Europarecht

Ausweisung wegen Drogenhandels als Grundinteresse der Gesellschaft

Aktenzeichen  M 27 K 16.2297

Datum:
7.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40024
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AEUV Art. 83 Abs. 1, Abs. 2
EMRK Art. 8
Art. 6 Abs. 1
AufenthG § 11, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1
Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz Art. 5
RL 64/221/EWG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 3 Abs. 2, Art. 6, Art. 7

 

Leitsatz

1 Gegenüber schweizerischen Staatsbürgern gilt im Bundesgebiet das Aufenthaltsgesetz entsprechend den Gewährleistungen des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2 Gewährleistungen des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz können aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkt werden. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen dürfen nur getroffen werden, wenn das persönliche Verhalten des Straftäters dazu Anlass gibt und von ihm eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren wegen Drogenhandels begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse iSv § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
4 Bei Abwägung des Bleibeinteresses gegen das Ausweisungsinteresse sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. (Rn. 74) (redaktioneller Leitsatz)
5 Die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots orientiert sich an dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck, die Wiederholung der Begehung von Straftaten zu verhindern; zur Wahrung schutzwürdiger Belange oder bei Wegfall des Zwecks des Verbots kann ein Antrag auf Verkürzung oder Aufhebung der gesetzten Frist gestellt werden. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2016 in der Fassung vom 7. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO in seinen Rechten.
a) Die in Ziffer 1. des angegriffenen Bescheides angeordnete Ausweisungsverfügung ist rechtmäßig.
aa) Die Beklagte hat das Gebot, das Bundesgebiet zu verlassen, zutreffend auf §§ 53 ff. AufenthG gestützt, die im Einklang mit den Gewährleistungen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen … andererseits vom 21. Juni 1999 über die Freizügigkeit (vgl. Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen … andererseits über die Freizügigkeit – Schlussakte – Gemeinsame Erklärungen – Mitteilung über das Inkrafttreten der sieben Abkommen mit der Schweizerischen … in den Bereichen Freizügigkeit, Luftverkehr, Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Straße, öffentliches Beschaffungswesen, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen und Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ABl. Nr. L 114 v. 30.4.2002, S. 6 ff., in Kraft getreten am 30.6.2002, im Folgenden: Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz) stehen beziehungsweise in diesem Sinne konform auszulegen sind.
Im Verhältnis zwischen der Schweiz und deren Staatsangehörigen einerseits und der Europäischen Union sowie deren Mitgliedstaaten und deren Staatsangehörigen andererseits gilt nicht die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (vgl. ABl. 2004, L 158, S. 77 ff., im Folgenden: Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG). Auch die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (vgl. ABl. 2004, L 16, S. 44 ff., im Folgenden: Richtlinie 2003/109/EG) findet keine Anwendung. Gegenüber schweizerischen Staatsbürgern gilt im Bundesgebiet das Aufenthaltsgesetz entsprechend den Gewährleistungen des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz (vgl. Breitenmoser, Migrationssteuerung im Mehrebenensystem, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 76, 2017, S. 17; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, FreizügG/EU, § 12 Rn. 12; Hofmann, Ausländerrecht, FreizügG/EU, § 12 Rn. 4).
(1) Dafür spricht zunächst die Auslegung anhand des Wortlauts des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz. Weder in der Präambel noch in dem verfügenden Eingangsteil („I. Grundbestimmungen“) noch in dem einschlägigen Anhang I noch in den übrigen Anhängen und Protokollen wird auf die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (oder die Richtlinie 2003/109/EG) Bezug genommen. Dazu enthält das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz keinen Erwägungsgrund und auch keine Norm, die allgemein eine dynamische Auslegung oder eine implizite Verweistechnik nahelegen, geschweige denn gebieten würde. Im Gegenteil haben die Vertragsparteien nach Art. 16 Abs. 1 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz allein die Pflicht, „den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird“, zu einem effet utile zu verhelfen. Insofern wird für die von dem Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz erfassten Bereiche nach schweizerischer höchstgerichtlicher Rechtsprechung eine „parallele Rechtslage“ verwirklicht (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, BGE, 136 II 121, Rn. 3.4). Art. 16 Abs. 2 Satz 1 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz friert die zu berücksichtigende Rechtsprechung auf den status quo ante der Unterzeichnung am 21. Juni 1999 („die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt“) ein (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, BGE, 139 II 121, Rn. 5.3: „la jurisprudence y relative de la Cour de Justice rendue avant la signature de l’accord le 21 juin 1999). Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz lediglich unterrichtet. Dass der Gemischte Ausschuss mittlerweile die Wirkungen der (späteren) Rechtsprechung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 3 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz festgestellt hätte, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Art. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz umschreibt den Umfang des Aufenthaltsrechts dahingehend, dass den Staatsangehörigen das Recht garantiert wird, sich „nach Maßgabe der Kapitel II bis IV“ im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufzuhalten. Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz regelt sodann allgemein die mögliche Beschränkung dieses Aufenthaltsrechts. Danach dürfen die „aufgrund dieses Abkommens eingeräumten Rechte“ nur durch Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden. Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz nimmt – ausdrücklich im Einklang mit Art. 16 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz – auf einen enumerativen Katalog von Sekundärrechtsakten Bezug. Das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz wird daher allgemein als rein statisch aufgefasst (vgl. Epiney, Das Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU: Erfahrungen, Herausforderungen und Perspektiven, https://core.ac.uk/download/pdf/43668137.pdf, S. 19; Oesch, Die bilateralen Abkommen Schweiz-EU und die Übernahme von EU-Recht, http://www.zora.uzh.ch/id/eprint/147749/1/Oesch_AJP_5_2017.pdf, S. 6 f.). Der Anwendungsbefehl des Art. 38 Abs. 3 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG, wonach Bezugnahmen auf die in Art. 38 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG genannten aufgehobenen Richtlinien, darunter die in Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz erwähnte Richtlinie 64/221 als Bezugnahmen auf sie selbst gelten, kommt nicht zum Tragen, da sie nicht aus eigener Kraft anwendbar ist.
(2) Für die vorgenannte Sichtweise sprechen auch der historische Wille und die gegenwärtigen Rechtsauffassungen der Vertragsparteien des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz. Dem Inkraftteten des sektoriellen Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz am 1. Juni 2002 gingen Volksabstimmungen in der Schweiz voraus, in denen zunächst der Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum und dann auch die Aufnahme von Verhandlungen für einen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union abgelehnt wurden. Die Europäische Union hat die Schweiz zwar nach Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz ausdrücklich dazu aufgefordert, die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG in das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz zu überzunehmen. Die Schweiz hat jedoch im Jahr 2011 ausdrücklich darauf verzichtet, Verhandlungen zu der Übernahme der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG aufzunehmen. Die Schweiz hält die Gewährleistungen des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz bei Abwägung der beiderseitigen Vor- und Nachteile für ausreichend (vgl. Schweiz, Bundesrat, Presseerklärung v. 14.6.2011: „genügend“). Der Gemeinsame Ausschuss hat danach noch mehrfach getagt, ohne diesbezüglich einen anderen Standpunkt einzunehmen. Beide Vertragsparteien nehmen daher derzeit offenkundig in Kauf, dass das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz hinter die Gewährleistungen der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (und auch der Richtlinie 2003/109/EG) zurückfällt, da es diese nicht mit einschließt, und sind sich darüber einig, dass es für eine Änderung dieses Rechtszustandes zunächst Verhandlungen und dann einer förmlichen Revision des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz bedürfte.
(3) Dieses Ergebnis bestätigt sich, wenn man das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz anhand von Sinn und Zweck auslegt. Denn die Präambel des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz spricht als Ziel lediglich von einer „harmonischen Entwicklung ihrer Beziehungen“. Das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz steht damit unter dem Vorzeichen einer äußerst bescheidenen Zielsetzung (vgl. Art. 16 Abs. 1 des Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz: „Zur Erreichung der Ziele dieses Abkommens“). Die Schweiz befindet sich auch nicht auf dem Weg zu einer Mitgliedschaft der Europäischen Union (s.o.).
(4) Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man das Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz anhand von systematischen Erwägungen auslegt. Die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union sind in der Regel statischer Natur (vgl. Oesch, Die bilateralen Abkommen Schweiz-EU und die Übernahme von EU-Recht, http://www.zora.uzh.ch/id/eprint/147749/1/Oesch_AJP_5_2017.pdf, S. 3). Anhaltspunkte, aufgrund derer dies bei dem Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz anders sein sollte, sind weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich. Solche ergeben sich insbesondere auch nicht aus dem Assoziationsabkommen mit der Türkei und dem abgeleiteten Sekundärrecht. Denn bei einem Assoziationsabkommen und einem Freizügigkeitsabkommen handelt es sich um voneinander wesensverschiedene Zweige des Unionsrechts. Die Türkei strebt eine Mitgliedschaft der Europäischen Union an. Dementsprechend sind die Beziehungen zu der Türkei von einer höheren Entwicklungsoffenheit geprägt. Die Schweiz dagegen befindet sich nicht auf dem Weg zu einer Mitgliedschaft der Europäischen Union (s.o.). Schon aus diesem Grund ist die herangeführte assoziationsrechtliche Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache Ziebell (vgl. EuGH, U.v. 8.12.2011 – C-371/08 (Ziebell) – juris Rn. 75 ff.), wonach im Verhältnis zu türkischen Staatsangehörigen Art. 12 der Richtlinie 2003/109 Anwendung findet, auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Übrigen handelt es sich hierbei um eine nach der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz am 21. Juni 1999 (und auch lange Zeit nach der Veröffentlichung am 30.4.2002 und nach dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz am 1.6.2002) ergangene Rechtsprechung, die gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz nicht berücksichtigungsfähig ist (s.o.). Dass der Gemischte Ausschuss die Wirkungen der Rechtsprechung gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 3 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz festgestellt hätte, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Bei einer entgegengesetzten Sichtweise würde der statische Charakter des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz (s.o.) gerade umgangen.
(5) Im Ergebnis können die Stimmen, die eine weitgehende Angleichung, wenn auch nicht im Detail, zwischen dem Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz und der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG proklamieren (vgl. Kurzidem, in BeckOK AuslR, FreizügG/EU § 12 Rn. 2) beziehungsweise von einer praktischen Gleichstellung von Unionsbürgern und schweizerischen Staatsbürgern sprechen (vgl. Brinkmann in: Huber, FreizügG/EU, § 12 Rn. 7), nicht durchdringen. Abgesehen davon, dass hierbei offen bleibt, was mit „weitgehend“ und „nicht im Detail“ gemeint ist, erweist sich bei Anwendung aller Auslegungsmethoden (s.o.), dass es für diese Rechtsauffassung, die sich weder mit den Rechtsquellen auseinandersetzt noch Argumente offeriert, keine Stütze gibt. Im Übrigen steht diese Rechtsauffassung auch im Widerspruch zu der Praxis und der höchstgerichtlichen Rechtsprechung des Vertragspartners Schweiz (s.o.).
bb) Zur Anwendung kommen §§ 53 ff. AufenthG, die im Einklang mit den Gewährleistungen und Anforderungen des Art. 5 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz stehen beziehungsweise in diesem Sinne konform auszulegen sind.
(1) Gemäß Art. 5 Abs. 1 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz können die Gewährleistungen des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkt werden. Diese Schranke wird ausgestaltet durch die in Art. 5 Abs. 2 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz in Bezug genommenen Richtlinien, namentlich Richtlinie 64/221/EWG (vgl. Richtlinie des Rats vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, ABl. 56, v. 4.4.1964, S. 850), Richtlinie 72/194/EWG (vgl. Richtlinie des Rates v. 18.5.1972 über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Richtlinie vom 25.2.1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, auf die Arbeitnehmer, die von dem Recht, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbleiben können, Gebrauch machen, ABl. L 121, v. 26.5.1972, S. 32) sowie Richtlinie 75/35/EWG (vgl. Richtlinie des Rates vom 17.12.1974 zur Erweiterung des Geltungsbereichs der Richtlinie 64/221/EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, auf die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die von dem Recht, nach Beendigung einer selbständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben, Gebrauch machen, ABl. L 14, v. 20.1.1975, S. 10) in Verbindung mit der hierzu bis zu der Unterzeichnung am 21. Juni 1999 ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
Daraus ergeben sich zusammengefasst folgende Anforderungen (vgl. ebenso: Schweizerische Eidgenossenschaft, Justizsekretariat, Weisungen und Erläuterungen zur Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, Stand: November 2017, S. 131 ff.): Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ist nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zulässig (vgl. Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 64/221). Die aufenthaltsbeendende Maßnahme darf nur getroffen werden, wenn das persönliche Verhalten des Täters dazu Anlass gibt und von ihm eine Gefahr ausgeht (vgl. EuGH, U.v. 19.1.1999 – C-348/96 (Calfa) – juris Rn. 27; vgl. Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 64/221/EWG). Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung gegeben sein, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. EuGH, U.v. 19.1.1999 – C-348/96 (Calfa) – juris Rn. 21; U.v. 27.10.1977 – C-30/77 (Bouchereau) – Rn. 35). Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die aufenthaltsbeendende Maßnahme zu begründen (vgl. vgl. EuGH, U.v. 19.1.1999 – C-348/96 (Calfa) – juris Rn. 24; vgl. Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 64/221/EWG). Die aufenthaltsbeendende Maßnahme muss verhältnismäßig sein. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme darf insbesondere auch nicht zu wirtschaftlichen Zwecken getroffen werden (vgl. Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 64/221/EWG). Die aufenthaltsbeendende Maßnahme ist dem Betroffenen amtlich mitzuteilen (Art. 7 Satz 1 Richtlinie 64/221/EWG), wobei eine Frist anzugeben ist, binnen welcher der Betroffene das Bundesgebiet zu verlassen hat (vgl. Art. 7 Satz 2 Richtlinie 64/221/EWG). Dazu sind die Gründe für die aufenthaltsbeendende Maßnahme dem Betroffenen mitzuteilen (vgl. Art. 6 Richtlinie 64/221/EWG). Schließlich muss der Betroffene Rechtsmittel dagegen einlegen können (vgl. EuGH, U.v. 18.10.1990 – C-297/88 (Dzodzi) – juris 3. Leitsatz; vgl. Art. 8 Richtlinie 64/221/EWG).
(2) Das Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (BGBl. 1980 I, S. 116 ff., i.d.F. v. 27.12.2000, BGBl. I, S. 2042 ff., im Folgenden: AufenthG/EWG), auf welches ursprünglich nationale aufenthaltsbeende Maßnahmen gestützt wurden, die unter anderem anhand der Gewährleistungen und Anforderungen der vorgenannten alten Richtlinien in der Auslegung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu messen waren, ist zum 31. Dezember 2004 außer Kraft getreten und steht damit nicht mehr zur Verfügung.
(3) Zur Anwendung kommen §§ 53 ff. AufenthG. Das Aufenthaltsgesetz stellt sicher, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme, hier die Ausweisung, an ein persönliches Verhalten des Betroffenen anknüpft (vgl. § 53 Abs. 1 AufenthG u. § 54 Abs. 1 u. 2 AufenthG). Nach dem Aufenthaltsgesetz genügt auch die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um eine Ausweisung zu begründen, erforderlich ist vielmehr nach § 53 AufenthG eine Gefahrenprognose sowie eine konkretindividuelle Abwägung. Die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ist Teil dieser Prüfung. Wirtschaftliche Zwecke der aufenthaltsbeendenden Maßnahme spielen weder auf der Tatbestands- noch auf der Rechtsfolgenseite eine Rolle. Davon zu unterscheiden ist die zu prüfende wirtschaftliche Integration des Betroffenen. Der Bescheid mit der Ausweisung wird dem Betroffenen nach dem Aufenthaltsgesetz und den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen bekanntgegeben und zugestellt (vgl. Art. 41, 43 BayVwVfG, Art. 5 VZVG). Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist eine Frist für die Abschiebungsandrohung zu festzusetzen. Wie für jeden belastenden Verwaltungsakt gilt nach den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen eine Begründungspflicht (vgl. Art. 39 BayVwVfG). Das Aufenthaltsgesetz garantiert auch, dass der Betroffene hiergegen Rechtsbehelfe einlegen kann (vgl. § 84 AufenthG).
Dazu ist der Begriff der öffentlichen [Sicherheit und] Ordnung in §§ 53 ff. AufenthG so auszulegen, wie der entsprechende Begriff im Gemeinschaftsbeziehungsweise Unionsrecht, namentlich in der Richtlinie 64/221/EWG, der Richtlinie 72/194/EWG und der Richtlinie 75/35/EWG, ausgefüllt und in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union präzisiert worden ist (s.o.). Dies bedeutet, es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung gegeben sein, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. EuGH, U.v. 19.1.1999 – C-348/96 (Calfa) – juris Rn. 21; U.v. 27.10.1977 – C-30/77 (Bouchereau) – Rn. 35).
Dafür, dass die §§ 53 ff. AufenthG, insbesondere § 53 Abs. 1 AufenthG und § 54 Abs. 1 AufenthG („besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“), insoweit offen sind für eine Auslegung im Lichte des Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz, spricht, dass es sich bei der Formulierung der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ in § 53 Abs. 1 AufenthG um einen ausfüllungsfähigen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der mit Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz niedergelegten speziellen Schranke „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit [und Gesundheit]“ nahezu wortlautidentisch ist. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG, Art. 1 der Richtlinie 72/194/EWG sowie der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 75/35/EWG und damit auch Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz ziehen als Maßstab ebenfalls die Schranke „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit [und Gesundheit]“ heran. Diese wurden noch bis zur Einführung des AufenthG/EWG durch das Ausländergesetz, dem Vorgängergesetz des Aufenthaltsgesetzes, das noch einen gänzlich anderen Wortlaut hatte, umgesetzt.
Hinzuweisen ist zudem auf die schweizerische Verwaltungspraxis und die höchstgerichtliche schweizerische Rechtsprechung. Danach sind die §§ 64 ff. des schweizerischen Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (v. 16.12.2005, abrufbar unter: https://www.admin.ch, im Folgenden: AuG) für aufenthaltsbeende Maßnahmen, die anhand des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz und damit anhand der Gewährleistungen und Anforderungen der vorgenannten alten Richtlinien in der Auslegung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu messen sind, heranzuziehen, die ebenfalls den Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ verwenden (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, BGE, 139 II, 121 Rn. 5.3.;).
Im Übrigen schreibt § 53 Abs. 1 AufenthG in seiner gegenwärtigen Form auf der Tatbestandsseite eine Gefahrenprognose und eine konkretindividuelle Güterabwägung vor. Das Verwaltungsgericht nimmt bei seiner Entscheidung eine eigene Überprüfung vor und trifft eigene Feststellungen und eigene Würdigungen.
cc) Im vorliegenden Fall ist ein Grundinteresse der Gemeinschaft berührt.
Der Kläger erfüllt aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht M … vom 12. Dezember 2014 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. In der Sache ist zudem Folgendes festzustellen: Der Kläger hat mit sozialschädlichen Drogen Handel getrieben. Zwar handelt es sich bei Cannabis um eine sogenannte weiche Droge. Dies nimmt der Tat indes nicht ihre Gefährlichkeit, zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg in eine „Drogenkarriere“ ist (vgl. VGH BW, U.v. 15.4.2011 – 11 S 189/11 – juris Rn. 60).
Bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in Bezug auf die Beurteilung der Schwere begangener Straftaten betont, dass es sich bei dem Drogenhandel in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung um eine „Geißel“ [der Menschheit] handele (Vgl. EGMR, U.v. 19.2.1998 – 154/1996/773/974 (Dalia) -, Hudoc, Rn. 54; U.v. 30.11.1999 – 34374/97 – (Baghli), NVwZ 2000, 1401 ). Von der Sucht gehen schwerwiegende Gefahren für die Allgemeinheit aus (vgl. BVerfG, B.v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 – juris Rn. 26). Drogenkriminalität indiziert neben der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe die Schwere der Straftat (vgl. BVerfG, B.v. 1.3.2004 – 2 BvR 1570/03 -, NVwZ 2004, 852 m.w.N.; zu einem einmaligen Delikt: BVerfG, B.v. 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 – NVwZ 2001, 67 ). Gemäß Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV ist der illegale Drogenhandel als ein Bereich besonders schwerer Kriminalität zu werten. Dem Vorhergesagten entspricht auch, dass in der Schweiz Entfernungs- und Fernhaltemaßnahmen bei schwerwiegenden strafrechtlichen Verbrechen und Vergehen als zulässig angesehen werden, namentlich bei Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz (vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Justizsekretariat, Weisungen und Erläuterungen zur Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, Stand: November 2017, S. 131 ).
Der Kläger hat von 2006 bis 2013 unter Aufwendung beträchtlicher kriminelle Energie professionell und unter Einbindung verschiedener Personen im großen Stil mit Drogen gehandelt, und zwar nach den Feststellungen des Landgerichts m … in einem Umfang, der jeweils das 55,2-fache und bis zu 1212,6-fache der geringen Menge überstieg. Der Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der den Konsum und die Gefahr des Süchtigwerdens einer Vielzahl von Personen ermöglicht beziehungsweise die Sucht einer Vielzahl von Personen ausgenutzt hat, hat eine erhebliche Außenwirkung entfaltet und die Allgemeinheit gefährdet.
dd) Es besteht auch diesbezüglich eine tatsächliche und hinreichend Wiederholungsgefahr in dem vorgenannten Sinne.
(1) Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 1 C 19.11 – juris Rn. 16).
Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr von Straftaten sind unter anderem der konkrete, der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt, das Nachtatverhalten, gegebenenfalls der Verlauf der Haft und auch eine Therapie zu berücksichtigen. Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer und gegebenenfalls den zugrundeliegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind jedoch für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr nicht daran gebunden. Es bedarf allerdings einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21). Vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterliegen deshalb unterschiedlichen Regeln: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB oder § 67d Abs. 2 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Dabei stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund. Zu ermitteln ist, ob der Täter das Potential hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko des Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Maßgeblich ist, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann. Das Potential, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 10 C 10/12 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 6.6.2017 – 10 ZB 17.588 – juris Rn. 5; B.v. 4.4.2017 – 10 ZB 15.2062 – juris Rn. 20 f.). Gerade bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437 – juris Rn. 7; U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 m.w.N.). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Strafbeziehungsweise Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10ZB 17.1469 – juris Rn. 12; B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).
(2) Gemessen an diesen Maßstäben kommt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass von dem Kläger auch gegenwärtig eine solche Gefahr ausgeht.
Das Landgericht M … hat im vorliegenden Fall entschieden, den Vollzug der angeordneten Unterbringung ab dem 18. April 2018 vorzeitig zur Bewährung auszusetzen. Die indizielle Bedeutung dieser Entscheidung ist jedoch in mehrerer Hinsicht maßgeblich herabgemindert:
Das zugrunde liegende Gutachten vom 2. Februar 2018 geht nicht uneingeschränkt von einer positiven Sozialprognose des Klägers aus. Die positive Sozialprognose steht angesichts der langjährigen Suchtmittelabhängigkeit des Klägers vielmehr unter der Bedingung der Abstinenz des Klägers („bei Suchtmittelkarenz“). Die Suchtverlagerung zu Alkohol wird als „nicht gänzlich unwahrscheinlich“ eingestuft. Aus diesem Grund wird eine ambulante Weiterbetreuung des Klägers sogar als „dringend erforderlich“ angesehen. Ausdrücklich wegen der lang dauernden schweren Suchtmittelabhängigkeit und der „dadurch gegebenen Gefahr für die Öffentlichkeit“ empfiehlt das Gutachten vom 2. Februar 2018, dass über den gesamten gesetzlich vorgesehenen Zeitraum geeignete kontrollierende therapeutische Maßnahmen aufrechterhalten werden. Die Stellungnahme vom 27. März 2018, welche das Gutachten vom 2. Februar 2018 zusammenfasst und sich ihm anschließt, verzichtet zwar auf die Weisung, „Alkohol nicht im Übermaß zu trinken“, da – neben dem Problem der nicht hinreichenden Quantifizierbarkeit – eine solche aus der Gefährlichkeitsprognose ableitbare Weisung nicht begründbar sei. Mit dem Gutachten vom 2. Februar 2018 setzt sich die Stellungnahme vom 27. März 2018 allerdings insoweit nicht auseinander. Eine tragfähige Begründung für die Annahme in diesem Punkt fehlt.
Zugleich erweisen sich maßgebliche Annahmen in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 und in der Stellungnahme vom 27. März 2018 sowie darauf beruhend auch in der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer in Bezug auf die individuellen Variablen des Klägers, namentlich das Vorhandensein eines gut strukturierten und unterstützenden sozialen Empfangsraums in Form von Wohnung und Arbeitsplatz, als nicht tragfähig.
Zwar kann eine Beschäftigung einem Betroffenen durchaus Halt und Stabilität verleihen. Die Annahme in der Stellungnahme vom 27. März 2018, dass der Kläger seine Arbeit in dem genannten Garten- und Landschaftsbaubetrieb fortsetzen wird („wird auch zukünftig das bestehende Arbeitsverhältnis fortsetzen“ u. „bestehender Arbeitsplatz in der Landschaftsgärtnerei bleibt erhalten“) geht jedoch ins Leere. Bereits in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 kommt zum Ausdruck, dass der Kläger nicht mehr plante, in dem Garten- und Landschaftsbaubetrieb weiterzuarbeiten („Zukunftspläne sind auf eine selbständige Tätigkeit im Lebensmittelgewerbe gerichtet, in dem [der Kläger] mit seiner jetzigen Partnerin im Sinne des Caterings tätig werden möchte“). Dazu hat der Kläger tatsächlich zum 17. Mai 2018 ein Gewerbe für die Erbringung von Hausmeisterdienstleistungen angemeldet. Dass der Kläger die Tätigkeit in dem Garten- und Landschaftsbaubetrieb gemäß dem Arbeitsvertrag fortsetzt, ist und war auch bei lebensnaher Betrachtung unwahrscheinlich. Dies ergibt sich, wie der Kläger selbst in dem Schriftsatz vom 30. Mai 2018 vortragen ließ, aus der großen Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsstätte, dem „sehr langen Anfahrtsweg von M … nach | …g“, dem frühen Arbeitsbeginn dort um 7.00 Uhr sowie aus dem Umstand, dass der Kläger dementsprechend zwei Nächte in der Woche bei der Tochter übernachten muss.
Auch von einer etwaigen selbständigen gewerblichen Tätigkeit sind kein Halt und keine Stabilität zu erwarten. Zwar schien sich der Kläger, wie in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 ausgeführt, zusammen mit der Lebensgefährtin auf das Catering-Gewerbe zu verlegen. Davon hat der Kläger indes wieder Abstand genommen. Dies ergibt sich aus der Gewerbeanmeldung für die Erbringung von Hausmeisterdienstleistungen („Hausmeisterservice“, „nur Büro, kein Kundenverkehr“) vom 17. Mai 2018, der Aussage in dem Schriftsatz vom 30. Mai 2018, der Kläger plane eine teilselbständige Tätigkeit im Raum M …, und der Aussage des Bewährungshelfers gegenüber der Beklagten vom 24. Mai 2018, der Kläger wolle sich parallel selbständig zu machen („Kleingewerbe ohne Meisterzwang“). |n der mündlichen Verhandlung schließlich hat sich der Kläger deutlich von der |dee des Catering distanziert („viel zu stressig“ und „Gefahr (…), wieder in alte Muster zurückzufallen“), die nicht von ihm, sondern von der Lebensgefährtin stamme. Dabei sprach der Kläger erneut davon, dass ihm die Arbeit im Garten und auf dem Feld gut tue. Der Tätigkeit in dem Gartenund Landschaftsbaubetrieb stehen aber die von dem Kläger selbst angeführten Nachteile und auch das widersprüchliche Verhalten des Klägers entgegen. Dazu ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, dass und wie eine Teilzeitbeschäftigung in Kombination mit einer Teilzeitselbständigkeit funktionieren können soll. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass der bisherige Arbeitgeber hiervon Kenntnis hat und damit einverstanden ist. Die avisierte Tätigkeit im Hausmeisterservice bleibt im Vagen und Ungefähren. Zudem ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, dass der Kläger Kunden für die |nanspruchnahme von derartigen Hausmeisterdienstleistungen auch nur in Aussicht hat. Eine wie auch immer geartete selbständige Hausmeistertätigkeit ohne geregelte Einsatzzeiten, regelmäßige Einsatzorte, verlässliche Kunden und Ansprechpartner sowie ohne geregeltes Einkommen böte erkennbar nicht die erforderliche Struktur für den Kläger.
Auch die Wohnverhältnisse erscheinen nicht gesichert, sondern sind nach Auffassung der Kammer als unsicher einzustufen. Die Annahme in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 („Er wird zusammen mit einer langjährigen Partnerin wohnen“) und in der Stellungnahme vom 27. März 2018 („wird nach der Entlassung bei seiner langjährigen Lebensgefährtin in H …, Nähe M … wohnen“), dass der Kläger zu seiner Lebensgefährtin ziehen werde, hat sich ebenfalls als nicht tragfähig erwiesen. Dabei kann offenbleiben, ob die Kammer der Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung Glauben schenkt, dass die …Klinik als Entlassungsadresse die Adresse des Probewohnens herangezogen hat, obwohl der Kläger im Vorhinein gesagt haben soll, dass er zur Sicherheit nicht sofort zu seiner Lebensgefährtin ziehen würde. Der Kläger wohnt im Ergebnis nicht mit der Lebensgefährtin zusammen, sondern nach eigenen Angaben derzeit zeitlich bis zum Ende des Jahres 2018 befristet zur Untermiete, ohne hierbei über einen schriftlichen Mietvertrag oder die Aussicht auf eine andere Wohnung zu verfügen.
Damit ist auch die Bedeutung der Lebensgefährtin des Klägers als Stabilität und Halt verleihende Konstante auf den Lebensfeldern „Wohnung“ und „Erwerb des Lebensunterhalts“ deutlich herabgemindert, wobei ohnehin zu berücksichtigen ist, dass deren Belastbarkeit reduziert erscheint, da sie nach eigenen Angaben gegenüber der Beklagten auf 450 EUR-Basis in vier Haushalten tätig ist und seit fünf Jahren nicht mehr im Urlaub war.
Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer fußt im Wesentlichen auf dem Gutachten vom 2. Februar 2018 und der Stellungnahme vom 27. März 2018 sowie auf den dort angestellten Annahmen. Die Begründung beschränkt sich im Ergebnis auf sehr wenige kurze Sätze, in denen das Gutachten vom 2. Februar 2018 und die Stellungnahme vom 27. März 2018 zusammengefasst sowie der Gesetzeswortlaut wiedergegeben werden. Eine eigene darüber hinausgehende konkrete und individuelle Würdigung – welche den Wegfall der oben genannten Annahmen kompensieren könnte – ist der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht zu entnehmen.
Des Weiteren sind das Gutachten vom 2. Februar 2018, die Stellungnahme vom 27. März 2018 und Entscheidung der Strafvollstreckungskammer auch vor dem Hintergrund der einschlägigen Normen zu betrachten. Im vorliegenden Fall war die nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB maximal zulässige Dauer der Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt von zwei Jahren abgelaufen. Zudem ist festzustellen, dass eine Führungsaufsicht von fünf Jahren für den Kläger festgesetzt und damit die nach § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB maximal zulässige Höchstdauer voll ausschöpft wurde. Dazu hat sich der Kläger, worauf auch die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, außerhalb des Strafbeziehungsweise Maßregelvollzugs bislang nicht über einen längeren Zeitraum bewährt.
Schließlich ist zusätzlich – dazu verhalten sich das Gutachten vom 2. Februar 2018, die Stellungnahme vom 27. März 2018 sowie die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht – als ein weiterer destabilisierender Faktor zu werten, dass der Kläger gegenüber der öffentlichen Hand Schulden im sechsstelligen Bereich hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass ein Jahr nach Rechtskraft des Strafurteils der Betrag in Höhe von 600.000 EUR von seinem schweizerischen Konto abgebucht worden ist. Dies ergibt bei einem – nach der von dem Bevollmächtigten des Klägers vorgelegten Rechnung vom 14. April 2016 – ursprünglich zu zahlenden Betrag in Höhe von 745.867,99 EUR eine Differenz und damit Schulden in Höhe von 145.867,99 EUR. Geht man zu Gunsten des Klägers und dem Schreiben der Staatsanwaltschaft m … vom 9. Mai 2017 von einem ursprünglich zu zahlenden Betrag in Höhe von 742.024,33 EUR aus, ergibt dies eine Differenz und damit öffentliche Schulden in Höhe von 142.024,33 EUR. Angesichts dessen und in Anbetracht des bisherigen Werdegangs sowie der geschilderten eingeübten Verhaltensmuster des Klägers, wie sie sich aus den Behördenakten der Beklagten, den beigezogenen Strafakten und den Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts ergeben, ist die Versuchung als groß einzustufen, dass der Kläger in Freiheit außerhalb des geschützten Raumes einer Unterbringung, etwa in einer krisenhaften Situation, in Momenten der Frustration, der Überforderung und damit der Destabilisation, versuchen wird, sich auf illegale Weise schnell Geld zu beschaffen. In diesem Zusammenhang ist der Vergleich zwischen dem Persönlichkeitsbild, welches das Urteil des Landgerichts m … zeichnet, und dem Persönlichkeitsbild, wie es in dem Gutachten vom 2. Februar 2018 und der Stellungnahme vom 27. März 2018 zum Ausdruck kommt, von Bedeutung. Zwar hat der Kläger augenscheinlich inzwischen maßgeblich bei der von dem Sachverständigen damals festgestellten mangelnden Einsichtsfähigkeit Fortschritte erzielt. Insbesondere zu Fortschritten in Bezug auf die von dem Sachverständigen damals festgestellte Frustrationstoleranz des Klägers fehlt es jedoch an tragfähigen Ausführungen.
Angesichts der vorgenannten Umstände sowie auch unter Berücksichtigung der für den Kläger sprechenden Umstände, wie sie in den Gerichts- und Behördenakten sowie nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck kommen, gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die Wiederholungsgefahr zu bejahen ist.
ee) Der Kläger verfügt über ein Bleibeinteresse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er sich seit dem 15. Oktober 2009 und damit mehr als fünf Jahre mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die einer Niederlassungserlaubnis gleichzusetzen ist, im Bundesgebiet aufhält. Auf ein Bleibeinteresse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG kann er sich nicht berufen, da die Voraussetzungen hierfür mangels der erforderlichen familiären Lebensgemeinschaft und der Ausübung eines Personensorge- oder Umgangsrechts nicht vorliegen.
ff) Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellende Abwägung geht zu Lasten des Klägers aus. Die Ausweisung erweist sich unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG aufgeführten – nicht abschließenden – Belange und mit Blick auf die Anforderungen des Art. 6 GG, des Art. 2 GG und des Art. 8 EMRK und auch unter Berücksichtigung des Art. 5 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz als verhältnismäßig.
Bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind neben einem Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG und einem Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
Für den Kläger spricht – unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK -, dass dieser am … Januar 2004 in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seither, mithin seit vierzehn Jahren, hier aufhält und ein Netzwerk an sozialen Beziehungen aufgebaut hat. Er verfügte auch über einen beachtlichen Zeitraum hinweg über einen Aufenthaltstitel. Gleichwohl ist festzustellen, dass der Kläger als siebenunddreißigjähriger und damit erwachsener Mann in das Bundesgebiet eingereist ist und seine prägende Sozialisierung nicht hier, sondern im Herkunftsland (und durch Auslandsaufenthalte in anderen Drittstaaten) erfahren hat.
Für den Kläger spricht des Weiteren – unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK – insbesondere, dass seine mittlerweile erwachsene deutsche Tochter im Bundesgebiet lebt. Die Kammer geht hierbei von einer gelebten Nähebeziehung des Klägers zu seiner erwachsenen Tochter aus. Diese Bindung genießt auch Grundrechtsschutz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich aus den Grundrechten kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt ergibt, sondern dass die Behörden grundrechtlich verpflichtet sind, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen den familiären Bindungen des ausgewiesenen Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, U.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. – juris 1. u. 2. Leitsatz). Die Ausweisung greift in diese grundrechtlich geschützten Familienbeziehungen ein. In der grundrechtlich gebotenen Abwägung darf dem Verhältnis von Eltern zu erwachsenen Kindern regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden als dem Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern, da diese nicht auf den elterlichen Beistand im Bundesgebiet angewiesen sind (vgl. BVerfG, B.v. 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – juris Rn. 44). Bei Bindungen zu volljährigen Familienangehörigen gebieten es die grundrechtlichen Schutzwirkungen daher regelmäßig nicht, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen einen angestrebten Daueraufenthalt sprechen, zurückzustellen. Aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes. Bindungen zwischen erwachsenen Personen genießen nicht unbedingt den Schutz nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, es sei denn, es sind zusätzliche Elemente der Abhängigkeit dargelegt, die über die gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 17.4.2003 – 52853/99 Yilmaz/Deutschland – juris Rn. 44). Hierzu hat der Kläger indes nichts vorgetragen. Derartige Elemente sind auch nicht anderweitig ersichtlich. Jedenfalls kann eine solche Bindung keinen absoluten Vorrang beanspruchen und ist als ein Element bei der Abwägung im Einzelfall zu berücksichtigen (vgl. zu den Elementen der Abwägung: EGMR, U.v. 14.6.2011 – 38058/09 – NVwZ 2012, 947 ).
Für den Kläger spricht des Weiteren – unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK -, dass seine nunmehr schon langjährige Lebensgefährtin im Bundesgebiet lebt. Obwohl Kontakte in Form von Telefonaten und Besuchen dieser Person während der Haft und der Unterbringung des Klägers nur spärlich dokumentiert sind und der Kläger mit ihr augenscheinlich absehbar weder zusammenziehen noch gemeinsam ein Catering-Gewerbe betreiben wird, geht die Kammer auch hier zu Gunsten des Klägers von einer gelebten Nähebeziehung aus, die als Abwägungselement in die Abwägung einfließt.
Auf der anderen Seite hat erkennbar keine Entwurzelung des Klägers im Hinblick auf die Schweiz stattgefunden. Neben den Eltern des Klägers lebt noch der Bruder des Klägers in der Schweiz, der als Chefarzt für plastische Chirurgie tätig ist. Das Verhältnis des Klägers zu seinen Eltern ist nach dem Gutachten vom 2. Februar 2018 nach wie vor gut. Dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt s … ist zudem zu entnehmen, dass der Kläger während der Haft mit seinen Angehörigen in der Schweiz in regem Briefverkehr gestanden hat. Gegenüber dem Bewährungshelfer hat der Kläger den Wunsch geäußert, seine Eltern im Alter von 82 und 84 Jahren in der Schweiz besuchen zu wollen.
Zum Nachteil des Klägers ist – unter Berücksichtigung sämtlicher hier einschlägiger grundrechtlicher Schranken, namentlich des Art. 2 Abs. 1 GG, des Art. 8 Abs. 2 EMRK und des kollidierenden Verfassungsrechts in Bezug auf Art. 6 GG – zu werten, dass der Kläger sich wirtschaftlich nicht nachhaltig in die Bundesrepublik Deutschland integriert hat. In seinem Lehrberuf des Hochbauzeichners hat der Kläger nicht gearbeitet. Der Kläger hat zwar im Bundesgebiet ein Gewerbe betrieben. Nach den Feststellungen des Landgerichts m … diente dieses indes nur als Fassade für den Drogenhandel. Der Kläger verliert durch die Ausweisung nicht eine etwaige erreichte berufliche Existenz. Zwar verfügt er derzeit über einen Arbeitsvertrag im Garten- und Landschaftsbaubetrieb und hat nunmehr nach seiner Haftentlassung erneut ein Gewerbe, zum einen für Catering, zum anderen für die Erbringung von Hausmeisterdiensten, angemeldet. Diese Tätigkeiten haben sich jedoch – aus den oben genannten Gründen – nicht so konkretisiert und verstetigt, dass sie maßgeblich ins Gewicht fallen können. Bei dem Kläger ist beruflich derzeit vieles im Fluss. Er steht im Bundesgebiet insgesamt erst am Anfang des Wiederaufbaus einer beruflichen Existenz. Eine berufliche Existenz kann er sich indes auch in der Schweiz aufbauen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger, der ein gesunder erwachsener Mann ist, in der Lage sein wird, ein eigenständiges Leben in der Schweiz zu führen, und, wenngleich unter Umständen nach anfänglichen Schwierigkeiten, sein Auskommen zu finden.
Unter diesen Vorzeichen fällt bei der Abwägung weiterhin zu Ungunsten des Klägers ins Gewicht, dass es ihm nicht gelungen ist, sich sozial in die Wertegemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Der Kläger ist strafrechtlich in erheblicher Form in Erscheinung getreten. Er hat mit sozialschädlichen Drogen Handel getrieben. Zwar handelt es sich bei Cannabis um eine sogenannte weiche Droge. Dies nimmt der Tat indes nicht ihre Gefährlichkeit, zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg in eine „Drogenkarriere“ ist. Der Kläger hat von 2006 bis 2013 unter Aufwendung beträchtlicher kriminelle Energie professionell und unter Einbindung verschiedener Personen im großen Stil mit Drogen gehandelt, und zwar nach den Feststellungen des Landgerichts m … in einem Umfang, der das 55,2-fache und bis zu 1212,6-fache der geringen Menge überstieg. Der Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der den Konsum und die Gefahr des Süchtigwerdens einer Vielzahl von Personen ermöglicht beziehungsweise die Sucht einer Vielzahl von Personen ausgenutzt hat, hat eine erhebliche Außenwirkung entfaltet und die Allgemeinheit gefährdet. Diese drogenbezogene Kriminalität liegt auch nicht in der fernen Vergangenheit. Der Verurteilung ist zudem eine Verurteilung zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe im Ausland im Zusammenhang mit harten Drogen vorausgegangen, die der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts m … akzeptiert und für sechs Jahre abgeleistet hat. Der Kläger hat sich dies nicht zur Warnung gereichen lassen.
Es ist nicht zu verhehlen, dass die Rückkehr in die Schweiz nach dem langen Aufenthalt im Bundesgebiet für den Kläger persönlich sowie insbesondere auch für die Tochter und die Lebensgefährtin eine Härte bedeutet. Es erscheint dem Kläger jedoch zumutbar, aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen und den Kontakt durch Briefe und Telefonate sowie über moderne Kommunikationsmittel zu pflegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Schweiz nahegelegenes europäisches Ausland ist, so dass die nahestehenden Personen den Kläger ohne Weiteres jederzeit aufsuchen können. Er kann außerdem nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zur Wahrung schutzwürdiger Belange oder bei Wegfall des Zwecks des Verbots einen Antrag auf Verkürzung oder sogar Aufhebung der von der Beklagten festgesetzten Frist stellen. Des Weiteren kann er nach § 11 Abs. 8 AufenthG Betretenserlaubnisse erwirken, zu deren Erteilung die Beklagte sogar vorab ihre Bereitschaft erklärt hat.
Bei Abwägung der für den Verbleib sprechenden Belange mit den für die Ausreise sprechenden Belangen erscheinen die privaten Interesse des Klägers (und der Angehörigen) gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse an einer Ausreise insgesamt nachrangig.
b) Keinen Bedenken begegnet gegenwärtig auch das in Ziffer 2. des angegriffenen Bescheides angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG unter Berücksichtigung des Art. 5 des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz.
aa) Über die Dauer der festzusetzenden Frist hat die zuständige Behörde gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Sie hat die Dauer allein unter präventiven Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Die Dauer darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes sowie der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das zu der Ausweisung geführt hat, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag – insofern entspricht die für die Bestimmung der Dauer der Sperrfrist prognostische Einschätzung im Wesentlichen der sogenannten Wiederholungsgefahr (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 10 B 14.1854 – juris Rn. 8) – und gegebenenfalls wie lange eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer erforderlich ist. Die Frist muss sich zudem an den Wertentscheidungen des Art. 6 Abs. 1 GG, des Art. 2 Abs. 1 GG und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. insgesamt zu § 11 AufenthG a.F: BVerwG, U.v. 6.3.2014 – 1 C 2/13 – juris Rn. 12). Sie ist ebenfalls nach § 114 Satz 1 VwGO nachprüfbar (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 10 B 14.1854 – juris Rn. 6).
bb) Gemessen an diesen Vorgaben erweisen sich das zuletzt bedingt auf sieben Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot, die hierfür zuletzt auf sechs Jahre und neun Monate festgesetzte Nachweisfrist sowie das zuletzt unbedingt auf acht Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot zum gegenwärtigen Zeitpunkt als rechtmäßig. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich.
Die Beklagte hat den Kläger im vorliegenden Fall ausgewiesen, da das Landgericht M … den Kläger in neun tatmehrheitlichen Fällen des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit zwanzig tatmehrheitlichen Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge für schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt hat. Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von mehr als fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sind damit erfüllt. Die Obergrenze der § 11 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AufenthG wird im Fall des bedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots um drei, im Fall des unbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots um zwei Jahre unterschritten.
Der mit der Ausweisung verfolgte Zweck besteht darin, die Wiederholung der Begehung von Straftaten durch den Kläger zu verhindern. Bezüglich des Gewichts des Ausweisungsgrundes wird vollumfänglich auf die Ausführungen zu dem Grundinteresse sowie zu der Wiederholungsgefahr verwiesen. Hierfür erscheint die jeweils bedingt und unbedingt angeordnete Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots – angesichts der geschilderten Umstände und Erwägungen, insbesondere auch gemessen an den Wertentscheidungen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 2 Abs. 1 GG sowie an den Vorgaben aus Art. 8 EMRK und aus Art. 5 des Anhangs I des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz – auch verhältnismäßig. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ihre Ermessenserwägungen aktualisiert und ergänzt. Dabei mag die jeweils angeordnete Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Kläger persönlich sowie auch für die ihm nahestehenden Personen im Bundesgebiet eine maßgebliche Härte bedeuten. Allerdings kann der Kläger jederzeit nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zur Wahrung schutzwürdiger Belange oder bei Wegfall des Zwecks des Verbots einen Antrag auf Verkürzung oder sogar Aufhebung der von der Beklagten festgesetzten Frist stellen. Des Weiteren kann der Kläger nach § 11 Abs. 8 AufenthG auch Betretenserlaubnisse erwirken, zu deren Erteilung die Beklagte sich vorab bereiterklärt hat. Insgesamt erweist sich die Ausgestaltung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zum gegenwärtigen Zeitpunkt als verhältnismäßig.
c) Schließlich erweist sich auch die in Ziffer 3. des angegriffenen Bescheides getroffene Abschiebungsandrohung in die Schweiz als rechtmäßig. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der in Ziffer 3. des Bescheides angeordneten und auf §§ 58, 59 AufenthG beruhenden Abschiebungsandrohung hat der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger ist angesichts der gefundenen Ergebnisse zu der Ausweisungsverfügung nach § 50 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar (vgl. 84 Abs. 1 AufenthG) ausreisepflichtig. Die Frist des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist eingehalten. Eine Fristsetzung für die Abschiebung wäre nach § 59 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und Satz 2 Nr. 2 AufenthG (Absehensgründe) in Verbindung mit § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG (Ausweisung) sogar entbehrlich gewesen. Die Abschiebung ist aufgrund der Ausweisung nach § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse) auch erforderlich. Der Abschiebungsstaat ist ebenfalls ordnungsgemäß nach § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG benannt.
d) Keinen Bedenken begegnet schließlich auch die in Ziffer 4. des angegriffenen Bescheides erhobene Gebühr. Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV a.F. (in der bis zum 31.8.2017 geltenden Fassung) war für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Gebühr in Höhe von 30 EUR zu erheben. Dies hat die Beklagten im vorliegenden Fall getan.
2. Die Klage ist nach alledem insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben