Kosten- und Gebührenrecht

Anordnung der Auslagenerstattung sowie Gegenstandswertfestsetzung nach Erledigterklärung einer Verfassungsbeschwerde

Aktenzeichen  1 BvR 911/22

Datum:
18.5.2022
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2022:rk20220518.1bvr091122
Normen:
§ 14 Abs 1 RVG
§ 37 Abs 2 S 2 RVG
Spruchkörper:
1. Senat 2. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend OLG Celle, 26. April 2022, Az: 5 U 152/21, Verfügung

Tenor

1. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
2. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 12.500 Euro (in Worten: zwölftausendfünfhundert Euro), für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde auf 5.000 Euro (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betraf eine sitzungspolizeiliche Anordnung vom 26. April 2022 in einem Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Celle, mit der es dem Beschwerdeführer als im Termin auftretendem Prozessbevollmächtigtem nicht gestattet wurde, vor Beginn der mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2022 Fotos von den Mitgliedern des Berufungssenats aufzunehmen, die er für eine von ihm beabsichtigte Buchveröffentlichung beziehungsweise sonstige mediale Veröffentlichung zu verwenden beabsichtigt. Nachdem der Vorsitzende des Berufungssenats seine sitzungspolizeiliche Anordnung durch Verfügung vom 9. Mai 2022 aufgehoben hat, hat der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde und seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für erledigt erklärt und beantragt, dem Land Niedersachsen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
II.
2
Über den als Antrag auf Erstattung seiner notwendigen Auslagen auszulegenden Antrag des Beschwerdeführers ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Dabei kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In einem solchen Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, wie wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. März 2004 – 1 BvR 1778/01 -, Rn. 5; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Mai 2016 – 1 BvR 2322/14 -, Rn. 10). Hingegen kommt mit Blick auf die Funktion und die Tragweite verfassungsgerichtlicher Entscheidungen eine summarische Prüfung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde bei einer Entscheidung über die Auslagenerstattung regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. September 2020 – 1 BvR 1977/20 -, Rn. 3).
3
Nach diesen Grundsätzen war die Auslagenerstattung anzuordnen. Mit Aufhebung seiner sitzungspolizeilichen Anordnung vom 26. April 2022 hat der Vorsitzende des Berufungssenats zu erkennen gegeben, dass er die durch den Beschwerdeführer erhobene Rüge einer Verletzung der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) jedenfalls grundsätzlich für berechtigt erachtet. Gründe, die eine abweichende Entscheidung zur Auslagenerstattung rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere steht ihr nicht bereits entgegen, dass die Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. September 2020 – 1 BvR 1977/20 -, Rn. 3).
III.
4
Die Festsetzung des Gegenstandswerts hat gesondert für die Verfahren der einstweiligen Anordnung und der Verfassungsbeschwerde zu erfolgen, wobei der Gegenstandswert des Verfassungsbeschwerdeverfahrens grundsätzlich höher zu bemessen ist als derjenige der einstweiligen Anordnung. Anders liegt es jedoch, wenn das Verfahren der einstweiligen Anordnung die Hauptsache im Wesentlichen ersetzt und vorwegnimmt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Dezember 2021 – 1 BvR 2740/20 -, Rn. 5). So liegt der Fall hier, da der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darauf gerichtet war, vor Beginn der mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2022 Fotos von den Mitgliedern des Berufungssenats aufnehmen zu können, womit der Erlass der begehrten Anordnung einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichgekommen wäre.
5
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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