Europarecht

Berufung, Kaufvertrag, Revision, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Pkw, Streitwert, Auslegung, Anspruch, Hinweisbeschluss, Rechtsverfolgung, verwerfen, Kilometerstand, Voraussetzungen, konkreter Anhaltspunkt, billigend in Kauf

Aktenzeichen  27 U 1929/21

Datum:
9.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54502
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

27 U 1929/21 2021-07-05 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17.03.2021, Aktenzeichen 012 O 1149/20, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14.05.2021, Az. 012 O 1149/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.663,52 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Diesel-Pkws.
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 13.02.2017 beim Autohaus B. GmbH, … einen gebrauchten Pkw Opel Zafira Tourer drive 1.6 CDTI ecoFLEX, Fahrgestellnummer …58, mit einem Dieselmotor B16DTJ/B16DTH und der Motornummer …009 zum Preis von 20.900,01 € brutto mit einem Kilometerstand von 12.600 km und einer Erstzulassung am 04.02.2016 (Anlage K1). Der Pkw ist mit einem Abgasrückführungssystem ausgestattet, bei dem zur Reduzierung umweltschädlicher Stickoxid-(NOx-)Emissionen ein Teil der beim Verbrennungsvorgang entstehende Gase zur erneuten Verbrennung in das Ansaugsystem des Motors zurückgeleitet wird.
Im Übrigen wird hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17.03.2021 nebst Berichtigungsbeschluss des Landgerichts Augsburg vom 02.02.2021, Az. 012 O 1149/20, Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass es auf Basis des klägerischen Vortrags nicht darauf zu schließen vermocht habe, dass die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin bei der Entscheidung zum Einbau des konkreten Motors verwerflich im Sinne des § 826 BGB gehandelt haben. Im Übrigen habe konkreter Vortrag der Klägerin zum Vorsatz gefehlt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die in der Berufungsinstanz folgende Anträge stellt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 20.900,01 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 8.236,49 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Opel Zafira Tourer drive 1.6 CDTI ecoFLEX, 1598 mit der FIN …58 zu zahlen. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 21.02.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in 27 U 1929/21 – Seite 3 – Annahmeverzug befindet.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.789,76 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2020 zu zahlen.
Hilfweise beantragt die Klägerin,
das erstinstanzliche Urteil LG Augsburg 012 O 1149/20, verkündet am 18.03.2021, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen.
Weiterhin beantragt die Klägerin hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Klägerin im Wesentlichen aus, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Klage abgewiesen und einen Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB zu Unrecht verneint.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 12.05.2021 (Bl. 323 – 363 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Ersturteil.
Der Beklagte meint, die Berufung der Klägerin sei unzulässig, weil die Berufungsbegründung nicht die Voraussetzungen nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO erfülle. Die Beklagte ist ferner der Ansicht, dass das Landgericht einen Anspruch des Klägers auf Rückabwicklung des Kaufvertrages aus § 826 BGB rechtsfehlerfrei mangels einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung der Klägerin abgelehnt habe.
Wegen des weiteren Vortrags der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 30.06.2021 (Bl. 369 – 385 d. A.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17.03.2021, Aktenzeichen 012 O 1149/20, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14.05.2021, Az. 012 O 1149/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Der Senat bleibt bei seiner im Hinweis vom 05.07.2021 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird, mit der Maßgabe, dass der Streitwert mit Rücksicht auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23.02.2021 – VI ZR 1191/20, BeckRS 2021, 4547 abweichend vom Hinweisbeschluss auf 12.663,52 € festgesetzt wird.
Die fristgerechten Stellungnahmen der Klägerin vom 04.08.2021 (Bl. 407 – 413 d. A.) und vom 05.08.2021 (Bl. 415 – 434 d. A.) enthalten keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Der erkennende Senat hat das gesamte Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, vermochte ihm aber in der Sache nicht zu folgen. Der Senat weist nochmals darauf hin, dass Art. 103 Abs. 1 GG den Senat dazu verpflichtet, den Vortrag einer Prozesspartei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet aber keine Pflicht des Gerichts, bei der Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage der Auffassung eines Beteiligten zu folgen. Ebenso wenig folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht der Gerichte zur ausdrücklicher Befassung mit jedem Vorbringen (BVerfG, Beschluss vom 13.08.2013 – 2 BvR 2660/06, 2 BvR 487/07, BeckRS 2013, 55213 Rn. 67; BGH, Beschluss vom 20.01.2021 – III ZR 160/19, BeckRS 2021, 1265 Rn. 2; BGH, Beschluss vom 12.01.2017 – III ZR 140/15, BeckRS 2017, 100836 Rn. 2).
Deshalb ist lediglich ergänzend auszuführen wie folgt:
„1. Soweit die Klägerin eine manipulative Ad-Blue-Dosierung mittels einer zusätzlich völlig ungeeigneten Technik behauptet hat, lässt sich der „Anfangsverdacht“ einer sittenwidriger Manipulationen der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin zulasten ihrer Fahrzeugkäufer daraus nicht ableiten. Aus dem Rückrufschreiben der Beklagten (Anlage K 4) lässt sich insoweit nur rückschließen, dass Änderungen an der Motorsteuerung vorgenommen werden sollen, die mit einem erhöhten AdBlue-Verbrauch einhergehen, soweit dort auf Seite 2 davon die Rede ist, dass sich durch das Software-Update der AdBlue-Verbrauch bei ansonsten vergleichbaren Fahrbedingungen erhöhen kann. Der „Anfangsverdacht“ sittenwidriger Manipulationen der Beklagten zulasten ihrer Fahrzeugkäufer lässt sich daraus nicht ableiten.“
Gleiches gilt, soweit die Klägerin vorträgt, die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin hätten aus rücksichtslosem Gewinnstreben davon abgesehen, die bereits verfügbare Harnstoffeinspritzung für das streitgegenständliche Fahrzeug fortzuentwickeln und serienreif zu produzieren. Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass unabhängig davon, ob solche Möglichkeiten der Beklagten auch bekannt gewesen waren, es keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellen kann, wenn ein Kfz-Hersteller nicht der Vorreiter der technischen Entwicklung ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020 – I-5 U 110/19, BeckRS 2020, 9904 Rn. 42).
Es obliegt vorliegend zudem – anders als die Klägerin meint (vgl. Berufungsbegründung, S. 22 ff.) – nicht der Beklagten darzulegen, mit welchen Angaben ihre Entscheidungsträger bzw. die Entscheidungsträger ihrer Rechtsvorgängerin die Verwendung eines sog. „Thermofensters“ sowie die weiteren, von der Klägerin als unzulässig qualifizierten Abschalteinrichtungen AdBlue-Dosierstrategie, Ausrampstrategie etc. gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt vor Beantragung der Typgenehmigung bzw. im Rahmen der Genehmigung des Software-Updates begründet haben (vgl. OLG Bremen, NJOZ 2021, 489 Rn. 54 m. w. N.). Vielmehr ist grundsätzlich die Klägerin als Gläubigerin des geltend gemachten Anspruchs in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet für die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nach § 826 BGB (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 35), was auch die tatsächlichen objektiven und subjektiven Umstände einschließt, aus denen sich der Vorwurf der Sittenwidrigkeit ergeben soll. Die Verwendung einer Abschalteinrichtung ist auch für den Fall der Unzulässigkeit derselben nicht ohne weiteres als sittenwidrig anzusehen. Daraus ergibt sich, dass auch nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. ein Handeln der Beklagten in der Annahme des Vorliegens dieser Voraussetzungen lediglich ausnahmsweise eine ansonsten begründete Sittenwidrigkeit entfallen ließe (in diesem Fall wäre eine Darlegungs- und Beweislast der Beklagten hinsichtlich der Voraussetzungen dieser Ausnahme bzw. ihres Vertrauens auf deren Anwendung anzunehmen, vgl. BGH, NJW-RR 2009, 1207 Rn. 23), sondern es bleibt vielmehr insoweit bei der vollen Darlegungs- und Beweislast der Klägerin (vgl. OLG Bremen, NJOZ 2021, 489 Rn. 54). Der Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe bewusst unvollständige Angaben gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt bezüglich sämtlicher klägerseits benannter Abschalteinrichtungen gemacht, ist die Beklagte in der Berufungsbegründung substantiiert entgegengetreten.
Selbst wenn die Angaben der Beklagten gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt tatsächlich unvollständig gewesen sein sollten (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 05.08.2021, S. 15 ff.), wäre dies noch kein konkreter Anhaltspunkt für deren Bewusstsein, eine unzulässige Abschalteinrichtung bei Verheimlichung dieses Umstands zu verwenden bzw. verwendet zu haben. Es wäre zunächst Sache des Kraftfahrt-Bundesamts gewesen, vermeintlich unvollständige Angaben im Typgenehmigungsverfahren zu monieren. Denn das Kraftfahrt-Bundesamt hat zunächst zu prüfen, ob die Antragsunterlagen im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben vollständig sind. Fehlt es daran, hat es den Antragsteller aufzufordern, die Antragsunterlagen zu ergänzen. Kommt der Antragsteller dem nicht nach, lehnt die Behörde den Antrag ab (vgl. OLG München, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021 – 8 U 4122/20, BeckRS 2021, 9658 Rn. 60; Führ, NVwZ 2017, 265, 269). Selbst wenn die Beklagte verwaltungsrechtlich zu weiteren Angaben im Typgenehmigungsverfahren verpflichtet gewesen wäre, spräche nichts dafür, dass die Beklagte diese – unterstellte – Unvollständigkeit ihrer Angaben im Typgenehmigungsverfahren und ihre – unterstellte – Rechtspflicht zur weiteren Aufklärung gekannt hätte oder zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Anders als bei einer Prüfstandserkennungssoftware mit Umschaltlogik könnte aus dem – unterstellten – Fehlen derartiger ergänzender Angaben nicht darauf geschlossen werden, dass die Beklagte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt oder dies auch nur billigend in Kauf genommen hätte (vgl. OLG München, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021 – 8 U 4122/20, BeckRS 2021, 9658 Rn. 61).
Auch für eine Anordnung des Senats gemäß §§ 273 Abs. 2 Nr. 5, 142 Abs. 1 ZPO gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt des Inhalts, dass dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) u. a. aufgegeben wird, ob die Beklagte den Bedatungsbereich des sog. „Thermofensters“ gegenüber dem KBA offengelegt hat bzw. mitgeteilt hat, wie die Strategien bei der Beladung der Abgasrückführung funktioniert und aktiviert wird, besteht unter Berücksichtigung insbesondere des möglichen Erkenntniswertes und der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung, des Umstandes, dass die gesamte Softwareausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs der Klägerin nicht zugänglich ist und unter Beachtung berechtigte Belange des Geheimnis- und Persönlichkeitsschutzes der Beklagten kein Anlass. Denn die Vorschrift des § 142 ZPO befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substanziierungslast (vgl. BGH, NJW 2014, 3312 Rn. 29). Dementsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags anordnen (vgl. BGH, NJW 2014, 3312 Rn. 29). Dieses ist hier – wie dargelegt – nicht der Fall. Auch der erfolgte Hinweis der Klägerin auf die sekundäre Darlegungs- und Beweislast der Beklagten geht insoweit ins Leere (vgl. Hinweisbeschluss des Senats vom 05.07.2021).
2. Anders als im die V. AG betreffenden Fall des OLG Oldenburg (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 16.10.2020 – 11 U 2/20, BeckRS 2020, 26911) ist vorliegend – wie sich aus dem unstreitigen Tatbestand des landgerichtlichen Urteils ergibt – das streitgegenständliche Fahrzeug zwar von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts vom 17.10.2018 betroffen, der aber von der Beklagten angegriffen und daher – anders als die Klägerin meint (vgl. u. a. Schriftsatz vom 04.08.2021, S. 5) – nicht bestandskräftig ist. Anders als die Klägerin meint (vgl. Schriftsatz vom 04.08.2021, S. 3) sind damit die objektiven Voraussetzungen des § 826 BGB nicht bereits erfüllt.
Im Übrigen ist nochmals darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Entwicklung und der Einsatz der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) für sich genommen nicht ausreichen, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu begründen (vgl. zuletzt Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20 Rn. 13). Soweit die Klägerin behauptet, dass die Einordnung des sog. „Thermofensters“ als unzulässige Abschalteinrichtung vor Beantragung der Typgenehmigung unstreitig sei, widerspricht dieses dem Vortrag der Beklagten (vgl. u. a. Klageerwiderung, S. 24). Soweit die Klägerin ferner auf eine von ihr behauptete Kenntnis des Vorstands der Rechtsvorgängerin der Beklagten M. L. bezüglich der Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs Bezug nimmt, hat der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss darauf hingewiesen, dass über eine Wissenszusammenrechnung kein Weg zu dem für das Merkmal der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB erforderliche moralische Unwerturteil führt, weil sich die die Verwerflichkeit begründende bewusste Täuschung nicht mit einer Wissenszurechnung über die Grenzen rechtlich selbständiger Gesellschaften (hier: der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin) hinaus begründen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 23).
3. Soweit die Klägerin vorträgt, dass der Pkw der Beklagten nach dem Software-Update nicht mangelfrei arbeitet, vermag der Senat weiterhin nicht zu erkennen, inwieweit dieser Umstand kausal ist für den vorliegend geltend gemachten Schaden in Form des ungewollten Kaufvertragsabschlusses (vgl. Hinweisbeschluss des Senats vom 05.07.2021, S. 10).
4. Eine sittenwidrige Manipulation der Beklagten zum Nachteil ihrer Kunden ist auch nicht darin zu sehen, dass das On-Board-Diagnosesystem im Fahrzeug der Klagepartei nicht mittels eines Warnhinweises im Cockpit anzeigt, sobald der tatsächliche Stickoxidausstoß den Grenzwert überschreitet (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20 Rn. 18). Das On-Bord-Diagnosesystem dient, wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, dazu, Fehlfunktionen und deren wahrscheinliche Ursachen anzuzeigen. Die Beklagte durfte in vertretbarer Weise bei Entwicklung und Typgenehmigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs davon ausgehen, dass eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung im Interesse des Motor- und Bauteilschutzes zulässig ist und mithin bei bestimmten Betriebszuständen im realen Fahrbetrieb die für den Prüfstandsbetrieb geltenden Grenzwerte überschritten werden (vgl. Senat, Hinweisbeschluss vom 29.04.2021 – 27 U 1194/21). Vor diesem Hintergrund liegt bereits eine anzeigepflichtige Fehlfunktion bei Überschreitung der Emissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb nicht vor. Der allgemeine Vortrag der Klägerin zu OBD-Schwellenwerten, der nicht mitteilt, was das OBD-System des hier in Rede stehenden Fahrzeugs in welcher Funktionssituation fehlerhaft anzeigt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Hinweis auf Diskrepanzen zwischen NOx-Emissionen unter Prüfstandsbedingungen und unter normalen Betriebsbedingungen genügt hierfür nicht (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20 Rn. 23).
5. Die Klägerin kann den geltend gemachten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 5 Abs. 1, 2 i. V. m. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007, Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Dieser Anspruch scheitert u. a. am Schutzcharakter des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, NJW 2020, 2798, 2799 f.; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 76; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020 – I-5 U 110/19, BeckRS 2020, 9904 Rn. 47 ff.; OLG Bremen, NJOZ 2021, 489, 495 ff.).
a) Ob insbesondere die Funktionsweise des sogenannten „Thermofensters“ mit den Vorgaben des einschlägigen Unionsrechts in Einklang steht, wurde von Rechtsprechung und Literatur bislang nicht einheitlich bewertet. Umstritten war dabei nicht nur, ob es sich bei diesem Mechanismus um eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen Verordnung (EG) 2007/715/EG handelt. Unklar war darüber hinaus auch, ob der Mechanismus dem Regelverbot des Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung unterfällt oder nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung ausnahmsweise als zulässig anzusehen ist, weil er notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen (vgl. zum Meinungsstand OLG München, BeckRS 2020, 24517 Rn. 27 f.; OLG Schleswig, BeckRS 2020, 9840 Rn. 32 m. w. N.). Nunmehr hat der Gerichtshof der Europäischen Union geurteilt, dass ein Pkw-Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen darf, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, um ihre Zulassung zu erreichen. Auch die Tatsache, dass eine solche Abschalteinrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern, könne ihr Vorhandensein nicht rechtfertigen (EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18, BeckRS 2020, 35477 sowie Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 15.07.2020, S. 9 ff., und Berufungsbegründung vom 28.01.2021, S. 13 ff.).
Vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Informationen war die von der Beklagten vorgenommenen Auslegung einer unbestimmten Norm, wonach ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, anders als die Klägerin meint (vgl. u. a. Schriftsatz vom 05.08.2021, S. 7) jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes (vgl. zur Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der VO 2007/715/EG auch die Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“, Stand April 2016, S. 126, zitiert nach OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585, demnach ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vorliege) und möglicherweise auch einer gewissen Kostensensibilität (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 39) kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585; OLG Koblenz, BeckRS 2020, 21725 Rn. 21).
b) Der Rechtsstreit wirf insoweit auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin im Schriftsatz vom 05.08.2021 und der dort genannten Entscheidungen des Landgerichts Stuttgart vom 20.05.2021 – 20 O 157/20 bzw. des Europäischen Gerichtshofs vom 24.23.3028 – T 339/16 sowie der von der Klägerin genannten Verordnungen (EG) keine Fragen auf, bei denen vernünftige Zweifel an der richtigen Anwendung von Unionsrecht bestünden (vgl. allgemein EuGH, Urteil vom 06.10.1982 – C 283/81). Die hier erheblichen Fragen der Auslegung der VO EG Nr. 715/2007 sind durch den Bundesgerichtshof in Kenntnis der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt. Der Bundesgerichtshof hat zwischenzeitlich wiederholt seiner Auffassung Ausdruck verliehen, nach der es der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nicht bedarf („acte clair“, vgl. zuletzt BGH, Hinweisbeschluss vom 15.06.2021 – VI ZR 566/20, BeckRS 2021, 20209 Rn. 9 unter Hinweis auf BGH, NJW 2020, 2798 Rn. 16). Der Beurteilung des Bundesgerichtshofs schließt sich der Senat an.
Eine Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof als gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (vgl. BVerfG, NJW 2011, 3428 Rn. 65) ist auch nicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV geboten. Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, NJW 1983, 1257, 1258) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war („acte éclairé“) oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt („acte clair“, vgl. auch BVerfG, NJW 2021, 1005 Rn. 10).
Der Senat hat die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, insbesondere das Urteil des EuGH vom 13.12.2018 – T- 339/16, Celex-Nr. 62016TJ0339, veröffentlicht bei juris, ausgewertet und seine Entscheidung hieran orientiert. Auf dieser Grundlage hat der Senat unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die Überzeugung gebildet, dass vorliegend die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt („acte clair“, vgl. oben) und der Senat hierdurch auch nicht von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht. Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den EuGH die gleiche Gewissheit bestünde.
Eine grundlegende strategische Entscheidung der Beklagten im eigenen Kosten- und Gewinninteresse, die unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde bzw. der Klägerin als Fahrzeugerwerberin abzielt (vgl. BGH, NJW 2021, 1669 Rn. 19), ist nicht belegt. Insbesondere ist vorliegend der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB nicht erfüllt. Aus den vorgenannten Gründen ist damit auch ein drohender Verlust der Zulassung und die Gefahr einer Stilllegung gemäß § 5 FVZ durch die örtliche Zulassungsbehörde nicht erwiesen. Aus diesen Gründen besteht für den Senat auch kein Anlass, für den hier streitgegenständlichen Pkw und seine Motorisierung ein Sachverständigengutachten zu erholen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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