
Zwar muss zugunsten der Beigeladenen grundsätzlich berücksichtigt werden, dass die Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung hat und dem gesetzgeberischen Ziel, damit Investitionen und das Entstehen von Arbeitsplätzen zu fördern, ein nicht unerhebliches Gewicht beizumessen ist (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2019 – 15 CS 18.2459 – juris Rn. 37). Dies bedeutet aber nicht, dass sich dieses Interesse regelmäßig durchsetzt. Die Belange des klagenden Dritten schlagen umso mehr zu Buche, je schwerer die dem Einzelnen auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerwG, B.v. 14.4.2005 – 4 VR 1005/04 – juris Rn. 12).
Danach ist der Antragstellerin hier vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren. Wie schwer ihre Belastung durch das Bauvorhaben wiegt, lässt sich ohne jede fachliche Stellungnahme zur konkreten Immissionssituation im Baugenehmigungsverfahren unter Einbeziehung der Genehmigungssituation der Rettungswache der Antragstellerin in keiner Weise prognostizieren. Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Rettungswache nach der Nutzungsaufnahme des Bauvorhabens nicht mehr ohne Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme betreiben lässt. Es ist auch nicht absehbar, ob sich dies durch Umplanungen ändern ließe. Umgekehrt erscheint ein Baustopp mit damit verbundenen Verzögerungen und finanziellen Zusatzbelastungen der Beigeladenen zumindest vorübergehend bis zu einer (fachlichen) Bewertung der Immissionssituation hinnehmbar, zumal die Beigeladene besondere Dringlichkeitsgründe nicht substantiiert vorgetragen hat und es ihr als Bauherrin obliegt, ein dem Gebot der Rücksichtnahme entsprechendes Bauvorhaben zur Genehmigung zu stellen. Sobald die weiteren Sachverhaltsermittlungen im Hauptsachverfahren Einschätzungen zur Einhaltung der Zumutbarkeitsschwelle oder evtl. möglichen und erforderlichen Abhilfen zulassen, könnte dieser Entwicklung ggf. durch Abänderung dieses Beschlusses nach § 80 Abs. 7 VwGO Rechnung getragen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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