Europarecht

Bewertung von Cross-Compliance

Aktenzeichen  Au 8 K 19.1968

Datum:
2.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 17468
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 1306/2013 Art. 91 Abs. 1, Art. 93, Art. 99 Abs. 1
VO (EU) Nr. 640/2014 Art. 39 Abs. 4 UAbs. 3, Art. 40
VO (EG) Nr. 1760/2000 Art. 7 Abs. 1
VwGO § 114 S. 2
ViehVerkV § 29, § 32

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 13. Dezember 2017 in der Form des Widerspruchsbescheides der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 15. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen über die bereits ausbezahlten gekürzten Beihilfen hinaus bestehenden Anspruch auf weitere Zahlungen und ist daher nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 und 5 Satz 1 VwGO). Die streitgegenständlichen Kürzungen sind dem Grunde und der Höhe nach gerichtlich nicht zu beanstanden.
Das Gericht nimmt auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid (§ 117 Abs. 5 VwGO) Bezug und sieht insoweit von einer eigenen Begründung ab. Nur ergänzend wird ausgeführt:
1. Zwischen den Parteien unstreitig sind die Feststellungen des Veterinäramtes im Rahmen der Vor-Ort-Kontrolle am 2. August 2017 dem Grunde nach. Gem. Art. 91 Abs. 1 i.V.m. Art. 93 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 wird eine Verwaltungssanktion verhängt, wenn der Begünstigte Cross-Compliance Vorschriften nicht erfüllt, also etwa gegen die Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB) nach Anhang II dieser Verordnung verstößt. Streit besteht insofern nur über die vorgenommene konkrete Bewertung der einzelnen Feststellungen zum Teil als „vorsätzlicher Verstoß“ bzw. hinsichtlich der Höhe der jeweils festgelegten Kürzungssätze.
2. Die Bewertung der Verstöße gegen die Standards GAB 7 PK 01, GAB 7 PK 03, GAB 7 PK 04 und GAB 7 PK 05 als vorsätzlich ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte ist gem. Art. 39 Abs. 4 UAbs. 3 i.V.m. Art. 40 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 zu Recht von Vorsatz ausgegangen.
Gem. Art. 39 Abs. 4 UAbs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 weist die Zahlstelle den betreffenden Begünstigten, wenn der Höchstsatz von 15% für Kürzungen bei fahrlässigen Verstößen erreicht ist, darauf hin, dass bei erneuter Feststellung desselben Verstoßes davon ausgegangen wird, dass der Begünstigte vorsätzlich im Sinne von Art. 40 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 gehandelt hat.
Der Beklagte hat den Kläger mit Hinweisschreiben vom 17. Oktober 2016 darauf hingewiesen, dass bei einem erneuten Verstoß innerhalb von drei Kalenderjahren seit der letzten Kontrolle von einem vorsätzlichen Begehen auszugehen ist und dies unter Umständen zum vollständigen Verlust der mit dem Mehrfachantrag beantragten Subventionen führen kann. In diesem Hinweisschreiben sind festgestellte Verstöße gegen die Prüfkriterien Kennzeichnung, Bestandsregister, Datenbank HIT und Anzahl behobener Meldeverstöße als Verstöße gegen Cross-Compliance Vorschriften im Bereich Kennzeichnung und Registrierung von Rindern aus den Jahren 2013, 2014, 2015 und 2016 aufgeführt.
Die im Rahmen der Kontrolle am 2. August 2017 getroffenen Feststellungen sind Verstöße gegen die Standards GAB 7 PK 01, GAB 7 PK 03, GAB 7 PK 04 und GAB 7 PK 05 und damit abermals Verstöße gegen die Prüfkriterien Kennzeichnung, Bestandsregister, Datenbank HIT sowie Anzahl behobener Meldeverstöße. Der Beklagte ist daher insoweit rechtsfehlerfrei von Vorsatzverstößen ausgegangen (Art. 39 Abs. 4 UAbs. 3 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014). Daran vermag auch der klägerische Vortrag, es handele sich um bloße Fahrlässigkeit, nichts zu ändern.
3. Soweit sich der Kläger gegen die konkret getroffene Bewertung dieser Vorsatzverstöße wendet, ist die Festlegung eines Kürzungssatzes von 30% gerichtlich nicht zu beanstanden.
a) Art. 99 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 sieht bei vorsätzlichen Verstößen eine Kürzung von grundsätzlich nicht weniger als 20% vor, die bis zum vollständigen Ausschluss von einer oder mehreren Beihilferegelungen gehen sowie für ein oder mehrere Kalenderjahre gelten kann. Art. 40 UAbs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014, die die Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 ergänzt, nimmt eine Konkretisierung dahingehend vor, dass bei einem festgestellten vorsätzlichen Verstoß der Gesamtbetrag der Zahlungen und jährlichen Prämien gem. Art. 92 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 in der Regel um 20% zu kürzen ist. Nach Art. 40 UAbs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 kann auf der Grundlage des bewertenden Teils des Kontrollberichts, in dem die zuständige Kontrollbehörde die Bedeutung der Verstöße bewertet, und unter Berücksichtigung der Kriterien gem. Art. 38 Abs. 1 bis 4 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 die Zahlstelle jedoch beschließen, den genannten Prozentsatz auf nicht weniger als 15% des genannten Gesamtbetrags zu verringern oder auf bis zu 100% dieses Betrags zu erhöhen. Art. 38 Abs. 1 bis 4 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 nennt „Wiederholtes Auftreten“, „Ausmaß“, „Schwere“ und „Dauer“ als maßgebliche Kriterien.
Hinsichtlich der vorzunehmenden Kürzung der Förderung hat der Beklagte also eine Ermessensentscheidung in Bezug auf die Höhe des Kürzungsprozentsatzes zu treffen (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2013 – 21 ZB 13.1097 – juris Rn. 11; VG Würzburg, U.v. 5.2.2018 – W 8 K 16.1197 – juris Rn. 70 ff.). Im Rahmen des dem Beklagten damit eingeräumten Ermessens hat eine Abwägung aller maßgeblichen Umstände zu erfolgen.
b) Das Gericht hat keine durchgreifenden Bedenken gegen die Ermessensausübung des Beklagten. Unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ist die Behörde zu dem vertretbaren Ergebnis gelangt, den Kürzungssatz auf 30% festzulegen.
Die gerichtliche Kontrolle einer Ermessensausübung ist nur eingeschränkt möglich. Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dem Gericht ist es versagt, die behördlichen Ermessenserwägungen durch eigene zu ersetzen; es darf die Entscheidung nur auf Ermessensfehler (Ermessensausfall, Ermessensdefizit, Ermessensfehlgebrauch) hin überprüfen. Des Weiteren kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägung hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen (§ 114 Satz 2 VwGO).
Zwar sind die Ausführungen zur Ausübung des Ermessens bei der Festlegung des Kürzungssatzes bei den Vorsatzverstößen im ursprünglichen Bescheid wie auch im Widerspruchsbescheid in Teilen formelhaft, den bloßen Normtext zitierend und wenig konkret fallgezogen ausgestaltet, jedoch lassen diese erkennen, dass jedenfalls kein Ermessensausfall vorliegt, sondern der Beklagte durchaus seinen Ermessensspielraum erkannt hat. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte in seinem ursprünglichen Bescheid die Höhe der Kürzung damit begründete, dass diese nach ständiger Verwaltungspraxis in derartigen Fällen 45% betrage und besondere Umstände, die ein Abweichen von dieser Regeleinstufung rechtfertigen würden, nicht ersichtlich seien. Eine gleichförmige Ermessensausübung in ähnlichen Fällen ist vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geboten. Ein Widerspruch zu Art. 40 UAbs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014, der bei einem festgestellten vorsätzlichen Verstoß von einer Regelkürzung von 20% ausgeht, ist damit nicht verbunden. Denn der Beklagte hat die Regeleinstufung anhand vergleichbarer Fälle nach ständiger Verwaltungspraxis vorgenommen, wie sich aus der Formulierung der Begründung ergibt.
Der Beklagte hat in seiner Begründung zur Höhe des Kürzungssatzes auch ausgeführt, dass er im Sinne des Art. 40 UAbs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 auf der Grundlage des bewertenden Teils des Kontrollberichts, in dem die zuständige Kontrollbehörde die Bedeutung der Verstöße bewertet habe, und unter Berücksichtigung der Kriterien gem. Art. 38 Abs. 1 bis 4 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014 zur konkreten Höhe unter Einbeziehung der ständigen Verwaltungspraxis gekommen ist.
Ob die Ermessenserwägungen des Beklagten in den streitgegenständlichen Bescheiden womöglich (noch) unzureichend gewesen sind, kann letztlich dahinstehen. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung jedenfalls gem. § 114 Satz 2 VwGO seine Ermessenserwägungen noch einmal in zulässiger Weise ergänzt, soweit diese unvollständig gewesen sein könnten (Schenke/Ruthig in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 114 Rn. 50). Das Gericht kann unter Einbeziehung der im Laufe des Gerichtsverfahrens möglichen Ergänzungen jedenfalls keine Ermessensfehler des Beklagten feststellen.
Der Beklagte gab an, dass die Höhe des Kürzungssatzes für die vorsätzlichen Verstöße unter Berücksichtigung von Art, Dauer und Schwere der Verstöße festgelegt werde (vgl. dazu Art. 38 Abs. 1 bis 4 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014). Von der Regelkürzung um 20% sei wegen den Wiederholungsverstößen seit 2013 im gleichen Bereich eine Abweichung nach oben vorgenommen worden. Dabei sei insbesondere auch berücksichtigt worden, dass die Frage der ordnungsgemäßen Tierkennzeichnung für die Rückverfolgbarkeit der Tierherkunft und Weiterverarbeitung notwendig sei. Vor diesem Hintergrund sei eine geringfügige Anhebung von 20% auf 30% vorgenommen worden. Im konkreten Fall sei darüber hinaus berücksichtigt worden, dass die Verstöße zwischen 2013 und dem streitgegenständlichen Verstoß im Jahr 2017 ohne Unterbrechung in jedem Jahr stattgefunden haben. Der vorsätzliche Verstoß wäre auch dann schon anzunehmen, wenn noch zwei Jahre ohne Verstöße dazwischenliegen würden. Im konkreten Fall sei die ständige Wiederholung zwischen 2013 und 2017 im gleichen Bereich erschwerend berücksichtigt worden.
Diese Ermessensausübung ist rechtlich nicht zu beanstanden und berücksichtigt insbesondere, dass die bloße Wiederholung von Verstößen nach der Konzeption des europäischen Normgebers grundsätzlich erst zu einem (erstmaligen) Vorsatzverstoß mit der Regeleinstufung von 20% führt. Der Beklagte hat darüberhinausgehende Abwägungskriterien seiner Ermessensausübung zugrunde gelegt. Es liegt auch keine Ermessensüberschreitung vor, da die Behörde sich im Rahmen der ihr von den einschlägigen Normen gegebenen Ermächtigung hält, eine Kürzung zwischen 15% und 100% vorzunehmen (Art. 91 Abs. 1 i.V.m. Art. 99 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 i.V.m. Art. 40 UAbs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 640/2014; Schenke/Ruthig in Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 7). Eine Verletzung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.
4. Soweit der Kläger im Übrigen ausführt, die im Widerspruchsbescheid angeführten Verstöße seien durchweg unzutreffend bewertet, ist hinsichtlich der einzelnen Verstöße und deren Bewertung weder konkret vorgetragen noch ersichtlich, inwieweit die jeweilige Bewertung unzutreffend sein soll. Insbesondere sind die weiteren Ausführungen, weshalb bezüglich der Meldeverstöße kein Vorsatz, sondern bloße Fahrlässigkeit vorliegen soll, vor dem Hintergrund der oben dargelegten Normkonzeption nicht geeignet, die dahingehende Bewertung durch den Beklagten durchgreifend infrage zu stellen.
Soweit der Kläger zwei konkrete Meldefristüberschreitungen rügt, sind diese jedenfalls nicht Bestandteil des streitgegenständlichen Bescheids geworden, wie sich aus den dem Bescheid zugrundeliegenden Akten ergibt. Die Quote der Meldefristüberschreitungen von 4,10%, die zu einer Kürzung der Beihilfen geführt hat, umfasst nach einer dazugehörigen Aufstellung aller Meldefristverstöße im streitgegenständlichen Zeitraum (Bl. 86 der Behördenakte) nicht die von dem Kläger explizit gerügten Meldefristüberschreitungen. Diese waren ausweislich der Akten nur Bestandteil eines vom hiesigen Verfahren unabhängig zu betrachtenden Bußgeldverfahrens (Seite 4 des Bußgeldbescheids vom 16.1.2018; Bl. 54 der Behördenakte).
Meldefristüberschreitungen sind auch nicht durch eine hohe Anzahl an zu leistenden Meldungen zu rechtfertigen. Der Tierhalter ist unabhängig von der Anzahl der zu tätigenden Meldungen zu einer frist- und ordnungsgemäße Meldung der Zu- und Abgänge im Bestandsregister verpflichtet (vgl. etwa Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 i.V.m. §§ 29, 32 Abs. 1 ViehVerkV).
5. Dass in einem parallelen Bußgeldverfahren das festgesetzte Bußgeld gerichtlich reduziert wurde, ist für das hiesige förderrechtliche Verfahren ohne Belang. Das Förderrecht samt einzuhaltender CC-Vorschriften und das Ordnungswidrigkeitenrecht sind nämlich unabhängig voneinander bestehende Rechtsbereiche mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Zielsetzungen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben