Europarecht

Klärungsbedürftigkeit, Kostenentscheidung Beschwerde, Wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch, Vorläufige Vollstreckbarkeit, substantiierter Sachvortrag, Marktverhaltensregelung, Klärungsfähige Rechtsfrage, Revisionszulassung, Notifizierungsverfahren, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, Vorabentscheidung, Lebensmittelrechtliche Vorschriften, Diätetische Lebensmittel, Delegierte Verordnung, Arzneimittelrecht, Sicherheitsleistung, Krankheitsbezug, Krankheitsbedingtheit, Lebensmittelunternehmer

Aktenzeichen  6 U 5746/20

Datum:
22.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MD – 2021, 923
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

2 HK O 1614/20 2020-09-11 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München II vom 11. 09.2020, Az. 2 HK O 1614/20, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
IV. Das Endurteil des Landgerichts München II vom 11.09.2020, Az. 2 HK O 1614/20, wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das vorliegende Urteil ist in Ziff. II. (Kostenentscheidung) vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich Ziff. I. des landgerichtlichen Urteils (Unterlassung) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,- EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu jeweils vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden. Dem Kläger gehören nach den unstreitigen Feststellungen des Landgerichts (vgl. LGU Seite 6, 2. Absatz) eine erhebliche Anzahl von Gewerbetreibenden an, die Waren gleicher Art wie die der Beklagten vertreiben, u. a. 120 Unternehmen der Heilmittelbranche (vgl. Mitgliederliste, Anlage K 1). Er ist nach seiner personellen, sachlichen und fachlichen Ausstattung in der Lage, seine satzungsgemäßen Aufgaben auch tatsächlich wahrzunehmen.
Die Beklagte bringt unter den Bezeichnungen „I. M. RDS“, „I. M. CU“, „I. M. ATOP“ und „I. M. SUD“ Produkte „zum Diätmanagement“ auf den Markt, die in Kapseln verpackt vermehrungsfähige, natürlicherweise im menschlichen Darm vorkommende Bakterienkulturen enthalten, und bewirbt diese im Internet (vgl. Screenshots vom 23.01.2020, Anlage K 3)
Der Kläger hat die Beklagte wegen des Vertriebs der vorgenannten Produkte sowie der dafür im Internet betriebenen Werbung mit Schreiben vom 27.01.2020 (Anlage K 4) abgemahnt. Mit anwaltlichem Antwortschreiben vom 14.02.2020 (Anlage B 14) lehnte die Beklagte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ab.
Das Landgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Endurteil – unter Abweisung der Klage im Übrigen – wie folgt verurteilt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen am Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr
1. das Mittel „I. RDS“ zum Diätmanagement bei Reizdarmsyndrom in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben,
2. für das Mittel „I. RDS“ wie folgt zu werben:
2.1. „zum Diätmanagement bei Reizdarmsyndrom“,
2.2. „(…) Die hohe Anzahl an aktiven Darmsymbionten und die in wissenschaftlichen Studien belegte Wirkung machen I.® RDS zu einem wertvollen Präparat zum Diätmanagement bei Reizdarmsyndrom“,
2.3. „I. RDS enthält einen spezifischen, im menschlichen Darm vermehrungsfähigem Bakterienstamm zum Ausgleich der Dysbalance des Mikrobioms bei Reizdarmsyndrom. Die speziell für diesen besonderen Anwendungsbereich ausgewählte Bakterienkultur ist in angemessen hoher Dosierung enthalten, um das gastrointestinale Mikrobiom und damit auch die Symptome bei Reizdarmsyndrom positiv zu beeinflussen. Dies ist durch klinische Daten belegt“,
2.4. (…) [Klage abgewiesen],
2.5. „Die ausgezeichnete Eignung von I. RDS zur Behandlung von Reizdarmsyndrom wurde in einer plazebokontrollierten Studie mit über 200 Patienten bestätigt. Die typischen Symptome wie Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall wurden nachweislich gebessert. (D., S. P, J. V. W. J Gastroenterol, 2012 Aug 14; 18 (30): 4012-4018)”,
3. das Mittel “I. CU” zum Diätmanagement bei Colitis Ulcerosa und Pouchitis in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben,
4. für das Mittel „I. CU“ wie folgt zu werben:
4.1. (…) [Klage abgewiesen],
4.2. „(…) I. CU eignet sich zum Diätmanagement bei Colitis Ulcerosa und Pouchitis für Erwachsene und Kinder ab 4 Jahren“,
4.3. „I. enthält auch acht spezifische, im menschlichen Darm vermehrungsfähige Bakterienstämme zum Ausgleich der Dysbalance des Mikrobioms bei Colitis Ulcerosa und Pouchitis. Die Mengenverhältnisse und Dosierungen der speziell für diesen besonderen Anwendungsbereich ausgewählten Bakterienstämme sind so aufeinander abgestimmt, dass sie das gastrointestinale Mikrobiom und damit auch die Symptome bei Colitis Ulcerosa und Pouchitis positiv beeinflussen. Dies ist durch klinische Daten belegt“,
5. das Mittel „I. ATOP“ zum Diätmanagement bei atopischer Dermatitis (Neurodermitis) in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben,
6. für das Mittel „I. ATOP“ wie folgt zu werben:
6.1. „Zum Diätmanagement bei Neurodermitis“,
6.2. „(…) Die hohe Anzahl an aktiven Darmsymbionten und die wissenschaftlich erforschte Zusammensetzung und Wirkung machen I. ® ATOP zu einem wertvollen Präparat zum Diätmanagement bei atopischer Dermatitis (Neurodermitis)“,
6.3. „Neurodermitis ist eine häufige Erkrankung im Kindesalter, aber auch Erwachsene können betroffen sein. I. ATOP eignet sich zur begleitenden Therapie bei allen Formen der Neurodermitis für Erwachsene und Kinder ab 1. Jahr“,
6.4. (…) [Klage abgewiesen],
6.5. „(…) die besondere Eignung zur Behandlung der atopischen Dermatitis wurde in einer klinischen Studie mit 90 Kleinkindern bestätigt. G.: A. J C. Dermatolgy 2010; 11(5); 351-361“,
6.6. „die Kombination von Bifidobacterium lactis UABLA-12 und Lactobacillus acidophilus DDS-1 bewirkt, dass sich beide Stämme besser im Darm ansiedeln und vermehren und das Wachstum von Krankheitserregern reduzieren können“,
7. das Mittel „I. SUD“ zum Diätmanagement bei symbiotischer unkomplizierter Divertikelkrankheit in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben,
8. für das Mittel „I. SUD“ wie folgt zu werben:
8.1. „Damit die symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit nicht wieder erwacht“,
8.2. „(…) I. SUD eignet sich zum Diätmanagement bei symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit“,
8.3. „I. SUD enthält einen spezifischen im menschlichen Darm vermehrungsfähigen Bakterienstamm zum Ausgleich der Dysbalance des Mikrobioms bei symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit. Die speziell für diesen besonderen Anwendungsbereich ausgewählte Bakterienkultur ist in angemessen hoher Dosierung enthalten, um das gastrointestinale Mikrobiom und damit auch die Symptome bei symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit positiv zu beeinflussen. Dies ist durch klinische Daten belegt.“,
8.4. „Der in I. SUD enthaltene Bakterienstamm Lactobacillus casai DG (Lactobacillus paracasei CNCM I-1572), dessen Wirksamkeit bei symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit klinisch belegt ist, wurde aufgrund seiner spezifischen Eigenschaft ausgewählt (…)“, jeweils sofern dies geschieht wie in der Anlage K 3 wiedergegeben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 238,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.05.2020 zu zahlen.
Zur Begründung hat das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, Folgendes ausgeführt:
Die zulässige Klage sei begründet.
Hinsichtlich des Vertriebs der streitgegenständlichen Präparate der Beklagten ergebe sich der Unterlassungsanspruch des Klägers aus §§ 3 Abs. 1, 3 a, 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 lit. g, 9 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 609/2013, die seit dem 20.07.2016 gelte und u. a. die bisher geltende RL 1999/21/EG über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke aufgehoben habe.
Bei den von der Beklagten als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke vertriebenen Produkte handele es sich um getrocknete, in Kapseln abgefüllte Bakterien, die natürlicherweise ohnehin im menschlichen Darm vorkämen. Diese Produkte erfüllten nicht die Tatbestandsvoraussetzungen von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke gem. Art. 2 Abs. 2 lit. g der VO (EU) Nr. 609/2013. Danach müsse es sich um ein Lebensmittel handeln, das entweder der Ernährung von Patienten mit gewissen krankheitsbedingten Störungen in der Nahrungsaufnahme bzw. Verdauung diene, oder von Patienten mit einem medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, den das zugeführte Lebensmittel für besondere Zwecke dann auch decken könne. Damit sei vorausgesetzt, dass der Ernährungsbedarf der Patienten ohne die Zuführung des jeweiligen Lebensmittels für besondere Zwecke nicht ausreichend gedeckt werden könne, dass also ein krankheitsbedingter Nährstoffbedarf genau durch dieses Lebensmittel für besondere Zwecke ausgeglichen werde (und wohl auch ausgeglichen werden müsse, da die normale Ernährung des Patienten gerade nicht ausreiche). Dass der Verordnungsgeber entgegen dem Dafürhalten der Beklagten einen deutlich engeren Rahmen für die Anwendung des Begriffs „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ habe ziehen wollen, als dies bisher unter der Geltung der älteren Vorschriften der Fall gewesen sei, ergebe sich u. a. aus dem Wortlaut der Norm und auch aus der als Anlage K 6 vorgelegten Bekanntmachung der EU-Kommission. Die Kommission habe offensichtlich erkannt, dass der Vertrieb von Produkten als Lebensmittel für besondere Zwecke zu deutlich erhöhten Gewinnmargen für die Hersteller der Produkte führen könne, und dass es für die Hersteller möglicherweise deutlich einfacher sei, auf der Basis ihrer eigenen Bewertungen gesundheitsbezogene Angaben zu machen, während derartige Angaben im EU-Lebensmittelrecht für Lebensmittel des allgemeinen Verkehrs grundsätzlich verboten seien, vgl. Einleitung Ziff. 3 der Bekanntmachung. Die Kommission weise daher hinsichtlich des Rechtsrahmens für Lebensmittel für besondere Zwecke ausdrücklich darauf hin, dass „Ernährungsanforderungen“ von Patienten vorliegen müssten (Ziff. 11), dass insbesondere das Verständnis des Begriffs „Diätmanagement“ wichtige Auslegungshilfen biete, und dieser Begriff restriktiv zu gebrauchen sei (Ziff. 57). Aus den in Ziff. 55 genannten Beispielen, wann ein Diätmanagement erforderlich sei und normale Ernährung nicht ausreiche, ergebe sich letztlich eindeutig, dass eine krankhafte Störung der Nahrungsaufnahme oder -ausscheidung vorliegen müsse, und der Verzehr der Lebensmittel für besondere Zwecke zum Ausgleich dieses Defizites notwendig sei. Jedenfalls reiche eine Möglichkeit, dass der unter der krankhaften Störung leidende Patient durch die Zuführung bestimmter Stoffe körperlich profitiere, nicht aus.
Damit könne hier dahinstehen, ob es sich bei den Darmbakterien überhaupt um Lebensmittel handele, was – soweit ersichtlich – die Beklagtenseite bereits nicht vorgetragen habe. Jedenfalls dienten diese Bakterien – unstreitig – nicht der Ernährung, auch nicht der teilweisen. Die unter Reizdarmsyndrom, Colitis Ulcerosa, atopische Dermatitis oder symptomatisch unkomplizierter Divertikelkrankheit leidenden Personen hätten nicht aufgrund dieser Erkrankungen eine eingeschränkte, behinderte oder gestörte Fähigkeit zur Aufnahme von gewöhnlichen Lebensmitteln, oder einen sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, der gerade durch die von der Beklagten vertriebenen Bakterienstämme gedeckt werden könne. Dies habe die Beklagte auch nicht behauptet, so dass eine Beweisaufnahme hier nicht erforderlich gewesen sei. Auch komme es auf die Frage, ob eine Wirksamkeit der Produkte der Beklagten aufgrund der vorgelegten Studien wissenschaftlich abgesichert sei, nicht an. Eine irgendwie auf eine Erkrankung einwirkende Behandlung erfülle nicht den Ernährungszweck, der sich aus Art. 2 Abs. 2 lit. g der VO (EU) 609/2013 eindeutig ergebe.
Die Vorschriften des Lebensmittelrechts seien üblicherweise Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a UWG. Der Verstoß der Beklagten sei auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen, denn diese erwarteten bei einem Produkt mit der besonderen Aufmachung des „Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke“, das sowohl mit einem entsprechend höheren Preis und in entsprechend hochwertiger (Apotheken-) Umgebung vertrieben werde, eine besondere Qualität, die sich auch aus der Werbung der Beklagten mit dem Slogan „Qualität aus der Apotheke“ ergebe. In Wirklichkeit würden die Verbraucher Stoffe erwerben, die ohnehin in natürlichen Joghurts, Sauerkraut oder sonstigen vergorenen oder milchsauren Lebensmitteln von Natur aus enthalten seien. Der unter diesen unspezifischen Symptomen leidende Personenkreis werde sich also in der Hoffnung auf Linderung verleiten lassen, zu überhöhten Preisen die Produkte der Beklagten zu erwerben.
Die aus dem Urteilstenor ersichtlichen werblichen Aussagen stellten einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 5 der VO (EU) Nr. 609/2013 dar. Danach dürften Kennzeichnung, Aufmachung und Werbung für Lebensmittel für besondere Zwecke keinerlei Bezug auf Vorbeugung, Behandlung oder Heilung von Krankheiten aufweisen, oder einen derartigen Eindruck erwecken. Die Produkte der Beklagten seien schon keine Lebensmittel für besondere Zwecke, weswegen dies erst Recht für sie gelten müsse. Im Übrigen handele es sich um Angaben, die nach den ansonsten für die Produkte der Beklagten geltenden lebensmittelrechtlichen Vorschriften (u. a. § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB) unzulässig wären. Soweit die Klage teilweise abgewiesen worden sei, betreffe dies Angaben, die entweder rein sachliche Informationen enthielten, oder nicht den Eindruck eines Krankheitsbezuges erweckten bzw. die die Klägerseite nicht hinreichend substantiiert angegriffen habe. Wenn hingegen in ein und demselben Satz eine sachliche Angabe (Anzahl oder Art der vermehrungsfähigen Keime im Präparat) mit krankheitsbezogenen Aussagen wie Dysbalance des Mikrobioms oder ähnlichem verbunden worden seien, seien derartige Angaben zu unterlassen.
Da die Abmahnung weitestgehend berechtigt gewesen sei, stehe dem Kläger auch der geltend gemachte Zahlungsanspruch gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG zu, dessen Höhe nicht bestritten sei, wobei eine Zuvielforderung angesichts der geringfügigen Abänderung in den zu unterlassenden Werbeaussagen nicht vorliege.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 14.09.2020 zugestellte Endurteil mit Schriftsatz vom 29.09.2020 (Blatt 121/122 d. A.) Berufung eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 16.11.2020 (Montag) begründet hat (Blatt 126/136 d. A.).
Die Beklagte führt zur Begründung ihrer Berufung Folgendes aus:
Das Landgericht gelange in rechtsfehlerhafter Anwendung zu dem Ergebnis, dass der Verordnungsgeber einen „deutlich engeren Rahmen“ für die Anwendung des Begriffs „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ haben ziehen wollen, als dies bisher unter der Geltung der älteren Vorschriften der Fall gewesen sei, was sich nach dem Landgericht u. a. aus dem Wortlaut der Norm und der Bekanntmachung der EU-Kommission (Anlage K 6) ergebe. Dabei sei schon unklar, was das Landgericht mit einem „deutlich engeren Rahmen“ meine und den „Wortlaut“ welcher Norm das Landgericht hier in Bezug nehme. Rechtsfehlerhaft sei es jedenfalls, sich auf den vermeintlichen Willen des Verordnungsgebers zu stützen und dann auf eine Bekanntmachung der Kommission abzustellen. Denn der Verordnungsgeber der VO (EU) 609/2013 sei vorliegend das Europäische Parlament und der Rat, nicht aber die Kommission gewesen. Abgesehen davon stütze sich das Landgericht bei der Bekanntmachung der Kommission (Anlage K 6), hier Ziffer 57 (gemeint wohl: Ziffer 55), nur auf die von vornherein nicht einschlägigen und nicht erschöpfenden Beispiele. Entgegen der Annahme des Landgerichts sei es keineswegs zwingend, dass eine krankhafte Störung der Nahrungsaufnahme oderausscheidung vorliegen müsse, damit ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke die definitionsgemäßen Voraussetzungen nach Art. 2 Abs. 2 g VO (EU) 609/2013 erfülle. Die vorliegend von Beklagtenseite zur Verteidigung ihrer Produkte geltend gemachte Tatbestandsalternative sei diejenige eines „sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs“, vom Landgericht unzulässig verkürzt auf „medizinisch bedingten Nährstoffbedarf“ (vgl. LGU, Seite 14, letzter Absatz). Ebenso falsch sei die nicht weiter begründete Annahme des Landgerichts auf Seite 15 LGU, wonach eine Möglichkeit, dass der unter der krankhaften Störung leidende Patient durch die Zuführung bestimmter Stoffe körperlich profitiere, nicht ausreichen solle. Diese Annahme widerspreche jedenfalls der ständigen Rechtsprechung des BGH seit der Priorin-Entscheidung vom 02.01.2008 (I ZR 51/06), wie in der Klageerwiderung vom 24.06.2020, Seiten 9 ff., ausführlich dargelegt. Der BGH habe seine diesbezügliche Rechtsprechung infolge vermeintlicher Rechtsänderungen durch die VO (EU) 609/2013 und Delegierte VO (EU) 2016/128 bislang auch nicht revidiert.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts seien durch die Überführung der Vorschriften von der RL 1999/21/EG zur VO (EU) 609/2013 keine materiellrechtlichen Änderungen verbunden. Diesbezüglich werde auch auf die Kommentierung von Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2020, Rn. 37 ff., insbesondere Rn. 45 – 47 zu Art. 2 VO (EU) Nr. 609/2013 Bezug genommen. Danach habe die Ernährung von kranken Patienten mit besonderen Ernährungsbedürfnissen vielfach auch krankheitsheilende oder lindernde, zumindest aber verhütende Wirkung, denn ohne die im Sinne der Begriffsbestimmung angepasste Ernährung würde sich das Krankheitsbild dieser Personen verschlimmern bzw. es würden krankhafte Zustände bei den Personen mit besonderen Ernährungsbedürfnissen ausgelöst. Daraus folge auch, dass zur Abgrenzung der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke von den Arzneimitteln nicht auf die pharmakologischen Wirkungen abgestellt werden könne. Maßgebend sei die Zweckbestimmung zur Ernährung von Patienten im Sinne des Halbsatz 2 des Art. 2 Abs. 1 g der VO (EU) Nr. 609/2013 durch Zufuhr von Stoffen, in der besonderen physiologischen Situation, in der sich die Patienten befänden, erforderlich seien und deren Zweckbestimmung darin bestehe, durch Modifizierung der normalen Ernährung einem medizinisch bedingten Nährstoffbedarf zu dienen und sei zumindest bei Erkrankungen infolge eines Mangels an einzelnen Nährstoffen der therapeutische Erfolg durch Zufuhr dieser Nährstoffe nicht nur Begleiterscheinung, sondern Ziel des Diätmanagements.
So liege der Fall auch hier, was das Landgericht irrtümlich verkannt habe: Die als Lebensmittel für besondere Zwecke in den Verkehr gebrachten Produkte der Beklagten dienten dem medizinisch bedingten Nährstoffbedarf der Patienten mit Reizdarmsyndrom (RDS), Colitis Ulcerosa (CU), atopische Dermatitis (ATOP) und symptomatisch unkomplizierter Divertikelkrankheit (SUD) und damit deren Diätmanagement. Die Lebensmitteleigenschaft probiotischer Bakterienkulturen sei nicht ausdrücklich bestritten worden und könne auch nicht ernstlich bestritten werden. Insoweit sei nur auf handelsübliche Joghurtprodukte verwiesen, die von Natur aus Milchsäurebakterien enthielten. Letztlich verweise auch das Landgericht auf Seite 16 des angefochtenen Urteils darauf, dass der Verbraucher mit den Produkten der Beklagten Stoffe erwerbe, die ohnehin im Joghurt, Sauerkraut usw. enthalten seien. Freilich übersehe es dabei, dass die Milchsäurebakterien dort eben gerade nicht spezifisch für die Ernährungsbedürfnisse der Patienten zusammengesetzt seien, sondern eben nur so, wie sie in der Natur vorkämen. Der medizinisch bedingte Bedarf könne eben nicht einfach durch Joghurt bzw. eine Modifizierung der normalen Ernährung gedeckt werden, demnach entsprächen die streitgegenständlichen Produkte auch in diesem – bislang nicht strittigen Punkt – der Definition für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. Diese probiotischen Bakterienkulturen seien in den streitgegenständlichen Produkten jeweils für die spezifischen Bedürfnisse der Patienten, die unter Reizdarmsyndrom, Colitis Ulcerosa, atopische Dermatitis und symptomatisch unkomplizierte Divertikelkrankheit litten, und deren Diätmanagement diese Produkte dienten, in einem besonderen qualitativen und quantitativen Verhältnis zueinander zusammengesetzt. Dass die Patienten einen sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf an diesen Milchsäurebakterien hätten, sei durch mehrere Goldstandardstudien belegt, die mit der Klageerwiderung vorgelegt worden seien. Dass infolge des Diätmanagements mit diesen Mitteln zugleich die jeweiligen Symptome gelindert würden, sei nur Ausdruck davon, dass die Zufuhr der Stoffe, in der besonderen physiologischen Situation, in der sich die Patienten befänden, erforderlich seien. Dieser Umstand stehe der Eigenschaft als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke gerade nicht entgegen, sondern sei Bestätigung dafür, dass die Mittel in die richtige Kategorie eingeordnet seien.
Soweit das Landgericht bei den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Angaben ohne Weiteres unterstelle, dass es sich um „werbliche Aussagen“ handele, bleibe offen, wie es zu dieser Feststellung gelange. Es fehle jegliche Auseinandersetzung damit, dass es gerade keine Werbung darstelle, wenn die nach Art. 5 Abs. 2 g der delegierten Verordnung (EU) 2016/128 als verpflichtend vorgeschriebene Angaben gemacht würden. Danach sei eine Beschreibung der Eigenschaften und/oder Merkmale, denen das Erzeugnis seine Zweckdienlichkeit in Bezug auf die Krankheit, die Störung oder die Beschwerden verdanke, verpflichtend vorgeschrieben, so dass die Erwähnung der Krankheit oder der Symptome zulässig sein müsse. Erst recht gelte dies im Hinblick auf die Begründung für die Verwendung des Mittels. Dies habe der Bundesgerichtshof bereits in der Entscheidung Priorin (Urt. vom 02.01.2008, I ZR 51/06) zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DiätV entschieden. Die dortigen Ausführungen seien nach wie vor uneingeschränkt gültig. Die seinerzeit verpflichtenden Angaben nach § 21 Abs. 2 DiätV befänden sich nun in Art. 5 Abs. 2 der delegierten Verordnung (EU) 2016/128.
Sofern der Senat der Auffassung des Landgerichts folgen sollte, dass an der bisherigen BGH-Rechtsprechung zur Auslegung des sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs nicht festgehalten werden könne, werde angeregt, dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorzulegen:
Ist Art. 2 Abs. 2 g der Verordnung (EU) 609/2013, wonach ein „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ welches zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten „mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf“ bestimmt ist, dahingehend zu verstehen, dass damit nur der Nährstoffbedarf gedeckt werden darf, für den die zu behandelnde Krankheit oder eine andere Krankheit kausal ist? Oder schließt der sonstige medizinisch bedingte Nährstoffbedarf jeden Nutzen bei der ernährungsmäßigen Behandlung der Erkrankung ein, z. B. auch eine Besserung der Symptome? Ist Art. 9 Abs. 1 VO (EU) 609/2013, wonach die Zusammensetzung eines „Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke“ so beschaffen sein muss, dass sie allgemein anerkannten wissenschaftlichen Daten den Ernährungsanforderungen der Personen, für die sie bestimmt sind, entsprechen und für diese Personen geeignet sind, dahingehend zu verstehen, dass dies ausschließlich durch placebokontrollierte Doppelblindstudien erfolgen kann? Oder ist für die allgemein anerkannten wissenschaftlichen Daten auch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial heranzuziehen?
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts München II vom 11.09.2020, Aktenzeichen 2 HKO 1614/20, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger führt in Erwiderung auf die Berufung unter ergänzender Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag Folgendes aus:
Jedenfalls nach neuer Rechtslage sei nicht am sog. weiten Ernährungsbegriff festzuhalten, vielmehr meine ein Diätmanagement lediglich die Ernährung im eigentlichen Sinne, mithin die Sicherung der üblichen Nährstoffversorgung, welche durch eine spezifische Krankheit gefährdet sein könnte. Der Bundesgerichtshof habe sich zwar in der „Erfokol-Entscheidung“ (Urt. v. 04.12.2008, I ZR 100/06) zugunsten des weiten Ernährungsbegriffs mit der Begründung ausgesprochen, aus § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV ergebe sich, dass unter den Ernährungsbegriff der Diätverordnung auch ein „sonstiger“ medizinisch bedingter Nährstoffbedarf falle. Dies spreche jedoch weder für noch gegen einen engen/weiten Ernährungsbegriff. Vielmehr lasse die 2. Alternative dieser Vorschrift beide Auslegungsmöglichkeiten zu (den weiten Ernährungsbegriff allerdings lediglich bei wohlwollender Betrachtungsweise). Soweit sodann die 2. Alternative als erfüllt angesehen werde, wenn im „Hinblick auf die betreffende Krankheit oder Störung eine von den Nährstoffen ausgehende Wirkung erzielt wird“, gehe der Bundesgerichtshof von einem Tatbestandsmerkmal aus, welches im Gesetz nicht zu finden sei. Es bedürfe zwar einer diätetischen Eignung im Sinne einer sicheren und nutzbringenden Verwendung, welche nachweisbar sein müsse. Mit der Frage des engen oder weiten Ernährungsbegriffs habe dies jedoch nichts zu tun. Bereits in den Sprachfassungen zu Art. 1 Abs. 2 lit. b) der RL 1999/21/EG in der englischen sowie auch der französischen Version sei nicht von einer „diätetischen Behandlung“ die Rede gewesen, sondern von der Bestimmung der Mittel für ein „Diätmanagement“. Für den engen Ernährungsbegriff habe bereits mit Inkrafttreten der RL 1999/21/EG in erster Linie die Notwendigkeit einer einheitlichen, europarechtskonformen Auslegung gesprochen. Bei zutreffender Sichtweise habe schon mit Geltung der RL 1999/21/EG der enge Ernährungsbegriff gegolten.
Erst recht ergebe sich dies bei Auslegung der VO (EU) Nr. 609/2013, und zwar sowohl aus deren Wortlaut, als auch nach der Systematik und dem gesetzgeberischen Ziel. Der Definition des Art. 2 Abs. 2 lit. g der VO (EU) Nr. 609/2013 sei klar zu entnehmen, dass das mittels LbmZ zu erreichende Diätmanagement eine ausreichende Ernährung für solche Patienten sicherstellen solle, welche aufgrund ihrer Krankheit in eine Mangelsituation hineingeraten könnten. Insoweit werde auch auf die (als Anlage K 6 vorgelegte) Bekanntmachung der Kommission (2017 C 401/01) verwiesen. Nach der dortigen Definition des Tatbestandsmerkmals „sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf“ unter Rz. 55 müsse der Nährstoffbedarf „im Zusammenhang“ mit der speziellen Krankheit stehen, wobei Beispielsfälle aufgelistet würden, in denen Krankheiten tatsächlich eine Unterversorgung bedingen könnten. Krankheiten, welche mit Wirkstoffen diätetisch behandelt werden könnten, würden nicht aufgelistet. Bei LbmZ gehe es – wie sich aus den Ausführungen zur Definition des Nährstoffbegriffs in Fn. 28 zur Rz. 55 der Kommissionsmitteilung ergebe – um die Versorgung des Patienten mit den klassischen Nährstoffen und nicht um die Verabreichung von Wirkstoffen. Grundlage für die Einstufung eines Stoffes als „Nährstoff“ sei damit immer noch die Nährstoffdefinition gemäß der Codex Alimentarius GUIDELINES ON NUTRITION LABELLING CAC/GL 2-1985 (zuletzt überarbeitet 2017), wonach hierunter jede Substanz zu verstehen sei, die normalerweise dazu bestimmt sei, als Bestandteil von Lebensmitteln verzehrt zu werden und entweder Energie liefere oder für das Wachstum, die Entwicklung und Lebenserhaltung benötigt werde oder bei mangelnder Zufuhr zu charakteristischen biochemischen oder physiologischen Veränderungen führe. Auch die Begrifflichkeit des Diätmanagements spreche gegen den weiten Ernährungsbegriff. Ein „Managen“ lasse sich nicht mit einem Behandeln übersetzen, sehr wohl aber mit einem Bewältigen, in den Griff bekommen, Verwalten, Zurechtkommen, (durch die Krankheit) Führen etc.. Zum Begriff des Diätmanagements sei ergänzend wiederum auf die Ausführungen der europäischen Kommission in ihrer Bekanntmachung vom 25.11.2017 (Anlage K 6) unter Ziffer 6.4 hinzuweisen. Auf Erwägungsgrund 3 der Delegierten-Verordnung, in dem ebenfalls eine Kausalität zwischen Krankheit einerseits und drohender oder eingetretener Nährstoffunterversorgung gefordert werde, sei bereits mit der Klageschrift verwiesen worden. Dass ein „Diätmanagement“ nicht im Sinne einer möglichen (kausalen oder symptomatischen) Behandlung übersetzt werden dürfe, werde auch beim weiteren Lesen der Bekanntmachung unter Rz. 59 deutlich. Im Übrigen werde auf die Ausführungen zu Art. 9 Abs. 5 VO (EU) Nr. 609/2013 in der Klageschrift (dort Seite 40) verwiesen, wonach es keinen Sinn mache, schon in der Kennzeichnung und Aufmachung das Erwecken des Eindrucks, ein Mittel könne der Behandlung einer Krankheit dienen, zu verbieten, wenn das Produkt auch zur Behandlung einer Krankheit bestimmt sei.
Auch eine systematische Auslegung führe zur selben Beurteilung. Wie schon mit der RL 1999/21/EG werde auch mit der VO (EU) Nr. 609/2013 dasjenige, was ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf sei, zunächst beispielhaft erläutert (Art. 2 Abs. 2 lit. g Alt. 1). Patienten, welche unter einer eingeschränkten, behinderten oder gestörten Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechselung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte litten, hätten einen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf. Vorbenannte gesetzliche Auflistung enthalte nur solche Fälle, in denen eine Krankheit ursächlich für den Nährstoffbedarf sei. Nicht ein Fall werde in jener Auflistung beschrieben, in welchem eine Krankheit vorliege, welche mittels Nährstoffen behandelt werden könne. Wenn es im 2. Teil der Vorschrift heiße, dass LbmZ auch bestimmt seien für „… Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf“, habe sich auch dieser medizinisch bedingte Nährstoffbedarf in der Gesetzesauslegung an den zunächst genannten Beispielen zu orientieren. Ein sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf müsse daher ebenfalls ursächlich durch die Krankheit bewirkt worden sein. Er dürfe nicht deshalb angenommen werden, als ein zugeführter Nährstoff positive Auswirkungen auf das Krankheitsgeschehen zeige (also die Krankheit lindere oder heile). Gesetzessystematisch mit dem weiten Ernährungsbegriff nicht in Einklang zu bringen sei natürlich auch an dieser Stelle das Verbot eines Krankheitsbezuges in Kennzeichnung, Aufmachung und Werbung.
Entsprechendes ergebe sich bei teleologischer Auslegung. Den Zweck der Neufassung VO (EU) Nr. 609/2013 habe der europäische Verordnungsgeber insbesondere in den Erwägungsgründen zu Ziffern 9 bis 13 angeführt, wie bereits innerhalb der Klageschrift ausgeführt. Der Zweck der Neufassung werde aber auch aus den zitierten Erklärungen der Kommission in ihrer Bekanntmachung deutlich.
Im Ergebnis existiere für die Annahme eines weiten Ernährungsbegriffes keine Grundlage.
Wenig hilfreich sei für die Beklagte auch das vorherrschende Stimmungsbild in der Literatur. Dies gelte insbesondere auch in Bezug auf die Kommentierung in Zipfel/Rathke. Wie bereits ausgeführt, habe der europäische Gesetzgeber mit der Ersetzung des Wortes „zur medizinischen Behandlung“ durch „zum Diätmanagement“ das Recht nicht grundsätzlich verändern wollen. So spreche die europäische Kommission nur von einer Akzentverschiebung und weise auf eine Rechtskonformität hin. Dies deshalb, als das gesetzte Recht tatsächlich weitestgehend konstant sei. Es bedürfe lediglich einer Änderung in der Rechtswirklichkeit dahingehend, dass jetzt auch in Deutschland und Österreich ein LbmZ wieder das werde, was es eigentlich sei, nämlich ein solches zu Zwecken des Diätmanagements und nicht zu einem „kleinen Arzneimittel“ zur Behandlung einer Krankheit.
Soweit die Beklagte anrege, die sich für sie ergebenden Auslegungsfragen dem EuGH zur Vorab-Entscheidung vorzulegen, sei dies nicht notwendig, Auslegungszweifel bestünden nicht.
Die Beklagte erwidert hierauf, für die vom Kläger kolportierte Einschränkung, dass ein LbmZ ausschließlich einen Nährstoffbedarf decken dürfe, der durch eine Krankheit verursacht sei, gebe es keinerlei Anhaltspunkt im Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 lit. g der VO (EU) 609/2013. Der Wortlaut der Definition lasse vielmehr offen, wie ein LbmZ, das einem Patienten mit einem „sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf“ zu dienen bestimmt sei, diese Zweckbestimmun erfülle oder auch zu erfüllen habe. Aufschluss über die Zweckbestimmung von LbmZ gebe der Wortlaut weiterer Vorschriften zur Kennzeichnung, die auch die Zweckbestimmung konkretisieren würden, wie in Art. 5 Abs. 2 lit e) der Delegierten VO (EU) 2016/128. Dabei stehe der Wortlaut der Bestimmung über den Motiven des Verordnungsgebers, wie sie in den Erwägungsgründen Ausdruck fänden. Der maßgebliche Unterschied zwischen einem LmbZ und einem Arzneimittel liege darin, dass Letzteres seine Zweckbestimmung (Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten) bekanntlich mittels pharmakologischer, immunologischer oder metabolischer Wirkung erziele, wohingegen ein LmbZ bislang eine „diätetische Behandlung“ von Erkrankungen verfolgt habe bzw. jetzt für ein Diätmanagement spezifischer Erkrankungen bestimmt sei. Anders als ein Arzneimittel „manage“ (oder bewältige bzw. verwalte) ein LmbZ eine Erkrankung „diätetisch“, also über die Ernährung. Die Produkte der Beklagten enthielten probiotische Bakterienkulturen, wie sie z.B. in handelsüblichen Joghurtprodukten oder auch Sauerkraut natürlicherweise vorkämen, aber in den hier streitgegenständlichen Produkten standardisiert und auf den Bedarf der jeweiligen Patienten, für die das LmbZ bestimmt sei, angepasst seien. Wenn ein erfolgreiches Diätmanagement mit diesen Lebensmittelzutaten dazu führe, dass auch Symptome der jeweiligen Erkrankung gelindert würden, so stehe dieser Umstand der Eigenschaft als LmbZ nicht entgegen. Nach dieser eindeutigen Wortlausauslegung bleibe kein Raum mehr für eine systematische oder teleologische Auslegung. Auch habe ein Verbot bestimmter Werbeaussagen mit Krankheitsbezug nichts mit der Frage der Verkehrsfähigkeit zu tun, sondern sei ein solches Verbot von der Definition, der Zweckbestimmung und der Kennzeichnung von LmbZ zu trennen, stehe mithin einer (ernährungsmäßigen, diätetischen) Verbesserung von spezifischen Krankheiten als Folge erfolgreichen Diätmanagements nicht entgegen.
Ergänzend wird auf die von den Prozessbevollmächtigten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 18.03.2021 Bezug genommen.
II.
Die nach § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere gemäß §§ 519 Abs. 1, Abs. 2, 517 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 520 Abs. 2, Abs. 3 ZPO begründete Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Unterlassungsanträge – soweit sie erstinstanzlich zugesprochen wurden – zulässig und begründet sind.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger nach den unstreitigen und mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts prozessführungsbefugt gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F., § 15a Abs. 1 UWG.
2. Die Ausführungen des Landgerichts (LGU, Seite 16 unter II.) zur teilweisen Klageabweisung verkennen, dass sich die Anträge zu Ziff. I.2.2, I.4.2, I.6.2, I.6.5 und I.8.2 jeweils gegen aus mehreren Sätzen bestehende Angaben richten. Wenn ein Teil der angegriffenen Angaben vom Verbot ausgenommen wird, wird der Umfang des Verbotes nicht eingeschränkt. Der hieraus resultierende Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO (s. bereits Hinweis-Verfügung vom 18.11.2020, Ziff. 4 b), Bl. 139 d. A.) wurde jedoch geheilt durch die Beantragung des Klägers, die Berufung zurückzuweisen. Denn damit hat er sich die gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßende Entscheidung zu eigen gemacht (siehe auch Schriftsatz vom 23.12.2020, Seite 2 unter Ziff. 2, Bl. 169 d. A.), worin eine auch in der Berufungsinstanz noch möglich Klageerweiterung liegt, wobei auch die Voraussetzungen des § 533 ZPO vorliegen (vgl. BGH NJW 2006, 1062 Rn. 11 m.w.N.; Zöller, 33. Aufl., § 308 Rn. 7 m.w.N.; MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 308 Rn. 25).
3. Das Landgericht hat dem Kläger die streitgegenständlichen Unterlassungsansprüche in der Sache zu Recht zugesprochen.
a) Das Inverkehrbringen und Vertreiben der streitgegenständlichen Produkte zum Diätmanagement bei Reizdarmsyndrom, Colitis Ulcerosa und Pouchitis, Neurodermitis bzw. symbiotischer unkomplizierter Divertikelkrankheit sowie deren Bewerbung mit der Angabe „zum Diätmanagement bei…“ (vgl. Anträge zu Ziff. I.1., I.2.1, I.2.2, I. 3., I.4.2, I.5., I.6.1, I.6.2, I.7, I.8.2) suggeriert dem angesprochenen Durchschnittsverbraucher, dass es sich bei den jeweiligen Produkten um Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinne der geltenden Gesetzeslage (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. c), 2 Abs. 2 lit g) VO (EU) 609/2013) handele. Dies ist jedoch – wie vom Landgericht zu Recht festgestellt – nicht der Fall. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1, Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013) sowie gegen das allgemeine Irreführungsverbot nach § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 UWG vor, so dass dem Kläger insoweit ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. §§ 3, 3a, i.V.m. Art. 4 Abs. 1 VO bzw. 9 Abs. 5 (EU) 609/2013 bzw. § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 UWG zusteht.
Im Einzelnen:
aa) Nach Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 609/2013) dürfen Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie dieser Verordnung genügen. Gem. Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013) dürfen Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke sowie die Werbung dafür nicht irreführend sein. Gem. § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben über wesentliche Merkmale der Ware enthält. Vorstehende Bestimmungen werden im Streitfall durch die Beklagte verletzt, indem sie die streitgegenständlichen Produkte mit der Angabe „Zum Diätmanagement bei…“ in den Verkehr bringt, vertreibt bzw. bewirbt, obwohl es sich hierbei nicht um Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinne der Definition der Art. 2 Abs. 2 lit. g) VO (EU) 609/2013 handelt.
Wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, steht einer Anwendung des weiten Ernährungsbegriffs, wie er von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Definition in der nationalen Vorschrift des vormals geltenden § 1 Abs. 4a S. 2 DiätV (der eine Umsetzung von Art. 1 Abs. 2 b) der RL 1999/21/EG darstellte) zugrunde gelegt wurde, die Auslegung der nunmehr zu beachtenden Begriffsbestimmung in der europarechtlichen Regelung des Art. 2 Abs. 2 g) VO (EU) 609/2013 entgegen.
(1.) Nach ihrer Zweckbestimmung sind die streitgegenständlichen Produkte der Beklagten nicht als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke” im Sinne der Definition in Art. 2 Abs. 2 g) VO (EU) 609/2013 einzuordnen.
Art. 2 Abs. 2 g) VO (EU) 609/2013 lautet wie folgt:
„Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende Lebensmittel zum Diätmanagement von Patienten, einschließlich Säuglingen, die in spezieller Weise verarbeitet oder formuliert werden; sie sind zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte oder von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bestimmt, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht“. [Hervorhebung hinzugefügt] Demgegenüber lautete die Definition in § 1 Abs. 4a S. 2 DiätV:
„Im Sinne dieser Verordnung sind diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten) Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder ihrer Metaboliten oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen.“ [Hervorhebung hinzugefügt] Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung „Erfokol-Kapseln“ zu § 1 Abs. 4a S. 2 DiätV einen weiten Ernährungsbegriff vertreten und dazu Folgendes ausgeführt (GRUR 2009, 413 Rn. 19): „Wie sich aus § 1 Abs. 4 a 2 Fall 2 DiätV ergibt, fällt unter den Ernährungsbegriff der Diätverordnung vielmehr auch ein „sonstiger” medizinisch bedingter Nährstoffbedarf. Die Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 4a DiätV, die in Umsetzung von Art. 1 Abs. 2 lit. b der RL 1999/21/EG der Kommission vom 25.03.1999 über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ABlEG Nr. L 91 v. 7. 4. 1999, S. 29) durch die Zehnte Verordnung zur Änderung der Diätverordnung vom 21.12.2001 (BGBl I, 4189) in die Diätverordnung aufgenommen worden ist (vgl. BR-Dr 957/01, S. 11f.), stellt auf den Zweck ab, der mit dem Lebensmittel verfolgt wird, und nicht auf dessen Gehalt an bestimmten Stoffen (vgl. auch Rathke/Gründig, in: Zipfel/Rathke, LebensmittelR, Stand: 1. 3. 2007, C 140 § 1 Rdnr. 81a; Delewski, ZLR 2006, 443 [446]). Ein sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf liegt auch dann vor, wenn nicht ein Nährstoffdefizit ausgeglichen, sondern auf andere Weise durch die Nährstoffzufuhr ernährungsbedingten Erkrankungen entgegengewirkt werden soll (vgl. Delewski, ZLR 2006, 443 [447f.]; Kügel, DLR 2006, 229 [231f.]; Herrmann, Rechtliche Problemstellungen bei ergänzenden bilanzierten Diäten in arzneitypischer Darreichungsform, 2008, S. 83f. m.w. Nachw.). Lebensmittel dienen daher i.S. von § 1 Abs. 4a S. 2 Fall 2 DiätV der Ernährung von Patienten mit einem besonderen, medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, wenn – wie im vorliegenden Fall – durch die Aufnahme der in ihnen enthaltenen Nährstoffe (hier: pflanzliche Sterole) im Hinblick auf die betreffende Krankheit oder Störung (hier: Hypercholesterinämie) eine von den Nährstoffen ausgehende Wirkung erzielt wird (hier: Verhinderung der Resorption von Cholesterin im Darm und damit Reduzierung des Cholesterinspiegels).“ [Hervorhebungen hinzugefügt] In den Entscheidungen „MobilPlus-Kapseln“ (GRUR 2008, 1118 Rdnr. 16) und „Glucosamin Naturell“ (GRUR 2012, 734 Rn. 8) hat der Bundesgerichtshof festgestellt, ein Nährstoffbedarf sei auch dann medizinisch bedingt (im Sinne von § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV), wenn auf Grund der Beschwerden, Krankheiten oder Störungen sonstige besondere Ernährungserfordernisse bestünden, denen mit einer diesen Erfordernissen angepassten Nährstoffformulierung entsprochen werden könne, was bereits dann der Fall sein könne, wenn die Patienten aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe einen besonderen Nutzen ziehen könnten.
Nach dieser weiten Auslegung des Bundesgerichtshofes sollte sich der Ernährungszweck eines Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke im Sinne von § 1 Abs. 4 a Satz 2 DiätV nicht auf den Ausgleich eines medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs oder Nährstoffdefizits bzw. die Abdeckung einer krankheitsbedingten Unterversorgung an bestimmten Nährstoffen beschränken, sondern auch eine medizinische Behandlung im Sinne einer spezifischen Therapie mit einem gegen die eigentliche Krankheitsursache gerichteten, wirksamen Nährstoffes darunter fallen (siehe auch Zipfel/Rathke LebensmittelR/Rathke, 177. EL Juli 2020, VO (EU) 609/2013 Art. 2 Rn. 46 ff.).
(2.) Einer derart weiten Auslegung kann jedoch in Bezug auf die am 20.07.2016 in Kraft getretene europäische Verordnung (EU) 609/2013 und die dort in Art. 2 Abs. 2 lit. g) normierte Definition des Begriffs „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ unter Berücksichtigung des Wortlauts dieser Definition und des vom europäischen Gesetzgeber verfolgten Regelungsziels nicht gefolgt werden (so auch bereits OLG Frankfurt, Urt. vom 29.05.2019, GRUR-RR 2019, 449, LS 1 und Rn. 15, 17 – Guaranaextrakt sowie Urt. vom 16.07.2020, PharmR 2020, 624 Rn. 17 ff. – Zucker aus Birkenrinde; OLG Karlsruhe, Urt. vom 04.02.2021, Az. 4 U 125/20, Anlage BE 8; LG Köln Urt. v. 7.8.2018 – 33 O 173/17, BeckRS 2018, 23308,Rn. 31, 32 – Natürlich bei Migräne, bestätigt durch OLG Köln, Urt. v. 5.4.2019 – 6 U 151/18, BeckRS 2019, 10570; OLG Schleswig, Urt. vom 25.03.2021 – 6 U 6/20, Anlage BE 9; LG Dortmund, Urt. vom 11.02.2020, Az. 25 O 40/19, Anlage K 25).
(a) Wie aus den oben zitierten Regelungen ersichtlich, liegt nach dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 lit. g) VO (EU) 609/2013 die Zweckbestimmung des Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke in einem „Diätmanagement“. Demgegenüber sprach der Wortlaut der Definition des vormals geltenden § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV – ebenso wie die deutsche Fassung von Art. 1 Abs. 2 b) der RL 1999/21/EG, deren Umsetzung die Regelung des § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV diente – von einer „diätetischen Behandlung“. Allerdings war in der englischen und auch in der französischen Fassung von Art. 1 Abs. 2 b) der RL 1999/21/EG bereits nicht von einer „diätetischen Behandlung“ die Rede, sondern – wie nunmehr auch in Art. 2 Abs. 2 lit. g) der VO (EU) 609/2013 – von der Bestimmung des Mittels für ein „Diätmanagement“ (englische Version: „dietary management“).
(b) Die nunmehrige Verordnung der VO (EU) 609/2013 soll – wie aus Nummern 9 und 10 der Erwägungsgründe hervorgeht – einer Vereinheitlichung der Rechtsanwendung durch die Mitgliedstaaten dienen. So heißt es in den Erwägungsgründen unter Nr. 9 zum Regelungsziel der Verordnung allgemein: „Aus einem Bericht der Kommission vom 27. Juni 2008 an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung des Notifizierungsverfahrens geht hervor, dass es bei der Definition von „Lebensmitteln, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind”, die durch nationale Behörden anscheinend unterschiedlich ausgelegt werden kann, zu Problemen kommen kann. Daher kam die Kommission zu dem Schluss, dass eine Überarbeitung der RL 2009/39/EG erforderlich ist, um eine wirksamere und einheitlichere Durchführung der Unionsrechtsakte zu gewährleisten.“
In Nr.10 der Erwägungsgründe wird weiter ausgeführt: „Die Schlussfolgerungen des Kommissionsberichts vom 27. Juni 2008 über die Durchführung des Notifizierungsverfahrens wurden in einem Untersuchungsbericht von A. C. Consulting vom 29. April 2009 über die Überarbeitung der RL 2009/39/EG bestätigt; außerdem wurde in dem Bericht darauf hingewiesen, dass aufgrund der breiten Begriffsbestimmung in dieser Richtlinie derzeit immer mehr Lebensmittel als für eine besondere Ernährung geeignet gekennzeichnet und vermarktet werden. In dem Bericht wurde auch betont, dass die Art der Lebensmittel, auf die diese Richtlinie angewandt wird, je nach Mitgliedstaat sehr unterschiedlich ist; […] Durch diese Situation wird der Binnenmarkt gestört, es kommt zu Rechtsunsicherheit für die zuständigen Behörden, Lebensmittelunternehmer, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), und Verbraucher; Marktmissbrauch und Wettbewerbsverzerrung können nicht ausgeschlossen werden. Es ist daher notwendig, durch eine Vereinfachung des rechtlichen Rahmens die Auslegungsunterschiede zu beseitigen.“
Weiter wird in den Erwägungsgründen unter Nr. 25 zur VO (EU) 609/2013 Folgendes erläutert:
„Die Kennzeichnung, Aufmachung und Bewerbung von Lebensmitteln, die unter diese Verordnung fallen, sollten diesen Lebensmitteln keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen. Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sind jedoch zum Diätmanagement von Patienten bestimmt, deren Fähigkeit beispielsweise zur Aufnahme gewöhnlicher Lebensmittel aufgrund einer spezifischen Krankheit oder Störung oder spezifischer Beschwerden eingeschränkt, behindert oder gestört ist. Der Hinweis auf Diätmanagement von Krankheiten, Störungen oder Beschwerden, für die das Lebensmittel bestimmt ist, sollte nicht als Zuschreibung einer Eigenschaft hinsichtlich der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit gelten.“ [Hervorhebung hinzugefügt] Der Verordnungsgeber hat hier also besonders herausgestellt, dass der Unterschied zwischen dem Zweck eines Diätmanagements einerseits und dem einer therapeutischen Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit andererseits zu berücksichtigen ist. Dies spiegelt sich auch in der Formulierung „Lebensmittel zum Diätmanagement“ bzw. „…für deren Diätmanagement“ in Art. 1 Abs. 2 g) der VO (EU) 609/2013 wider. Hieraus ergibt sich, dass die zu einem weiten Ernährungsbegriff führende Auslegung nicht den Vorstellungen des EU-Normgebers entspricht (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2019, 449, LS 1 und Rn. 15, 17 – Guaranaextrakt).
Deutlich wird dies auch aus Erwägungsgrund 3 der am 22.02.2019 in Kraft getretenen Delegierten Verordnung (EU) 2016/128, wo ausgeführt wird: „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke werden in enger Zusammenarbeit mit Angehörigen der Gesundheitsberufe für die Ernährung von Patienten entwickelt, die an diagnostizierten spezifischen Krankheiten, Störungen oder Beschwerden, die es ihnen sehr schwer oder unmöglich machen, ihren Ernährungsbedarf durch den Verzehr anderer Lebensmittel zu decken, oder an einer dadurch hervorgerufenen Mangelernährung leiden. Daher sind Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke unter ärztlicher Aufsicht, gegebenenfalls mit Unterstützung anderer kompetenter Angehöriger der Gesundheitsberufe, zu verwenden.“ [Hervorhebungen hinzugefügt]
(c) Dieses Verständnis des Willens des Verordnungsgebers deckt sich mit den Ausführungen der Europäischen Kommission in ihrer im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten „Bekanntmachung über die Einordnung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke“ (2017/C 401/01, Anlage K 6). Es handelt sich dabei um Leitlinien zur Unterstützung der zuständigen nationalen Behörden bei ihren Durchsetzungsaufgaben sowie der Interessenträger bei der Vermarktung ihrer Erzeugnisse (vgl. Ziff. 5. der Bekanntmachung), die – wenngleich die verbindliche Auslegung des Unionsrechts dem Europäischen Gerichtshof obliegt (vgl. auch Ziff. 6. der Bekanntmachung) – im Rahmen der gebotenen, unionsrechtlich einheitlichen Auslegung der Verordnung Berücksichtigung finden und die hiesige Auslegung bestätigen (s.a. Art. 14 VO (EU) 609/2013). So wird unter Rn. 36 ff. dieser Leitlinien zum Verständnis der Definition von „Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke“ in Art. 2 Abs. 2 g) der VO (EU) 609/2013 betont, dass bei der Einordnung eines Erzeugnisses als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zunächst geklärt werden müsse, „ob es nicht vielmehr innerhalb eines anderen Rechtsrahmens, insbesondere als Arzneimittel, eingeordnet werden sollte“ (entsprechend der Definition für Arzneimittel in Art. 1 Abs. 2 der RL 2001/83/EG: (a) Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.). Angesichts der Notwendigkeit einer strengen Überwachung von Arzneimitteln sei ein Erzeugnis in Zweifelsfällen nach Arzneimittelrecht zu behandeln, wie sich aus Art. 1 Abs. 2 der RL 2001/83/EG ergebe, der lautet: „In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel” als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.“
Unter Rn. 42 wird in der Bekanntmachung ausgeführt:
„Für die Zwecke dieser Bekanntmachung ist unbedingt zu beachten, dass Erzeugnisse, die als Mittel zur Vorbeugung gegen eine Krankheit bezeichnet werden […], auf der Grundlage der kombinierten Auslegung obiger Definitionen als Arzneimittel eingeordnet werden sollten und nicht als Lebensmittel erachtet werden dürfen. Da solche Erzeugnisse nicht als Lebensmittel gelten dürfen, können sie auch nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eingeordnet werden.“
Und unter Rn. 43 heißt es dann weiter:
„Dieselbe Argumentation gilt für Erzeugnisse, die als Mittel zur Behandlung einer Krankheit bezeichnet werden […]. Solche Erzeugnisse sollten als Arzneimittel erachtet werden und können nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eingeordnet werden.“ [Hervorhebungen hinzugefügt] Zur Abgrenzung zwischen einem Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke und einem Arzneimittel wird unter Rn. 44 weiter erläutert:
„In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass – im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union – der Begriff „Bezeichnung“ eines Erzeugnisses weit auszulegen ist: Insbesondere wird ein Erzeugnis nicht nur dann im Sinne der RL 2001/83/EG „als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Krankheiten bezeichnet“, wenn es ausdrücklich als ein solches „bezeichnet“ oder „empfohlen“ wird (möglicherweise durch das Etikett, den Beipackzettel oder die mündliche Präsentation), sondern auch dann, „wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse“. Daher sollte ein Erzeugnis auch dann als Arzneimittel erachtet werden – was die Einordnung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ausschließt -, wenn es als Mittel zum Diätmanagement bei einer bestimmten Krankheit bezeichnet wird, falls bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher der Eindruck entstehen kann, dass es zur Behandlung der betreffenden Krankheit bestimmt ist (…).“ [Hervorhebungen hinzugefügt]
In Rn. 53 der Bekanntmachung wird weiter betont, dass das richtige Verständnis des Konzepts „Diätmanagement“ von zentraler Bedeutung für die korrekte Einordnung eines Erzeugnisses als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sei.
Unter Rn. 55 wird das Tatbestandsmerkmal „sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf“ wie folgt definiert:
„Hierbei handelt es sich um einen spezifischen Nährstoffbedarf (siehe Fußnote 28 zur Definition von ‚Nährstoffe‘), der – basierend auf medizinischen Nachweisen – im Zusammenhang mit der speziellen Krankheit/Störung/Beschwerde steht, zum Beispiel ein erhöhter Bedarf an Eiweißen oder anderen spezifischen Nährstoffen (z. B. Glutamin) bei Patienten vor oder nach Operationen, mit schweren Wunden, Verbrennungen oder Drucknekrosen oder bei Patienten mit bestimmten Erkrankungen (z. B. Vitamin A für Patienten mit Mukoviszidose).“
Der Nährstoffbedarf muss demnach „im Zusammenhang“ mit der speziellen Krankheit stehen, wobei in den genannten Beispielsfällen die angeführten Krankheiten tatsächlich eine Unterversorgung bedingen können.
Unter Rn. 56 wird ausgeführt, dass den zur Definition des Art. 2 Abs. 2 lit. g) der VO (EU) 609/2013 in Rn. 55 angeführten Beispielen gemeinsam sei, dass es „unmöglich, unpraktisch, unsicher oder ernährungstechnisch/klinisch nachteilig für die Patienten [ist], die an den speziellen Krankheiten/Störungen/Beschwerden leiden, ihren Ernährungsbedarf ausschließlich durch den Verzehr anderer Lebensmittel als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zu decken. Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sollen daher zur Ernährungsunterstützung bei Patienten verwendet werden, die an speziellen Krankheiten/Störungen/Beschwerden leiden, und sie sind Lebensmittel, deren Verzehr für Patienten, die an den speziellen Krankheiten/Störungen/Beschwerden leiden, ernährungstechnisch notwendig ist.“ [Hervorhebungen hinzugefügt] Zusammenfassend wird dann in Rn. 59 ausgeführt:
„Aus einem anderen Blickwinkel ermöglichen die obigen Ausführungen auch die Klarstellung, dass zwischen dem „Diätmanagement“ von Patienten, die an speziellen Krankheiten/Störungen/Beschwerden leiden, und der Behandlung der speziellen Krankheiten/Störungen/Beschwerden ein eindeutiger Unterschied besteht: Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sind nicht zur Behandlung von Krankheiten bestimmt, und wie in Abschnitt 6.1 dargelegt, sollten Erzeugnisse, die als Mittel zur Behandlung einer Krankheit bezeichnet werden, als Arzneimittel erachtet werden, was ihre Einordnung als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ausschließt.“ [Hervorhebungen hinzugefügt]
(d) Nach Inkrafttreten der VO (EU) Nr. 609/2013 liegt ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke also nur dann vor, wenn es dazu dient, ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit auszugleichen; es reicht nicht aus, wenn die Nährstoffzufuhr auf andere Weise Erkrankungen entgegenwirken soll (vgl. bereits OLG Frankfurt, Urt. vom 29.05.2019 GRUR-RR 2019, 449, LS 1 und Rn. 15, 17 – Guaranaextrakt sowie Urt. vom 16.07.2020, PharmR 2020, 624 Rn. 17 ff. – Zucker aus Birkenrinde; OLG Karlsruhe, Urt. vom 04.02.2021, Az. 4 U 125/20, Anlage BE 8; LG Köln Urt. v. 7.8.2018 – 33 O 173/17, BeckRS 2018, 23308, Rn. 31, 32 – Natürlich bei Migräne, bestätigt durch OLG Köln, Urt. v. 5.4.2019 – 6 U 151/18, BeckRS 2019, 10570; OLG Schleswig, Urt. vom 25.03.2021 – 6 U 6/20, Anlage BE 9; LG Dortmund, Urt. vom 11.02.2020, Az. 25 O 40/19, Anlage K 25; offen gelassen von OLG München LMuR 2019, 27 Rn. 14 – Lyranda, Anlage K 18 und Urt. vom 21.02.2019, Az. 29 U 2283/18, Anlage K 17, Seite 12 Ziff. 4.b) bb)). Ein „sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. g) Alt. 2 VO (EU) 609/2013 ist also gegeben, wenn bestimmte Beschwerden, Krankheiten oder Störungen einen besonderen Nährstoffbedarf begründen. Ist die Krankheit kausal für einen veränderten Nährstoffbedarf, ist dieser „medizinisch bedingt“. Dieses Verständnis ergibt sich auch bei Betrachtung des systematischen Zusammenhangs der Alternative „sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf“ zu den in Art. 2 Abs. 2 lit. g) Alt. 2 VO (EU) 609/2013 vorgenannten Fällen, die sich auf krankheitsbedingte Nährstoffbedarfssituationen von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte beziehen. Der hieran anknüpfende „sonstige medizinisch bedingte Nährstoffbedarf“ muss also Folge einer spezifischen Krankheit sein, die – wie in dem bereits zitierten Erwägungsgrund 3 der Delegierten VO ausgeführt wird – es dem Patienten schwer oder unmöglich macht, seinen Ernährungsbedarf durch den Verzehr anderer Lebensmittel zu decken. Das Diätmanagement im Sinne von Art. 2 Abs. 2 g) der VO (EU) 609/2013 dient dazu, die Ernährung an den krankheitsbedingt veränderten Nährstoffbedarf anzupassen und dem Patienten einen auf seinen Zustand angepassten Nährstoffbedarf bereitzustellen. In diesem Zusammenhang vermag ein Diätmanagement auch das Krankheits- und Beschwerdebild positiv zu beeinflussen. Eine weitere Auslegung des Ernährungsbegriffs lässt sich entgegen dem Dafürhalten der Beklagten (vgl. Schriftsatz vom 09.04.2021) auch nicht aus der Auflistung in der sog. Unionsliste gem. Art. 15 der VO (EU) 609/2013 herleiten, denn diese ist lediglich dazu bestimmt wiederzugeben, welche Stoffe einer bestimmten Stoffkategorie als Zusatz für eine oder mehrere unter diese Verordnung fallende Lebensmittelkategorien zugelassen sind (vgl. Erwägungsgrund 36). Dies hat nichts mit der Einordnung eines Produkts in die Kategorie eines Lebensmittels für besondere Zwecke als solches zu tun, insbesondere mit der Frage, ob ein „sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf“ i.S.v. Art. 2 Abs. 2 lit. g) Alt. 2 VO (EU) vorliegt.
(3.) Vor diesem Hintergrund ist im Streitfall festzustellen, dass sich die Zweckbestimmung der streitgegenständlichen Produkte der Beklagten nicht auf den Ausgleich eines krankheitsbedingten Ernährungsbedarfs im Sinne eines Diätmanagements bezieht. Bei den hier in Rede stehenden Krankheiten – Reizdarmsymptom, Colitis Ulcerosa und Pouchitis, atopische Dermatitis (Neurodermitis) und symptomatisch unkomplizierte Divertikelkrankheit – handelt es sich nach den zugrunde liegenden Feststellungen nicht um Krankheiten, die ursächlich für eine Unterversorgung des Patienten mit den Bakterienkulturen wären, die ihm mit den hier streitgegenständlichen Produkten verabreicht werden. Dies hat die Beklagte schon nicht schlüssig und substantiiert behauptet, wie das Landgericht bereits zutreffend und mit der Berufung unangegriffen festgestellt hat (vgl. LGU Seite 15, letzter Abs.). Vielmehr sollen mit den gegenständlichen Mitteln dem jeweiligen Verwender bestimmte Darmbakterien zugeführt werden mit dem Ziel, die jeweils genannten Krankheiten und Beschwerden therapeutisch zu behandeln (s.a. LG Dortmund, Urt. vom 11.02.2020, Az. 25 O 40/19, Anlage K 25). Damit sind diese Mittel unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen nicht unter die Definition eines „Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 g) der VO (EU) 609/2013 zu subsumieren.
bb) Jedenfalls aber enthalten die hier streitgegenständlichen Produkte der Beklagten auch keine Nährstoffe, wie dies nach der Definition des Art. 2 Abs. 2 g) Alt. 2 VO (EU) 609/2013 vorausgesetzt wird, so dass sie auch unter diesem Gesichtspunkt nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einzuordnen sind.
In der Begriffsbestimmung des Art. 2 Abs. 2 g) Alt. 2 VO (EU) 609/2013 wird auf „einen sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf“ Bezug genommen. In der „Bekanntmachung der Europäischen Kommission über die Einordnung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke“ (2017/C 401/01, Anlage K 6) wird hierzu in Fußnote 28 zu Rn. 54 ausgeführt, dass die Rechtsvorschriften über Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zwar keine Definition des Begriffs „Nährstoff“ enthielten, doch insoweit die Definition in Art. 2 Abs. 2 s) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel heranzuziehen sei, wonach unter den Begriff „Nährstoff“ fallen: „Eiweiße, Kohlenhydrate, Fett, Ballaststoffe, Natrium, Vitamine und Mineralstoffe, die in Anhang XIII Teil A Nummer 1 dieser Verordnung aufgeführt sind, sowie Stoffe, die zu einer dieser Klassen gehören oder Bestandteil einer dieser Klassen sind“. Eine entsprechende Definition findet sich in Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (HCVO). Diese Definition umfasst also nicht alle Stoffe, die eine ernährungsbezogene oder sonstige physiologische Wirkung auslösen (s.a. Art. 2 Abs. 2 Nr. 3 HCVO), sondern nur die explizit Genannten (Zipfel/Rathke LebensmittelR/Rathke/Hahn, 177. EL Juli 2020, VO (EG) 1924/2006 Art. 2 Rn. 29)
Die hier streitgegenständlichen Produkte der Beklagten enthalten jeweils Bakterien, die natürlicher Weise im menschlichen Darm vorkommen. Dabei handelt es sich nach der vorstehenden Definition nicht um Nährstoffe – insbesondere nicht um Eiweiße, Kohlenhydrate, Fett, Ballaststoffe, Natrium, Vitamine oder Mineralstoffe – so dass diese Produkte auch aus diesem Grund nicht als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke” im Sinne von Art. 2 Abs. 2 g) VO (EU) 609/2013 anzusehen sind. Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass die in ihren Produkten enthaltenen Bakterienkulturen auch in Lebensmitteln wie etwa in handelsüblichen Joghurtprodukten oder in Sauerkraut enthalten seien, vermag dies nicht darüber hinweg zu helfen, dass es sich bei den Bakterienkulturen als solchen nicht um Nährstoffe im Sinne der Verordnung handelt.
cc) Die Regelung des Art. 2 Abs. 2 g) der VO (EU) 609/2013 setzt weiter voraus, dass für die diätetische Behandlung die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreichend sein darf. Unter einer normalen Ernährung ist eine solche Ernährung zu verstehen, die insbesondere hinsichtlich der Art und der Eigenschaften der verzehrten Lebensmittel sowie des Umfangs und der Dauer des Verzehrs im Rahmen der üblichen Ernährungsgewohnheiten des betreffenden Patientenkreises liegt (zu § 1 Abs. 4a 2 DiätV: BGH GRUR 2009, 413 Rn. 25 – Erfokol). Ob die Beklagte mit ihrem Vorbringen, wonach die in den streitgegenständlichen Produkten enthaltenen Darmbakterien besonders aufbereitet seien und daher nicht durch den Verzehr üblicher Lebensmittel wie Jogurt, Sauerkraut etc. aufgenommen werden könnten, den Anforderungen an einen substantiierten Sachvortrag genügt, kann im Streitfall dahingestellt bleiben, da die betreffenden Produkte bereits aus den vorstehenden Erwägungen nicht den Anforderungen an ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinne von Art. 2 Abs. 2 g) VO (EU) 609/2013 entsprechen.
dd) Die Regelungen nach Art. 2 Abs. 2 g), 4 Abs. 1, 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 dienen der Herstellung transparenter Verhältnisse auf dem Markt für Gesundheitsprodukte und damit auch dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher, so dass es sich hierbei um Marktverhaltensregelungen i.S. von § 3 a UWG handelt (vgl. zu § 1 Abs. 4a DiätV BGH GRUR 2012, 734 Rn. 17 m.w.N. – Glucosamin Naturell). Die unzutreffende Bezeichnung und Bewerbung der Produkte mit der Angabe „Zum Diätmanagement“ ist auch geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen im Sinne von § 3a UWG, da dies angesprochenen Verkehrskreise zu einer Kaufentscheidung veranlassen kann, wobei das hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung inmitten steht (BGH a.a.O. m.w.N.). Aus diesen Gründen ist auch eine wettbewerbliche Relevanz der nach § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 UWG zugleich begründeten wettbewerbsrechtlichen Irreführung gegeben.
b) Die im landgerichtlichen Urteilstenor gem. zu Ziff. I.2.3. und I.2.5. (in Bezug auf das Produkt „Innovall RDS), Ziff. I.4.3. (in Bezug auf das Produkt „Innoval CU“), Ziff. I.6.3. I.6.5. und I.6.6. (in Bezug auf das Produkt „Innovall ATOP“) sowie Ziff. I.8.1., I.8.3. und I.8.4. (in Bezug auf das Produkt „Innovall SUD“) wiedergegebenen Werbeangaben begründen einen Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. §§ 3, 3a UWG i.V.m. Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013, da den streitgegenständlichen Produkten der Beklagten hier unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 Eigenschaften der Behandlung oder Heilung einer Krankheit zugeschrieben werden. Ob die beanstandeten Werbeangaben im Hinblick auf die jeweils behaupteten Wirkungen der beworbenen Produkte auch unter dem Gesichtspunkt der Irreführung im Sinne von Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 bzw. § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 UWG unzulässig sind, insbesondere ob die Beklagte diese beworbenen Wirkungen anhand der vorgelegten Unterlagen hinreichend belegt hat, ist nicht mehr entscheidungserheblich.
aa) Gemäß der seit dem 20.07.2016 anwendbaren Regelung in Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 darf die Kennzeichnung und Aufmachung von sowie die Werbung für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke diesen Erzeugnissen keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften erwecken. Die Regelung des Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 ist hier einschlägig, auch wenn – wie oben unter 1. ausgeführt – die Produkte der Beklagten keine Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sind (vgl. Art. 1 Abs. 1 c) i.V.m. Art. 2 Abs. 2 g) VO (EU) 609/2013), denn maßgeblich für das Eingreifen des Verbotstatbestands des Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 ist insoweit (wie auch in den Unterlassungsanträgen zum Ausdruck kommt), dass diese aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs ausdrücklich als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke bezeichnet, beworben und vertrieben werden. Wollte man dies anders sehen, wären die streitgegenständlichen Angaben jedenfalls auch nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 3, 4 VO (EU) Nr. 1169/2011 unzulässig.
bb) Die Beklagte bewirbt mit den streitgegenständlichen Angaben jeweils die Eignung ihrer Produkte zur Behandlung einer Krankheit, wie aus Anlage K 3 ersichtlich. Dem angesprochenen Durchschnittsverbraucher wird insoweit suggeriert, dass die beworbenen Produkte die Eigenschaft haben, die jeweils genannten Krankheiten zu heilen bzw. zu lindern. Dies ist nach Art. 9 Abs. 5 der VO (EU) 609/2013 unzulässig.
So wurde zu dem Mittel „I. RDS“ angegeben (vgl. Ziff. I.2.3.), der darin enthaltene, im menschlichen Darm vermehrungsfähige Bakterienstamm diene dem „Ausgleich der Dysbalance des Mikrobioms bei Reizdarmsyndrom“ und die speziell für diesen besonderen Anwendungsbereich ausgewählte Bakterienkultur sei in angemessen hoher Dosierung enthalten, „um das gastrointestinale Mikrobiom und damit auch die Symptome bei Reizdarmsyndrom positiv zu beeinflussen“, was durch klinische Daten belegt sei. Weiter hat die Beklagte damit geworben, die „ausgezeichnete Eignung von I. RDS zur Behandlung von Reizdarmsyndrom“ sei in einer plazebokontrollierten Studie mit über 200 Patienten bestätigt worden, in der die typischen Symptome wie Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall nachweislich gebessert worden seien (vgl. Ziff. I.2.5.).
(2.) Das Mittel „I.CU“ wurde dahingehend angepriesen, dass es Bakterienstämme „zum Ausgleich der Dysbalance des Mikrobioms bei Colitis Ulcerosa und Pouchitis“ enthalte, wobei die Mengenverhältnisse und Dosierungen der speziell für diesen besonderen Anwendungsbereich ausgewählten Bakterienstämme so aufeinander abgestimmt seien, dass sie „das gastrointestinale Mikrobiom und damit auch die Symptome bei Colitis Ulcerosa und Pouchitis positiv beeinflussen“, was durch klinische Daten belegt sei (vgl. Ziff. 4.3.).
(3.) Das Mittel „I. ATOP“ wurde damit beworben (vgl. Ziff. I.6.3.), dass es sich zur begleitenden Therapie bei „allen Formen der Neurodermitis“ für Erwachsene und Kinder ab dem ersten Lebensjahr eigne, wobei „die besondere Eignung zur Behandlung der atopischen Dermatitis“ in einer klinischen Studie mit 90 Kleinkindern bestätigt worden sei (vgl. Ziff. I.6.5.). Die Kombination von Bifidobacterium lactis UABLA-12 und Lactobacillus acidophilus DDS-1 bewirke, „dass sich beide Stämme besser im Darm ansiedeln und vermehren und das Wachstum von Krankheitserregern reduzieren können“ (vgl. Ziff. I.6.5.). Das Mittel „I. SUD“ soll nach den Werbeangaben der Beklagten dazu dienen (vgl. Ziff. I.8.1.), dass „die symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit nicht wieder erwacht“. Es enthalte einen spezifischen im menschlichen Darm vermehrungsfähigen Bakterienstamm „zum Ausgleich der Dysbalance des Mikrobioms bei symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit“ (vgl. Ziff. I.8.3.). Die „speziell für diesen besonderen Anwendungsbereich“ ausgewählte Bakterienkultur sei in angemessen hoher Dosierung enthalten, „um das gastrointestinale Mikrobiom und damit auch die Symptome bei symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit positiv zu beeinflussen“, was durch klinische Daten belegt sei (vgl. Ziff. I.8.3). Der enthaltene Bakterienstamm, „dessen Wirksamkeit bei symptomatischer unkomplizierter Divertikelkrankheit klinisch belegt“ sei, sei aufgrund seiner spezifischen Eigenschaft ausgewählt (vgl. Ziff. I.8.4.).
cc) Die streitgegenständlichen Aussagen sind im Rahmen einer Bewerbung der jeweiligen Produkte, nämlich zum Zwecke deren Anpreisung im geschäftlichen Verkehr gegenüber den angesprochenen Verbrauchern im Internet (vgl. Anlage K 3), getätigt worden. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, zu den streitgegenständlichen Angaben gem. Art. 5 Abs. 2 lit. g) der Delegierten VO (EU) 2016/128 verpflichtet gewesen zu sein (vgl. zu § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 DiätV: BGH NJW-RR 2009, 110 Rn. 37 – Priorin). Nach Art. 5 Abs. 2 lit. g) der Delegierten VO (EU) 2016/128 ist für Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke unter anderem die Beschreibung der Eigenschaften und/oder Merkmale, denen das Erzeugnis seine Zweckdienlichkeit in Bezug auf die Krankheit, die Störung oder die Beschwerden verdankt, für deren Diätmanagement es vorgesehen ist, sowie die Begründung für die Verwendung des Erzeugnisses verpflichtend. Zwar kann eine Angabe, zu der der Werbende gesetzlich verpflichtet ist, nicht als unlauter i.S. der §§ 3, 3a UWG angesehen werden (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 37 – Priorin). Die Pflichtangaben des Art. 5 Abs. 2 lit. g) der Delegierten VO (EU) 2016/128 beziehen sich jedoch nur auf Eigenschaften und/oder Merkmale, denen das Erzeugnis seine Zweckdienlichkeit in Bezug auf das Diätmanagement für eine bestimmte Krankheit verdankt. Eigenschaften, die sich auf eine Behandlung einer Krankheit beziehen, sind davon nicht erfasst, sondern nach Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 ausdrücklich untersagt, wie auch in Erwägungsgrund 25 der Verordnung betont wird (s.a. OLG München, Urt. vom 21.02.2019, 29 U 2283/18, Anlage K 17 sowie Zurückweisungsbeschluss BGH vom 12.12.2019, I ZR 72/19, Anlage K 28 und OLG München, Urt. vom 28.03.2019, 29 U 2297/18, Anlage K 18, LMuR 2019, 27 – Lyranda).
dd) Bei Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 handelt es sich – wie bereits dargelegt – um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, da sie dem Schutz der Verbraucher dient. Der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 5 VO (EU) 609/2013 ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen. Das Verbot der Bewerbung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke mit Eigenschaften zur Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten dient dem Schutz der Verbraucher im hier besonders sensiblen Bereich der gesundheitsbezogenen Werbung.
3. Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten ist gem. §§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG a.F. i.V.m. 15a Abs. 2 UWG begründet, da die klägerische Abmahnung vom 27.01.2020 (Anlage K 4) aus den vorgenannten Gründen überwiegend berechtigt war, wobei die – von Beklagtenseite nicht beanstandete – Höhe der Abmahnkostenpauschale eines Verbandes nicht von der Zahl der abgemahnten Verstöße abhängig ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., § 12 Rn. 1.122).
4. Eine Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 Abs. 2 AUEV – wie von Beklagtenseite angeregt – war nicht angezeigt. Aus der Sicht des Senats bestehen – wie dargelegt – keine Zweifel hinsichtlich der Auslegung der einschlägigen Unionsvorschriften, insbesondere nicht im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 g) VO (EU) 609/2013 (vgl. die erste von Beklagtenseite angeregte Vorlagefrage). Was die zweite Vorlagefrage betrifft (erforderlicher Nachweis der wissenschaftlichen Absicherung i.S.v. Art. 9 Abs. 1 VO (EU) 609/2013), kommt es hierauf im Streitfall schon nicht entscheidungserheblich an (vgl. oben Ziff. II.2.).
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, S. 2, 709 S. 2 ZPO.
3. Die Revision zum Bundesgerichtshof war zuzulassen (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 ZPO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, also allgemein von Bedeutung ist (vgl. BGH Hinweisbeschluss v. 21.3.2018, Az. I ZR 127/17, BeckRS 2018, 27817 Rn. 6; BVerfG Beschluss vom 28.06.2012, Az. 1 BvR 2952/08, WM 2013, 15, 16; BGH Beschluss vom 08.02.2010, Az. II ZR 54/09, NJW-RR 2010, 1047 Rn. 3). Nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) ist die Revision zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken zu schließen (Musielak/Voit/Ball, ZPO, 17. Aufl. 2020, ZPO § 543 Rn. 7). Im vorliegenden Fall weicht der Senat – wie die Ausführungen unter II. zeigen – zur Auslegung des Art. 2 Abs. 2 g) VO (EU) 609/2013 von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs („weiter Ernährungsbegriff“) zur früheren Rechtslage (§ 1 Abs. 4a S. 2 DiätV, Art. 1 Abs. 2 b) der RL 1999/21/EG) ab, und betrifft dies eine Auslegungsfrage, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann (wie auch die hierzu bereits ergangenen, vom Kläger zitierten Entscheidungen verschiedener Landgerichte und Oberlandesgerichte zeigen), die also von allgemeiner Bedeutung ist, so dass zur Klärung dieser Frage eine höchstrichterliche Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich erscheint.


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