Europarecht

Zur Frage der Irreführung des Verbrauchers bei Angaben auf der Etikettierung eines Biermischgetränks

Aktenzeichen  RN 5 K 17.832

Datum:
14.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17083
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 1
FrSaftErfrischGetrV § 3

 

Leitsatz

1 Ein Beteiligter kann anstelle einer Feststellungsklage nicht zumutbar auf den Ausgang eines eingeleiteten Straf- oder Bußgeldverfahren verwiesen werden werden.  (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Angaben „mit erfrischendem Zitronensaft“ und „Österreichs bestes Bier und Zitronensaft verbinden sich zu einem erfrischend leichten Biergenuss mit harmonischem Geschmack“ verstoßen nicht gegen Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011, soweit in diesen Angaben das Wort „Zitronensaft“ verwendet wird. (Rn. 30 – 51) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Frage, ob eine Etikettierung den Käufer irreführen kann, kommt es maßgebend auf die Verkehrsauffassung, also darauf an, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die fragliche Angabe wahrscheinlich auffassen wird.  (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4 Bei der Beantwortung der Frage der Irreführung des Verbrauchers muss hinsichtlich der Etikettierung eine Gesamtschau aus Vorderseiten- und Rückseitenetikett vorgenommen werden. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
5 Die Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung und damit auch die Kennzeichnungspflicht aus § 3 findet für (koffeinfreie) Erfrischungs- oder Biermischgetränke keine Anwendung. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Kennzeichnung des Produkts „… Natur Radler“ mit den Angaben „mit erfrischendem Zitronensaft“ und „Österreichs bestes Bier und Zitronensaft verbinden sich zu einem erfrischend leichten Biergenuss mit harmonischem Geschmack“ nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verstößt.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn der Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
I.
Die von der Klägerin nach § 43 Abs. 1 VwGO erhobene Feststellungsklage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig. Die Feststellungsklage ist nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft.
a) Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter einem solchen Rechtsverhältnis ist die rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache zu verstehen (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 43 Rn. 11 m.w.N.).
Die Klägerin will festgestellt wissen, dass die Etikettierung des von ihr hergestellten und vertriebenen Produkts „… Natur Radler“ mit den Angaben „mit erfrischendem Zitronensaft“ und „Österreichs bestes Bier und Zitronensaft verbinden sich zu einem erfrischend leichten Biergenuss mit harmonischem Geschmack“ nicht gegen das Irreführungsverbot aus Art. 7 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verstößt und zielt damit auf das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab.
b) Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung.
Das Rechtsschutzinteresse für eine derartige Klage ist ausnahmsweise dann gegeben, wenn der Betroffene nicht in zumutbarerer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Der Verweis auf ein repressives Verfahren kommt vor dem Hintergrund der Garantie wirksamen Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Klägerin damit auf die ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe in einem eingeleiteten Straf- oder Bußgeldverfahren verwiesen werden würde. Es ist ihr nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen „von der Anklagebank herab“ zu führen. In diesem Fall besteht ein als schutzwürdig anzuerkennendes Interesse, den Verwaltungsrechtsweg als sachnähere und fachspezifische Rechtsschutzform einzuschlagen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. April 2003 – 1 BvR 2129/02; BVerwG, Beschluss vom 8. August 1988 – 3 B 91.87; Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 7 C 13.12; VGH BW, Urteil vom 11. Februar 2010 – 9 S 1130/08).
So liegt der Fall hier. Da der Beklagte aufgrund der Ergebnisse des Gutachtens des LGL vom 29.09.2016 ein Ordnungswidrigkeiten-Bußgeldverfahren gegen den Brau-Ingenieur der Klägerin einleitete und wegen der Verletzung von Art. 7 Abs. 1 der VO (EU) 1169/2011, § 11 Abs. 1 Nr. 1 (LFGB) und § 59 Abs. 1 Nr. 7, § 60 Abs. 1 Nr. 2 LFGB einen Bußgeldbescheid in Höhe von insgesamt 176,60 Euro aufgrund der Auslobung von Fruchtsaft auf dem Etikett des streitgegenständlichen Biermischgetränks erließ, ist es der Klägerin vor diesem Hintergrund nicht zuzumuten, den Ausgang eines Straf- oder Bußgeldverfahrens abzuwarten, um die von dem Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage zu klären. Daher ist das berechtigte Interesse an einer Feststellung gegeben.
2. Die Feststellungsklage ist darüber hinaus auch begründet.
Die streitgegenständlichen Angaben „mit erfrischendem Zitronensaft“ und „Österreichs bestes Bier und Zitronensaft verbinden sich zu einem erfrischend leichten Biergenuss mit harmonischem Geschmack“ verstoßen nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, soweit in diesen Angaben das Wort „Zitronensaft“ verwendet wird.
a) Nach der Rechtsprechung des EuGH muss das nationale Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob eine Etikettierung den Käufer irreführen kann, hauptsächlich auf die mutmaßliche Erwartung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstellen, die dieser in Bezug auf den Ursprung, die Herkunft und die Qualität des Lebensmittels hegt, wobei es hauptsächlich darauf ankommt, dass der Verbraucher nicht irregeführt und nicht zu der irrtümlichen Annahme verleitet wird, dass das Erzeugnis einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft oder eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat (EuGH, Urteil vom 04.06.2015, C-195/14, Rn. 36). Es kommt also darauf an, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die fragliche Angabe wahrscheinlich auffassen wird. Maßgeblich für die Irreführungsgefahr ist damit die Verkehrsauffassung. Diese kann vom Gericht in eigener Sachkunde beurteilt werden, wenn es sich um einen Begriff handelt, dessen Verständnis in einem bestimmten Sinn einfach und naheliegend ist, die Richter selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und sich die Angabe auf Gegenstände des allgemeinen Bedarfs bezieht (BGH, U.v. 10.8.2000 – I ZR 126/98 – NJW-RR 2000, 1640, BayVGH, Urteil vom 11. Mai 2017 – 20 B 16.203 –, Rn. 44, juris, OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 11.9.2013 – 8 A 10219/13.OVG – LKRZ 2013, 524 sowie DÖV 2014, 45). Diese Voraussetzungen sind im Falle der erkennenden Kammer erfüllt.
Des Weiteren ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Verbraucher, die sich in ihrer Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung des Erzeugnisses richten, zunächst das Verzeichnis der Zutaten lesen, dessen Angabe Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2000/13 vorschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Deutschland, C-51/94, ECLI:EU:C:1995:352, Rn. 34, und Darbo, C-465/98, ECLI:EU:C:2000:184, Rn. 22 [= WRP 2000, 489]).
Zwar kann der Umstand, dass das Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisses angebracht ist, für sich allein noch nicht ausschließen, dass die Etikettierung dieses Erzeugnisses und die Art und Weise, in der sie erfolgt, geeignet sein könnten, den Käufer irrezuführen, sodass in bestimmten Fällen gleichwohl noch eine Irreführung bejaht werden kann (EuGH, Urteil vom 04. Juni 2015 – C-195/14, Rn. 38).
Bei der Beantwortung der Frage der Irreführung des Verbrauchers muss hinsichtlich der Etikettierung jedoch eine Gesamtschau aus Vorderseiten- und Rückseitenetikett vorgenommen werden. Die gesamte Etikettierung soll nämlich vor allem der Unterrichtung und dem Schutz der Verbraucher dienen, sie soll Auskunft über die genaue Art und die Merkmale der Erzeugnisse geben und es so dem Verbraucher ermöglichen, sachkundig seine Wahl zu treffen. Der Käufer soll über korrekte, neutrale und objektive Informationen verfügen, durch die er nicht irregeführt wird (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 11. Mai 2017 – 20 B 16.203 –Rn. 45).Von ihm kann erwartet werden, dass er das Schauetikett nicht isoliert betrachtet, sondern auch das Rückenetikett in Augenschein nimmt (VG Trier, U.v. 9.3.2016 – 5 K 3540/15.TR – juris). Ein durchschnittlich informierter Verbraucher, der an zusätzlichen Informationen interessiert ist, weiß nämlich, dass er auf dem Rückenetikett zusätzliche Informationen findet (BGH, U. v. 19.9.2001 – I ZR 54/96 – juris Rn. 38; OLG Nürnberg, U.v. 7.2.2017 – 3 U 1537/16 – juris Rn. 24).
b) Vor diesem Hintergrund verneint die erkennende Kammer einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot aus Art. 7 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, soweit in den auf dem Frontetikett angebrachten streitgegenständlichen Angaben das Wort „Zitronensaft“ verwendet wird.
(1) Zwar schreibt § 3 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 4 der Verordnung über Fruchtsaft, einige ähnliche Erzeugnisse, Fruchtnektar und koffeinhaltige Erfrischungsgetränke (Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung, im Folgenden: FrSaftErfrischGetrV) vor, dass bei Mischungen aus Fruchtsäften und aus Konzentrat gewonnenen Fruchtsäften sowie bei Fruchtnektar, der ganz oder teilweise aus einem oder mehreren konzentrierten Erzeugnissen gewonnen wurde, die Angabe „aus Fruchtsaftkonzentrat(en)“ oder „teilweise aus Fruchtsaftkonzentrat(en)“ erforderlich ist und diese Angabe deutlich hervortretend und in Verbindung mit der Bezeichnung des Lebensmittels anzubringen ist.
Die FrSaftErfrischGetrV und damit auch die Kennzeichnungspflicht aus § 3 findet für (koffeinfreie) Erfrischungs- oder Biermischgetränke jedoch keine Anwendung. Nach § 1 Abs. 1 FrSaftErfrischGetrV unterliegen den Bestimmungen dieser Verordnung nämlich nur die in Anlage 1 aufgeführten Erzeugnisse und damit nur Fruchtsaft (1.a), Fruchtsaft aus Fruchtsaftkonzentrat (1.b), Konzentrierter Fruchtsaft/Fruchtsaftkonzentrat (2.), mit Wasser extrahierter Fruchtsaft (3.), Getrockneter Fruchtsaft/Fruchtsaftpulver (4.) und Fruchtnektar (5.).
Eine entsprechende Anwendung von § 3 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 4 FrSaftErfrischGetrV scheidet aus, da weder eine planwidrige Regelungslücke, noch eine vergleichbare Interessenlage gegeben ist. Der Anwendungsbereich der FrSaftErfrischGetrV wird durch § 1 FrSaftErfrischGetrV allgemein und klar definiert. Des Weiteren bezieht sich § 3 Abs. 3 FrSaftErfrischGetrV nochmals ausdrücklich auf die „in Anlage 1 aufgeführten Erzeugnisse“. Eine Ergänzung dergestalt, dass sich die in § 3 FrSaftErfrischGetrV normierte Kennzeichnungspflicht auch auf anderen Getränke, die Fruchtsaft oder ähnliche Erzeugnisse enthalten, beziehen sollen, wurde nicht getroffen. Zudem fehlt es bereits an einer vergleichbaren Interessenlage, da die Erwartung eines Verbrauchers an das Produkt „Biermischgetränk“ eine andere ist als beim Kauf eines Fruchtsafts und damit auch eine unterschiedliche Schutzwürdigkeit gegeben ist.
(2) Nach Ansicht der Kammer wird ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher bei der vorliegenden Etikettierung eines Biermischgetränks nämlich nicht erwarten, dass das streitgegenständliche Produkt Zitronensaft in Form von Direktsaft enthält.
In vielen Fällen wird sich der Durchschnittverbraucher schon gar keine weiteren Gedanken darüber machen, ob ein Biermischgetränk nun Zitronensaft in Form von Direktsaft, Zitronensaft rückverdünnt aus Zitronensaftkonzentrat oder reines Konzentrat enthalte. Dies entweder weil der Fokus eines Durchschnittsverbrauchers bei einem Biermischgetränk ein anderer ist und er seine Kaufentscheidung vielmehr von der Geschmacksrichtung, dem Alkoholgehalt oder dem Mischverhältnis abhängig machen wird, wobei er die Angabe „mit Zitronensaft“ vielfach als Hinweis auf eine bestimmte (besonders ausgeprägte) Geschmacksrichtung verstehen wird oder weil ihm die Unterscheidungskriterien zwischen Direktsaft und von aus Konzentrat gewonnenem Saft oft gar nicht geläufig sein werden. Wenn überhaupt, differiert der Durchschnittsverbraucher meist nur zwischen Fruchtsaft und Fruchtnektar, wobei selbst hier viele Verbraucher nicht wissen, worin sich Fruchtsaft und Fruchtnektar tatsächlich unterscheiden (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 331, § 1 Rn. 64 und Kiesgen, ZLR 1980, 561). Der Begriff „(Frucht-)Saft“ stellt deshalb für den Durchschnittsverbraucher in aller Regel einen Oberbegriff dar, der so ohne weitere Unterscheidung im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird und über dessen genaue Bedeutung er sich vielfach keine weiteren Gedanken macht (vgl. auch OLG Nürnberg, ZLR 2000, 400 und OLG Nürnberg, ZLR 1999, 56 mit Anmerkung v. Jagow).
Für Fälle, in denen die Verbraucher keine konkreten Vorstellungen über die genaue Beschaffenheit eines Lebensmittels haben, wurde im deutschen Lebensmittelrecht traditionell davon ausgegangen, dass die Verbraucher auf eine gesundheitlich unbedenkliche und bekömmliche Beschaffenheit der Lebensmittel vertrauen und deshalb eine solche Beschaffenheit erwarten (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 113, Art. 7 Rn. 32). Diese Erwartung wird beim streitgegenständlichen Produkt jedoch auch bei Verwendung von Zitronensaft aus Zitronensaftkonzentrat erfüllt. Fruchtsaft aus Fruchtsaftkonzentrat ist nämlich weder von minderer Qualität, noch enthält er von vornherein (synthetische) Zusatzstoffe oder ist ungesünder als Direktsaft. Auch Direktsaft kann mit Zusatzstoffen (zugesetzter Zucker, synthetische Vitamine) versetzt sein. Meist ist Saft aus Konzentrat sogar nährstoffreicher als Direktsaft, da bei der Herstellung von Saftkonzentrat der gepresste Saft auf schonende Weise behandelt wird, um seinen Wasseranteil zu verringern, während Direktsaft nach dem Pressen aus Haltbarkeitsgründen noch erhitzt wird. Gerade durch den so schonenden Entzug von Wasser bleiben die wesentlichen physikalischen, chemischen, organoleptischen und nährstoffbezogenen Merkmale erhalten (vgl. Anhang I Nr. 1b) FrSaftErfrischGetrV). Im Übrigen besitzen Fruchtsäfte aus Konzentrat in aller Regel auch gleichartige sensorische und analytische Eigenschaften wie Fruchtsäfte im Sinne von Direktsäften (vgl. I. B. 3. der Leitsätze für Fruchtsäfte der Deutschen Lebensmittelkommission). Daher ist nicht erkennbar, dass besondere Qualitätserwartungen des Verbrauchers an die Produkteigenschaft eines Biermischgetränks enttäuscht oder beeinträchtigt werden, wenn dieses Zitronensaft aus Zitronensaftkonzentrat statt Direktsaft enthält.
(3) Diejenigen Verbraucher, die sich nun tatsächlich darüber Gedanken machen, ob das Produkt Zitronensaft in Form von Direktsaft oder Zitronensaft aus Zitronensaftkonzentrat enthält, werden vielfach sogar eher davon ausgehen, dass das Produkt (Zitronensaft aus) Zitronensaftkonzentrat enthalte – aus diesem Grund wird Zitronensaft in Form von Direktsaft eigentlich immer mit dem Zusatz „Direktsaft“ versehen – oder aber einen Blick in das Zutatenverzeichnis werfen. Dort ist die Verwendung von „Zitronensaft aus Zitronensaftkonzentrat“ richtig wiedergegeben.
Zwar kann nach der Rechtsprechung des EuGH allein der Umstand, dass das Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung streitgegenständlichen Erzeugnisses angebracht ist, noch nicht ausschließen, dass die Etikettierung dieses Erzeugnisses und die Art und Weise, in der sie erfolgt, geeignet sein könnten, den Käufer irrezuführen. Ein grundsätzliches Abrücken des EuGH vom Verbraucherleitbild des informierten und aufgeklärten Durchschnittsverbrauchers ist damit jedoch nicht verbunden, verweist der EuGH doch auch in seinem sog. „Teekanne-Urteil“ noch explizit auf diesen Beurteilungsmaßstab (EuGH, Urteil vom 04. Juni 2015 – C-195/14, Rn. 36; vgl. auch in diesem Sinne Urteil Severi, C-446/07, ECLI:EU:C:2009:530, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine Irreführung trotz wahrheitsgemäßem Zutatenverzeichnis wird jedoch insbesondere dann anzunehmen sein, wenn Angaben, die sich auf ein Lebensmittel beziehen und die auf dessen Verpackung angebracht sind, falsch oder unwahr sind und dem Verbraucher suggerieren, dass das Lebensmittel eine Zutat enthält, die tatsächlich nicht darin vorhanden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 04. Juni 2015 – C-195/14, Rn. 38 f.).
Dies ist hier jedoch zu verneinen, da das streitgegenständliche Produkt (aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers) tatsächlich Zitronensaft und zwar Zitronensaft rückverdünnt aus Konzentrat enthält. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall vom sog. „Teekanne-Urteil“ (BGH, Urteil vom 02. Dezember 2015 – I ZR 45/13), da dort das streitgegenständliche Produkt („Himbeer-Vanille-Abenteuer“) weder Himbeer- noch Vanillebestandteile enthielt.
Im Übrigen geht aus § 3 Abs. 4 Satz 1 FrSaftErfrischGetrV hervor, dass auch für aus Konzentrat rückverdünnten Zitronensaft allgemein die Bezeichnung „Zitronensaft“ verwendet werden kann. Dort heißt es nämlich, dass die Angabe nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 3, also der Zusatz „aus Fruchtsaftkonzentrat(en)“, in Verbindung mit der Bezeichnung des Lebensmittels anzubringen ist. Daraus kann also nur gefolgert werden, dass die allgemeine Bezeichnung des Lebensmittels – auch bei aus Konzentrat rückverdünntem Saft – „Zitronensaft“ lautet. Alles andere würde dazu führen, dass die nach § 3 FrSaftErfrischGetrV geforderte Kennzeichnung dann „Zitronensaft aus Zitronensaftkonzentrat aus Zitronensaftkonzentrat“ lauten würde, was ersichtlich nicht der Fall sein kann.
Dies wird auch durch das vom Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände betriebenen und vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Internetportal „Lebensmittelklarheit“ bestätigt (vgl. https://www.lebensmittelklarheit.de/forum/zitronensaftkonzentrat). Dort heißt es wie folgt:
„Wenn die Bezeichnung „Zitronensaft“ lautet, dann muss auch Zitronensaft enthalten sein. Dabei kann es sich um Direktsaft handeln oder um Saft aus Konzentrat. Bei der Herstellung aus Konzentrat wird dem Saft zunächst Wasser entzogen und das Konzentrat später wieder rückverdünnt, wobei dieselbe Menge Wasser zu verwenden ist, die zuvor entfernt wurde.“
Bei dem Produkt „W* … Radler Zitrone“, dessen Zitronenlimonade ebenfalls Zitronensaft aus Zitronensaftkonzentrat enthält, empfiehlt der Bundesverband der Verbraucherzentralen den Hinweis „Zitronenlimonade mit Zitronensaft“ und sieht damit auch hier keine Notwendigkeit für den Zusatz „aus Zitronensaftkonzentrat“ (vgl. https://www.lebensmittelklarheit.de/produkte/W* …-radler-zitrone).“
Im Übrigen treffen auch die Leitsätze für Erfrischungsgetränke der Deutschen Lebensmittelkommission in der Neufassung vom 27. November 2002 (BAnz. 2003 S. 5897, GMBl 2003 S. 383), geändert durch die Bekanntmachung vom 07. Januar 2015 (BAnz. AT vom 27.01.2015 B1, GMBl 2015 S. 113) keine Unterscheidung zwischen Fruchtsaft im Sinne von Direktsaft und Fruchtsaft aus Konzentrat, sondern verwenden insgesamt den Oberbegriff „Fruchtsaft“ (vgl. I C. 3.: „Wenn bei Erfrischungsgetränken auf die Mitverwendung von Fruchtsaft und/oder Fruchtmark hingewiesen wird, so wird der Gehalt an Fruchtsaft und/oder Fruchtbestandteilen angegeben.“ oder II. A 1.: „Fruchtsaftgetränke enthalten a) Fruchtsaft, Fruchtsaftkonzentrat, Fruchtmark, konzentriertes Fruchtmark oder Mischungen daraus, jeweils auch haltbar gemacht“).
Auch in den Leitsätzen für Fruchtsäfte in der Neufassung vom 27. November 2002 (BAnz. Nr. 46b vom 7. März 2003, GMBl 2003 S. 151), geändert durch die Bekanntmachung vom 07. Januar 2015 (BAnz. AT vom 27.01.2015 B1, GMBl 2015 S. 113) wird unter Einbezug der aus Konzentrat hergestellten Säfte der Oberbegriff „Fruchtsaft“ verwendet (vgl. I. A.: „Zur Beurteilung der Zutaten Fruchtsaft oder Fruchtmark (einschließlich der aus Konzentrat hergestellten) in anderen Lebensmitteln …“ oder II. A:. „Bei Fruchtsäften, auch soweit sie aus oder mit Fruchtmark sowie aus oder mit konzentriertem Fruchtsaft und/oder Fruchtmark hergestellt sind, werden die folgenden Werte…“).
Insofern stellt sich Bezeichnung „Zitronensaft“ für Zitronensaft, der aus Zitronensaftkonzentrat rückverdünnt wurde, nicht als unwahr oder falsch dar.
Nach Würdigung aller Umstände, der vorzunehmenden Gesamtschau von Front- und Rückenetikett und unter Zugrundlegung der zuvor bereits dargestellten mutmaßlichen Erwartung eines normal informierten, angemessenen, aufmerksamen und verständigen Durschnittverbrauchers, dem mittlerweile durch die Rechtsprechung auch eigene Beurteilungskompetenz attestiert wird und folglich nicht mehr vor sich selbst beschützt werden muss, ist festzustellen, dass durch die Auslobung von „Zitronensaft“ auf dem streitgegenständlichen Etikett keine Irreführung anzunehmen ist. Letzte Zweifel können zudem durch einen Blick in das Zutatenverzeichnis beseitigt werden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 14.02.2012, 4 U 143/11).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


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