Europarecht

Dublinverfahren, Abschiebungsanordnung nach Italien, nachgeborenes Kleinkind, keine systemischen Mängel, Corona-/SARS-CoV2-/COVID-19-Pandemie, kein Abschiebungsverbot, keine Gefahr vorübergehender Obdachlosigkeit, im Entscheidungszeitpunkt kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen Wahrung der Familieneinheit

Aktenzeichen  W 10 K 21.50087

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40045
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
AufenthG § 60a

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1, 2 VwGO durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Ein Einverständnis der Beteiligten ist hierzu nicht erforderlich.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
1. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG (Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihrem Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO werden Anträge eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 – 15 Dublin III-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Maßgeblich für die Zuständigkeitsbestimmung nach diesen Kriterien ist gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO der Sachverhalt, welcher im Zeitpunkt des ersten Asylantrags in einem Mitgliedstaat gegeben war. Gegenüber den Kriterien des Kapitels III hat jedoch eine durch einen Fristablauf begründete Zuständigkeit Vorrang (EuGH, U.v. 26.7.2017 – Mengesteab, C-670/16 – juris; U.v. 25.10.2017 – Shiri, C-201/16 – juris; Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 14; Thomann in Decker/Bader/Kothe, Beck´scher Onlinekommentar Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2020, VO (EU) Nr. 604/2013, Art. 7 Rn. 21). Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Erweist es sich jedoch als unmöglich, einen Asylantragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen, so besteht hinsichtlich dieses Mitgliedstaates gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO ein Überstellungshindernis. Unter diesen Umständen setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung der Zuständigkeitskriterien in Kapitel III fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann danach keine Überstellung an einen anderen zuständigen Mitgliedstaat erfolgen, so geht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO die Zuständigkeit auf den prüfenden Mitgliedstaat über, mithin auf die Beklagte.
Danach ist vorliegend Italien gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Italiens ergibt sich vorliegend aus Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO. Italien ist für die Bearbeitung des Asylantrags der Mutter der Klägerin zuständig, wie sich aus der beigezogenen Behördenakte (Az.: 8161240-232) und dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 1. März 2021 (W 10 K 20.50220) ergibt. Es bedurfte dabei keiner Einleitung eines eigenen Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung bzw. Stellungnahme eines Aufnahmegesuchs an Italien betreffend die Klägerin.
Die Mutter der Klägerin hat ausweislich des Eurodac-Treffers und ihrer eigenen Angaben bereits in Italien einen Asylantrag gestellt, so dass die italienischen Behörden gemäß Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags zuständig sind. Italien ist auch gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zu deren Wiederaufnahme verpflichtet, weil das gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO rechtzeitig gestellte Übernahmeersuchen des Bundesamts nicht innerhalb der Frist gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO beantwortet wurde.
Die Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) ist für diese auch (noch) nicht abgelaufen, weshalb kein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO in Betracht kommt. Die Anfechtungsklage gegen die im Verfahren der Mutter (W 10 K 20.50220) verfügte Abschiebungsandrohung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG hat aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1 Satz 1 und 38 Abs. 1 AsylG; vgl. VG Würzburg, U.v. 13.5.2020 – W 1 K 20.50043 – juris Rn. 22; U.v. 3.4.2020 – W 10 K 19.30677 – juris Rn. 34 f.). Die Einlegung eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung gegen die Überstellungsentscheidung bzw. gegen die damit verbundene Abschiebungsandrohung führt dazu, dass die Überstellungsfrist unterbrochen wird. Sie läuft erst mit dem Ende der aufschiebenden Wirkung nach § 80b VwGO neu an (BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 1 C 6.16 – juris Rn. 17 ff.), d.h. im vorliegenden Fall gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des Antrags auf Zulassung der Berufung (§ 78 Abs. 4 Satz 1, 4 AsylG). Die Mutter der Klägerin ist damit mangels entgegenstehender Anhaltspunkte weiterhin als Antragstellerin im Sinne des Art. 2 Buchst. c Dublin III-VO anzusehen, auch wenn sie in Italien einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen (vgl. Bl. 129 f. der Akte Az.: 8161240-232) erhalten hat (vgl. zur anderen Konstellation im Falle der Anerkennung internationalen Schutzes: BVerwG, U.v. 23.6.2020 – 1 C 37.19; VG Würzburg, U.v. 21.8.2020 – W 10 K 19.32291 – juris).
b) Die Überstellung nach Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich (vgl. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG) im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO, weil die Überstellung der Klägerin nach Italien nicht wegen einer drohenden Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta rechtlich unmöglich ist.
aa) Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. etwa EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris m.w.N.; U.v. 14.11.2013 – Puid, C-4/11 – NVwZ 2014, 129). Danach besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtecharta (EU-GR-Charta) mit sich bringen. Unter diesen Umständen hat die Beklagte zunächst gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung der Zuständigkeitskriterien in Kapitel III (Art. 7 – 15 Dublin III-VO) fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann danach keine Überstellung an einen anderen zuständigen Mitgliedstaat erfolgen, so geht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO die Zuständigkeit auf die Beklagte über (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – BeckRS 2020, 5590, Rn. 25 ff. m.w.N.).
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80 ff.; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 6; NdsOVG, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 28 ff. m.w.N.; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 36 ff.). Konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019 (C-163/17 – juris Rn. 91 ff.) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu werten sind, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Diese Schwelle ist aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats muss zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – juris Rn. 28 ff. m.w.N.).
bb) Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen geht das Gericht in ständiger Kammerrechtsprechung, der sich der Einzelrichter anschließt, auf Basis einer Gesamtwürdigung nach dem im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) aktuellen Erkenntnisstand nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen (vgl. z.B. VG Würzburg, B.v. 20.8.2020 – W 10 S 20.50201; U.v. 14.7.2020 – W 10 K 19.50515; U.v. 8.7.2020 – W 10 K 19.50373).
Die Republik Italien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union an die europäischen Grundrechte (Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta) sowie an die EMRK gebunden. Deshalb spricht zunächst die durch das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründete Vermutung für die Zulässigkeit der Abschiebung in einen solchen Staat. Diese Vermutung ist nicht durch die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen entkräftet, weil eine Zusammenschau der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien den internationalen und europäischen Mindeststandards entsprechen und jedenfalls elementare Bedürfnisse der Asylbewerber gedeckt werden können.
Asylbewerber haben in Italien entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Über den Ablauf des Asylverfahrens wird über Informationsbroschüren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen sowie über Betreuungsdienste Auskunft gegeben. Bei Dublin-Rückkehrern ist im Regelfall gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz weiterverfolgen oder erstmals einen Asylantrag stellen können. Die Anzahl der anhängigen Asylverfahren sowie deren Dauer in der ersten Instanz konnte mittlerweile deutlich reduziert werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (im Folgenden: BFA), Länderinformation der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020, S. 5 ff., 7 ff.; Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 7 f., 34, 49; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG NW vom 23.2.2016).
Auch die Änderungen infolge des Salvini-Dekrets rechtfertigen keine andere Beurteilung, zumal weiterhin nicht davon auszugehen ist, dass der italienische Staat mit Gleichgültigkeit reagiert, sondern entsprechende Maßnahmen trifft (vgl. VG Würzburg, G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – juris Rn. 37 f., 42 ff.; VG Frankfurt, B.v. 27.12.2019 – 2 L 615/19.A – juris; VG Hannover, B.v. 14.1.2019 – 5 B 5153/18 – juris; VG Berlin, G.v. 9.1.2019 – 34 K 1131.17 A – juris). Durch das am 4. Oktober 2018 erlassene und am 7. November 2018 durch den Senat sowie am 28. November 2018 durch das Parlament bestätigte Dekret Nr. 113/2018 über Sicherheit und Migration in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1. Dezember 2018 (sog. Salvini-Dekret) wurde der bisherige humanitäre Schutz stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen werden nicht erneuert und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können aber bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden. Darüber hinaus beabsichtigt die italienische Regierung die durch das Salvini-Dekrets eingeführten Regelungen teilweise wieder aufzuheben (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020, S. 6, 9, 26 f.). Zudem liegt die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 4 der RL 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348/98, sog. Rückführungsrichtlinie) im Ermessen der Mitgliedstaaten. Demgegenüber regelt Art. 9 der Rückführungsrichtlinie die Fälle, in denen kraft Unionsrechts die Rückführung in das Herkunftsland trotz unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags nicht zulässig ist. Im Übrigen ist der jeweilige Mitgliedstaat somit kraft seiner Gebietshoheit befugt, den Aufenthalt von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern in seinem Hoheitsgebiet zu beenden, zu dulden oder durch Gewährung eines zumindest befristeten Aufenthaltsrechts (vorübergehend) zu legalisieren. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften der Rückführungsrichtlinie gegen primäres Unionsrecht, insbesondere Grundrechte der betroffenen Asylbewerber verstoßen würden, oder dass in der italienischen behördlichen Praxis rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber unter Verstoß gegen diese Vorschriften in ihr Herkunftsland zurückgeführt würden, liegen nicht vor.
Des Weiteren erhalten Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien nach wie vor Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung. Darüber hinaus dürfen Asylbewerber zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten, auch wenn sie in der Praxis Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben mögen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020, S. 13, 15; Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 11, 20 f., 35, 43). Auch wenn Italien möglicherweise hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem bereitstellt, so begründet dies entsprechend den obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel.
Italien verfügt über ein umfassendes Gesundheitssystem, das medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf hohem Niveau bereitstellt. Asylbewerber haben in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet. Auch diesbezüglich kommt es durch das Salvini-Dekret zu keinen Abstrichen. Insbesondere ist nach wie vor die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylbewerber garantiert. Bürokratische Hindernisse lassen sich mit Hilfe der Betreiber der Aufnahmeeinrichtungen überwinden. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen und die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass in Italien als EU-Mitgliedstaat medizinische Behandlungsmöglichkeiten wie generell in der EU in ausreichendem Maß verfügbar sind (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020, S. 19 ff.; Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 10 f., 15 f., 21 f., 37 f., 45 f.).
Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Unterbringung. Grundsätzlich werden zahlreiche Plätze für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften zur Verfügung gestellt, die über ganz Italien verteilt sind. Sowohl das Bundesamt als auch Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von über 175.000 Plätzen aus (vgl. Bundesamt, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2; AIDA, Country Report: Italy, Stand: April 2019, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2018update.pdf, S. 80 ff.). Am 15. Januar 2020 befanden sich nur noch insgesamt 90.198 Migranten in staatlicher Unterbringung, nachdem es am 31. Januar 2019 131.067 und am 31. Januar 2018 182.537 waren, was im Wesentlichen auf den Rückgang der Anlandungszahlen in Italien sowie die Beschleunigung der Prüfung der Asylanträge zurückzuführen ist. Hierdurch ist zudem eine Aufnahmesituation in Italien eingetreten, die durch ein zunehmend strukturiertes und auf einen Ausgleich zwischen den italienischen Regionen gerichtetes System charakterisiert wird. Hierzu tragen die mittlerweile immer stärker greifenden Unterstützungsmaßnahmen der EU-Kommission über das European Asylum Support Office (im Folgenden: EASO) in Italien bei (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020, S. 15 ff., 17 ff.; Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 7 f., 51).
Durch das Salvini-Dekret wurde die bisherige Unterbringung völlig neu organisiert. Nunmehr wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene, dem sog. SIPROIMI unterschieden. Während die Erstaufnahmeeinrichtungen die bisherigen CAS- und CARA-Unterkünfte ersetzen, treten die SIPROIMI an die Stelle der früheren SPRAR-Unterkünfte, wobei letztere bisher vor allem für vulnerable Personen unabhängig von ihrem Schutzstatus vorgesehen waren. Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer werden jetzt in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, während Personen mit Schutzstatus sowie unbegleitete Minderjährige Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen erhalten, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das zum einen der Kritik des italienischen Rechnungshofs Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. Zum anderen wurde damit auf den Vorwurf reagiert, dass die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR keine einheitlichen Standards sicherstellten. Durch die nunmehrige Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen kann auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden. Darüber hinaus wird so eine bessere Planbarkeit der jeweils erforderlichen Kapazitäten ermöglicht. Die Bedürfnisse von Familien sowie vulnerablen Personen finden weiterhin Berücksichtigung. So sind etwa Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen, für die es spezielle Ausschreibungsspezifikationen gibt (z.B. bzgl. Personalschlüssel, Reinigungsintervallen oder Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner). Zudem erhalten bestimmte vulnerable Personengruppen (wie etwa alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern) eine besondere soziale und psychologische Betreuung. Da es auf einige Ausschreibungen keine oder zu wenige Bewerbungen gegeben hatte, weil die angebotenen finanziellen Bedingungen nicht ausreichend waren, bietet das neue Rundschreiben des italienischen Innenministeriums vom 4. Februar 2020 den Präfekturen nun mehr finanziellen Spielraum, um die Bedingungen entsprechend anzupassen. Zudem richten die neuen Regelungen ein besonderes Augenmerk auf die Kontrolle der Betreiber der Aufnahmeeinrichtungen inklusive detaillierten Regelungen zu Dokumentationspflichten der Betreiber (vgl. zum Ganzen BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020, S. 10 f., 13 ff., 15 ff., 18 ff. sowie vom 9.10.2019, S. 13 f.; Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 1, 6 ff., 9 ff., 37, 40, 44, 51 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien vom Januar 2020, S. 16 f., 37 ff.).
Neben den staatlichen Einrichtungen existieren noch verschiedene karitative und kommunale Einrichtungen, die zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten bieten, um Asylbewerber vor Obdachlosigkeit zu schützen. Zwar war es – jedenfalls nach bisherigen Erkenntnissen – in Einzelfällen gleichwohl möglich, dass Dublin-Rückkehrer keine Unterbringung erhielten und vorübergehend obdachlos waren. Allerdings geht aus der aktuellen Erkenntnismittellage zum einen hervor, dass das Verwehren des Unterkunftsplatzes nach einem Untertauchen nicht für Dublin-Rückkehrer gilt. Zum anderen bleibt der italienische Staat nicht untätig. So wurden insbesondere Vorkehrungen für die unverzügliche Verteilung von Dublin-Rückkehrern auf die entsprechende Unterkunftseinrichtung getroffen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020, S. 16; Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 1, 5 f., 18 f., 25 ff., 48 ff.).
Mithin sind etwaige defizitäre Umstände gerade vor dem Hintergrund der erreichten Verbesserungen nicht als generelle systemische Mängel in Italien zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat mit Unterstützung des EASO geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten stetig zu erhöhen und aktiv darum bemüht ist, diese auch weiterhin zu verbessern (vgl. EASO, Special Support Plan to Italy vom 11.3.2015). Dies gilt umso mehr, als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist sowie im Hinblick auf die Neustrukturierung der Unterbringung.
Auf der Basis der vorstehenden Ausführungen schließt sich das Gericht unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. etwa VG Bayreuth, G.v. 22.4.2020 – B 2 K 19.50647 – Milo; VG Würzburg, G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – juris Rn. 30 ff. m.w.N.; VG Aachen, U.v. 6.3.2020 – 9 K 3086/18.A – juris; VG Aachen, U.v. 17.12.2019 – 9 K 4401/18.A – juris; VG Würzburg, B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50089 – juris; VG Trier, U.v. 28.2.2020 – 7 K 1250/19.TR – juris; VG Köln, B.v. 19.2.2020 – 14 L 207/20.A – juris; VG Düsseldorf, G.v. 27.1.2020 – 22 K 13275/17.A – juris; VG Düsseldorf, U.v. 28.11.2019 – 12 K 14671/17.A – juris; VG Frankfurt, B.v. 27.12.2019 – 2 L 615/19.A – juris; VG Magdeburg, B.v. 14.11.2019 – 8 B 398/19 – juris; BayVGH, B.v. 17.9.2019 – 10 ZB 19.50031 – juris; B.v. 9.9.2019 – 10 ZB 19.50024 – juris; U.v. 18.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; VG München, B.v. 4.6.2019 – M 19 S 19.50513 – juris; NdsOVG, B.v. 13.6.2018 – 10 LB 204/18 – BeckRS 2018, 22826; NdsOVG B.v. 6.8.2018 – 10 LA 320/18 – juris; NdsOVG, B.v. 2.7.2018 – 10 LB 249/18 – BeckRS 2018, 24922; NdsOVG, U.v. 4.4.2018 – 10 LB 96/17 – juris; OVG NW, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris; U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris; a.A. etwa VG Minden, U.v. 13.11.2019 – 10 K 2221/18.A – juris).
Diese Auffassung vertritt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der bereits in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt hat, dass zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Asylbewerber im Einzelfall keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht ist, die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien aber nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.).
cc) Eine andere Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids ist auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der COVID-19-Pandemie („Corona-Pandemie“) angezeigt (vgl. VG Würzburg, G.v. 11.5.2020 – W 8 K 20.50114 – juris; U.v. 21.4.2020 – W 9 K 19.50705; G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – juris).
Auch wenn Italien erneut stark betroffen ist und derzeit der Notstand gilt (vgl. Auswärtiges Amt, Italien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/italien-node/italiensicherheit/211322, Abruf am 20.5.2021, Stand: 18.5.2021), geht das Gericht nicht davon aus, dass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG die Verhältnisse in Italien mit Blick auf das Coronavirus entgegenstehen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Klägerin bei gemeinsamer Rückkehr im Familienverband mit Mutter und Schwester in Italien aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Dies gilt aber wegen des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nur in Extremfällen (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 22 – 24). Das Gericht hat – auch angesichts der in Italien getroffenen Maßnahmen sowie auf der Grundlage aktueller Erkenntnismittel (z.B. Auswärtiges Amt, Italien: Reise- und Sicherheitshinweise, a.a.O.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020; EASO, COVID-19 emergency measures in asylum and reception systems vom 2.6.2020; BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation: ausgewählte Dublin-Länder, Balkan und Ukraine – aktuelle Lage in Zusammenhang mit COVID-19 [Corona-Pandemie] vom 18.5.2020, S. 1; Kurzinformation der Staatendokumentation: Ausgewählte Dublin-Länder und Ukraine – aktuelle Lage in Zusammenhang mit COVID-19 [Corona-Pandemie] vom 24.3.2020, S. 1 f.) – keine substantiierten Erkenntnisse, die die Annahme eines solchen Extremfalls in der Person der Klägerin oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in Italien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Italien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen (siehe auch VG Würzburg, G.v. 11.5.2020 – W 8 K 20.50114 – juris; U.v. 21.4.2020 – W 9 K 19.50705; G.v. 25.3.2020 – W 10 K 19.50254 – juris; VG Aachen, U.v. 6.3.2020 – 9 K 3086/18.A – juris). Dies gilt umso mehr, als der italienische Staat umfassende Maßnahmen zur erneuten Eindämmung der Pandemie beschlossen hat (vgl. Auswärtiges Amt, Italien: Reise- und Sicherheitshinweise, a.a.O.). Darüber hinaus wurden im Hinblick auf Asylbewerber und Schutzberechtigte Versorgungsmaßnahmen, Unterbringungen in SIPROIMI, Gesundheitskarten und Aufenthaltsberechtigungen coronabedingt verlängert, auch wenn die Personen hierauf möglicherweise keinen Anspruch (mehr) gehabt hätten. Einkommens- und Familienunterstützungsmaßnahmen, die im Dekret „Cura Italia“ vorgesehen sind (u.a. Leistungen für anerkannte Flüchtlinge oder Inhaber anderer Aufenthaltsgenehmigungen), wurden erweitert. Darüber hinaus wurden nach einer Unterbrechung die persönlichen Asylinterviews im September 2020 ganz überwiegend wieder aufgenommen. Darüber hinaus gibt es Quarantänemaßnahmen und -einrichtungen, letzteres auch in Form von Schiffen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien vom 11.11.2020, S. 4). Des Weiteren hat Italien zusammen mit anderen Mitgliedstaaten ein gemeinsames Statement veröffentlicht, in dem die Erforderlichkeit gemeinsamer Anstrengungen zur Aufrechterhaltung europäischer Grundsätze betont und die Unterstützung der Europäischen Kommission bei der Beobachtung von Notmaßnahmen im Rahmen des EU-Rechts bekräftigt wurde (vgl. EASO, COVID-19 emergency measures in asylum and reception systems vom 2.6.2020, S. 7).
c) Des Weiteren fehlt es auch an sonstigen außergewöhnlichen Umständen, welche ausnahmsweise eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO begründen könnten (vgl. EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K., C-578/16 PPU – juris Rn. 88; U.v. 30.5.2013 – Halaf, C-528/11 – juris Rn. 35 ff.).
Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO dient der Abgrenzung der Zuständigkeiten unter mehreren in Betracht kommenden Mitgliedstaaten. Er geht den allgemeinen und besonderen Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin III-VO vor, begründet aber – trotz der Bezeichnung als „Ermessensklausel“ – kein nach § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbares Verwaltungsermessen im Sinne des § 40 VwVfG (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 11, 32 ff.: „freies“ Ermessen). Deshalb kommt grundsätzlich auch keine Ermessensreduzierung auf Null im Einzelfall mit der Folge einer gerichtlich durchsetzbaren Rechtspflicht, den Selbsteintritt auszuüben, in Betracht (in diesem Sinne aber: BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50124 – juris Rn. 22 ff.; Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2020, VO (EU) 604/2013 Art. 7 Rn. 18). Vielmehr begründet Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Befugnis der mitgliedstaatlichen Behörde, das Asylverfahren trotz fehlender oder ungeklärter internationaler Zuständigkeit an sich zu ziehen und über den Asylantrag materiell zu entscheiden. Die Auslegung und Anwendung dieser Befugnis unterliegt nicht (allein) dem nationalen Recht einschließlich der durch das Grundgesetz garantierten Grundrechte, sondern stellt eine Durchführung von Unionsrecht dar und ist damit gemäß Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta vorrangig an die EU-Grundrechtecharta gebunden (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K. u.a., C-578/16 PPU – juris Rn. 52 ff., 59; U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10 – juris LS 1 und Rn. 64 ff.). Da die Überstellung eines Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat auch dann zu einem Grundrechtsverstoß führen kann, wenn dort zwar keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben genannten Sinn bestehen, aber dennoch aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta ernsthaft zu befürchten ist (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K. u.a., C-578/16 PPU – juris Rn. 73 ff.), kann es – als ultima ratio – geboten sein, den Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, um eine ernsthaft drohende Grundrechtsverletzung infolge der Überstellung abzuwenden. Denn ein Mitgliedstaat kann sich seiner Verantwortlichkeit für eine Grundrechtsverletzung infolge der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nicht unter Verweis auf dessen Zuständigkeit entziehen, wenn er die Befugnis zum Selbsteintritt – hier nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO – besitzt, von dieser Möglichkeit aber trotz der ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung keinen Gebrauch macht (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S., 30696/09, NVwZ 2011, 413 Rn. 340 m.V.a. EGMR, U.v. 30.6.2005 – Bosphorus, Nr. 45036/98 – NJW 2006, 197).
Aus dem allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 EU-GR-Charta geht hervor, dass die Überstellung eines Asylantragstellers in diesen Mitgliedstaat in all jenen Situationen ausgeschlossen ist, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Asylantragsteller bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung eine solche Gefahr laufen wird (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87). Es widerspräche dem absoluten Charakter des Art. 4 EU-GR-Charta und wäre rechtssystematisch nicht nachvollziehbar, wenn sich die Rechtsfolge bei andersartigen, d.h. nicht systemischen Mängeln, welche zur ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen, von derjenigen des Zuständigkeitsübergangs nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO unterschiede. Dagegen kann einem drohenden Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta nicht mit der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach nationalem Recht (§ 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG) Rechnung getragen werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2020 – 20 ZB 18.32705 – juris Rn. 11). Denn die Rechtsfolgen einer solchen Feststellung unterscheiden sich grundlegend von denjenigen, welche das Unionsrecht und das der Umsetzung desselben dienende nationale Recht im Fall des Zuständigkeitsübergangs und der daraus resultierenden Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 AsylG vorsehen. Insbesondere unterbleibt bei der Feststellung von Abschiebungsschutz – entgegen den unionsrechtlichen Garantien – die Durchführung eines (nationalen) Asylverfahrens, welches bei Vorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen zur Zuerkennung internationalen Schutzes nach §§ 3 ff. oder 4 AsylG führen würde.
Eine grundrechtlich begründete Pflicht zum Selbsteintritt besteht jedoch nicht, wenn der ernsthaft drohende Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta durch eine einzelfallbezogene und konkrete Zusicherung des an sich zuständigen Mitgliedstaats, dass der Asylantragsteller seinen individuellen und existenziellen Bedürfnissen (etwa nach besonderer ärztlicher Betreuung) entsprechend behandelt werden wird, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C.K. u.a., C-578/16 PPU – juris Rn. 73 ff.).
Im vorliegenden Fall liegen – trotz des Fehlens einer konkreten und einzelfallbezogenen Zusicherung des italienischen Staats, dass die Klägerin, ihre Mutter und Schwester im Fall der Überstellung angemessen untergebracht werden – die Voraussetzungen einer grundrechtlich begründeten Pflicht zum Selbsteintritt nicht vor. Auf der Grundlage neuer Erkenntnisse ist das Gericht insbesondere davon überzeugt, dass der Klägerin bei gemeinsamer Rückkehr mit Mutter und Schwester im Familienverband nach Italien keine vorübergehende Obdachlosigkeit droht.
Der EGMR hat für den Fall einer Familie mit minderjährigen Kindern in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt, dass die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, Rn. 114 ff.). Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Anzahl von Asylbewerbern keine Unterkunft finde oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht sei. Um sicherstellen zu können, dass die Aufnahmebedingungen an die Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Personen angepasst seien, müssten vor deren Abschiebung individuelle Garantien von den italienischen Behörden eingeholt werden, dass diese Personen in Einrichtungen und unter Bedingungen aufgenommen werden, die ihrer Schutzbedürftigkeit angemessen sind (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, a.a.O., Rn. 120, 122 sowie dem folgend BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 16; B.v. 22.7.2015 – 2 BvR 746/15 – NVwZ 2015, 1286, juris; B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 u.a. – juris Rn. 16). Diese Rechtsprechung ist nicht durch das bereits zitierte Urteil des EuGH vom 19. März 2019 überholt (vgl. zum Ganzen VG Würzburg, U.v. 3.4.2020 – W 10 K 19.30677 – BeckRS 2020, 5588 Rn. 54 ff. m.w.N.).
Gemessen daran stellen sich die Aufnahmebedingungen für Familien bzw. Alleinerziehende mit Klein- oder Kleinstkindern in Italien wie folgt dar:
Nach den bisherigen Erkenntnissen war die Unterkunftssituation in Italien nicht immer unproblematisch. Insbesondere konnte nicht ausreichend sicher davon ausgegangen werden, dass eine angemessene Unterbringung von Familien bzw. Alleinerziehenden mit Klein- oder Kleinstkindern auch ohne individuelle Garantieerklärung gerade auch unmittelbar nach der Dublin-Rückkehr zuverlässig erfolgt, sofern nicht im Einzelfall konkrete Umstände vorlagen, die eine andere Einschätzung rechtfertigten. Vielmehr stand oftmals die Gefahr einer vorübergehenden Obdachlosigkeit im Raum (vgl. zur bisherigen Situation VG Würzburg, U.v. 3.4.2020, a.a.O. Rn. 60 ff.).
Auf der Basis der aktuellen Erkenntnismittellage ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass Familien mit minderjährigen Kindern auch ohne individuelle Garantieerklärung unmittelbar nach ihrer Rückkehr eine Unterkunft erhalten, die ihren besonderen Bedürfnissen entspricht. Dies gilt umso mehr, als die italienische Regierung – wie bereits ausgeführt – nach wie vor nicht untätig bleibt, sondern Maßnahmen ergreift, um Missstände auszuräumen und den Rahmen für die Aufnahme von Asylbewerbern in Italien sowohl allgemein als auch speziell im Hinblick auf Familien mit minderjährigen Kindern zu verbessern. Selbst wenn es bei der Aufnahmesituation durchaus regionale Unterschiede geben kann, die auch mit der Größe der Aufnahmeeinrichtung zusammenhängen können, ist insgesamt die Sorge, dass eine Familie mit minderjährigen Kindern nach ihrer Rückkehr nicht unmittelbar angemessen untergebracht wird, auch aufgrund der Aussage des italienischen Flüchtlingsrats unbegründet. Zudem ist bei der Verteilung von Dublin-Rückkehrern auf die Unterkunftseinrichtungen die Einheit der Familie in geeigneten Einrichtungen zu gewährleisten. Insbesondere beim Flughafen Fiumicino in Rom, dem wichtigsten Flughafen für Dublin-Transfers, sind die Abläufe und Strukturen zwischen den verschiedenen relevanten Akteuren so strukturiert und organisiert, dass Rückkehrer angemessen empfangen werden können und bereits im Vorfeld eine angemessene Unterkunft gefunden werden kann. Im absoluten Notfall ist sogar eine Übernachtung im Transitbereich des Flughafens in einem Notschlafraum möglich. Darüber hinaus ist sichergestellt, dass zurückgekehrte Familien in ihre jeweiligen Unterkünfte gebracht werden bzw. diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. Sollten mehrere Tage zwischen Ankunft und Weiterreise innerhalb Italiens liegen, werden die Familien in einem CAS vor Ort untergebracht (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 5 f., 18 f., 25 ff.). Auch an anderen Flughäfen bzw. in anderen Regionen Italiens wurden Vorkehrungen getroffen, um eine Obdachlosigkeit zu vermeiden und eine unverzügliche angemessene Unterbringung sicherzustellen (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 2.4.2020, S. 30 f., 33 f., 43 f., 48 ff.). Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Feststellungen des Bundesamts im oben genannten Bericht zu zweifeln. Die dort getroffenen Feststellungen sind inhaltlich fundiert und differenziert. Des Weiteren ist die Untersuchung der Aufnahmebedingungen unter Beteiligung von Vertretern des italienischen Flüchtlingsrats erfolgt. Die Klägerin ist dem nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit ersichtlich, liegen auch keine anderweitigen Berichte vor, welche die Feststellungen des Bundesamts ernsthaft und substantiiert in Zweifel ziehen würden. Insbesondere stellt der zeitlich früher herausgegebene Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, vgl. dort S. 36) die oben genannten Feststellungen nicht grundsätzlich in Frage, sondern bestätigt, dass an Rückführungsflughäfen Nichtregierungsorganisationen präsent sind, welche Dublin-Rückkehrer in Empfang nehmen und Schlafplätze für die ersten Nächte vor dem Transfer in eine Unterkunft organisieren. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer (auch nur vorübergehenden) Obdachlosigkeit lässt sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen. Auf die Gründe des Bescheids wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
2. Die Feststellung der Beklagten, dass im Falle der Klägerin keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
a) Zum einen droht der Klägerin unter den oben genannten Voraussetzungen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK, welche zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würde. Zudem begründet ein Unterschied des Niveaus der Sozialleistungen in einem Mitgliedstaat im Vergleich zu einem anderen Mitgliedstaat kein solches Überstellungshindernis. Ausschlaggebend ist, ob die Gleichgültigkeit der Behörden des zuständigen Mitgliedstaats zufolge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person wie die Klägerin sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubten, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einem Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Eine große Armut oder starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse erreichen diese Schwelle nicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren diese Person sich in einer solche schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Eine derartige Situation erwartet die Klägerin bei gemeinsamer Rückkehr im Familienverband nach den obigen Ausführungen in Italien nicht, so dass im Falle ihrer Überstellung nach Italien auch im konkreten Einzelfall nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 3 EMRK droht, welcher zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen müsste.
b) Zum anderen liegt auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Insbesondere führt die derzeitige COVID-19-Pandemie, ausgelöst durch das SARS-CoV-2-Virus, in Italien nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei ist unerheblich, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird, die Regelung stellt alleine auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab, unabhängig davon, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324). Es gilt der Gefahrenmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt, kann die Klägerin in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn sie bei Überstellung aufgrund der herrschenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihr trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60a Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60a Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Denn nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, etwa wenn das Fehlen eines Abschiebungsstopps dazu führen würde, dass ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, wird die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbrochen und es ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 45 m.w.N.).
Eine derartige Extremgefahr kann für die Klägerin bei Rückkehr im Familienverband nach Italien nicht angenommen werden. Es ist zum einen nicht ersichtlich, dass sie in Italien gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Auch unter Berücksichtigung der Entwicklung der Corona-Pandemie in Italien gehört die am 12. November 2020 geborene Klägerin ohne substantiiert geltend gemachte bzw. nachgewiesene relevante Vorerkrankungen nach dem oben genannten Maßstab – selbst bei unterstellter (nicht zwangsläufiger) Infektion mit SARS-CoV-2 – nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung (vgl. Robert Koch-Institut, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html, Stand: 29.10.2020). Darüber hinaus besteht für die Klägerin auch in Deutschland das allgemeine (Lebens-)Risiko einer Ansteckung.
Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in Italien auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Versorgung der Bevölkerung insbesondere mit Lebensmitteln nicht mehr sichergestellt wäre (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise für Italien, a.a.O.). Es kann daher keine Rede davon sein, dass einem nach Italien überstellten Asylbewerber der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden infolge Mangelernährung drohen. Im Übrigen gelten für Asylsuchende in Italien dieselben Maßnahmen wie für italienische Staatsbürger, was Gesundheitskontrollen und Quarantäne betrifft (vgl. BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation, ausgewählte Dublin-Länder und Ukraine, aktuelle Lage im Zusammenhang mit COVID-19-Pandemie vom 24.3.2020, S. 2).
Wie im streitgegenständlichen Bescheid sowie im in Bezug genommenen Bescheid vom 3. September 2020 (Az.: 8161240-232) zutreffend ausgeführt, liegt weder aufgrund gesundheitlicher Probleme der Klägerin noch aufgrund der Madame, für die sich die Mutter nach ihrem Vortrag prostituieren musste, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, zumal die Mutter angegeben hat, keinen Kontakt mehr zu dieser zu haben. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid sowie im Bescheid vom 3. September 2020 (Az.: 8161240-232), auf den der streitgegenständliche Bescheid verweist, wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 1. März 2021 (W 10 K 20.50220) wird Bezug genommen.
3. Auch die Abschiebungsanordnung nach Italien gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG unter Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) steht der Überstellung der Klägerin nach Italien kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG (mehr) entgegen, welches im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zum Prüfungsumfang des Bundesamts gehört (BayVGH, B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – juris m.w.N.).
Die persönliche Beziehung der Klägerin zu ihrer im Bundesgebiet lebenden Kernfamilie – also ihre Mutter und Schwester – ist grundsätzlich sowohl vom Schutzbereich von Ehe und Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG als auch vom Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst. Zwar gewähren die genannten Grund- bzw. Menschenrechte keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – NVwZ 2006, 682). Aufgrund der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, sind aber bei Versagungsentscheidungen stets die familiären Bindungen des Ausländers an im Bundesgebiet (berechtigt) lebende Personen angemessen zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14). Die verfassungsrechtlichen Wertungen zum Schutz der Familie und des Privatlebens in Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK schützen das berechtigte Interesse des Ausländers daran, nicht von seinen weiter im Bundesgebiet lebenden Familienmitgliedern getrennt zu werden. Wenn die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind ausschließlich im Bundesgebiet geführt werden kann, drängt daher die Pflicht des Staats, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (BayVGH, B.v. 11.10.2017 – 19 CE 17.2007 – juris Rn. 12 m.w.N.). Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor der Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat (BVerfG, B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – NVwZ 2002, 849 m.w.N.), weil durch das nachträgliche Entstehen einer grundrechtlich geschützten familiären Lebensgemeinschaft eine neue Situation eintritt, die eine Zäsur bewirkt (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2008 – 19 CE 08.781 – juris Rn. 26 m.w.N.). Entscheidend für das Vorliegen einer grundrechtlich geschützten familiären Lebensgemeinschaft ist die persönliche Verbundenheit zwischen einem Elternteil und dem Kind, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, welches den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Das Gericht hat zwar keine begründeten Zweifel daran, dass die Klägerin mit ihrer Mutter und ihrer Schwester eine schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft unterhält. Das Bundesamt hat gegenüber der Mutter und Schwester der Klägerin mit Bescheid vom 3. September 2020 jedoch die Abschiebung nach Italien angedroht. In diesem Fall darf die Abschiebung nicht ohne Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise vollstreckt werden, es gilt die Ausreisefrist gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG, die im Falle der Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet. Dies führt gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auch dazu, dass die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hat (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.4.2020 – W 10 K 19.30677 – juris Rn. 34 m.w.N.; U.v. 13.5.2020 – W 1 K 20.50043 – juris Rn. 22).
Im vorliegenden Fall ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg im Verfahren W 10 K 20.50220 am 6. April 2021 in Rechtskraft erwachsen, da das Urteil zuletzt der Beklagten am 5. März 2021 zugestellt wurde (§ 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Zwar war die Mutter der Klägerin unter der angegebenen Anschrift bei Zustellung am 4. März 2021 nicht zu ermitteln, nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG gilt in diesem Fall jedoch die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, die vor dem 4. März 2021 erfolgt sein muss. Die nach § 38 Absatz 1 Satz 1 und 2 AsylG geltende Ausreisefrist von 30 Tagen ab dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens ist damit im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) abgelaufen, mit der Folge, dass die Mutter und Schwester der Klägerin im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vollziehbar ausreisepflichtig sind. In diesem Zeitpunkt kommt eine Überstellung der Klägerin getrennt von Mutter und Schwester damit nicht (mehr) in Betracht, denn die Klägerin müsste nur gemeinsam mit der ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtigen Mutter und Schwester im Familienverband nach Italien zurückkehren. Da somit eine vorübergehende Trennung der Klägerin von ihrer Kernfamilie ausscheidet, liegt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis nicht (mehr) vor. Das Gericht weist lediglich ergänzend darauf hin, dass die vorgetragene Vaterschaft nicht nachgewiesen wurde, zudem hält sich der mutmaßliche Vater bereits in Italien auf. Es sind damit im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keine Hinderungsgründe ersichtlich bzw. vorgetragen, die einer gemeinsamen Rückkehr mit Mutter und Schwester nach Italien entgegenstünden. Die Abschiebung der Klägerin nach Italien ist somit sowohl tatsächlich möglich als auch rechtlich zulässig.
4. Rechtliche Bedenken bestehen aus denselben Gründen, wie unter 3. ausgeführt, auch nach wie vor nicht gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG unter Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides, weil schutzwürdige Bindungen zu Personen, welche sich berechtigt dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten, nicht bestehen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.


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