IT- und Medienrecht

Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde

Aktenzeichen  M 28 K 18.2828

Datum:
11.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 49195
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 68 Abs. 1, § 70
VwZVG Art. 3 Abs. 2 S. 1
ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 1, § 180, § 418
KAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b)
AO § 169 Abs. 2 S. 1, § 170 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten (§ 180 ZPO) ist nur zulässig, wenn der Zusteller sich vorher (z.B. durch Klingeln) vergewissert, dass der Adressat oder ein erwachsener Familienangehöriger (§ 178 Abs. 1 ZPO) nicht in der Wohnung anwesend ist.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Landeshauptstadt München vom 11. November 2016 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 3. Mai 2018 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
1. Die gegen den Erschließungsbeitragsbescheid vom 11. November 2016 sowie den Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2018 gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere wurde ein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt.
Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Das Widerspruchsverfahren entfällt vorliegend nicht nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO, da es sich bei einem Erschließungsbeitragsbescheid um einen Verwaltungsakt aus dem Bereich des Kommunalabgabenrechts handelt, bei dem gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayAGVwGO fakultativ ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden kann. Zur ordnungsgemäßen Durchführung des Widerspruchsverfahrens gehört insbesondere die fristgerechte Einlegung des Widerspruchs gemäß § 70 VwGO. Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts gegenüber dem Beschwerten zu erheben.
1.1. Vorliegend ist am 12. November 2016 keine wirksame Bekanntgabe des Erschließungsbeitragsbescheids vom 11. November 2016 gegenüber dem Kläger erfolgt, da dieser Bescheid am 12. November 2016 entweder gar nicht oder jedenfalls nicht wirksam zugestellt wurde. Eine (wirksame) Zustellung des Bescheids vom 11. November 2016 kann vorliegend insbesondere nicht durch die in der Verwaltungsakte befindliche Postzustellungsurkunde (Bl. 3 d. A.) gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO bewiesen werden:
Die Beklagte hat für die Zustellung des Bescheids vom 11. November 2016 die in Art. 3 VwZVG vorgesehene Möglichkeit der Zustellung gegen Postzustellungsurkunde gewählt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG gelten für die Ausführung der Zustellung die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Laut Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. § 177 ZPO kann das Schriftstück der Person, der zugestellt werden soll, an jedem Ort übergeben werden, an dem sie angetroffen wird. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kann das Schriftstück in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen zugestellt werden, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in der sie wohnt, nicht angetroffen wird. Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht ausführbar, kann gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. § 180 Satz 1 ZPO das Schriftstück in einen zu der Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. § 180 Satz 2 ZPO). Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. § 180 Satz 3 ZPO).
Vorliegend ist auf Seite 2 der oben genannten Postzustellungsurkunde angekreuzt, dass der Postbedienstete, der Zeuge M., am 12. November 2016 an der Adresse A. 20 in … M. versucht habe, ein Schriftstück zu übergeben. Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung nicht möglich gewesen sei, habe er das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.
Die Postzustellungsurkunde ist eine öffentliche Urkunde, mit der sich aus § 418 Abs. 1 ZPO ergebenden vollen Beweiskraft. Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde erstreckt sich beispielweise auch darauf, dass der Postzusteller unter der ihm angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen hat und dass er das Schriftstück an dem angegebenen Tag in den Hausbriefkasten eingeworfen hat (vgl. BGH, U.v. 10.11.2005 – 3 ZR 104/05 – NJW 2006, 150; BVerfG, B.v. 3.6.1991 – 2 BvR 511/89 – NJW 1992, 224, 225). Der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen gemäß § 418 Abs. 2 ZPO erfordert den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens und somit den vollen Beweis des Gegenteils in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist. Hierzu ist ein substantiiertes geeignetes Vorbringen erforderlich. Ein bloßes Bestreiten des Zugangs reicht nicht aus (BVerwG, U.v. 13. 11.1984 – 9 C 23/84 – NJW 1985, 1179; BGH, U.v. 10.11.2005 – 3 ZR 104/05 – NJW 2006, 150; BVerfG, B.v. 20.2.2002 – BvR 2017/01 – NJW – RR 2002, 1008; BayVGH, B.v. 28.6.2010 – 11 CS 10.340 – juris Rn. 13).
Die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung ergab, dass der Kläger vorliegend die Beweiskraft der Zustellungsurkunde zur Überzeugung des Gerichts im obigen Sinne erschüttert hat:
Der Zeuge M. hat in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Gerichts, ob es bei ihm bei Zustellungen mittels Postzustellungsurkunde generell ein bestimmtes Vorgehen gebe, erklärt, dass die Postzustellungen im Normalfall in den Briefkasten eingeworfen werden würden. Die förmlichen Zustellungen würden immer zusammen mit der normalen Post zugestellt werden. Die Postzustellungsurkunden würden zu Beginn der Tour aus den Kuverts herausgenommen werden, blieben aber bis zur Übergabe oder Zustellung der Schreiben zusammen bei den Postsendungen. Mit Übergabe oder Einwurf der Postsendungen würden die Postzustellungsurkunden dann ins Auto gelegt werden. Vor Ort werde von ihm in der Regel nur auf dem Kuvert der Postzustellungsurkunden unterschrieben und das Zustelldatum angebracht. Die Postzustellungsurkunden fülle er danach im Amt aus. Es gebe Sonderfälle, etwa wenn der Absender eine bestimmte Verfügung getroffen habe, dass Schriftstücke in bestimmter Weise zu behandeln seien. Wenn er am Ort der Zustellung jemanden persönlich antreffe, dann übergebe er den Brief dieser Person direkt und wähle nicht den Einwurf in den Briefkasten. Er übergebe die Schriftstücke dann, wenn er jemanden unmittelbar an diesem Anwesen bemerke. Wenn er jemanden persönlich am Grundstück antreffe, frage er, um wen sich bei der Person handele. Er klingle aber nicht auf Verdacht, ob jemand zu Hause sei. Wenn er den Brief direkt jemandem übergebe, dann vermerke er dies vor Ort in der Postzustellungsurkunde. Er erinnere sich noch, dass er vor ungefähr zwei Jahren im Bereich des A. als Zusteller tätig gewesen sei und auch daran, dass es dort einmal viele Zustellungen gegeben habe. An Einzelheiten könne er sich aber nicht mehr erinnern, insbesondere nicht daran, dass es an diesem Tag bei den Zustellungen im A. irgendwelche Besonderheiten dahingehend gegeben habe, dass er eines der Häuser mehrfach aufgesucht habe. Er wisse auch nicht mehr, ob es an diesem Tag auch persönliche Übergaben gegeben habe.
Die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung hat somit ergeben, dass der Zeuge M. bei Zustellungen an Wohngrundstücken von Zustellungsadressaten angesichts der von ihm geschilderten üblichen Vorgehensweise, insbesondere, dass er Schriftstücke bei Nichtantreffen von Personen an dem Anwesen stets ohne zu Klingeln in den Briefkasten einlegt, regelmäßig die in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. §§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 180 ZPO normierte Rangfolge missachtet. Denn eine Ersatzzustellung kommt nur in Betracht, wenn eine Zustellung nach den allgemeinen Vorschriften nicht möglich ist, oder zumindest mit erheblicher Verzögerung verbunden wäre. Eine Ersatzzustellung ist nur statthaft, wenn „die Person, der zugestellt werden soll“ nicht angetroffen wird. „Nicht antreffen“ ist nicht gleichbedeutend mit Abwesenheit und beispielsweise anzunehmen, wenn auf das Klingeln des Zustellers nicht reagiert wird. Nachforschungen des Zustellers sind grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. Häublein, Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 178, Rn. 2, 4). Eine Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten setzt somit voraus, dass zuvor eine unmittelbare Zustellung an den Adressaten oder eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO erfolglos versucht wurde. Sind die Voraussetzungen des § 180 ZPO, zu denen neben dem Versuch, vorrangig gemäß §§ 177 f. ZPO zuzustellen auch objektiv der Norm entsprechende Empfangseinrichtungen zählen, nicht gegeben, ist die Zustellung unwirksam (vgl. Häublein, Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 178, Rn. 30, § 180, Rn. 2, 7). Indem der Zeuge M. – wie von ihm in der mündlichen Verhandlung geschildert – ein Schriftstück schon immer dann in den Briefkasten einlegt, wenn er vor Ort an dem jeweiligen Anwesen Niemanden persönlich antrifft, ohne zuvor an der Haustüre zu klingeln (s.o.), stellt er bereits nach seinem eigenen Vortrag nicht ausreichend sicher, dass der Zustelladressat bzw. zumindest empfangsberechtigte Familienangehörige im obigen Sinne nicht anwesend sind, dem bzw. denen dann nach den obigen Ausführungen das Schriftstück vorrangig auszuhändigen wäre.
Jedenfalls in der Zusammenschau mit den Aussagen der Zeuginnen S. W. und M. W. in der mündlichen Verhandlung ist zur Überzeugung des Gerichts hinreichend belegt, dass der Zeuge M. auch im vorliegenden Fall jedenfalls aufgrund Missachtung der Rangfolge des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. §§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 180 ZPO am 12. November 2016 keine wirksame Zustellung des Erschließungsbeitragsbescheids vom 11. November 2016 vorgenommen hat:
Die Zeuginnen S. W. und M. W. haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend ausgeführt, dass am 12. November 2016 aufgrund des immer in ähnlicher Weise stattfindenden familiären Reifenwechselns im Zustellungszeitraum stets mindestens ein empfangsberechtigter Familienangehöriger des Klägers im Haus oder zumindest in der Einfahrt des Grundstücks im A. 20 anwesend gewesen sei. Die Zeugin S. W. sagte unter Anderem aus, der Postzusteller, der wie üblich mit dem Auto gekommen sei, habe ihr am 12. November 2016 die Post, als sie sich vor der Einfahrt zu den Garagen auf dem Anwesen befunden habe, auf den Arm gelegt, da sie vom Reifenwechseln sehr schmutzig gewesen sei. Sie habe diese Post dann ins Haus getragen und dort auf die Kommode gelegt. Sie könne ausschließen, dass in diesem Zeitraum, als sie mit dem Reifenwechseln beschäftigt gewesen sei, der Postzusteller einen Brief in den Briefkasten am Anwesen geworfen hat. Nennenswerte Pausen hätten sich jedenfalls im Laufe des Vormittags nicht ergeben. Am 12. November 2016 seien auch noch ihre Mutter und ihre Schwester im Haus gewesen. Die Schwester sei wegen des Reifenwechselns auch immer mal wieder unterwegs gewesen. Die Zeugin M. W. erklärte, dass am 12. November 2016 sie, ihre beiden Töchter, der Freund ihrer Tochter L. und, soweit sie sich erinnere, zeitweise auch der Kläger, anwesend gewesen seien. Soweit sie sich erinnere, sei sie am 12. November 2016 den ganzen Tag anwesend gewesen. Sie erinnere sich, dass an diesem Tag Post auf der Kommode im Windfang im Gebäude gelegen sei. Wie die Post auf die Kommode gekommen sei, wisse sie nicht. Sie habe den Postzusteller an diesem Tag auch nicht persönlich angetroffen. Sie erinnere sich nicht daran, dass unter den Postsendungen, die am 12. November 2016 auf der Kommode gelegen hätten, eine Postzustellung der Landeshauptstadt München gewesen sei. Sie habe weder am 12. November 2016 noch in den Tagen danach im Briefkasten eine Postzustellung mit einem Brief der Landeshauptstadt München vorgefunden. Sie halte es für ausgeschlossen, dass während der Aktion des Reifenwechsels jemand unbemerkt von den Personen, die damit befasst gewesen seien, eine Postsendung in den Briefkasten werfe. Es sei immer jemand im Bereich der Einfahrt gewesen.
Da die Aussagen der Zeuginnen S. W. und M. W. plausibel und nachvollziehbar erschienen und keine wesentlichen Widersprüche oder Unstimmigkeiten aufwiesen, die ihre Glaubwürdigkeit erschüttern könnten, steht vorliegend somit aus Sicht des Gerichts fest, dass die auf der oben genannten Postzustellungsurkunde vermerkte Ersatzzustellung des Bescheids vom 11. November 2016 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 12. November 2016 entweder gar nicht stattgefunden hat oder eine solche Zustellung jedenfalls aufgrund der nicht oder zumindest nicht ausreichend vorgenommenen Prüfung durch den Postzusteller, ob eine vorrangige Übergabe des Schriftstücks an den Kläger persönlich oder zumindest an anwesende empfangsberechtigte Familienangehörige des Klägers möglich gewesen wäre, unwirksam war.
Offen bleiben kann deshalb die Frage, ob dem Kläger trotz des behaupteten Umzugs nach B. T. am 12. November 2016 im A. 20 noch wirksam zugestellt werden konnte.
1.2. Da kein früherer tatsächlicher Zugang des Erschließungsbeitragsbescheids vom 11. November 2016 im Sinne von Art. 9 VwZVG nachgewiesen wurde, der Kläger insbesondere im oben genannten Schreiben vom 10. Januar 2017 bestritten hat, einen solchen Bescheid erhalten zu haben, erfolgte eine wirksame Bekanntgabe dieses Erschließungsbeitragsbescheids gegenüber dem Kläger somit erst im Rahmen von dessen Übersendung als Anlage des oben genannten Schreibens der Beklagten vom 18. Januar 2017.
Die Regierung von Oberbayern hat allerdings bereits das Schreiben des Klägers vom 10. Januar 2017 als Widerspruch gegen den Erschließungsbeitragsbescheid vom 11. November 2016 gewertet (vgl. Seite 3 des Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2018). Der Zulässigkeit des Widerspruchs steht nicht entgegen, dass das Schreiben des Klägers vom 10. Januar 2017 bei der Beklagten einging, bevor der streitgegenständliche Erschließungsbeitragsbescheid gegenüber dem Kläger wirksam bekanntgegeben wurde. Zwar ist grundsätzlich ein Widerspruch gegen einen noch nicht erlassenen Verwaltungsakt unzulässig und wird auch nicht nachträglich zulässig, wenn der Verwaltungsakt ergeht. Denn es fehlt an der erforderlichen Beschwer des Widerspruchsführers, wenn die angefochtene „Entscheidung“ noch gar nicht existent ist (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.1985, BayVBl. 1985, 605). Anderes gilt aber dann, wenn der Wirksamkeit des Verwaltungsakts lediglich die fehlende Bekanntgabe entgegensteht und die Behörde dem Betroffenen anders Kenntnis von ihrer Entscheidung gegeben hat (BVerwG, U.v. 31.8.1966 – V C 42.65 – BVerwGE 25, 20, 22). Vorliegend war der Kläger mit – nicht in den Verwaltungsakten befindlichem – Schreiben der Beklagten vom 2. Januar 2017 zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 8.461,23 € nebst Säumniszuschlag sowie Mahngebühren angemahnt worden. Im Hinblick auf den dadurch gesetzten Rechtsschein eines existenten Verwaltungsaktes musste es dem Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt möglich sein, wirksam Widerspruch gegen diesen Verwaltungsakt einzulegen (vgl. dazu auch ThürOVG, B.v. 29.7.1993, 2 EO 73/93). Jedenfalls aber das oben genannte Schreiben der Klägerseite vom 23. Januar 2017 kann als ordnungsgemäßes Widerspruchsschreiben ausgelegt werden. Die einmonatige Widerspruchsfrist des § 70 VwGO (s.o.) wurde vorliegend somit in jedem Fall gewahrt.
2. Die Klage ist auch begründet.
Der Erschließungsbeitragsbescheid vom 11. November 2016 sowie der Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2018 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dabei kann offen bleiben, ob die Festsetzung eines Erschließungsbeitrags in Höhe von 8.461,23 € im Erschließungsbeitragsbescheid vom 11. November 2016 ursprünglich rechtmäßig war. Denn die Erschließungsbeitragsforderung ist jedenfalls inzwischen wegen Verjährung (Festsetzungsverjährung) gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG i.V.m. §§ 169 ff. AO erloschen:
Die Festsetzungsverjährung einer Erschließungsbeitragsforderung richtet sich nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4) Buchst. b) Doppelbuchst. bb) – dd), Abs. 2 KAG i.V.m. §§ 169 ff. AO. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 AO) und beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. cc), Abs. 2 KAG i.V.m. § 170 Abs. 1 AO), in dem also die objektiven Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht (gültige Satzung, Widmung, endgültige Herstellung der Erschließungsanlage im Sinne von § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB, Rechtmäßigkeit der Herstellung nach § 125 BauGB) gegeben sind, der Erschließungsaufwand berechenbar ist und die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Beitragsforderung vorliegen (vgl. im Einzelnen Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand: August 2018, Rn. 1141). Im vorliegenden Fall war der Erschließungsaufwand mit dem Abschluss der Maßnahmen am 27. März 2012 abrechenbar, so dass die Beitragspflicht im Laufe des Jahres 2012 entstanden ist. Daran gemessen begann die Festsetzungsfrist vorliegend mit Ablauf des Kalenderjahres 2012 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2016.
Der Bescheid vom 11. November 2016 wurde am 12. November 2016 entweder gar nicht oder jedenfalls nicht wirksam zugestellt (s.o.). Eine (erneute) wirksame Zustellung des Bescheids bzw. eine Heilung des Zustellungsmangels i.S.v. Art. 9 VwZVG vor Ablauf des Jahres 2016 und somit vor Eintritt der Festsetzungsverjährung erfolgte ebenfalls nicht (s.o.).
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war i.S.v. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig. Im Erschließungsbeitragsrecht erachtet die Kammer die Zuziehung eines Rechtsanwalts bereits im Vorverfahren regelmäßig als notwendig, da sie wegen der Schwierigkeiten der Rechtsmaterie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei als erforderlich anzusehen ist.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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