IT- und Medienrecht

Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Pkw aufgrund einer unzulässigen Abschaltung der Abgasreinigung

Aktenzeichen  9 O 1368/17

Datum:
10.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154349
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 32
BGB § 31, § 323 Abs. 5 S. 2, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 437 Nr. 2, § 440 S. 1, § 446 S. 1, § 823 Abs. 2
StGB § 263

 

Leitsatz

1 Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung ist unzumutbar, wenn die technische Tauglichkeit der Mangelbeseitigung umstritten ist.  (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Klärung der Frage, ob die Mangelbeseitigung technisch tauglich ist, muss das Gericht ungeachtet eines Antrages des Verkäufers kein Sachverständigengutachten einholen. Die Unzumutbarkeit der Fristsetzung folgt schon aus dem Umstand, dass die technische Tauglichkeit zweifelhaft ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Das Inverkehrbringen eines Fahrzeuges in Kenntnis des Umstands, dass in dem Motor eine Software eingebaut ist, die erkennt, ob sich ein Fahrzeug auf einem Prüfstand oder auf der Straße befindet und die für den letztgenannten Fall die Abgasreinigung verringert, erfüllt den Straftatbestand des § 263 StGB (Anschluss LG Krefeld BeckRS 2017, 117776). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4 Wird gegen ein Unternehmen ein deliktischer Anspruch geltend gemacht, so trägt das Unternehmen bei der Frage der Zurechnung der Haftung nach § 31 BGB die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Entscheidungsstrukturen (Anschluss LG Offenburg BeckRS 2017, 109841). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 24.458,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.12.2015 zu bezahlen, Zugum-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW …, FIN …
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger Schäden, die aus der Manipulation des in Ziff. 1. genannten PKW durch die Beklagte zu 2) resultieren, zu ersetzen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des in Ziffer 1. bezeichneten PKW im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.564,26 € freizustellen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.500,00 € (Klageantrag 1.: 29.500,00 €; Klageantrag 2.: 1.000,00 €) festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist zum überwiegenden Teil begründet und zu einem geringen Teil (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gegen die Beklagte zu 2) und ein Teil der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gegen die Beklagte zu 1)) unbegründet.
A.
Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth ergibt sich für die Beklagte zu 1) daraus, dass diese ihren Sitz im hiesigen Zuständigkeitsbereich hat (§ 17 ZPO) und für die Beklagte zu 2) daraus, dass nach dem Vortrag des Klägers die unerlaubte Handlung (Täuschung des Klägers über das Vorhandensein der Manipulationssoftware durch die Beklagte zu 1) als vorsatzloses Werkzeug der Beklagten zu 2 (s. unten, C.) am Sitz der Beklagten zu 1) begangen wurde (§ 32 ZPO). I.Ü. kam es zum Schadenseintritt im hiesigen Zuständigkeitsbereich, da der Kläger in Altdorf bei Nürnberg wohnt.
B.
Ansprüche gegen die Beklagte zu 1):
I.
Der Kläger ist wirksam vom Vertrag zurückgetreten, so dass ein Rückgewährverhältnis entstanden ist (§§ 323 Abs. 1, 346 Abs. 1, 349, 437 Nr. 2 BGBj.1.
Dem Fahrzeug des Klägers hat bei Übergabe (§ 446 Satz 1 BGB) die (technisch) übliche Beschaffenheit (§ 434 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 BGB) gefehlt. Denn ein Programm, das entgegen gesetzlicher Vorschriften die auf dem Prüfstand erzielte Verringerung von Stickoxiden im Verkehr auf öffentlichen Straßen abschaltet, ist weder bei Fahrzeugen allgemein üblich noch vom Käufer zu erwarten.
Der Rücktritt war auch ohne eine Fristsetzung zur Nacherfüllung (§§ 323 Abs. 1, 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB) wirksam, da eine Fristsetzung dem Kläger unzumutbar war (§ 440 S. 1, 3.Var. BGB, vgl. auch LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.04.2017, Az. 9 O 3631/16 und 9 O 7324/16) bzw. der Sachverhalt die Annahme besonderer Umstände (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB) rechtfertigt.
a) Denn die (technische) Tauglichkeit des Software-Updates ist umstritten. Das betrifft vor allem (etwaige) Schäden am Motor und dessen dauerhafte Haltbarkeit. Diese Gefahren sind durch die Bestätigung des KBA (Anlagen B1Helmecke und H5) nicht ausgeschlossen. Nach den dortigen Angaben sind u.a. die dauernde Haltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen, die unveränderte Leistung des Motors sowie Kraftstoffverbrauchswerte überprüft worden. Damit fehlt aber die für die Käufer der betroffenen Fahrzeuge entscheidende Aussage, dass auf Grund des Updates keine Schäden am Motor auftreten und er für die übliche Dauer halten werde. Auch die Beklagte zu 2) selbst hat in der Pressemitteilung vom 16.12.2015 (Anlage H4) mitgeteilt, es sei das Ziel von …, dass die Maßnahmen keinen nachhaltigen Einfluss auf Verbrauch und Fahrleistung haben würden. Eine Garantie o.ä. hierfür sollte nach dem Wortlaut dieser Pressemitteilung also nicht übernommen werden. Eine verlässliche Erklärung der Herstellerin des Fahrzeugs, das Software-Update werde weder Schäden am Motor auslösen noch dessen Haltbarkeit verkürzen, wurde nicht vorgelegt. Eine Prüfung durch das KBA diesbezüglich erfolgte offenbar auch nicht, die Prüfung des KBA erfolgte nach dem Wortlaut des als Anlagen B1Helmecke und H5 vorgelegten Schreibens im Hinblick darauf, ob die für die betroffenen Fahrzeuge vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet sei, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen. Dass durch das Software-Update eine Mangelbeseitigung erfolgt, ist daher nicht sichergestellt. Würde das Software-Update zu Folgeschäden am Fahrzeug (z.B. Motorschäden, höherer Verbrauch, verminderte Leistung) führen, wären dies keine neuen Sachmängel, sondern die Mangelbeseitigung wäre scheitert, so dass es nicht zu einem neuen Gewährleistungsprogramm inkl. Verjährungsneubeginn käme (vgl. Reinking/Eggert: Der Autokauf, 13. Aufl., Rn. 692a, m.w.N.). Da es für die Käufer nicht absehbar ist, zu welchem Zeitpunkt mögliche Schäden auftreten können (was möglicherweise erst Jahre nach dem Software-Update erfolgt), hätten sie im Fall eines späteren Schadenseintritts keine Möglichkeit mehr, vom Vertrag zurückzutreten. Hinzu kommt, dass nach BGH-Rechtsprechung der Käufer die Darlegungsund Beweislast dafür trägt, dass es sich um das erneute Auftreten des Mangels und nicht um unsachgemäße Behandlung nach erneuter Übernahme durch den Käufer handelt, wenn dies nach vorausgegangener Nachbesserung durch den Verkäufer ungeklärt bleibt (BGH NJW 2011, 1664, m.w.N.). Auch diesbezüglich besteht daher ein ganz erhebliches Kostenrisiko und auch keine Planungssicherheit für den Kläger. Zum Zeitpunkt des Rücktritts (auf den abzustellen ist, vgl. BGH a.a.O.) lagen vorliegend keine verlässlichen Informationen über die Erfolgsaussichten des Software-Updates oder zu möglichen Folgeschäden vor. Das als Anlagen B1Helmecke und H5 vorgelegte Schreiben des KBA wurde erst nach dem Rücktritt erstellt. Hinzu kommt, dass dem Kläger erst – nach Angaben der Beklagten zu 1) – mit Schreiben vom 27.10.2016 das Software-Update konkret angeboten wurde. Ein weiteres Zuwarten war für den Kläger daher zum Zeitpunkt des Rücktritts nicht zumutbar.
b) Soweit die Beklagte beantragt, zur Unschädlichkeit des Software-Updates für den Motor des Klägers ein Gutachten eines Sachverständigen zu erholen sowie Dirk Neumann als sachverständigen Zeugen zu vernehmen, muss der Kläger, der zur weiteren Verwendung seines Fahrzeugs schnelle Gewissheit benötigt, solche sachverständigen Untersuchungen und Erläuterungen erst während eines gerichtlichen Verfahrens weder hinnehmen noch abwarten. Soweit die Beklagte zu 2) das im Rechtsstreit des Amtsgerichts Wolfsburg, Az. 22 H 8/16, eingeholte Sachverständigengutachten vorlegt (Anlage zu Bl. 476 d.A.), liegen die Voraussetzungen für eine Verwertung in diesem Rechtsstreit gemäß § 411a ZPO nicht vor. Es fehlt bereits an der Gleichwertigkeit, insbesondere der Identität der Beweisfrage (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 411a, Rn. 3). Das vorgelegte Gutachten behandelt ein anderes Fahrzeug (… Passat) und lediglich einen Teilaspekt (behaupteter Leistungsverlust nach Software-Update).
3. Der Rücktritt der Klagepartei ist nicht ausgeschlossen (§ 323 Absatz 5 Satz 2 BGB). Das Vorhandensein der – den zuständigen Behörden und den Käufern zum Zeitpunkt des Kaufs unbekannten – streitgegenständlichen Software stellt einen erheblichen Mangel dar. Der von den Beklagten angegebene geringe Arbeitsaufwand und geringe Kosten für das Update können wegen dessen ungewisser Tauglichkeit nicht angesetzt werden. Zu berücksichtigen sind auch die Kosten, die für eine (sachverständige) Prüfung der (angeblich) unschädlichen Auswirkungen des Update auf den Motor und dessen dauernde Haltbarkeit anfallen würden. Der erhebliche Zeitraum der Entwicklung und der Genehmigung des Software-Updates spricht ebenfalls gegen die Unerheblichkeit des Mangels. Bei Arglist des Herstellers (vgl. unten, C.) wäre Unerheblichkeit ebenfalls zu verneinen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 323 BGB, Rn. 32, m.w.N.). Vorliegend ist auch wesentlich zu berücksichtigen, dass es bereits seit dem Jahr 2015 zu einer massiven Medienberichterstattung über die streitgegenständliche Problematik gekommen war, in der Regel mit einem negativen Grundton, wobei auch Begriffe wie „Dieselgate“ oder „Abgasskandal“ benutzt wurden. Bereits aufgrund dieser negativen Berichterstattung war im Zeitpunkt des Rücktritts nicht auszuschließen, dass der Sachmangel einen merkantilen Minderwert verursacht, weil sich der mit dem „Abgasskandal“ verbundene erhebliche Imageverlust des …-Konzerns bei der Preisbildung auf dem Gebrauchtwagenmarkt niederschlägt (vgl. LG Krefeld, NJW-RR 2016, 1397). In der Zwischenzeit kam es sogar zu öffentlich geführten Diskussionen über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in den Innenstädten, die u.a. durch den Einbau der streitgegenständlichen Software durch den …-Konzern ausgelöst wurden. Dass solche Diskussionen und die damit ausgelösten Unsicherheiten bei potentiellen PKW-Käufern zur Wertminderung (merkantiler Minderwert) selbst bei erfolgreicher Mangelbeseitigung durch das Software-Update führen können, liegt auf der Hand.
4. a) Als Rechtsfolge des Rücktritts hat die Beklagte zu 1) den Kaufpreis zurückzuzahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs.
Vom Kaufpreis sind die aus der Nutzung des Fahrzeugs von der Übergabe zum Schluss der mündlichen Verhandlung gezogenen Vorteile gemäß § 346 Abs. 1, Abs. 2 BGB in Höhe von 5.241,70 € abzuziehen. Sie errechnen sich aus der Multiplikation des Bruttokaufpreises und der von der Klagepartei zurückgelegten Fahrstrecke (Differenz zwischen dem mitgeteilten Kilometerstand von 65.243 km und dem anfänglichen Kilometerstand von 14.517 km) geteilt durch die beim Kauf zu erwartende restliche Laufleistung (285.483 km).
b) Vorliegend ist von sekundärer Darlegungslast der Klagepartei hinsichtlich des Kilometerstands zum Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung auszugehen. Die primäre Darlegungs- und Beweislast für den von der Klagepartei zu leistenden Wertersatz (Nutzungsentschädigung) trägt hier die Beklagte zu 1 (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 346 BGB, Rn. 21, m.w.N.). Der Grundsatz der vollen Darlegungslast einer Partei bedarf insbesondere dann einer Einschränkung, wenn diese Partei außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann, während der anderen Partei die erforderliche tatsächliche Aufklärung ohne weiteres möglich und auch zuzumuten ist (vgl. BGH, Urt. v. 19.02.2014, Az. I ZR 230/12). Die Verteilung der Beweislast bleibt jedoch von der Annahme der sekundären Darlegungslast unberührt (BeckOK ZPO/Bacher, § 284 ZPO, Rn. 84, m.w.N.).
c) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Klagepartei ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen, indem sie den zum Zeitpunkt der Mitteilung aktuellen Kilometerstand mitgeteilt und ein Lichtbild, aus dem sich der Kilometerstand ergibt, vorgelegt hat. Die Beklagten haben diesen Kilometerstand nicht bestritten.
Die Nutzungsentschädigung beträgt daher bei anzunehmender Gesamtlaufleistung von 300.000 km und anzunehmender Fahrleistung während der Besitzzeit des Klägers von 50.726 km 5.241,70 €.
II.
Die Beklagte zu 1) befindet sich in Annahmeverzug gemäß § 293 BGB. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 27.04.2016 (Anlage K2) trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und forderte die Beklagte zu 1) zur Rückabwicklung des Kaufvertrags auf. Dieses Schreiben ist als wörtliches Angebot i.S.d. § 295 BGB zu werten. Dieses war ausreichend, da die Beklagte zu 1) das Fahrzeug abzuholen hatte (§ 295 S. 1, 2. Alt. BGB), da der gemeinsame Leistungsort für die Rückgewähransprüche nach dem Rücktritt gemäß §§ 437 Nr. 2, 440 BGB der Ort, an dem sich die Sache vertragsgemäß befindet, ist (Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 269 BGB, Rn. 16, m.w.N.). Dieser gemeinsame Leistungsort ist vorliegend der Wohnsitz des Klägers. Außerdem hat auch die Beklagte zu 1) als Gläubigerin erklärt, sie werde die Sache nicht annehmen (§ 295 S. 1, 1. Alt. BGB). Mit Schreiben vom 23.12.2015 und 08.01.2016 (Anlagen K3 und K10) informierte die Beklagte zu 1) den Kläger, dass der …-Konzern technische Lösungen entwickelt habe (Software-Update) und erklärte ausdrücklich, sie werde das Fahrzeug nicht zurücknehmen. Im Oktober 2016 bot sie dem Kläger Terminvereinbarung zum Aufspielen des Software-Updates an. Zwar erfolgte die Annahmeverweigerung nach dem wörtlichen Angebot des Klägers. Aufgrund des wiederholten Angebots des Software-Updates war aber offenkundig, dass die Beklagte zu 1) auf ihrer Weigerung beharrt. Damit war ein weiteres wörtliches Angebot nicht erforderlich, da es bloße Förmelei wäre (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 295 BGB, Rn. 4, m.w.N.).
III.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte zu 1) ein Freistellungsanspruch hinsichtlich vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe einer 1,5-fachen Geschäftsgebühr zu. Es handelt sich vorliegend um eine überdurchschnittlich schwierige Sache, die eine vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts und Erhöhung der Regelgebühr von 1,3 auf 1,5 rechtfertigt. Zwar steht dem Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 RVG bei Rahmengebühren (wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG VV) ein Ermessensspielraum zu. Eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3 auf 1,5 unteliegt aber – auch innerhalb der Toleranzgrenze von 20% der gerichtlichen Überprüfung darauf hin, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung von 1,3 vorliegen (BGH NJW-RR 2013, 1020). Die Beklagten haben zur Höhe der vorgerichtlichen Anwaltskosten die Auffassung geäußert, vorliegend sei nur die 1,3-fache Regelgebühr gerechtfertigt. Es handle sich um eine Angelegenheit mittleren Umfangs und mittlerer Schwierigkeit, zudem hätten die Prozessbvollmächtigten des Klägers standardisierte Anschreiben versendet. Die Ansetzung einer 1,5-fachen Geschäftsgebühr im vorliegenden Fall wäre gerechtfertigt. Zwar bearbeitet die den Kläger vertretende Rechtsanwaltskanzlei mehrere Fälle, die den Einbau der streitgegenständlichen Software betreffen (dies ist gerichtsbekannt), so dass die dabei entstehenden Synergieeffekte zu berücksichtigen sind. Es ist auch zu berücksichtigen, dass es sich rechtlich „lediglich“ um einen kaufvertraglichen Rückabwicklungsfall handelt. Diese Gründe sprechen gegen eine weitere Erhöhung der Geschäftsgebühr über das 1,5-fache hinaus. Allerdings werden inzwischen zu einigen relevanten Rechtsfragen von diversen Gerichten unterschiedliche Rechtsansichten vertreten. Außerdem handelt es sich um einen auch technisch zu beurteilenden Sachverhalt, wobei diesbezüglich ein Informationsgefälle zwischen der V. AG, den Händlern und den Kunden besteht. Ein Rechtsanwalt muss seiner Sorgfaltspflicht gegenüber seinem Mandanten genügen und sowohl die rechtlichen als auch tatsächlichen Fragen prüfen. Bereits der Umfang der eingereichten Schriftsätze spricht dafür, die Angelegenheit als schwierig einzustufen, so dass die Annahme einer 1,5-fachen Geschäftsgebühr gerechtfertigt ist, zumal die anwaltliche Tätigkeit nicht besonders schwierig oder besonders umfangreich sein muss (vgl. Teubel in: Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., Nr. 2300 VV RVG, Rn. 10). Daraus ergeben sich – ausgehend von dem für das Verhältnis zur Beklagten zu 1) relevanten Gegenstandswert von 29.500,00 € vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.564,26 €.
IV.
Dem Kläger stehen Verzugsszinsen gemäß §§ 286, 288 Abs. 1 BGB ab dem 29.12.2015 zu. Die Beklagte zu 1) hat nämlich mit dem als Anlage K3 vorgelegten Schreiben die Rückabwicklung ernsthaft und endgültig verweigert, so dass eine Mahnung entbehrlich war (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB).
C.
Ansprüche gegen die Beklagte zu 2):
Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 2) ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 2 StGB zu. Weitere Schäden können derzeit nicht ausgeschlossen werden, so dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an entsprechender Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten zu 2) auch hinsichtlich etwaiger weiterer, derzeit nicht bezifferbarer Schäden, hat. Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 2) jedoch kein Anspruch auf den Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Diesbezüglich wurden die Anspruchsvoraussetzungen durch den Kläger nicht dargelegt. Insbesondere hat der Kläger nicht vorgetragen, dass seine Prozessbevollmächtigten gegen die Beklagte zu 2) bereits vorgerichtlich tätig geworden sind, etwaige vorgerichtlichen Anwaltsschreiben mit Zahlungsaufforderungen o.ä., gerichtet an die Beklagte zu 2), wurden nicht vorgelegt.
I.
Die Beklagte zu 2) haftet als mittelbare Täterin (§ 25 Abs. 1 Fall 2 StGB) für den durch die Beklagte zu 1) als vorsatzloses Werkzeug begangenen Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) dem Kläger auf Ersatz der ihm aus dem Kauf des streitgegenständlichen Pkw entstandenen Schäden (§ 823 Abs. 2 BGB). 1.
In das streitgegenständliche Fahrzeug ist ein von der Beklagten zu 2) hergestellter Motor (EA 189) eingebaut worden, der eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist. Dies steht fest auf Grund des Bescheids des KBA vom 14.10.2015, auf den das KBA in seinem als Anlagen H5 und B1Helmecke vorgelegten Schreiben vom 01.06.2016 Bezug nimmt. Zudem stellt ein Programm, das eine auf dem Prüfstand erhöhte Rückführung und Verbrennung von Abgasen (Modus 1) bei Fahrten auf öffentlichen Straßen abschaltet (Modus 0), eine Konstruktion dar, mit der eine wirksame Kontrolle und Einschränkung der im normalen Betrieb zu erwartenden Emissionen (hier: Stickoxide) verhindert wird.
2. Diese Tatsache war zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrags unstreitig weder dem Kläger noch der Beklagten zu 1) bekannt. Die Beklagte zu 2) ist aber verpflichtet gewesen (§ 13 StGB), als Herstellerin des Motors, die das streitgegenständliche Fahrzeug auch in Verkehr gebracht hat, über dessen (technische) Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben sowohl für den Erhalt der Typengenehmigung (Art. 4 Absatz 2 VO/EG 715/2007) das KBA als auch, weil dies unterblieben gewesen ist, die Händler sowie – spätestens zum Zeitpunkt der Bestellung des Fahrzeugs – den jeweiligen Käufer eines Fahrzeugs mit einem solchen (manipulierten) Motor zu unterrichten. Es bestand daher beim Kläger ein von der Beklagten zu 2) durch Verschweigen verursachter Irrtum über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
3. Mangels hinreichend konkreter Darlegungen der Beklagten zu 2) ist davon auszugehen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter (vgl. § 31 BGB) der Beklagten zu 2) die Anordnung traf, die streitgegenständliche Manipulationssoftware in den Motor EA 189 einzubauen und dies geheim zu halten. Genauere Feststellungen diesbezüglich sind aufgrund der Besonderheiten der streitgegenständlichen Problematik nicht erforderlich, genauerer Vortrag hinsichtlich der bei der Beklagten zu 2) verantwortlichen Personen kann von den Käufern, die in der Regel Verbraucher sind und keinerlei Kenntnisse über die Strukturen der Beklagten zu 2) haben, nicht verlangt werden. Vielmehr ist es allein die Beklagte zu 2), die interne Ermittlungen durchführen lässt und Auskunft über die handelnden Personen geben könnte, was sie aber weder im vorliegenden Verfahren noch in anderen, dem Gericht bekannten gleichgelagerten Fällen tut. Ein Hinweis gemäß § 139 ZPO musste diesbezüglich nicht erfolgen, da die Beklagte zu 2) mehrfach geäußert hat, Einzelheiten zu handelnden Personen nicht mitteilen zu wollen. Auch nach Hinweisen anderer Gerichte (vgl. LG Offenburg, Urt. v. 12.05.2017, Az. 6 O 119/166, BeckRS 2017, 109841) erfolgte kein konkretisierender Vortrag diesbezüglich. Die Beklagte zu 2) trägt hinsichtlich ihrer Entscheidungsstrukturen im Hinblick auf die streitgegenständliche Problematik die sekundäre Darlegungslast, insbesondere hinsichtlich des behaupteten Umstands, dass die Entscheidung unterhalb der Vorstandsebene getroffen worden sei (vgl. LG Paderborn, Urt. v. 07.04.2017, Az. 2 O 118/16). Diese Behauptung ist ohne nähere Begründung nicht glaubhaft. Vielmehr spricht bereits eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Entscheidung mit dieser Tragweite (unstreitig sind von der streitgegenständlichen Problematik insgesamt mehr als 10 Millionen Fahrzeuge betroffen) nicht unterhalb der Vorstandsebene getroffen werden konnte. Hinzu kommt, dass angesichts der lange bekannten technischen Problematik, die Euro 5-Norm erfüllen zu müssen, ohne dass es gleichzeitig zu (nachteiligen) Leistungsänderungen oder Motorschäden kommt, für den Vorstand der Beklagten zu 2) ein deutlicher Anlass zu einer genaueren Überprüfung der Abläufe in ihrem eigenen Unternehmen bei der Herstellung der Motoren bestanden hätte, als aus Sicht der für die Motorenentwicklung zuständigen Mitarbeiter die Auflösung dieser technischen Problematik auf einmal gelungen war (vgl. LG Krefeld, Urt. v. 19.07.2017, Az. 7 O 147/16, BeckRS 2017, 117776). Soweit die Beklagte zu 2) sich auf dasBGH-Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15, beruft, ist festzustellen, dass die streitgegenständliche Thematik sich grundsätzlich von der Thematik des zitierten BGH-Urteils unterscheidet. So handelte es sich in diesem BGH-Urteil um einen Fall der Prospekthaftung (§ 826 BGB), wobei es wohl nur ein Vorstandsmitglied der dortigen Beklagten gegeben hat und der BGH den personellen Charakter der Haftung nach § 826 BGB betont. Vorliegend handelt es sich bei der Beklagten zu 2) um einen sehr großen Autokonzern, bei dem die Entscheidungsstrukturen für Außenstehende nicht einsehbar sind, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ i.S.d. § 31 BGB weit zu verstehen ist, so dass es sich nicht zwingend um ein Vorstandsmitglied handeln muss. Es genügt, dass ihm durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und er die juristische Person insoweit repräsentiert (Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 31 BGB, Rn. 6, m.w.N.). Hinzu kommt, dass auch nach BGH-Rechtsprechung die Frage der Wissenszurechnung von Organvertretern der juristischen Personen jedenfalls im Rahmen der Arglist nicht logischstringent, sondern nur in wertender Betrachtung entscheiden (vgl. BGH NJW 1996, 1339, m.w.N.). Daraus folgt, dass bereits aufgrund des bestehenden enormen Informationsgefälles zwischen den Kunden und der Beklagten zu 2) diese jedenfalls im Rahmen der sekundären Darlegungslast die (Zwischen-)Ergebnisse der internen Ermittlungen vorzutragen hat. Für die Beklagte zu 2) dürfte es i.Ü. möglich sein, die Entscheidungsstrukturen hinsichtlich der streitgegenständlichen Problematik so nachvollziehbar darzulegen, ohne einzelne Personen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen, dass die oben geäußerte tatsächliche Vermutung widerlegt wird. Ein solcher Vortrag fehlt jedoch.
4. Der Abschluss des Kaufvertrags und die anschließende Zahlung des Kaufpreises durch den Kläger an die Beklagte zu 1) stellte eine Vermögensverfügung dar, die zur Schadensentstehung führte. Die Beklagte zu 2) handelte in der Absicht, die Beklagte zu 1) als Dritte i.S.d. § 263 StGB zu bereichern. Die unmittelbare Drittbereicherung der insoweit vorsatzlosen Zwischenhändler stellt sich als notwendige Voraussetzung der Erlangung eines eigenen Vermögensvorteils dar, weil ohne diese kein breiter Vertrieb der Fahrzeuge möglich wäre (LG Krefeld, a.a.O.). Die Bereicherungsabsicht bestand jedenfalls hinsichtlich aller mit der Beklagten zu 2) verbundenen Händlern, unabhängig davon, ob es sich um Neu- oder Gebrauchtfahrzeuge handelte. Insbesondere war der Beklagten zu 2) bewusst, dass die von ihr hergestellten Fahrzeuge in der Regel mehrfach durch Händler weiterverkauft werden. Der Kläger hat (nachvollziehbar) vorgetragen, er hätte in Kenntnis der Abschalteinrichtung den Vertrag nicht geschlossen. Selbst wenn die Leistung der Beklagten zu 2) objektiv werthaltig wäre, wäre ein Schaden des Käufers anzunehmen, wenn diese für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht voll brauchbar ist (vgl. LG Krefeld, a.a.O., m.w.N.). Dies ist vorliegend bereits deshalb der Fall, dass durch den Einsatz der Manipulationssoftware und die damit verbundene öffentliche Diskussion ein Weiterverkauf des Fahrzeugs nur unter Inkaufnahme eines nicht unerheblichen Preisnachlasses möglich ist, auch nach möglicher Durchführung des Software-Updates. Die Beklagte zu 2) muss die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis gegen Herausgabe des PKWs erstattet (vgl. LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az. 3 O 139/16). Die Rechtsfolge des Schadensesatzanspruchs entspricht daher der des Rücktritts gemäß § 346 BGB analog (s. oben, B.), wobei der Abzug der Nutzungsentschädigung im Rahmen der Vorteilsanrechnung erfolgt.
Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gegen die Beklagte zu 2) scheitert bereits daran, dass es offenbar kein vorgerichtliches Tätigwerden der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei gegen die Beklagte zu 2) gab.
D.
I.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Teil-Klageabweisung wegen vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten führt zu keiner Änderung der vollen Kostenlast der Beklagten, da die Anwaltskosten als Nebenforderung geltend gemacht wurden und damit den Streitwert nicht erhöht haben (§ 4 Abs. 1 ZPO). Obwohl sich der Feststellungsantrag nur gegen die Beklagte zu 2) richtet, tragen beide Beklagten die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner, da die Regelung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch im Rahmen des § 100 ZPO anzuwenden ist (vgl. Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 38.Aufl., § 100, Rn. 19).
2. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1,2 ZPO.
II.
Der Streitwert war festzusetzen auf 30.500,00 €. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (BGH NJW-RR 2010, 1295; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2016, Az. I-22 U 84/16, BeckRS 2016, 118018; OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 1213).


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