Europarecht

Ordnungsgemäße Zustellung bei Übergabe an den Leiter einer Gemeinschaftsunterkunft

Aktenzeichen  M 9 S 17.50049

Datum:
8.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 10 Abs. 5, § 34a Abs. 2 S. 1
VwGO VwGO § 60
VwZG VwZG § 3 Abs. 2 S. 1
ZPO ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2

 

Leitsatz

In einer Gemeinschaftseinrichtung kann ein Dokument anstelle des Empfängers persönlich ersatzweise nur dem Leiter der Einrichtung oder einem von diesem ermächtigten Vertreter übergeben werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nach eigener Aussage am … Januar 1998 geborene Antragsteller (Bl. 3 d. Behördenakts – i.F.: BA -) reiste nach eigenen Angaben am 21. März 2016 von Italien kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 25 d. BA). Er beantragte am 7. Juni 2016 Asyl (Bl. 3 d. BA). Der Antragsteller ist nach eigener Aussage Staatsangehöriger Malis.
Aufgrund eines Eurodac-Treffers der Kategorie 1 vom 7. Juni 2016 (Bl. 34 d. BA) wurde am 5. August 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 35ff. d. BA). Die italienischen Behörden haben bis dato nicht geantwortet.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers hat mit Schriftsatz vom 9. Januar 2017, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt sie mit gleichem Schriftsatz, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2016, dem Kläger zugegangen am 3. Januar 2017, anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Offiziell sei der Bescheid am 29. Dezember 2016 zugestellt worden. Der Weg der Zustellung gehe jedoch anders, nämlich so, dass die Post über die Unterkunftsleitung dem angeschlossenen Sozialdienst zugeleitet werde, welcher die Briefe dann an den jeweilig Betroffenen weiterleite. Der Antragsteller habe den Bescheid erst am 3. oder 4. Januar 2017 erhalten, da der Sozialdienst aufgrund der Feiertage nicht in der Unterkunft gewesen sei. Innerhalb von zwei Tagen sei es ihm nicht möglich gewesen, einen Anwalt zu beauftragen. Dem Antragsteller sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine eidesstattliche Versicherung des Sozialdienstes werde nachgereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag ist bereits unzulässig.
Die am 5. Januar 2017, 00:00 Uhr (kein gesetzlicher Feiertag o.Ä.) endende Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG für die Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde versäumt, da der Bescheid dem Antragsteller bereits am 29. Dezember 2016 mittels Zustellung wirksam bekanntgegeben und der hiesige Antrag erst am 9. Januar 2017 bei Gericht eingereicht wurde.
Zwar ist für die Bekanntgabe nicht auf § 10 Abs. 4 AsylG abzustellen, da die Gemeinschaftsunterkunft, in der der Antragsteller untergebracht ist, keine „Aufnahmeeinrichtung“ in diesem Sinne darstellt. Nach § 10 Abs. 5 AsylG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 ZPO aber wurde die Zustellung am 29. Dezember 2016 durch Übergabe an den Leiter der Gemeinschaftsunterkunft bewirkt. In Gemeinschaftseinrichtungen kann das Dokument anstelle des Empfängers persönlich ersatzweise nur dem Leiter oder einem von diesem ermächtigten Vertreter, der dies ggf. nachzuweisen hat, übergeben werden. Damit aber ist die Zustellung vollzogen, ohne dass eine sofortige Weiterleitung an den Empfänger sichergestellt sein muss (VG Bayreuth, B.v. 30.7.2014 – B 1 S. 14.30285 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 19.6.2015 – 22 L 486/15.A – juris; BeckOK OWiG/Preisner, Stand 13. Edition, 15.10.2016, VwZG § 3 Rn. 19).
Dem Antragsteller war auch nicht auf seinen Antrag hin gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist zu gewähren. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragsteller hat nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, die gesetzliche Antragsfrist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 VwGO). Unverschuldet ist eine Fristversäumnis, wenn dem Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalls kein Vorwurf an der Fristversäumnis zu machen ist; ihm mithin die Einhaltung der Frist nicht zumutbar war. Der Antragsteller hat keine Tatsachen dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht, die die Annahme rechtfertigen, er sei in diesem Sinne unverschuldet verhindert gewesen, die Antragsfrist einzuhalten.
Der erhobene Einwand, der zugestellte Bescheid sei über die Unterkunftsleitung zunächst einem angeschlossenen Sozialdienst übergeben worden, von dem der Antragsteller den Bescheid „erst am dritten oder 4. Januar 2017 erhalten“ habe, lässt nicht erkennen, dass der Antragsteller die ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um zu erfahren, ob ihm ein Dokument in der Gemeinschaftseinrichtung zugestellt wurde, in der er zu wohnen verpflichtet und in der er gemeldet war. Es ist noch nicht einmal dargelegt, welche Anstrengungen der Antragsteller in dieser Hinsicht überhaupt unternommen hat. Weiter räumt die Bevollmächtigte mit diesem Vortrag selbst ein, dass der Bescheid der Unterkunftsleitung am 29. Dezember 2016 übergeben worden ist („offiziell ist der Bescheid am 29. Dezember 2016 zugestellt worden… über die Unterkunftsleitung wird [die Post] dem angeschlossenen Sozialdienst zugeleitet“). Wieso die Unterkunftsleitung die Post anschließend erst einem scheinbar externen Sozialdienst „zuleiten“ sollte, um sie den Bewohnern zu übergeben, noch dazu, wenn ein solcher „aufgrund der Feiertage nicht in der Unterkunft war“, ist für sich genommen schon nicht nachvollziehbar. Unabhängig davon wird darauf hingewiesen, dass die u.a. für die Gemeinschaftsunterkunft des Antragstellers zuständige Koordinatorin der Regierung von O* … dem Gericht auf Anfrage mitteilte, dass die Zustellung der Post nur über die Verwaltungsleitung (Leiter der Unterkunft und sein Team, bestehend aus einer Verwaltungsmitarbeiterin und zwei Hausmeistern) – und damit nicht über einen „angeschlossenen Sozialdienst“ – erfolgt; der Postbote gibt demnach die Post im Büro der Verwaltungsleitung ab bzw. die Verwaltungsleitung leert den Briefkasten und kommt so in den Besitz der Briefe; sie führt ein Postbuch, in dem Datum, Name des Bewohners und Absender vermerkt werden; gleichzeitig wird eine Liste erstellt, auf der sich alle Namen der Bewohner mit Post befinden; diese Liste wird an der Bürotür ausgehängt und die Bewohner können ihre Post daraufhin gegen Unterschrift im Büro abholen (vgl. zum Ganzen: E-Mail der Koordinatorin vom 3. Februar 2017, Bl. 16f. des Gerichtsakts im Verfahren M 9 K 17.50048). Diese Mitteilung wurde der Bevollmächtigten des Antragstellers unter Aufforderung zur Stellungnahme bekanntgemacht. Eine Reaktion hierauf erfolgte in der gesetzten Frist nicht. Auch die unter dem 9. Januar 2017 angekündigte „eidesstattliche Versicherung des Sozialdienstes“ wurde bis zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung nicht nachgereicht.
Im Übrigen ist der Antrag, ohne dass es darauf ankommt, auch unbegründet: Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu. An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat u.a. aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, v.a. nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO. Die italienischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch vom 5. August 2016 nicht geantwortet.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (VG München, U.v. 9.12.2016 – M 9 K 16.50798 -m.w.N.; BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NRW, U.v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden. Aus diesen Gründen bestand für die Antragsgegnerin auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) wurden nicht behauptet bzw. belegt.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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