Europarecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag mangels Vorliegens eines hinreichenden Zulassungsgrundes

Aktenzeichen  9 ZB 15.50010

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 112488
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

1 Wird die Rechtsverletzung unmittelbar aus dem materiellen Asylrecht hergeleitet, ist die Frage nach einem aus der Dublin II-VO selbst ableitbaren Individualschutz nicht entscheidungserheblich. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Rechtsfrage hinsichtlich der Dublin II-VO bezieht sich auf auslaufendes bzw. ausgelaufenes Recht, für die eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht in Betracht kommt, es sei denn, es wird eine erhebliche Zahl von Altfällen dargelegt, bei denen sich die streitige Frage in gleicher Weise stellen würde (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 41461). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 5 K 14.50324 2014-12-19 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Dem Kläger wird für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Auer beigeordnet.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AsylG liegen nicht vor.
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht weder von dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Februar 2014 (Az. 13a B 13.30295 – BayVBl 2014, 628), noch von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2014 (Az. 10B 35.14) ab.
Eine Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass ein Rechts- oder Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts von einem tragenden Rechts- oder Tatsachensatz des übergeordneten Gerichts abweicht und das Urteil darauf beruht (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124 Rn. 42).
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Denn das angefochtene Urteil beruht nicht auf der geltend gemachten Abweichung. Den genannten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts lagen abweichende Sachverhalte zugrunde. Bei den genannten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Februar 2014 und des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2014 traten Asylbewerber bei noch nicht nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangener Zuständigkeit ihrer Überstellung in den nach der Dublin II-VO für sie zuständigen Mitgliedsstaat entgegen, während nach der Feststellung des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall die Überstellungsfrist bereits abgelaufen und die sichere Bereitschaft des ersuchten Staates zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme des Asylantragstellers entfallen war. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Frage nach einem aus der Dublin-II-VO selbst ableitbaren Individualschutz ausdrücklich offengelassen und eine Rechtsverletzung unmittelbar aus dem materiellen Asylrecht hergeleitet.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Erforderlich ist die Formulierung einer konkreten Tatsachen- oder Rechtsfrage und das Aufzeigen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und ihre Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine allgemeine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 124 Rn. 10 und § 132 Rn. 10). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Die Beklagte hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob der Asylantragsteller gerichtlich die Aufhebung einer Ablehnung gemäß § 27a AsylVfG bereits deshalb begehren kann, weil die Überstellungsfrist in den als zuständig bestimmten Staat im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt abgelaufen ist und infolge dessen i. S. d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Verletzung in eigenen Rechten vorliegt“.
Diese Frage war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich, da es die Frage nach einem aus der Dublin II-VO selbst ableitbaren Individualschutz ausdrücklich offengelassen und eine Rechtsverletzung unmittelbar aus dem materiellen Asylrecht hergeleitet hat. Abgesehen davon bezieht sich die Frage hinsichtlich der Dublin II-VO auf auslaufendes bzw. ausgelaufenes Recht, für die eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht in Betracht kommt (vgl. BVerwG, B. v. 12.1.2016 – 1 B 64/15, 1 PKH 24/15 – juris Rn. 3). Das Zulassungsvorbringen enthält keinerlei Ausführungen für eine Ausnahme von dieser Regel. Insbesondere sind keine Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen dargetan, bei denen sich die streitige Frage in gleicher Weise stellen würde (vgl. BVerwG, B. v. 12.1.2016 a. a. O., juris Rn. 3 und 4). Schließlich hat der EuGH zwischenzeitlich den Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin III-VO unter Hinweis darauf eine individualschützende Wirkung zuerkannt, dass sich die Dublin III-VO hinsichtlich der dem Asylbewerber gewährten Rechte in wesentlichen Punkten von der Dublin II-VO unterscheidet (EuGH, U. v. 7.6.2016 – C 63/15 – juris Rn. 34 ff, 61).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 83b AsylG werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.
Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Auer liegen vor (§ 166 VwGO i.V. mit §§ 114 ff. ZPO). Da der Antrag auf Zulassung der Berufung von der Beklagten gestellt worden ist, ist nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung des Klägers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint. Nach den im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Angaben des Klägers und den vorgelegten Bestätigungen kann er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung auch nicht in Raten aufbringen.


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