Europarecht

Garantieerklärung der Behörden des Zielstaates zur gesicherten Unterbringung vulnerabler Personen

Aktenzeichen  W 2 K 19.50528

Datum:
8.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19546
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 34a Abs. 1
VO (EU) 604/2013 Art. 3 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Bei Vorhandensein belastbarer Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im Zielstaat hat das Bundesamt vor der Überstellung von Familien mit Klein- bzw. Kleinstkindern in Anbetracht der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG iVm Art. 8 EMRK eine konkrete und einzelfallbezogene Zusicherung (Garantieerklärung) der Behörden des Zielstaates einzuholen, dass Mutter und Kind dort eine gesicherte Unterkunft erhalten wird (BVerfG BeckRS 2018, 26628; BeckRS 2017, 110739). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.    Der Bescheid des Bundesamts für Migra¬tion und Flüchtlinge vom 24. Mai 2019 (Gesch.-Z.: 7740747-231) wird aufgehoben. 
II.    Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte jeweils zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 18. Juli 2019 und der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 vor.
Zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist die Klage zulässig und begründet.
1. Die Ablehnung des klägerischen Asylantrags als unzulässig (Ziffer 1 des Bescheides) ist rechtswidrig. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig lässt sich im Fall des Klägers als ein in der Bundesrepublik „nachgeborenes“ Kind von einer Mutter, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Schutzsuchende registriert wurde, nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG stützen.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
1.1 Nach Art. 20 Abs. 3 S. 2 Dublin III-VO erstreckt sich die zeitliche Reichweite der Zuständigkeit für den Asylantrag eines nachgeborenen Kindes auf die Zuständigkeit des mitreisenden Familienangehörigen (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50110 – juris). Dies gilt jedoch gem. Art. 20 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Dublin III-VO nur, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch ein nachgeborenes Kind die asylrechtliche Situation seiner sorgeberechtigten Eltern teilt. In der Regel entspricht dieser auf die Wahrung der Familieneinheit gerichtete Grundsatz dem Wohl des Kindes. Grundsätzlich ist damit das Land, das für die Bearbeitung des Asylantrags der sorgeberechtigten Mutter zuständig ist, auch für den Asylantrag des nachgeborenen Kindes zuständig.
Der auch von der Beklagten als tragend erachtete Grundsatz der Familieneinheit ist durch eine solche Zuständigkeitsakzessorietät jedoch ausnahmsweise dann verletzt, wenn der gemeinsamen Überstellung von Mutter und nachgeborenem Kinde ein auf den für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat bezogenes Abschiebungshindernis gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegensteht. Dann widerspricht eine solche Zuständigkeitszuweisung dem Kindeswohl. Denn in dieser Situation kann der von Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO bezweckte Gleichlauf der Asylzuständigkeit in der Praxis gerade nicht realisiert werden, so dass dem nachgeborenen Kind eine Prüfung seines Asylantrags mangels Überstellbarkeit in dem eigentlich gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin IIII-VO zuständigen Mitgliedstaat genauso verwehrt wäre wie in dem Mitgliedstaat seiner Geburt bzw. seines dann nicht nur vorübergehenden Aufenthalts. Um eine effektive Durchführung des Asylverfahrens des nachgeborenen Kindes zu ermöglichen, muss die Zuständigkeit für den Asylantrag des nachgeborenen Kindes im Fall des Vorliegens von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen bezogen auf den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat, entsprechend dem Rechtsgedanken des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO vielmehr bei dem Mitgliedstaat seiner Geburt verbleiben (vgl. VG Würzburg, U.v. 15.5.2019 – W 2 K 19.30964 – juris).
Auch steht bei dem Kläger einer Gewährung internationalen Schutzes auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht entgegen, denn ihm wurde noch nicht in einem EU-Mitgliedsland internationaler Schutz zugesprochen. In einer solchen Fallkonstellation ist der Asylantrag des nachgeborenen Kindes nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO unzulässig.
Dem steht auch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 17. August 2015 (11 B 15.50110 – juris) nicht entgegen. Denn im dort entschiedenen Fall lagen hinsichtlich des gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaats gerade keine auf den dortigen Kläger und seine Eltern bezogenen Abschiebungshindernisse vor.
1.2 Dem Kläger steht zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu, da er zu dem besonders schutzbedürftigen Personenkreis der minderjährigen Kinder im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahmerichtlinie) gehört. Nach dieser Regelung ist die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen in dem einzelstaatlichen Recht zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie zu berücksichtigen. Auch nach italienischem Recht muss grundsätzlich auf die spezifischen Bedürfnisse vulnerabler Personen Rücksicht genommen werden. Bei der Beurteilung ist auf eine gemeinsame Überstellung des Klägers mit seiner Mutter abzustellen.
Diesbezüglich wird auf die Ausführungen im Beschluss der 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Würzburg im Urteil vom 15. Juli 2019 – W 10 K 19.50546 – verwiesen, die sich die erkennende Einzelrichterin zu eigen macht:
„Der EGMR hat für den Fall einer Familie mit minderjährigen Kindern in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt, dass die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar sei und keine systemischen Mängel vorlägen (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.). Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Anzahl von Asylbewerbern keine Unterkunft fänden oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht würden. Um sicherstellen zu können, dass die Aufnahmebedingungen an die Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Personen angepasst sind, müssten vor deren Abschiebung individuelle Garantien von den italienischen Behörden eingeholt werden, dass diese Personen in Einrichtungen und unter Bedingungen aufgenommen werden, die ihrer Schutzbedürftigkeit angemessen sind (EGMR, U.v. 4.11.2014 a.a.O., Rn. 120, 122).
Dem folgend vertritt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass den Belangen besonders schutzbedürftiger Personen, wozu auch eine alleinerziehende Mutter mit einem sechs Monate alten Baby gehören, unter Berücksichtigung der Grundsätze der Tarakhel-Entscheidung des EGMR besonders Rechnung getragen werden muss (BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 16; B.v. 22.7.2015 – 2 BvR 746/15 – NVwZ 2015, 1286, juris; B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 u.a. – juris Rn. 16). Bei Vorhandensein belastbarer Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im Zielstaat hat das Bundesamt deshalb vor der Überstellung von Familien mit Klein- bzw. Kleinstkindern in Anbetracht der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 8 EMRK eine konkrete und einzelfallbezogene Zusicherung (Garantieerklärung) der Behörden des Zielstaates einzuholen, dass Mutter und Kind dort eine gesicherte Unterkunft erhalten wird (BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 16; B.v. 22.7.2015 – 2 BvR 746/15 – NVwZ 2015, 1286, juris; B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 u.a. – juris Rn. 16).
Die vorgenannte Rechtsprechung ist nicht durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. März 2019 (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17, Jawo – juris) überholt. In dieser Entscheidung – die allerdings keine vulnerable Person betraf – hat der EuGH ausgeführt, dass der Überstellung einer Person in den zuständigen Mitgliedstaat „entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen“ entgegenstehen können (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17, Jawo – juris Rn. 90 mit Verweis auf EuGH, U.v. 5.4.2016 – C-404/15 und C-659/15 PPU, Aranyosi und Caldararu – Rn. 89). Der EuGH hält somit ausdrücklich auch solche Schwachstellen für beachtlich, welche nur bestimmte Personengruppen betreffen, und übernimmt damit der Sache nach den entsprechenden Grundsatz der Tarakhel-Entscheidung des EGMR. Damit trägt der EuGH der Schutzniveauklausel in Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EU-GR-Charta Rechnung, wonach diejenigen Rechte der Charta, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird (so auch ausdrücklich EuGH a.a.O., Rn. 91; Borowsky in Meyer-Ladewig, Charta der Grundrechte, vor Art. 51 Rn. 1a; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 52 Rn. 60 ff.). Ohne ausdrückliche Abkehr des EuGHs von der Rechtsprechung des EGMR ist daher nicht davon auszugehen, dass er Art. 4 EU-GR-Charta grundlegend anders auslegen will, als der EGMR das entsprechende Grundrecht des Art. 3 EMRK auslegt. Hinsichtlich der relevanten Gefahrenschwelle ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass zwar sowohl der EuGH als auch der EGMR eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit verlangen, welche von sämtlichen Umständen des Einzelfalles wie insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenden körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen abhängt (EuGH a.a.O., Rn. 91 mit Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; vgl. auch EGMR, U.v. 4.10.2016 – Nr. 30474/14, Ali u.a. ./. Schweiz und Italien – Rn. 31; U.v. 13.12.2016 – Nr. 41738/10, Paposhvili ./. Belgien – Rn. 174; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11). Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Kriterium des „Mindestmaßes an Schwere“ nicht zugänglich, vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11). Von dieser Gefahrenschwelle ausgehend stellt der EGMR in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich auf die besonderen Bedürfnisse der betroffenen Personengruppe ab (EGMR a.a.O., Rn. 97 ff., insb. 99; Rn. 119). Daraus folgt, dass die Gefahrenschwelle einer Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Gesundheit oder einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Verelendung hinsichtlich der von der Tarakhel-Entscheidung erfassten Personengruppen, insbesondere von Alleinerziehenden mit Klein- oder Kleinstkindern, wegen deren besonderer Bedürfnisse bereits bei Verhältnissen erreicht sein kann, welche bei einer nicht vulnerablen Person noch nicht zu einer Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta bzw. des Art. 3 EMRK führen würden, etwa weil Klein- und Kleinstkinder infolge einer nicht altersgerechten Unterbringung auf Verhältnisse treffen, welche ihren besonderen Bedürfnissen nicht gerecht werden, oder weil die Mutter wegen der Betreuung ihres Babys daran gehindert ist, sich selbst um eine angemessene Unterkunft und Versorgung zu kümmern.“
Hinsichtlich des anzuwendenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabes ist auf den Maßstab der ernsthaften Gefahr bzw. des ernsthaften Risikos („real risk“) abzustellen, welcher auch sonst bei einer durch die Abschiebung bedingten Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK aufgrund der humanitären Verhältnisse im Aufnahmestaat anzuwenden ist und dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6 m.w.N.). Auf diesen Maßstab nimmt auch der EGMR in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich Bezug (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, Nr. 29217/112 – NVwZ 2015, 127/129 Rn. 93, 104 f.), sieht ihn aber bereits dann als erfüllt an, wenn „die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann“, dass eine erhebliche Zahl von Asylbewerbern keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder sogar in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht wird (EGMR a.a.O., S. 131 Rn. 115).
Gemessen daran stellen sich die Aufnahmebedingungen für Alleinerziehende mit Kleinbeziehungsweise Kleinstkindern in Italien wie folgt dar (vgl. VG Würzburg, U.v.15.7.2019 – W 10 K 19.50546):
Die Unterkunftssituation in Italien ist nach der aktuellen Erkenntnismittellage nach wie vor problematisch. Nach der bisherigen Unterbringungsstruktur stehen geeignete Einrichtungen für Vulnerable hauptsächlich in den sekundären Aufnahmeeinrichtungen (SPRAR) zur Verfügung, in denen regelmäßig gute Unterstützungsleistungen erbracht werden. Es handelt sich hierbei um ein Unterbringungssystem auf kommunaler Ebene, das vom italienischen Staat zentral verwaltet wird und eine Unterbringung bei privaten oder kommunalen Trägern vorsieht (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amts an das OVG NW vom 23. Februar 2016). Diese machen jedoch einen eher geringeren Prozentsatz der staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten aus, so dass nicht jeder Asylsuchende einen Platz erhalten kann und die Zuteilung häufig mit langen Wartezeiten verbunden ist (vgl. AIDA, Country Report: Italy, Stand: 31.12.2018, S. 57, 86; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 41). Derzeit wird die Unterbringung zwar völlig neu organisiert, wobei die Bedürfnisse von Familien und vulnerablen Personen Berücksichtigung finden sollen, unabhängig davon, wo die Unterbringung erfolgt. Die bisherigen SPRAR-Unterkünfte werden in SIPROIMI (Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati) umbenannt und sollen nur noch Personen mit internationalem Schutzstatus (Flüchtlingsschutz, subsidiärem Schutz) und unbegleiteten Minderjährigen zur Verfügung stehen, ausdrücklich aber nicht mehr sog. Dublin-Rückkehrern (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Italien – Gesamtaktualisierung v. 27.9.2018 mit Kurzinformation v. 26.2.2019, S. 7; AIDA, Country Report: Italy a.a.O., S. 80). Daher sind die aktuellen Erkenntnisse nicht ausreichend, um davon ausgehen zu können, dass aktuell eine angemessene Unterbringung von Alleinerziehenden mit Kleinkindern auch ohne individuelle Garantieerklärung sicher erfolgt. Insbesondere gibt es derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass der am 8. Januar 2019 versandte neue Rundbrief Italiens zu Einrichtungen, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, die als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 9), eine belastbarere Garantie bietet, als das bisher der Fall war, zumal fraglich ist, inwiefern die Umstrukturierung infolge des Salvini-Dekrets bereits vollumfänglich erfolgreich umgesetzt wurde.
Vor diesem Hintergrund besteht hinsichtlich des am … … 2019 geborenen Klägers als Kleinstkind im Falle einer Überstellung gemeinsam mit seiner Mutter die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer extremen materiellen Not bzw. Verelendung, wenn keine (gemeinsame) Unterbringung bzw. keine den besonderen Bedürfnissen angepasste Unterbringung erfolgt. Damit ist die vom EuGH in oben genannter Entscheidung formulierte Gefahrenschwelle überschritten, wenn die Beklagte nicht vor einer Überstellung nach Italien eine entsprechende individuelle Zusicherung der italienischen Behörden einholt, dass der Kläger einen sicheren Platz in einer Unterkunft erhalten, die insbesondere den individuellen Bedürfnissen von Kleinkindern gerecht wird und eine adäquate hygienische Umgebung gewährleistet. Dies muss umso mehr gelten, als dem Gericht auch Berichte über Defizite bei der Zuweisung schutzbedürftiger Personen an geeignete Einrichtungen vorliegen und Obdachlosigkeit von Asylbewerbern und Schutzberechtigten in Italien sowie festzustellende Mängel und Defizite in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen ein nach wie vor bestehendes Problem darstellen (vgl. US Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2017 – Italy, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/document/1430262.html; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation in Italien, 8. Mai 2019).
Im vorliegenden Fall fehlt es zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt an einer solchen konkreten und einzelfallbezogenen Zusicherung Italiens im Sinne der Tarakhel-Entscheidung, so dass auf Basis vorstehender Ausführungen ernsthaft zu befürchten ist, dass der Kläger im Falle ihrer Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten würde.
Da die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einen einheitlichen, nicht weiter aufteilbaren Streitgegenstand darstellen (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – juris Rn. 9), musste über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gesondert entschieden werden.
2. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der angegriffene Bescheid vom 24. Mai 2019 darüber hinaus deswegen rechtswidrig ist, weil die Überstellungsfrist abgelaufen ist.
Auf die Begründung des Beschlusses zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 14. Juni 2019 – W 2 S 19.50529 – wird Bezug genommen. Trotz Aufforderung seitens des Gerichts hat die Beklagtenseite zu dem Ablauf der Überstellungsfrist nicht Stellung genommen, insbesondere hat sie nicht erklärt, ob das im angegriffenen Bescheid vom 24. Mai 2019 angesprochene Übernahmeersuchen vom 2. März 2019 an Italien tatsächlich existiert. Das Gericht kann dieses Schreiben auch nach intensivem Aktenstudium nicht finden. Vielmehr findet sich in der Bundesamtsakte des Klägers Az. 7740747 – 231 auf Seite 63 ein Vermerk vom 24. Mai 2019, wonach die Überstellungsfrist am 17. September 2018 abgelaufen ist. Dies erscheint aber im Hinblick auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 11. September 2019 – W 2 E 18.50423 – im Verfahren der Mutter des Klägers mehr als fraglich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben