Europarecht

Parklizenzgebiet für Bewohner – Ausnahmegenehmigung für gewebliche Anlieger

Aktenzeichen  11 CE 20.1232

Datum:
15.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20540
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 2a, § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 11
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Angesichts des Ziels der Ausweisung eines Parklizenzgebiets für Bewohner, durch ein Parkraummanagement das Gesamtaufkommen an Kraftfahrzeugverkehr in den Kerngebieten der Innenstadt zu reduzieren und die Parkplatzsituation für Bewohner zu verbessern, die über keine private Abstellmöglichkeit für ihr Fahrzeug verfügen, entspricht es sachgerechter Ermessenspraxis, nur mit Wohnsitz im Lizenzgebiet angemeldeten Bewohnern ohne private Abstellmöglichkeit auf Antrag einen kennzeichenbezogenen Parkausweis und eine Ausnahmegenehmigung zum Parken lediglich den im Parklizenzgebiet niedergelassenen, nicht abhängig beschäftigten Freiberuflern ohne private Abstellmöglichkeit zu erteilen, nicht aber deren Mitarbeitern. (Rn. 13 und 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist auch im Einzelfall nicht ermessensfehlerhaft, von diesen vorgegebenen und eingehaltenen Ermessensrichtlinien nicht im Hinblick auf die aufgrund der Corona-Pandemie als systemrelevant anerkannte Berufstätigkeit und die Schwangerschaft einer  Antragstellerin abzuweichen. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 23 E 19.6136 2020-04-14 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt eine vorläufige Parkberechtigung in einem von der Antragsgegnerin eingerichteten Parklizenzgebiet für Bewohner.
Die Antragstellerin ist angestellte Rechtsanwältin und wohnt in einer Gemeinde außerhalb von München. Der Sitz der Kanzlei befindet sich in dem von der Antragsgegnerin im vergangenen Jahr eingerichteten Parklizenzgebiet „R.-platz N.“. In der Straße, in der die Kanzlei ansässig ist, ist das Parken nur mit einem gültigen Parkausweis erlaubt (sog. Bewohnerparken). In mehreren Straßen in der näheren Umgebung können Besucher gebührenpflichtig mit Parkschein ganztägig parken (1,- Euro/Std., 6,- Euro/Tag); Bewohner mit Parkausweis parken dort kostenlos und zeitlich unbegrenzt (sog. Mischparken).
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2019 beantragte die Kanzlei bei der Antragsgegnerin für ihre vier selbständigen Rechtsanwälte sowie für die Antragstellerin und vier weitere Beschäftigte Ausnahmegenehmigungen für „gewerbliche Anlieger“. Die Antragstellerin sei darauf angewiesen, täglich mit ihrem PKW bei der Arbeitsstelle zu erscheinen, da sie regelmäßig gerichtliche Termine außerhalb Münchens und Ortstermine im ländlichen Bereich wahrnehmen müsse.
Mit Bescheid vom 4. November 2019 lehnte die Antragsgegnerin zusätzliche Ausnahmegenehmigungen für die Mitarbeiter der Kanzlei ab. Andere Verkehrsteilnehmer als Bewohner würden durch die gesetzliche Grundlage für die Parkraumbewirtschaftung eigentlich nicht erfasst. Für Ausnahmefälle gelte ein strenger Maßstab hinsichtlich des Nachweises der Dringlichkeit. Gewerbetreibende und Selbstständige erhielten als „gewerbliche Anlieger“ einen Parkausweis, wenn sich ihre gewerbliche Niederlassung im Lizenzgebiet befinde. Die jeweiligen Partner der Kanzlei hätten bereits Ausnahmegenehmigungen erhalten. Eine Ausstellung von Parkausweisen für jeden Arbeitnehmer im Lizenzgebiet würde dem Ziel, die Parksituation für die Bewohner zu verbessern, widersprechen. Neben der Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln und der Nutzung von Park& Ride-Parkplätzen bestehe für die Mitarbeiter der Kanzlei auch die Möglichkeit, im Lizenzgebiet gegen Entrichtung einer Gebühr zu parken.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2019 ließ die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München Klage erheben mit dem Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Bescheids vom 4. November 2019 eine Ausnahmegenehmigung (Parklizenz) zu erteilen. Hierüber hat das Verwaltungsgericht, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Den mit gleichem Schriftsatz gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vorläufige Ausnahmegenehmigung) hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. April 2020 abgelehnt. Die Antragstellerin habe weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es sei kein Gesichtspunkt erkennbar, der es erforderlich machen würde, die Erteilung der Ausnahmegenehmigung als einzig zutreffende Entscheidung in Betracht zu ziehen.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, lässt die Antragstellerin im Wesentlichen ausführen, aufgrund der Corona-Pandemie sei die Berufstätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten als systemrelevant anerkannt. Die Rechtsanwaltstätigkeit sowohl in Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit als auch im Angestelltenverhältnis werde als grundlegender Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge gesehen. Die einzig richtige Konsequenz hieraus könne im Rahmen der Ermessensausübung nur sein, die begehrte Ausnahmegenehmigung für alle im Parklizenzbereich beschäftigten Rechtsanwälte auf Antrag zu erteilen, unabhängig davon, ob diese selbstständig tätig seien oder im Angestelltenverhältnis. Auch das Standesrecht der Rechtsanwälte unterscheide nicht danach, ob die Tätigkeit selbstständig oder im Angestelltenverhältnis ausgeübt werde. Durch die begehrte vorläufige Genehmigungserteilung würden der Antragsgegnerin keine beachtlichen Beeinträchtigungen entstehen. Ein weiterer dringender Grund für die Erteilung sei die derzeit bestehende Schwangerschaft der Antragstellerin. Die Parklizenz sei auch aus Gründen des Infektionsschutzes erforderlich. Die Antragstellerin könne nicht darauf verwiesen werden, unvorhergesehene oder eilige Termine mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit einem Kraftfahrzeug eines Partners der Kanzlei wahrzunehmen. Es sei keineswegs gewährleistet, dass stets eines dieser Fahrzeuge zur Verfügung stehe. Abgesehen davon sei auch im Innenraum eines Kraftfahrzeugs die Infektionsgefahr stark erhöht. Der Antragstellerin könne kaum zugemutet werden, das Fahrzeug in eiligen und dringenden Fällen erst zu desinfizieren. Sie müsse auch nicht zuletzt im Hinblick auf ihre Schwangerschaft die Wegstrecken vom Wohnort zur Kanzlei und zurück sowie zu Gerichts- und Ortsterminen mit dem eigenen Fahrzeug zurücklegen können, um sich so einem möglichst geringen Risiko der Ansteckung mit Coronaviren auszusetzen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile, Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Anordnungsgrund und -anspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ist der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dann nur in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.
Hiervon ausgehend hat die Antragstellerin weder das Bestehen des Anordnungsanspruchs (a) noch den Anordnungsgrund (b) glaubhaft gemacht.
a) Nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a der Straßenverkehrsordnung (StVO) treffen die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel durch vollständige oder zeitlich beschränkte Reservierung des Parkraums für die Berechtigten oder durch Anordnung der Freistellung von angeordneten Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen. Sie können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen, Richtzeichen, Verkehrseinrichtungen oder Anordnungen erlassen sind (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO). Über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung entscheidet die Straßenverkehrsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (Art. 40 BayVwVfG), dessen Ausübung gerichtlich nur nach Maßgabe von § 114 VwGO überprüft werden kann.
Gemessen daran erweist sich die Ablehnung einer Ausnahmegenehmigung für die Antragstellerin als rechtmäßig. Sie ist insbesondere nicht ermessensfehlerhaft. Erklärtes Ziel der Ausweisung des Parklizenzgebiets durch die Antragsgegnerin ist die nutzergruppenspezifische und den jeweils lokalen Gegebenheiten angepasste Steuerung der Verkehrsnachfrage in den Kerngebieten der Innenstadt. Durch ein Parkraummanagement soll das Gesamtaufkommen an Kraftfahrzeugverkehr reduziert und die Parkplatzsituation für Bewohner verbessert werden, die über keine private Abstellmöglichkeit für ihr Fahrzeug verfügen (vgl. https://www.muenchen.de/verkehr/autos/parken/parkzonen-parklizenzen.html). Nur wer mit Wohnsitz im Lizenzgebiet angemeldet ist und über keinen privaten Stellplatz verfügt, erhält auf Antrag einen kennzeichenbezogenen Parkausweis. Eine Ausnahmegenehmigung zum Parken wird lediglich im Parklizenzgebiet niedergelassenen, nicht abhängig beschäftigten Freiberuflern ohne private Abstellmöglichkeit erteilt, nicht aber deren Mitarbeitern.
Zur Eingrenzung der Antragsberechtigung für eine Ausnahmegenehmigung erscheint die Unterscheidung zwischen selbstständig Tätigen und angestellten Mitarbeitern grundsätzlich sachgerecht. Eine Ausdehnung von Ausnahmegenehmigungen auf sämtliche Berufstätigen im Parklizenzgebiet würde dem Sinn und Zweck der Maßnahme widersprechen. Die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen an einzelne Berufsgruppen im Angestelltenverhältnis würde Bezugsfälle schaffen und könnte zu Folgeanträgen in größerer Zahl führen, die sich dann aus Gründen der Gleichbehandlung nicht mehr ablehnen ließen.
Die Ablehnung des Antrags mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. November 2019 ist auch unter Berücksichtigung der nach diesem Zeitpunkt eingetretenen Veränderungen (Corona-Pandemie, Schwangerschaft der Antragstellerin) nicht zu beanstanden.
Zum einen besteht für die Antragstellerin im Vergleich zu anderen Berufstätigen in ähnlicher Lage keine Sondersituation, die es rechtfertigen würde, ihr abweichend von den vorgegebenen und eingehaltenen Ermessensrichtlinien, die die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 22. Juni 2020 dargelegt hat, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Dies gilt insbesondere für die zahlreichen Berufsgruppen, die nach der Auflistung der Staatsministerien für Unterricht und Kultus sowie für Familie, Arbeit und Soziales, welche die Antragstellerin ihrer Beschwerdebegründung beigefügt hat, ebenfalls im Bereich der ‚kritischen Infrastruktur‘ tätig sind und denen die Antragsgegnerin konsequenterweise und im Widerspruch zur Zielsetzung der Parkraumbewirtschaftung ebenfalls Ausnahmegenehmigungen erteilen müsste.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin trotz ihrer Schwangerschaft zum Kreis der Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf gehören würde. Vielmehr weist das Robert-Koch-Institut ausdrücklich darauf hin, dass Schwangere nach bisherigen Erkenntnissen (Stand: 13.5.2020) kein erhöhtes Risiko gegenüber nicht schwangeren Frauen mit gleichem Gesundheitsstatus zu haben scheinen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html). Daher ist es der Antragstellerin auch zuzumuten, im Bedarfsfall eines der Fahrzeuge der selbstständig tätigen Rechtsanwälte der Kanzlei zu nutzen, denen die Antragsgegnerin Ausnahmegenehmigungen erteilt hat.
Schließlich befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Sitz der Kanzlei mehrere Straßen, in denen nach der Regelung der Antragsgegnerin für das Parklizenzgebiet „R.platz N.“ Besucher gebührenpflichtig mit Parkschein ganztägig parken können (sog. Mischparken). Dies gilt etwa für die L…straße, die W…straße, die R…straße, die V…straße und die J…straße. Warum die Antragstellerin von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht oder dass sich hier kein Parkplatz finden ließe, ergibt sich aus ihrem Vorbringen nicht.
b) Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich. Vielmehr ist es der Antragstellerin zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten und bis dahin gegebenenfalls die gebührenpflichtigen Parkmöglichkeiten in der näheren Umgebung des Kanzleisitzes zu nutzen.
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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