Kosten- und Gebührenrecht

Erinnerung gegen Festsetzung einer Erledigungsgebühr

Aktenzeichen  9 M 20.2148

Datum:
15.10.2020
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 62
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 2 Abs. 2
VwGO § 151 S. 1, S. 2, § 162, § 165

 

Leitsatz

1. Die Mitwirkung bei der Erledigung im Sinn von Nr. 1002 VV RGV setzt eine besondere, auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung gerichtete Tätigkeit des Bevollmächtigten voraus, die zur Erledigung nicht unwesentlich beigetragen hat. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Bevollmächtigte muss die Erledigung zwar nicht überwiegend oder allein herbeigeführt, sondern lediglich einen nicht ganz unerheblichen oder untauglichen Beitrag dazu geleistet haben. Seine Tätigkeit darf aber nicht hinweggedacht werden können, ohne dass es zu einer streitigen Erledigung des Rechtsstreits gekommen wäre. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 N 18.1501 2020-09-17 Kostenfestsetzungsbeschluss VGHMUENCHEN VGH München

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. September 2020 wird dahingehend abgeändert, dass die von den Antragstellern beantragte 1,0 Erledigungsgebühr in Höhe von 742,00 Euro im Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nicht als zu erstattende notwendige Aufwendung festzusetzen ist.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Erinnerungsverfahren als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die abschließende Kostenfestsetzung wird auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs übertragen.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Festsetzung einer Erledigungsgebühr in einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs.
Im zugrundeliegenden Normenkontrollverfahren gegen eine Veränderungssperre der Antragsgegnerin sowie deren erste Verlängerung erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit nach Aufhebung der streitgegenständlichen Satzungen durch die Antragsgegnerin übereinstimmend für erledigt. Der Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs erging am 16. Juni 2020; die Kosten des Verfahrens wurden darin der Antragsgegnerin auferlegt. Auf den Antrag der Bevollmächtigten der Antragsteller vom 19. Juni 2020 setzte der Urkundsbeamte des Verwaltungsgerichtshofs mit Beschluss vom 17. September 2020 die von der Antragsgegnerin an die Antragsteller im Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu erstattenden notwendigen Aufwendungen auf insgesamt 2.224,85 Euro fest. In diesem Betrag enthalten ist eine 1,0-fache Erledigungsgebühr in Höhe von 742,00 Euro.
Hiergegen richtet sich die Erinnerung der Antragsgegnerin. Die Antragstellervertreterin habe an einer Erledigung in keiner Weise mitgewirkt.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichtshofs half der Erinnerung nicht ab und legte sie dem Gericht zur Entscheidung vor.
II.
Über die Erinnerung entscheidet nach § 165 Satz 2, § 151 Satz 1 VwGO das Gericht des ersten Rechtszuges durch Beschluss; funktionell zuständig ist der Berichterstatter, der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen hatte (vgl. Happ in Eyermann VwGO, 15. Aufl. 2019, § 165 Rn. 7 m.w.N.; Kunze in BeckOK VwGO, Stand 1.7.2020, § 165 Rn. 8a m.w.N.).
Der gemäß § 165 Satz 2 i.V.m. § 151 Satz 1 VwGO statthafte und nach § 151 Satz 2 und 3 i.V.m. §§ 147 bis 149 VwGO auch sonst zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) hat in der Sache Erfolg und führt im Hinblick auf die hier nicht erstattungsfähige Erledigungsgebühr zur Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses.
Gemäß § 2 Abs. 2 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG – VV RVG). Nach Nr. 1002 VV RVG entsteht die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt; das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt. Der innere Grund für diese zur Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) oder Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) hinzutretende Gebühr liegt darin, dass ein Rechtsanwalt, der besondere Mühe darauf verwandt hat, die aus einem Verwaltungsakt folgende Belastung von seinem Mandanten abzuwenden, ohne es auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen zu lassen, im Erfolgsfall dem Mandanten in besonderer Weise genützt hat, weil er ihm die mit einem Prozess verbundene Unsicherheit sowie den Zeit- und Kostenaufwand erspart (vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2017 – 19 C 15.1844 – juris Rn. 13 m.w.N).
Es kann offengelassen werden, ob § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 1002 und 1003 VV RVG im Fall der Erledigung eines Normenkontrollverfahren durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten – wie hier – im Wege der Auslegung oder der Analogie überhaupt zur Anwendung kommen kann (vgl. VGH BW, B.v. 22.3.2018 – 5 S 977/16 – juris). Denn jedenfalls würde eine Mitwirkung bei der Erledigung im Sinn von Nr. 1002 VV RGV eine besondere, auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung gerichtete Tätigkeit des Bevollmächtigten voraussetzen, die zur Erledigung nicht unwesentlich beigetragen hat (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 C 18.1009 – juris Rn. 4; OVG NW, B.v. 15.7.2020 – 4 E 1063/19 – juris Rn. 2 m.w.N.). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.
Der Bevollmächtigte muss die Erledigung zwar nicht überwiegend oder allein herbeigeführt, sondern lediglich einen nicht ganz unerheblichen oder untauglichen Beitrag dazu geleistet haben. Seine Tätigkeit darf aber nicht hinweggedacht werden können, ohne dass es zu einer streitigen Erledigung des Rechtsstreits gekommen wäre. Dabei muss die anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung in einer besonderen Tätigkeit des Bevollmächtigten liegen, die über die bereits mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegoltene Einlegung und Begründung eines Rechtsbehelfs hinausgeht und auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtet ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 C 18.1009 – a.a.O. m.w.N.).
Ein spezifisches, auf die unstreitige Erledigung des Verfahrens gerichtetes Verhalten der Bevollmächtigten der Antragsteller kann danach nicht festgestellt werden. Soweit sich die Bevollmächtigte darauf beruft, dass sie zur Grundstückssituation mit umfangreichen Beweisangeboten dargelegt und die Antragsgegnerin deshalb eingesehen habe, dass sie die Veränderungssperre aufheben müsse, geht ihr damit angesprochener Beitrag nicht über die Begründung des eingelegten Normenkontrollverfahrens und die allgemeine Verfahrensförderung hinaus. Letzteres gilt auch für die bloße Abgabe der Erledigungserklärung, die als Reaktion darauf erfolgte, dass die Antragsgegnerin die angegriffenen Satzungen aufgehoben hat (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.2019 – 1 WDS-KSt 2/19 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 28.5.2020 – 6 C 20.371 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 9.7.2019 – 4 E 472/19 – juris Rn. 4).
Inwieweit die Rechtsschutzversicherung der Antragsgegnerin, wie die Bevollmächtigte der Antragsteller im Erinnerungsverfahren vorträgt, den festgesetzten Erstattungsbetrag bereits in Gänze beglichen hat, weshalb in der Folge ggf. Rückerstattungen zu leisten sind, ist für den Ausgang des Erinnerungsverfahrens nicht von Belang.
Der Senat macht von § 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch und überträgt die erforderliche Anordnung dem Urkundsbeamten (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2014, § 165 Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.5.2015 – 9 M 15.254 – juris Rn. 20 m.w.N.)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG entsprechend). Eine Streitwertfestsetzung ist deshalb entbehrlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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