IT- und Medienrecht

Information der Öffentlichkeit nach § 40 Abs. 1a LFGB, Rechtskräftiger Beschluss in einem vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, Reichweite der Rechtskraft, unterbliebenes Abänderungsverfahren

Aktenzeichen  B 7 E 21.1302

Datum:
22.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44329
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
VwGO analog § 80 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Veröffentlichung der im Schreiben der Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen vom 10.12.2021 dargestellten Hygiene-verstöße/Reinigungsmängel zu unterlassen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung von konkret benannten Hygieneverstößen/Reinigungsmängeln in einem von ihr betriebenen Schlacht- und Zerlegebetrieb durch … Die Antragstellerin betreibt einen Schlacht- und Zerlegebetrieb für Schafe, Ziegen, Rinder und Schweine in … Der Betrieb wurde von … gemeinsam mit der Kreisverwaltungsbehörde am 12.07.2021 kontrolliert. Am 09.08.2021 fand eine Nachkontrolle statt. Im Rahmen dieser Kontrolltermine wurde eine Reihe tierschutz-, lebensmittel- und hygienerechtlicher Verstöße festgestellt, die im Kontrollbericht vom 09.08.2021 hinsichtlich des Termins am 12.07.2021 und im Kontrollbericht vom 19.08.2021 hinsichtlich des Termins am 09.08.2021 im Einzelnen aufgeführt und mit zwei Bildmappen dokumentiert wurden.
Gegen eine diesbezüglich beabsichtigte behördliche Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB ließ die Antragstellerin am 21.09.2021 um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Maßgabe, die Verstöße im Veröffentlichungstext zu präzisieren durch Beschluss vom 29.09.2021 ab (Az. B 7 E 21.1038). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof änderte diesen Beschluss am 15.11.2021 dahingehend ab, dass dem Antragsgegner im Weg der einstweiligen Anordnung untersagt wird, die entsprechenden Informationen zu veröffentlichen (Az. 20 CE 21.2568). Von Seiten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde insbesondere moniert, dass die Anhörung der Antragstellerin durch den Antragsgegner nicht den relevanten Anforderungen genüge, weil der Antragsgegner seinerzeit im Vergleich zu der Anhörung im behördlichen Verfahren die Veröffentlichung eines anderslautenden Textes beabsichtigt hatte, um die durch das Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltene Maßgabe zu gewährleisten. Ohne dass es noch darauf ankomme, wies der 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs darauf hin, dass eine gerichtliche Maßgabe nur im Falle des Erlasses einer Anordnung zugunsten des Antragstellers und nicht bei einer vollständigen Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung möglich sei.
Soweit sich das Verwaltungsgericht einer auch höchst- und obergerichtlich vertretenen Ansicht angeschlossen hat, dass eine Maßgabe im Eilverfahren auch bei Antragsablehnung – freilich in gewissen Grenzen, die vorliegend nicht zu vertiefen sind – möglich ist (vgl. etwa BVerwG, B.v. 2.10.2014 – 9 VR 3/14; BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 19 CE 17.657; BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 19 CE 17.2135 u.a. zu VG Bayreuth, B.v. 12.10.2017 – B 6 E 17.454; VGH BW, B.v. 29.6.2021 – 10 S 310/21; s.a. BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 10 CS 16.1468; BeckOK VwGO/Kuhla, § 123, Rn. 144a), mochte dem der 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – ohne nähere Begründung – nicht folgen; es liege eine Überschreitung des durch die Prozessordnung eingeräumten Ermessens vor.
Nach dem Abschluss des Beschwerdeverfahrens hörte … die Antragstellerin mit Schreiben vom 18.11.2021 abermals zur beabsichtigten Veröffentlichung unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht für nötig erachteten Präzisierung an. Dem trat die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten entgegen, worauf die Behörde zuletzt mit Schreiben vom 10.12.2021 an der beabsichtigten Veröffentlichung festhielt, soweit nicht binnen sieben Werktagen eine gerichtliche Untersagung erfolge.
Mit am 20.12.2021 eingegangenem Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten ersuchte die Antragstellerin um Eilrechtsschutz gegen die geplante Veröffentlichung und beantragte,
1.dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu untersagen, Informationen über die Betriebskontrolle vom 12.07.2021 und 09.08.2021, wie zuletzt im Schreiben vom 10.12.2021, Az.: …, mitgeteilt, zu veröffentlichen,
2.bis zu einer Entscheidung über diesen Antrag eine Entscheidung durch den Vorsitzenden nach § 123 Abs. 2 Satz 3, § 80 Abs. 8 VwGO zu treffen.
3.die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch. Der beabsichtigten Veröffentlichung stehe die Rechtskraft des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 15.11.2021 entgegen. Überdies sei eine Veröffentlichung schon formell rechtswidrig, weil eine Zuständigkeit … vorliegend nicht gegeben sei. In materieller Hinsicht sei der sachliche Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1a LFGB nicht eröffnet und eine nunmehr erfolgende Veröffentlichung würde nicht mehr dem Unverzüglichkeitskriterium des § 40 Abs. 1a LFGB genügen. Weiter wurde ausgeführt, dass schon kein hinreichend begründeter Verdacht eines Verstoßes gegen sonstige Vorschriften im Sinne der Norm vorliege und es an einer belastbaren Bußgeldprognose mangele. Die geplante Veröffentlichung erweise sich schließlich als unverhältnismäßig.
Mit Schriftsatz vom 22.12.2021 trat … dem entgegen und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Aufgabenzuweisung an … sei rechtmäßig. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.11.2021 stehe der beabsichtigten Veröffentlichung nicht entgegen; es liege ein neuer Streitgegenstand vor, auf den sich die Bindungswirkung jenes Beschlusses nicht erstrecke. Die Sachlage habe sich durch die erneute Anhörung der Antragstellerin geändert. Die beabsichtigte Veröffentlichung sei auch materiell rechtmäßig und erfolge unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB. Von einer Unverhältnismäßigkeit der Veröffentlichung könne hier nicht ausgegangen werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten – auch diejenige des Verfahrens Az. B 7 E 21.1038 – sowie die elektronisch übersandten Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Eilantrag ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. SächsOVG, B.v. 22.9.2017 – 4 B 268/17 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123, Rn. 26 m.w.N.).
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris).
Gemessen hieran hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsgrund ergibt sich unschwer aus der grundrechtlichen Relevanz der unmittelbar bevorstehenden Veröffentlichung durch … Die Antragstellerin hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass ihr ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die von der Behörde beabsichtigte Veröffentlichung zusteht.
Dieser Anspruch findet seine Rechtsgrundlage in der Abwehrfunktion der Grundrechte, hier insbesondere in der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit der Antragstellerin und setzt voraus, dass sich die Veröffentlichung als rechtswidriger Eingriff in dieses Grundrecht darstellt.
In der vorliegenden Sache steht einer Veröffentlichung der Informationen durch die Behörde der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29.09.2021 (Az. B 7 E 21.1038) in der Fassung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.11.2021 (Az. 20 CS 21.2568) entgegen. Beschlüsse nach § 123 VwGO erwachsen in formelle und materielle Rechtskraft, wobei letztere wegen der Möglichkeit der Abänderbarkeit der Eilentscheidung häufig als „eingeschränkte“ materielle Rechtkraft beschrieben wird. Jedenfalls aber entfaltet eine – wie hier – stattgebende Entscheidung nach § 123 VwGO eine inhaltliche Bindungswirkung. Die Behörde ist von Rechts wegen gehindert, eine der einstweiligen Anordnung entgegengesetzte Entscheidung zu treffen (vgl. Schoch/Schneider/Schoch, § 123 VwGO, Rn. 168).
Die Bindungswirkung reicht freilich nur soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, wobei maßgeblich auf den Entscheidungssatz abzustellen ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof untersagte hier im Beschwerdeverfahren genau das, was die Behörde nunmehr – bei veränderter Sachlage (siehe sogleich unten) – veröffentlichen möchte, nämlich den ursprünglichen Veröffentlichungstext unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht aufgegebenen Präzisierungen. Überdies steht hier eine Veröffentlichung derselben Hygieneverstöße/Reinigungsmängel im Raum, die bereits Gegenstand des abgeschlossenen vorherigen Eilverfahrens gewesen sind und auf die sich der Beschluss vom 29.09.2021 in der Fassung der Beschwerdeentscheidung bezogen hat, so dass jedenfalls nicht vom Vorliegen eines neuen Streitgegenstands auszugehen ist.
Liegen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht veränderte Umstände vor – hier hat … zu Recht auf die durch die erneute Anhörung geprägte veränderte Sachlage hingewiesen -, so steht dem im Verfahren nach § 123 VwGO durch den Beschluss beschwerten Beteiligten jedoch die Möglichkeit zur Seite, analog § 80 Abs. 7 VwGO die Abänderung des ergangenen Beschlusses durch das Gericht der Hauptsache zu beantragen (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 10 CE 19.650); nach anderer Ansicht soll § 927 ZPO analog zum Zug kommen. Dabei erscheint nicht unproblematisch, welches Gericht instanziell für die Abänderung zuständig ist, wenn ein Hauptsacheverfahren aktuell nicht anhängig ist und – wie hier – das Beschwerdegericht eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung vorgenommen hat (vgl. zum Ganzen Schoch/Schneider/Schoch, § 123 VwGO, Rn. 178 ff.; Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, § 123, Rn. 96 ff.; Wysk, VwGO, § 123, Rn. 36; Eyermann, VwGO, § 123, Rn. 78 ff.; siehe auch Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, Rn. 492 f. – Fn. 301 m.w.N.).
Diese Problematik bedarf gegenwärtig indes keiner Vertiefung und Entscheidung. Denn vorliegend hat der durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geänderte Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29.09.2021 nach wie vor Bestand; ein Änderungsverfahren wurde diesbezüglich bisher nicht eingeleitet, so dass derzeit die streitgegenständlichen Informationen nicht veröffentlich werden dürfen.
Damit braucht auf die weiteren im hiesigen Verfahren erörterten rechtlichen Fragen nicht eingegangen zu werden. Insbesondere muss nicht geklärt werden, ob die Veröffentlichung der Informationen im Zeitpunkt eines etwaigen künftigen Abänderungsverfahren analog § 80 Abs. 7 VwGO noch als „unverzüglich“ im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB bewertet werden könnte, was ausgehend von der konkreten Chronologie und nicht zuletzt bei Einbeziehung des dem hiesigen Verfahren zuzuordnenden Zeitraums wohl zumindest nicht unproblematisch erscheinen dürfte.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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