Europarecht

Rentenversicherung: Anrechnung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten bei einer in Deutschland lebenden Ausländerin

Aktenzeichen  L 13 R 223/21

Datum:
30.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35386
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 16 Abs. 1, § 25 Abs. 4 S. 1, § 81 Abs. 4
SGB VI § 56, § 57
SGB I § 30

 

Leitsatz

1. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten bei einer in Deutschland lebenden Ausländerin setzt voraus, dass diese im Erziehungszeitraum über einen zukunftsoffenen und nicht nur befristeten Aufenthaltstitel verfügte. (Rn. 31)
2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn im Erziehungszeitraum ausschließlich befristete Aufenthaltserlaubnisse (hier zu Ausbildungszwecken bzw. nachfolgend im Sinne einer Fiktionsbescheinigung) vorgelegen haben. (Rn. 32)
3. Die Aufhebung vorgemerkter Erziehungszeiten ist innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach der Bekanntgabe des Feststellungsbescheids auch dann möglich, wenn die Bescheidempfängerin auf die Richtigkeit der Feststellungen vertrauen durfte. (Rn. 39 – 40)

Verfahrensgang

S 15 R 340/20 2021-03-18 GeB SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 18.03.2021 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 01.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2020 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143,151 SGG zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch in der Sache begründet, weil die Beklagte die mit Bescheid vom 17.02.2016 anerkannten Erziehungszeiten (KEZ und BÜZ) zu Recht aufgehoben hat. Der Bescheid vom 01.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2020 ist gegenüber der Klägerin rechtmäßig ergangen.
1. Streitig ist die Aufhebung der BÜZ vom 01.12.2012 bis 31.08.2015 für L1, die der KEZ vom 01.05.2014 bis 31.08.2015 und der BÜZ vom 16.04.2014 bis 31.08.2015 für L2 sowie der KEZ vom 01.05.2015 bis 31.08.2015 und der BÜZ vom 01.04.2015 bis 31.08.2015 für E. Nicht streitig sind KEZ und BÜZ über den 31.08.2015 hinaus. Dies gilt auch, soweit im Bescheid vom 17.02.2016 KEZ für die Zeit vom 01.09.2015 bis 31.12.2015 vorgemerkt und im Bescheid vom 01.06.2017 nicht aufgehoben wurden. Auch die weitere Anerkennung der KEZ und BÜZ für L1 bis 30.11.2012 ist nicht streitig, da die Beklagte nur die mit dem Bescheid vom 17.02.2016 getroffenen Feststellungen, nicht aber die bereits mit Bescheid vom 04.07.2013 getroffenen Feststellungen aufgehoben hat. Insoweit bleibt die Klägerin also weiterhin begünstigt.
2. Die Klägerin hat nach den Regelungen des SGB VI im streitigen Zeitraum vom 01.12.2021 bis 31.08.2015 keinen Anspruch auf Anerkennung von KEZ und BÜZ. Die Auffassung der Beklagten und auch des Sozialgerichts, wonach die mit Bescheid vom 17.02.2016 anerkannten Zeiten der Klägerin materiell-rechtlich nicht zustehen, wird vom Senat geteilt. Mangels eines dauerhaften Aufenthaltstitels fehlte es in dieser Zeit in der Person der Klägerin am Tatbestand des gewöhnlichen Aufenthalts im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland.
2.1. Rechtsgrundlage für die Anerkennung von KEZ und BÜZ für Kinder, die ab dem 01.01.1992 geboren sind, sind die Regelungen in §§ 56, 57 SGB VI. Nach § 56 SGB VI in der Fassung vom 15.07.2009 sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn
1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2.die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3.der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist (Abs. 1).
Eine Erziehung ist im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 SGB VI genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war (Abs. 3). Die Zeit der Erziehung bis zum 10. Lebensjahr des Kindes ist, wenn die Voraussetzung für die Anrechnung einer KEZ vorliegen, als BÜZ zu berücksichtigen (§ 57 Satz 1 SGB VI).
2.2. Vorliegend steht fest und ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Klägerin ihre Kinder vom 01.12.2012 bis 31.08.2015 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erzogen hat. Ein Ausschlusstatbestand (§ 56 Abs. 4 SGB VI) liegt nicht vor. Nach den Feststellungen des Ausländeramtes hat sich die Klägerin in dieser Zeit auch rechtmäßig in Deutschland aufgehalten. Sie verfügte durchgehend über Aufenthaltstitel, bis 21.02.2014 nach § 16 Abs. 1 AufenthG, vom 04.02.2014 bis 20.07.2015 nach § 81 Abs. 4 AufenthG (Fiktionsbescheinigung) und vom 21.07.2015 bis 31.08.2015 nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
Der Aufenthaltstitel nach § 16 Abs. 1 AufenthG ist der Klägerin zum Zweck des Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule erteilt worden. Die Geltungsdauer für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG beträgt bei der Ersterteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für ein Studium mindestens ein Jahr und soll bei Studium und studienvorbereitenden Maßnahmen zwei Jahre nicht überschreiten; sie kann verlängert werden, wenn der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann (§ 16 Abs. 1 Abs. 5 AufenthG i.d. Fassungen vom 01.06.2012 und 29.08.2013). Eine (unbefristete) Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG) wird in dieser Zeit nicht erteilt. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Beschäftigung bis zu 120 Tagen bzw. 240 halben Tagen im Jahr sowie zur Ausübung studentischer Nebentätigkeiten (§ 16 Abs. 3 AufenthG). Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums kann die Aufenthaltserlaubnis bis zu 18 Monaten zur Suche eines diesem Abschluss angemessenen Arbeitsplatzes verlängert werden, wobei während dieses Zeitraums die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist (§ 16 Abs. 4 AufenthG). Diese Voraussetzungen waren im Fall der Klägerin im streitigen Zeitraum durchgehend erfüllt. Insbesondere waren nach den Feststellungen der Ausländerbehörde kleinere Unterbrechungen im Zusammenhang mit den Verlängerungen ausländerrechtlich unbeachtlich und gleichwohl als Zeiten eines rechtmäßigen Aufenthalts anzusehen. Vom 04.02.2014 bis 20.07.2015 war die Klägerin im Besitz einer sog. Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 29.08.2013. Diese Regelung fingiert das Fortbestehen des bisherigen Aufenthaltstitels bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde, wenn jemand vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. Soweit der Klägerin anschließend vom 21.07.2015 bis 11.07.2017 gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt worden ist, setzt diese Regelung voraus, dass zu diesem Zeitpunkt keine Ausreisepflicht bestanden hat. Die Aufenthaltserlaubnis kann dann für einen vorübergehenden Aufenthalt erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen die vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern, wobei die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in dieser Zeit der ausdrücklichen Erlaubnis nach § 4a Absatz 1 AufenthG bedarf.
2.3. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob die Klägerin in dieser Zeit auch einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte. Dieser hat im Ergebnis nicht vorgelegen.
2.3.1. Wann jemand an einem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist in § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) geregelt und in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I gesetzlich definiert. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die darin enthaltene Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des SGB, soweit sich nicht aus seinen übrigen Büchern etwas anderes ergibt (§ 37 Satz 1 SGB I).
Grundsätzlich ist die Frage des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I anhand einer dreistufigen Prüfung zu klären. Ausgangspunkt ist ein „Aufenthalt“. Es sind sodann die mit dem Aufenthalt verbundenen „Umstände“ festzustellen. Diese sind schließlich daraufhin zu würdigen, ob sie „erkennen lassen“, dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet „nicht nur vorübergehend verweilt“. Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 13 R 36/13 R -). Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen; dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Allerdings kommt es auf den Willen des Betroffenen, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sog. Domizilwillen, vgl. BSG, Urteil vom 09.05.1995 – 8 RKn 2/94 -) nicht an, wenn er nicht mit den tatsächlichen objektiven Umständen übereinstimmt (BSG, Urteil vom 22.03.1988 – 8/5a RKn 11/87 -). Zwar wird ein solcher Wille in anderen Rechtsbereichen, so z.B. für die Begründung und Aufgabe eines Wohnsitzes i.S. der §§ 7, 8 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als geschäftsähnlicher Handlung, gefordert. Im Sozialrechtsbereich ist dieser Wille dagegen weder für die Begründung noch für die Aufgabe eines gewöhnlichen Aufenthaltes erforderlich (BSG, Urteil vom 29.05.1991 – 4 RA 38/90 -). Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person zukunftsoffen „bis auf Weiteres“ an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, wobei kein dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt erforderlich ist. Ein Doppelwohnsitz im In- und Ausland bzw. ein Auseinanderfallen von Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt soll nach der Rechtsprechung des BSG in Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) möglich sein, erfordert jedoch hinreichend intensive Beziehungen zum Inland (Pitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 30 SGB I, Rn. 42; BSG, Urteil vom 28.02.1980 – 8b RKg 6/79 -).
2.3.2. Auf § 30 SGB I stellt auch das Aufenthaltsrecht ab, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat (BVerwG, Urteil vom 26.04.2016 – 1 C 9/15 -, BVerwGE 155, 47-58; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 18.11.2004 – 1 C 31.03 – BVerwGE 122, 199 ff. m.w.N.). Danach hat ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wenn er nicht nur vorübergehend, sondern auf unabsehbare Zeit hier lebt, so dass eine Beendigung des Aufenthalts ungewiss ist. Nicht erforderlich ist indes, dass der Aufenthalt mit Willen der Ausländerbehörde auf grundsätzlich unbeschränkte Zeit angelegt ist und sich zu einer voraussichtlich dauernden Niederlassung verfestigt hat; auch ein zeitlich befristeter Aufenthaltstitel und ein bloßer Verzicht auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen schließen einen gewöhnlichen Aufenthalt nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 23.02.1993 – 1 C 45.90 – BVerwGE 92, 116 ff., vom 18.11.2004, a.a.O., und vom 26.02.2009 – 10 C 50.07 – BVerwGE 133, 203 ff.). Entscheidend ist dabei nicht, wie sich der Aufenthalt rückblickend gestaltet. Erforderlich ist vielmehr eine in die Zukunft gerichtete Prognose, bei der nicht nur die Vorstellungen, sondern auch die Möglichkeiten des Ausländers zu berücksichtigen sind. Denn es genügt nicht, dass er sich auf unabsehbare Zeit in Deutschland aufhalten will, er muss dazu auch die Möglichkeit haben. Daran fehlt es, wenn er nach den gegebenen Umständen nicht im Bundesgebiet bleiben kann, weil sein Aufenthalt in absehbarer Zeit beendet werden wird. Nimmt die Ausländerbehörde dagegen den Aufenthalt auf nicht absehbare Zeit hin, kommt ein dauernder Aufenthalt in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.1993 – 1 C 45.90 – BVerwGE 92, 116 ff.).
2.3.3. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch begründender gewöhnlicher Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet vorliegt, hat das BSG für die danach anzustellende vorausschauende Betrachtung (Prognose) klargestellt, dass sich die konkrete normative Bedeutung der Begriffe des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts i.S. des § 30 Abs. 3 SGB I aus dem Gesetz ergeben, das sie verwendet und nach dessen Sinn und Zweck sie ausgelegt werden müssen (vgl. BSG, Urteil vom 09.10.1984 – 12 RK 5/83 = SozR 5750 Art. 2 § 51a Nr. 58).
So genügt es für den Bezug von Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BerzGG) nicht, wenn jemand zwar faktisch seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat, der Verbleib während des maßgeblichen Zeitraums nach materiellem Gesetz jedoch nur als vorübergehend gebilligt, d.h. auf Beendigung ausgerichtet, also rechtlich nicht beständig war (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.1990 – 4 REg 30/89 – BSGE 67, 243 ff = SozR 3-7833 § 1 Nr. 2). Ausländer, die ihr Kind im Inland erziehen, haben keinen Anspruch auf Erziehungsgeld, wenn ihnen während des möglichen Leistungszeitraums das Wohnen oder Verweilen im Inland aufenthaltsrechtlich nur vorübergehend und nicht rechtlich beständig gestattet ist. Insoweit ist auch ein materiell-rechtlich berechtigter Aufenthalt, der nur zu einem bestimmten vorübergehenden Zweck erlaubt worden ist, als rechtlich unbeständig anzusehen und begründet keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Ist materiell-rechtlich vorgeschrieben, dass der Ausländer in seinen Heimatstaat zurückkehren muss, sobald der Aufenthaltszweck erreicht ist oder die Umstände es erlauben, hat auch ein unter Umständen zeitlich lang andauernder Verbleib im Inland nur vorübergehende Natur i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB I (so inzwischen ausdrücklich § 1 Abs. 1 Satz 2 BErzGG n.F., vgl. auch BT-Drucks. 11/4776 Seite 2) und es liegt kein gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich des BErzGG vor (BSG, Teilurteil vom 03.12.2009 – B 10 EG 6/08 R -, BSGE 105, 70-84, SozR 4-7833 § 1 Nr. 10).
Großzügiger ist dagegen die Auslegung des Begriffs bei der Frage, ob jemand seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt i.S. von § 1 Nr. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) im Geltungsbereich des BKGG hat. Insoweit hat das BSG mit Urteil vom 17.05.1989 (Az.: 10 RKg 19/88 – BSGE 65, 84-89 – SozR 1200 § 30 Nr. 17 -) darauf abgestellt, ob eine später nicht mehr korrigierbare Prognose zu dem Ergebnis führt, dass der Antragsteller für unabsehbare Zeit nicht zwangsweise aus dem Geltungsbereich des BKGG entfernt wird. Allerdings liegen dabei Besonderheiten des Kindergeldrechts insoweit zugrunde, als eine strengere Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BKGG dazu führen würde, dass Bund und die Länder durch ausländerrechtliche Regelungen und Maßnahmen erhebliche Unterhaltslasten auf die Träger der Sozialhilfe verlagern könnten, wenn Ausländern, die zwar nur vorübergehend im Inland verbleiben dürfen, sich aber faktisch auf unabsehbare Zeit hier aufhalten, der Kindergeldanspruch versagt würde. Dem hat der Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 1 des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 30.06.1989 (BGBl. I Seite 1294) klarstellend durch Ergänzung des § 1 BKGG um einen Abs. 3 Rechnung getragen, wonach auch Ausländer, die sich materiell unerlaubt im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten, den „für die Kindergeldberechtigung erforderlichen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründen“, wenn nach der ausländerbehördlichen Praxis ihnen gegenüber bis auf weiteres von Maßnahmen abgesehen wird, die den Aufenthalt beenden.
Für den vorliegend zu beurteilenden Anwendungsbereich der §§ 56, 57 SGB VI hat das BSG mit Urteil vom 18.02.1998 (Az.: B 5 RJ 12/97 R – BSGE 82, 23-27 – SozR 3-2600 § 56 Nr. 11 -) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese unterschiedlichen Auffassungen entschieden, dass jedenfalls das Rentenrecht keine hinreichende Regelung für ein spezifiziertes, d.h. von der grundsätzlich einheitlichen („einsinnigen“) Begriffsbedeutung gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I abweichendes Verständnis des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts enthält. Weder aus der Vorgeschichte noch aus dem Zweck der KEZ noch aus dem Regelungszusammenhang des Rentenrechts lässt sich entnehmen, dass dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in § 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI eine andere Bedeutung zukommt, als sie mit der Definition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I umschrieben ist. Auch in Kenntnis der o.g. Rechtsprechung, die dazu geführt hat, dass im BKGG und im BErzGG ergänzende Regelungen aufgenommen worden sind, die für Leistungen an Ausländer einen bestimmten ausländerrechtlichen Status verlangen (vgl. § 1 Abs. 3 BKGG und § 1 Abs. 1a BErzGG), hat der Gesetzgeber für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Erziehung im Bundesgebiet in § 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI keine gesonderte Regelung getroffen. Allerdings erfasst bereits die Grundregelung des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I den ausländerrechtlichen Status insofern, als zu den Umständen, aus denen sich für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts ergeben muss, dass der Ausländer nicht nur vorübergehend im Bundesgebiet verweilt, auch der ausländerrechtliche Status gehört (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 14.09.1994 – 5 RJ 10/94 – Urteil vom 09.08.1995 (Az.: 13 RJ 59/93 – SozR 3-1200 § 30 Nr. 15 -). Steht der ausländerrechtliche Status einem dauerhaften Verbleib entgegen, können die sonstigen tatsächlichen Verhältnisse und der Wille, auf Dauer im Bundesgebiet bleiben zu wollen, für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht ausschlaggebend sein. Die Aufenthaltsposition des Ausländers muss so offen sein, dass sie wie bei einem Inländer einen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit ermöglicht. Ist die Position hingegen auf Beendigung des Aufenthalts im Inland angelegt, steht dies der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts trotz faktisch andauerndem Verbleiben und einem entsprechendem Bleibewillen entgegen; denn der Ausländer hat es dann nicht in der Hand, über die Dauer seines Aufenthalts im Inland frei zu bestimmen. Dabei ist bei befristeten oder zweckgebundenen Aufenthaltsberechtigungen, Gestattungen oder Duldungen der Aufenthalt aber nicht erst dann auf Beendigung angelegt, wenn zusätzlich besondere ausländerbehördliche Maßnahmen dazu getroffen sind. Insoweit wird die Aufenthaltsposition durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie er sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstellt. Auf einen bestimmten ausländerrechtlichen Titel kommt es dagegen nicht an. Bei einer sog. Duldung kommt ein gewöhnlicher Aufenthalt etwa in Betracht, wenn auch bei Ablehnung des Asylantrags von einem Abschiebehindernis auf unabsehbare Zeit auszugehen ist.
Bezogen auf den vorliegenden Fall müsste danach für den streitigen Zeitraum bereits im Zeitpunkt der Erteilung der jeweiligen Aufenthaltserlaubnis festgestanden haben, dass die Klägerin auch nach Erlöschen der befristeten Aufenthaltserlaubnis nicht ausgewiesen würde. Dafür liegen aber keine Anhaltspunkte vor und dies wird von der Klägerin auch nicht vorgetragen. Der Klägerin sind zum Zwecke der weiteren Durchführung ihres Studiums auf die Dauer von in der Regel einem bis zu zwei Jahren befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden. Ob die Aufenthaltserlaubnis jeweils verlängert würde oder nicht, hing im Wesentlichen von dem weiteren Betreiben des Studiums ab, ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für Abschiebehindernisse bestanden haben. Weitere befristete Verlängerungen etwa zur Arbeitssuche standen im Ermessen der Ausländerbehörde. Nichts Anderes gilt für die sog. Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG, die bis zur Entscheidung über den Antrag (wohl nach § 25 Abs. 4 AufenthG) ebenfalls befristet ausgestellt worden ist. Soweit der Klägerin anschließend vom 21.07.2015 bis 11.07.2017 gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt worden ist, setzt diese Regelung zwar voraus, dass zu diesem Zeitpunkt keine Ausreisepflicht bestanden hat. Die Aufenthaltserlaubnis kann aber ebenfalls nur für einen vorübergehenden Aufenthalt erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen die vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Insgesamt bieten die Unterlagen und die Genehmigungspraxis des Landratsamtes R zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ausländerbehörde zu irgendeinem Zeitpunkt vorhatte, den Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet zu beenden. Gleichwohl kann nicht von einem zukunftsoffenen Aufenthalt ausgegangen werden, wie er für die Anerkennung von Erziehungszeiten erforderlich wäre.
Dieser Auslegung stehen auch Sinn und Zweck der Regelungen nach §§ 56, 57 SGB VI über die Anrechnung von KEZ und BÜZ nicht entgegen. Diese haben ihre Grundlage in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) als wertentscheidender Grundsatznorm, die für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausgeführt, dass zwar das bestehende Alterssicherungssystem zu einer Benachteiligung von Personen führt, die sich innerhalb der Familie der Kindererziehung widmen, weil es danach auf die Gründe, die zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und infolgedessen zum Ausfall von Beitragszahlungen führen, nicht ankommt. Auch ist zu berücksichtigen, dass im Unterschied zu den Gründen, die sonst für die Erwerbslosigkeit und damit den Ausfall von Beitragszahlungen ursächlich sein mögen, die Kindererziehung insofern bestandssichernde Bedeutung für das System der Altersversorgung hat, als die als Generationenvertrag ausgestaltete Rentenversicherung sich ohne die nachrückende Generation nicht aufrechterhalten lässt, die die Mittel für die Alterssicherung der jetzt erwerbstätigen Generation aufbringen muss. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht aber unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann und der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange der Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist (vgl. dazu grundlegend BVerfG, Urteil vom 07.07.1992 – 1 BvL 51/86 – BVerfGE 87, 1-48 -).
Diese Überlegungen stehen einer Auslegung im o.g. Sinn, bei der die Berücksichtigung von Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung unter dem Vorbehalt eines zukunftsoffenen Aufenthalts steht, nicht entgegen. Es ist angesichts der mit der Anerkennung von KEZ und BÜZ verbundenen Belastungen für die Gemeinschaft der Versicherten und auch für die Gemeinschaft der Steuerzahler (über den Bundeszuschuss) nicht zu beanstanden, wenn es hinsichtlich des Aufenthalts jedenfalls einer dahingehend gesicherten Prognose bedarf, dass das Fortbestehen des Aufenthalts nicht von weiteren Gestattungen und dem Fortbestehen des ausländerrechtlich die Aufenthaltserlaubnis begründenden Tatbestands (hier vor allem dem Studium) abhängig ist. Dabei ist neben dem Versicherungsprinzip und hauswirtschaftlichen Belangen auch die Zukunftsbezogenheit der Regelungen in §§ 56, 57 SGB VI zu berücksichtigen, die in einer pauschalierenden Annahme davon ausgehen, dass diejenigen Kinder, deren Erziehung durch Berücksichtigung von rentenrechtlichen Zeiten honoriert wird, als nachfolgende Generation für den Erhalt der Rentenversicherung zu sorgen haben („Generationenvertrag“). Bei einer anderen Auslegung würden auch Ausländer, die sich nur befristet zu Ausbildungszwecken in Deutschland aufhalten und anschließend wieder in ihr Heimatland zurückkehren, alleine mit den KEZ und BÜZ Rentenanwartschaften oder Rentenansprüche erwerben und die Versichertengemeinschaft belasten, ohne dass die Erwartung berechtigt ist, dass die begünstigten Kinder ihrerseits zum Fortbestand der Deutschen Rentenversicherung beitragen können. Es ist schließlich nicht Aufgabe familienpolitischer Ausgleichsleistungen, ausländische Rentenversicherungssysteme zu entlasten. Diese am Zweck der ausländerrechtlichen Regelungen orientierte Annahme kann auch nicht durch faktische Überlegungen dahingehend widerlegt werden, dass mit einer gewissen Wahrscheinlich von einer späteren Verfestigung des Aufenthalts und damit einem Verbleib auch der Kinder im Bundesgebiet gerechnet werden kann. Schließlich sind auch diejenigen Überlegungen, die zu einer großzügigeren Auslegung im Bereich des Kindergeldrechts geführt haben, nicht auf die Anerkennung von KEZ und BÜZ zu übertragen. Denn es geht vorliegend nicht um einen finanziellen Ausgleich während der Kindererziehung, der ohnehin durch öffentliche Mittel sichergestellt werden müsste, wie beim Kindergeld, sondern um einen künftigen Ausgleich und eine mögliche Entlastung der Steuerzahler in der Zukunft, die auf der Annahme beruht, dass der erziehende Elternteil sich ungeachtet der nur befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis weiterhin und dauerhaft in der Bundesrepublik aufhält, hier nach Eintritt des Leistungsfalles eine – aufgrund Nichtberücksichtigung von KEZ und BÜZ – nur unzureichende Rente bezieht und deshalb staatlicher Unterstützung bedarf. Nur für den Fall eines fortbestehenden und nachfolgend verfestigten Aufenthalts greifen auch die weiteren familienpolitischen Überlegungen. Diese Annahme rechtfertigt aber nicht die pauschale Anerkennung von KEZ und BÜZ bereits während eines nur befristet bzw. zu einem bestimmten Zweck erlaubten Aufenthalts.
4. Insofern ist der Bescheid vom 17.02.2016 gegenüber der Klägerin rechtswidrig ergangen. Er konnte daher nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X aufgehoben werden, die vorliegend entgegen der Auffassung des Sozialgerichts aber erfüllt sind. Die Klägerin kann sich im Ergebnis nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil nach Abwägung das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Bescheids vom 17.02.2016 ihr Vertrauen in den Bestand des Bescheids überwiegt.
Die Feststellungen im Bescheid vom 17.02.2016 zur Vormerkung von KEZ und BÜZ im Zeitraum vom 01.12.2012 bis 31.08.2015 stellen eine Regelung im Sinne des § 31 SGB X dar, die mit Eintritt der Bestandskraft des Bescheids im Hinblick auf ihren Rechtscharakter als KEZ bzw. BÜZ und den zeitlichen Umfang für die Beteiligten bindend (§ 77 SGG) geworden sind. Sinn und Zweck eines Vormerkungsbescheids ist es, bereits im Vorfeld eines Leistungsfeststellungsverfahrens für den Fall einer zukünftigen Rentengewährung verbindlich Klarheit über das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von rentenrechtlich relevanten Zeiten zu schaffen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 13 R 118/08 R -). Der Vormerkungsbescheid, der ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, stellt zwar rechtserhebliche Tatbestände verbindlich fest mit der Folge, dass diese Zeiten im Leistungsfall grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Hingegen ist die abschließende Entscheidung über die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten nicht Gegenstand des Vormerkungsbescheids (BSG, Urteil vom 24.04.2014 – B 13 R 3/13 R -). Allerdings können auch verbindliche Feststellungen in einem Vormerkungsbescheid wieder aufgehoben werden, was vorliegend mit dem streitigen Bescheid vom 01.06.2017 rechtmäßig und wirksam erfolgt ist. Die Klägerin kann sich insoweit auch nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Die Aufhebung beruht vorliegend zwar nicht auf § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI, der bei Rechtsänderungen die Aufhebung vorgemerkter Versicherungszeiten ohne weitere verfahrensrechtliche Einschränkungen erlaubt. Denn der Aufhebung liegt keine Rechtsänderung, sondern eine von vornherein fehlerhafte Feststellung zugrunde. In diesem Fall ist die Aufhebung nur nach § 45 SGB X möglich.
Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 der Vorschrift des § 45 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte u. a. dann nicht berufen, wenn und soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlichen Beziehungen unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X), oder soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Abs. 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn nicht Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Abs. 2 zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufes erlassen wurde. Gemäß § 45 Abs. 4 SGB X wird nur in den Fällen des Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Ein Vertrauen in den Bestand eines Verwaltungsakts besteht regelmäßig, wenn der Betroffene den Verwaltungsakt erhalten hat und er davon ausgeht, dass ihm die gewährte Begünstigung auch tatsächlich zusteht. Das Vertrauen ist schutzwürdig, wenn das Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustands überwiegt. Die nach § 45 SGB X zugelassene Durchbrechung der Bindungswirkung von Verwaltungsakten (§ 77 SGG) geht von dem Gedanken der Recht- und Gesetzmäßigkeit jeden Verwaltungshandelns aus, der es grundsätzlich verlangt, rechtswidrige Verwaltungsakte zu beseitigen. Dem steht allerdings gegenüber, dass der für die Rechtswidrigkeit nicht verantwortliche Betroffene grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns vertrauen darf und vor der Rücknahme geschützt sein soll. Um den Widerstreit zwischen diesen beiden Grundsätzen zu lösen, muss im Einzelfall eine Abwägung darüber erfolgen, welches Interesse überwiegt, das der Allgemeinheit auf Herstellung eines gesetzmäßigen Zustandes oder das des gutgläubigen Begünstigten an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes. Bei Verwaltungsakten, mit denen Dauerleistungen bewilligt worden sind, ist das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes in der Regel höher einzuschätzen als bei der Gewährung einmaliger Leistungen, weil eine Dauerleistung die Allgemeinheit regelmäßig stärker belastet als eine einmalige Leistung (BSG, Urteil vom 05.11.1997 – 9 RV 20/96 – mwN). Das Vertrauen des Bescheidempfängers ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.
Vorliegend hat die Beklagte den Bescheid vom 17.02.2016 innerhalb von zwei Jahren und nur für die Zukunft aufgehoben, so dass Voraussetzung für die Aufhebung nicht ist, dass aus den in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Gründen kein Vertrauenstatbestand gegeben ist. Es ist aber auch kein Fall gegeben, in dem das Vertrauen deshalb schutzwürdig ist, weil die Klägerin erbrachte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Denn die Klägerin hat aus der streitigen Vormerkung keine Leistungen erhalten und auch im Vertrauen darauf keine Vermögensdispositionen getroffen. Dabei kann die Tatsache, dass die Bank von der Klägerin anlässlich der Finanzierung des Hauses im Jahr 2016 auch eine Auskunft über ihre Rentenanwartschaft verlangt hat, nicht als Vermögensdisposition in diesem Sinn angesehen werden. Andererseits käme es, wenn der Klägerin die KEZ und BÜZ auch im Zeitraum vom 01.12.2012 bis zum 31.08.2015 belassen würden, bei einem Eintritt des Rentenfalles dauerhaft zu einer ungerechtfertigten Auszahlung von Leistungen. In dieser Situation kommt dem öffentlichen Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes ein höheres Gewicht zu, als dem Interesse der Klägerin, in der Zukunft ihr materiell-rechtlich nicht zustehende Leistungen zu erhalten. Dieser Überlegung steht nicht entgegen, dass die Beklagte bereits mit Bescheid vom 04.07.2013 für die Zeit bis 30.11.2012 KEZ und BÜZ für L1 anerkannt und sich anschließend dafür entschieden hat, diese Feststellungen aufgrund Zeitablaufs nicht mehr aufzuheben.
Ob in dieser Konstellation überhaupt die Ausübung von Ermessen erforderlich war (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.1994 – 4 RA 16/92 – und Urteil vom 05.11.1997 – 9 RV 20/96 -), kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hat die Beklagte nach erfolgter Anhörung (§ 24 SGB X) im streitigen Bescheid vom 29.05.2017 dargelegt, aus welchen Gründen sie ungeachtet des eigenen Verschuldens und des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des Bescheids vom 17.02.2016 dem öffentlichen Interesse an der Herbeiführung eines gesetzmäßigen Zustandes den Vorrang einräumt und hat damit in erforderlichem Umfang und in nicht zu beanstandender Weise Ermessen ausgeübt. Dabei können die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Umstände der Hausfinanzierung schon deshalb keine Rolle spielen, weil sie von ihr nicht zum Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gemacht worden sind und der Beklagten daher bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens auch nicht bekannt waren. Allerdings wird diesem Umstand vom Senat auch keine Bedeutung beigemessen, die geeignet wäre, eine andere Entscheidung zu begründen.
Ob die Beklagte mit Erlass des Bescheides vom 01.06.2017 auch die Frist von einem Jahr ab Kenntnis der Gründe für die Aufhebung des Bescheids vom 17.02.2016 gewahrt hat (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X), ist unerheblich, da sie den Bescheid nicht für die Vergangenheit aufgehoben hat. Allerdings wäre auch die Jahresfrist, die vorliegend erst mit der Kenntnis der Beklagten von der Rechtswidrigkeit der getroffenen Entscheidung und somit nicht vor Eingang des Schreibens des Landkreises Regensburg vom 30.03.2017 beginnt, gewahrt.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf dem Ausgang des Verfahrens.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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