Europarecht

Widerruf einer nachträglichen Anordnung zur Beschränkung des Betriebs von Windenergielagen, Nachbarklage gegen den Widerrufsbescheid, Feststellung der sofortigen Vollziehbarkeit des Widerrufsbescheids, Tonhaltigkeit der Geräuschimmissionen, Drittschutz

Aktenzeichen  22 CS 21.3059

Datum:
31.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1988
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§ 146 Abs. 1, 80a Abs. 3, 80 Abs. 5
BayVwVfG Art. 49
BImSchG §§ 5 Abs. 1, 17
TA Lärm

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 9 S 21.538 2021-11-11 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt, soweit die Antragstellerin die Beschwerde zurückgenommen hat.
II. Die Beschwerde der Beigeladenen wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Antragstellerin 2/3. Die Beigeladene trägt 1/3 der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Verfahrens ist nach der Rücknahme der Beschwerde der Antragstellerin nur noch die Beschwerde der Beigeladenen. Sie richtet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides des Landratsamtes C. vom 8. Februar 2019, soweit mit diesem die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 hinsichtlich eines gedrosselten Betriebs der fünf Windenergieanlagen mit maximal 9,7 Umdrehungen pro Minute während der Tagzeit (06.00 bis 22.00 Uhr) widerrufen wird, und die Aufhebung der diesbezüglich im Bescheid des Landratsamtes C. vom 29. März 2021 angeordneten Sicherungsmaßnahmen (Dokumentations-/Nachweispflichten).
Mit Bescheid vom 30. Januar 2015 wurde der Antragstellerin die immissionsschutz-rechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von fünf Windenergieanlagen erteilt. Da nach Inbetriebnahme der Anlagen immer wieder Nachbarbeschwerden wegen Lärmbelästigung auftraten, erließ der Antragsgegner zwei nachträgliche Anordnungen (8.12.2016 und 23.1.2018), mit denen der Antragstellerin aufgegeben wurde, den Betrieb der Anlagen nachts und tagsüber zu drosseln. Diese Anordnungen widerrief der Antragsgegner mit Bescheid vom 8. Februar 2019. Die von der Beigeladenen gegen den Bescheid vom 8. Februar 2019 erhobene Anfechtungsklage ist noch beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth anhängig (B 9 K 19.477). In der Folgezeit kam es zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die in den Bescheiden vom 8. Dezember 2016 und 23. Januar 2018 getroffenen Anordnungen wegen der Klage gegen den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 weiter eingehalten werden müssen.
Mit Bescheid vom 29. März 2021 hat der Antragsgegner festgestellt, dass die Klage der Beigeladenen gegen den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 aufschiebende Wirkung hat (Nr. I. Satz 1) und angeordnet, dass die in den Bescheiden vom 8. Dezember 2016 und 23. Januar 2018 getroffenen Anordnungen eingehalten werden müssen (Nr. I. Satz 2). Zudem wurde die Antragstellerin verpflichtet, durch geeignete Dokumente nachzuweisen, dass die in I. genannten Vorgaben eingehalten werden. Hierzu müssen die Nachweise jeweils monatlich bis zum 15. des darauffolgenden Monats dem Landratsamt vorgelegt werden (Nr. II.). Für die Nichterfüllung der Anordnungen in Nr. I. Satz 2 und Nr. II. wurden Zwangsgelder angedroht (Nr. III. und Nr. IV.). Zudem hat der Antragsgegner den Sofortvollzug für Nr. I. Satz 2 und Nr. II. des Bescheids vom 29. März 2021 angeordnet.
Die Antragstellerin hat gegen diesen Bescheid Klage erhoben (B 9 K 21.511), die das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 17. Mai 2021 an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (22 A 21.40016) verwiesen hat. Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. I. Satz 2 und Nr. II des Bescheids vom 29. März 2021 anzuordnen, hat die Antragstellerin inzwischen zurückgenommen, das Verfahren wurde eingestellt (22 AS 21.40015).
Beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth hat die Antragstellerin im Rahmen eines Antrags nach § 80a Abs. 3 i.V.m.§ 80 Abs. 5 VwGO beantragt, festzustellen, dass die Klage vom 23. März 2019 gegen den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 keine aufschiebende Wirkung entfaltet, hilfsweise die sofortige Vollziehbarkeit des Widerrufs der nachträglichen Anordnungen vom 8. Dezember 2016 und 23. Januar 2018 mit Bescheid vom 8. Februar 2019 anzuordnen, äußerst hilfsweise die sofortige Vollziehbarkeit des Widerrufsbescheids vom 8. Februar 2019 anzuordnen, soweit hiermit die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 über die Drosselung der Betriebsweise der fünf Windenergieanlagen während der Tagzeit widerrufen worden ist. Diese Anträge ergänzte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13. September 2021 dahingehend, die unter Nr. I. Satz 2 und Nr. II des Bescheids vom 29. März 2021 angeordneten Sicherungsmaßnahmen (insoweit) aufzuheben (B 9 S 21.538).
Das Verwaltungsgericht Bayreuth gab dem äußerst hilfsweise gestellten Antrag samt Ergänzung mit Beschluss vom 11. November 2021 statt und lehnte die Anträge der Antragstellerin im Übrigen ab.
Bezüglich der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids des Landratsamtes C. vom 8. Februar 2021 (Widerruf der nachträglichen Anordnung eines gedrosselten Betriebs der fünf Windenergieanlagen mit maximal 9,7 Umdrehungen pro Minute während der Tagzeit) führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich das Landratsamt für seine Entscheidung, die Anordnungen vom 8. Dezember 2016 und vom 23. Januar 2018 zu widerrufen, maßgeblich auf den schalltechnischen Bericht der K.GmbH und Co.KG vom 18. Januar 2018 gestützt habe. Im Hauptsacheverfahren B 9 K 19.477 sei mit Beschluss vom 19. Oktober 2021 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur der Frage angeordnet worden, ob die von den Windkraftanlagen ausgehenden Geräusche die in Nr. 3.2.3 der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung festgelegten Immissionsrichtwerte an den Immissionsorten A, N, O und P überschreiten. Angesichts dessen, dass bei dem hier für das Wohnanwesen der Beigeladenen wohl allein in Betracht kommenden Immissionsrichtwert nach Nr. 6.1 Buchst. d TA Lärm zwischen dem Nachtwert von 45 dB(A) und dem Tagwert eine Differenz von 15 dB bestehe und nach den zahlreichen bisher bei den Windenergieanlagen durchgeführten Immissionsmessungen jeweils der Nachtrichtwert von 45 dB(A) knapp über- oder unterschritten wurde, erscheine es auch ohne das Ergebnis der Beweiserhebung zu antizipieren, ausgeschlossen, dass der Tagwert von 60 dB(A) überschritten sein könnte. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Beigeladene allein durch den Erlass der nachträglichen Anordnung vom 23. Januar 2018, mit der der Tagbetrieb beschränkt worden sei, eine wehrfähige Rechtsposition erlangt habe, deren Entzug durch den streitgegenständlichen Widerruf eine Rechtsverletzung bedeuten würde. Diese rein formale Betrachtung würde außer Acht lassen, ob die fragliche Anordnung auch dem Schutz von Rechten der Beigeladenen als Nachbarin diente. Es stehe, soweit es um die Erfüllung von nicht drittschützenden immissionsschutzrechtlichen Pflichten gehe, dem Nachbarn auch kein im Wege der Verpflichtungsklage durchsetzbarer Anspruch auf Erlass einer nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG zu. Der Bescheid vom 23. Januar 2018 habe sich ausweislich seiner Begründung maßgeblich auf die Tonhaltigkeit der von der Windenergieanlage verursachten Geräusche gestützt. Das Landratsamt sei der Auffassung gewesen, dass nicht nur ein Verstoß gegen Nr. 3.2.5 der Nebenbestimmungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, sondern auch schädliche Umwelteinwirkungen vorgelegen hätten. Der Umstand, dass die von der Windenergieanlage erzeugten Geräusche tonhaltig seien, führe aber nicht automatisch zum Vorliegen schädlicher Umwelteinwirkungen. Die Tonhaltigkeit von Geräuschen führe lediglich dazu, dass nach Nr. A.2.5.5 bzw. A.3.3.5 des Anhangs der TA Lärm ein entsprechender Zuschlag wegen der besonderen Lästigkeit bei der Prognose zu machen sei. Vor diesem Hintergrund könne durch den Widerruf der nachträglichen Anordnung voraussichtlich keine Verletzung der Beigeladenen in eigenen Rechten erfolgen.
Zur Begründung ihrer Beschwerde bringt die Beigeladene vor, dass die Tonhaltigkeit in nachbarschützender Hinsicht auf zweierlei Art relevant sei, zum einen bezüglich der Frage, ob die maßgeblichen Immissionsrichtwerte auch unter Beachtung eines Tonhaltigkeitszuschlags eingehalten seien, zum anderen bezüglich der Frage, ob die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 eingehalten sei. Das Verwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob diese Nebenbestimmung nachbarschützenden Charakter habe. Der nachbarschützende Charakter der Nebenbestimmung ergebe sich aus der Begründung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung (S. 22) und der nachträglichen Anordnung vom 3. August 2018 (S. 2 und 3; richtig: 23. Januar 2018). Bei der Auslegung der Bescheide sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den Empfängerhorizont abzustellen.
Sie beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. November 2021 auch den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Widerrufsbescheids vom 8. Februar 2019, soweit hiermit die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 über die Drosselung der Betriebsweise der fünf Windenergieanlagen während der Tagzeit widerrufen worden ist, und auf Aufhebung der unter Nr. I. Satz 2 und Nr. II des Bescheids vom 29. März 2021 (insoweit) angeordneten Sicherungsmaßnahmen abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde der Beigeladenen zurückzuweisen.
Ein Nachbar könne eine dem Betreiber erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung nur mittels des ihm in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG eingeräumten Schutz- und Abwehrrechts anfechten. Eine drittschützende Wirkung der Vorsorgepflicht werde demgegenüber in ständiger Rechtsprechung verneint. Die Grenze zwischen drittschützender Schutzpflicht und nicht drittschützendem Risikovorsorgeprinzip sei im Hinblick auf Geräusche durch die Festlegung bestimmter drittschützender Immissionsrichtwerte in der TA Lärm gezogen worden. Die TA Lärm sei insoweit abschließend und auch für das Gericht bindend. Maßgeblich sei im Hinblick auf Geräuschimmissionen alleine, ob die jeweils maßgeblichen Immissionsrichtwerte der TA Lärm überschritten werden. Die Tonhaltigkeit alleine sei nach der Konkretisierung der TA Lärm keine schädliche Umwelteinwirkung. Nur wenn die Tonhaltigkeit eines Geräusches dazu führe, dass nach Nr. A.2.5.2 bzw. A.3.3.5 des Anhangs zur TA Lärm ein entsprechender Zuschlag bei der Prognose bzw. der Messungen der Immissionen zu machen sei und dies dann zur Überschreitung der Immissionsrichtwerte führe, könnten schädliche Umwelteinwirkungen und damit ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG vorliegen. Die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 könne daher nicht die Schutzpflichten des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG konkretisieren. Die nachträgliche Anordnung habe daher nur die Einhaltung der nicht drittschützenden Vorsorgepflichten des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sicherstellen können. Aus dem Widerruf der nachträglichen Anordnung sei daher richtigerweise keine Verletzung der Beigeladenen in eigenen Rechten zu konstruieren. Auf die Auslegung des Genehmigungsbescheids oder eine Ermittlung des behördlichen Willens komme es nicht an.
Der Antragsgegner stellt keinen Antrag, unterstützt aber inhaltlich den Antrag der Beigeladenen.
Die Antragstellerin nahm ihre gegen die Antragsablehnung im Übrigen erhobene Beschwerde mit Schreiben vom 21. Dezember 2021 zurück.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten, auch im Verfahren B 9 K 19.477, verwiesen.
II.
1. Das Beschwerdeverfahren ist einzustellen, soweit die Antragstellerin ihre Beschwerde gegen die Ablehnung ihrer Anträge auf Feststellung, dass die Klage vom 23. März 2019 gegen den Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 keine aufschiebende Wirkung entfaltet, hilfsweise auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Widerrufs der nachträglichen Anordnungen vom 8. Dezember 2016 und 23. Januar 2018 mit Bescheid vom 8. Februar 2019 und auf Aufhebung der unter Nr. I. Satz 2 und Nr. II des Bescheids vom 29. März 2021 angeordneten Sicherungsmaßnahmen zurückgenommen hat (§ 92 Abs. 3 VwGO entsprechend).
2. Die Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg. Ihr Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO), rechtfertigt keine Aufhebung oder Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts, soweit darin die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids vom 8. Februar 2019 angeordnet wurde (Widerruf der nachträglichen Anordnung vom 23.1.2018 über die Drosselung der Betriebsweise der fünf Windenergieanlagen während der Tagzeit) und die unter Nr. I. Satz 2 und Nr. II des Bescheids vom 29. März 2021 angeordneten Sicherungsmaßnahmen (insoweit) aufgehoben wurden.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass im Rahmen der nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung das Interesse der Antragstellerin an einem Betrieb der Windenergieanlagen zur Tagzeit entsprechend der Genehmigung vom 30. Januar 2015 überwiegt, weil die Klage der Beigeladenen gegen den Widerruf der den genehmigten Betrieb nachträglich beschränkenden Anordnung vom 23. Januar 2018 insoweit voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Denn durch den streitgegenständlichen Widerrufsbescheid vom 8. Februar 2019 ist der Beigeladenen keine durch die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 begründete subjektive Rechtsposition entzogen worden, weil die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 des Genehmigungsbescheids vom 30. Januar 2015 keinen Drittschutz vermittelt. Daher liegt auch keine subjektive Rechtsverletzung der Beigeladenen im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor.
2.1 Der Senat ist mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 nur insoweit drittschützende Wirkung zugunsten der Beigeladenen entfaltet als sie sicherstellt, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft durch die genehmigten Windenergieanlagen nicht hervorgerufen werden können (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG). Das Vorsorgegebot in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG vermittelt demgegenüber keine drittschützende Rechtsposition.
2.1.1 Unter welchen Voraussetzungen Geräuschimmissionen von Windenergieanlagen schädlich im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind, bestimmt sich anhand der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. August 1998 (GMBl. S. 503), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 01.06.2017 (BAnz AT vom 08.06.2017 B5; OVG NW, U.v. 5.10.2020 – 8 A 894/17 – juris Rn. 155). Mit Blick auf Geräuschimmissionen kommt der TA Lärm eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept grundsätzlich nur insoweit Raum, als die TA Lärm insbesondere durch Kann-Vorschriften und Bewertungsspannen Spielräume eröffnet (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 17; VGH BW, U.v. 26.10.2021 – 10 S 471/21 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Bei Tonhaltigkeit eines Geräusches ist gemäß Nr. A.2.5.2 bzw. A.3.3.5 des Anhangs zur TA Lärm bei der Ermittlung des Beurteilungspegels sowohl durch Prognose als auch durch Messung ein entsprechender Zuschlag anzusetzen. Die Vergabe des Zuschlags dient der korrekten Erfassung der schädlichen Auswirkungen von Geräuschen, die als besonders störend und unangenehm empfunden werden (OVG Bremen, B.v. 4.3.2019 – 2 LA 12/17 – juris Rn. 37). Entscheidend ist, ob die Geräuschkomponenten in ihrer störenden Auffälligkeit nach dem subjektiven Höreindruck deutlich wahrnehmbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.2007 – 4 C 2.07 – juris Rn. 28; OVG NW, B.v. 23.6.2010 – 8 A 340/09 – juris Rn. 37). Gemeinsames Kennzeichen der mit den Zuschlägen für Ton- und Informationshaltigkeit nach Nr. A.2.5.2 bzw. A.3.3.5 des Anhangs zur TA Lärm erfassten Lästigkeitskomponenten ist das Merkmal der Auffälligkeit. Wenn und soweit objektiv als lästig empfundene Komponenten aus dem übrigen Lärmgeschehen auffällig hervortreten, weil sie deutlich wahrnehmbar sind und eine besondere Störwirkung entfalten, soll der damit verbundenen Lästigkeit für den Menschen bei der Beurteilung nach der TA Lärm durch Zuschläge von 3 oder 6 dB Rechnung getragen werden (OVG NW, B.v. 20.10.2005 – 8 B 158/05 – juris Rn. 47, U.v. 18.11.2002 – 7 A 2141/00 – juris Rn. 128). Das Zuschlagsystem der TA Lärm, die die Beurteilungskriterien für das Auftreten schädlicher Umwelteinwirkung abschließend erfasst, ist dahingehend zu werten, dass für die Zuschlagpflichtigkeit objektiv lästiger Geräuschkomponenten maßgeblich ist, ob sie in ihrer störenden Auffälligkeit deutlich wahrnehmbar sind. Dies bedeutet nicht, dass die Zuschläge für Ton- und Informationshaltigkeit einen allgemeinen Lästigkeitszuschlag darstellen. Es soll lediglich verdeutlicht werden, dass es darauf ankommt, ob die einzelnen Geräuschkomponenten in ihrer störenden Auffälligkeit deutlich wahrnehmbar sind. Bei der Wahrnehmbarkeit ist entscheidend auf die Lautstärke abzustellen. Bei impulshaltigen Geräuschen nimmt die Lautstärke kurzzeitig stark zu und wieder ab, bei der Tonhaltigkeit tritt ein Ton in der Lautstärke besonders hervor (BVerwG, U.v. 29.8.2007 – 4 C 2.07 – juris Rn. 30; VGH BW, U.v. 23.4.2002 – 10 S 1502/01 – juris Rn. 33).
2.1.2 Bei der Beurteilung der Schädlichkeit von Geräuschimmissionen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG hat die Tonhaltigkeit eines Geräusches also nur in Bezug auf seine Lautstärke Bedeutung. Dem wird durch einen entsprechenden Zuschlag auf dem Mittelungspegel Rechnung getragen. Einen gesonderten Lästigkeitszuschlag wegen der Art des Geräusches unabhängig von der Lautstärke sieht die TA Lärm nicht vor.
2.1.3 Da gemäß Nr. 3.2.1 der TA Lärm der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche regelmäßig sichergestellt ist, wenn die Gesamtbelastung am maßgeblichen Immissionsort die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 der TA Lärm nicht überschreitet, könnte der Widerruf der nachträglichen Anordnung vom 23. Januar 2018 – soweit er im Rahmen der Beschwerde der Beigeladenen Beurteilungsgegenstand ist – die Beigeladene nur dann in ihren Rechten verletzen, wenn der für die Tageszeit maßgebliche Immissionsrichtwert von 60 dB(A) an ihrem Wohnhaus unter Berücksichtigung der von den Windenergieanlagen ausgehenden tonhaltigen Geräusche nicht eingehalten wäre. Dies ist nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts bei einem derzeit ermittelten Beurteilungspegel von ca. 45 dB(A) selbst bei einem Lästigkeitszuschlag für Tonhaltigkeit von 6 dB ausgeschlossen. Dem ist die Beigeladene im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert entgegengetreten.
2.2 Der Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 des Genehmigungsbescheids kommt demgegenüber keine eigenständige drittschützende Funktion zu, so dass die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 auch insoweit keine drittschützende Wirkung entfalten und der Beigeladenen eine Rechtsposition verschaffen konnte.
2.2.1 Wie bereits dargestellt, ist die TA Lärm als normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Es kommt also nicht darauf an, ob das Landratsamt bei Erlass der nachträglichen Anordnung der Auffassung war, dass die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG in den Genehmigungsbescheid aufgenommen worden ist und die nachträgliche Anordnung vom 23. Januar 2018 auch insoweit zum Schutz der Rechte Dritter ergangen ist oder ob die Beigeladene die nachträgliche Anordnung so verstehen durfte. Als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift bindet die TA Lärm auch die Verwaltungsbehörden. Der dem Vorsorgegebot des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zuzuordnenden Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 kann also auch die Genehmigungsbehörde keine drittschützende Wirkung verleihen. Dies gilt auch soweit das Landratsamt die Tonhaltigkeit der Geräusche der Windenergieanlagen als „erhebliche Belästigung“ im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG hätte einordnen wollen. Da sich die Lästigkeit des tonhaltigen Geräuschs in seiner Hörbarkeit und Lautstärke zeigt und damit abschließend durch die TA Lärm erfasst wird, bleibt für eine darüberhinausgehende „Lästigkeitsbeurteilung“ kein Raum.
2.2.2 Im Übrigen ist der Begründung der Genehmigung auch nicht zu entnehmen, dass die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 zum eigenständigen bzw. über die TA Lärm hinausgehenden Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Lärmimmissionen in den umfangreichen Katalog der Nebenbestimmungen aufgenommen sein soll. Die von der Beigeladenen zitierte Begründung aus S. 22 des Genehmigungsbescheids, die sich auch auf die nicht drittschützenden Betreiberpflichten und die Einhaltung sonstiger öffentlicher Vorschriften bezieht, enthält speziell zu der streitgegenständlichen Nebenbestimmung keine Aussage. Auch aus der Formulierung in der nachträglichen Anordnung vom 23. Januar 2018: …„die Einhaltung der Immissionsrichtwertanteile noch nicht endgültig und umfassend nachgewiesen ist. Außerdem liegt weiter eine Tonhaltigkeit vor…Dies stellt einen Verstoß gegen die Nebenbestimmung in Nr. 3.2.5 des Genehmigungsbescheides vom 30.01.2015 dar,…Ist dies – wie vorliegend bestätigt – der Fall, handelt es sich dabei um schädliche Umwelteinwirkungen, die zu erheblichen Belästigungen der Anlieger führen“, deren letzter Halbsatz sich im Übrigen nicht mit dem Gesetzeswortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG deckt, kann nicht geschlossen werden, dass das Landratsamt der Beigeladenen unabhängig von der Frage der Einhaltung der Immissionsrichtwerte alleine wegen des Verstoßes gegen die Nebenbestimmung Nr. 3.2.5 eine subjektive Rechtsposition vermitteln wollte. Denn das Landratsamt hätte sich dadurch über die insoweit bindenden Vorgaben der TA Lärm hinweggesetzt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten der zurückgenommenen Beschwerde (§ 155 Abs. 2 VwGO) einschließlich der insoweit anfallenden außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin (im Hinblick auf die von ihr eingelegte Beschwerde) die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen (anteilig) aufzuerlegen, weil die Beigeladene einen Antrag im Beschwerdeverfahren gestellt hat und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Beigeladene trägt die Kosten der von ihr eingelegten, zurückgewiesenen Beschwerde (§ 154 Abs. 3 Hs. 1 i.V.m. Abs. 2 VwGO). Die Quotelung ergibt sich aus dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Verhältnis des Obsiegens bzw. Unterliegens der Antragstellerin.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 19.2, 2.2.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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