Kosten- und Gebührenrecht

Keine anderweitige Erledigung durch Ruhen des Verfahrens

Aktenzeichen  6 C 20.2321

Datum:
24.11.2020
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 138
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 63 Abs. 2 S. 1
RVG § 32 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Der endgültige Streitwert darf nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG erst festgesetzt werden, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. ie Anordnung des Ruhens oder eine Aussetzung des Verfahrens führen jedoch grundsätzlich nicht zu einer solchen anderweitigen Erledigung, und zwar auch dann nicht, wenn das Verfahren nach Ablauf von sechs Monaten statistisch als erledigt gilt (Anschluss an VGH Mannheim BeckRS 2012, 49384). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 15.5394 2020-10-05 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

Der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. Oktober 2020 – M 5 K 15.5394 – wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde des ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückgewiesen.

Gründe

I.
Mit ihrer beim Verwaltungsgericht am 1. Dezember 2015 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin insbesondere gegen die Änderung des Geschäftsverteilungsplans des Bundesfinanzhofs zum 1. Januar 2016, mit der sie einem anderen Senat zugewiesen worden ist. Ursprünglich hatte sie allein die Feststellung beantragt, dass der entsprechende Präsidiumsbeschluss vom 24. November 2015 rechtsunwirksam ist. Das Verwaltungsgericht setzte den Streitwert mit Beschluss der Berichterstatterin vom 2. Dezember 2015 vorläufig auf 5.000 € fest. Im weiteren Verfahrensverlauf erweiterte die Klägerin ihre Klage wiederholt, zunächst auf die Feststellung, dass der Geschäftsverteilungsplan des Bundesfinanzhofs für 2016 rechtswidrig zustande gekommen ist und dass das Präsidium des Gerichts verpflichtet ist, vor der endgültigen Beschlussfassung über die Geschäftsverteilung allen Richtern, die nicht Mitglied des Präsidiums sind, Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Später beantragt sie zusätzlich die Feststellung, dass sie durch bestimmte – in 26 Einzelanträgen näher bezeichnete – Verfahrensweisen im Zusammenhang mit ihrer Umsetzung in einen anderen Senat in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt worden ist. Mit Einverständnis der Klägerin und der Beklagten hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. Juni 2017 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Es ist bislang nicht fortgeführt worden.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 26. September 2020 angezeigt, dass sein Mandat nicht mehr besteht, und die Festsetzung des Streitwerts beantragt. Daraufhin hat die Berichterstatterin mit Beschluss vom 5. Oktober 2020 den Streitwert auf 15.000 € festgesetzt.
Der Prozessbevollmächtigte hat hiergegen Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, eine Bewertung der Einzelanträge und damit einen höheren Streitwert zu erreichen. Er meint, allein die ursprünglichen drei Hauptanträge seien mit je 5.000 € erheblich unterbewertet. Angemessen sei vielmehr mit Blick auf den bundesrichterlichen Status der Klägerin und die Folgen der angegriffenen „Zwangsumsetzung“ für deren Ansehen zumindest ein dreifacher Wertansatz. Zudem müsse streitwerterhöhend berücksichtigt werden, dass das Verwaltungsgericht im Verfahrensverlauf eine Nebenentscheidung über ein Befangenheitsgesuch getroffen habe.
Der Beschwerdeführer ist zur Frage gehört worden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine endgültige Streitwertfestsetzung vorliegen.
II.
1. Die Beschwerde des ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus eigenem Recht gegen die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung, über die der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG), ist zulässig (§ 68 Abs. 1 GKG, § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG). Insbesondere handelt es sich bei dem angegriffenen Beschluss vom 5. Oktober 2020 nicht um eine Änderung der vorläufigen Streitwertfestsetzung vom 2. Dezember 2015, die nicht anfechtbar wäre (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG). Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert für das erstinstanzliche Klageverfahren vielmehr nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG endgültig auf 15.000 € festgesetzt, wie die angefügte Rechtsmittelbelehrungzeigt.
2. Die Beschwerde ist nur insoweit begründet, als die gesetzlichen Voraussetzungen für eine endgültige Streitwertfestsetzung bislang nicht vorliegen und der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2020 schon deshalb – also unabhängig von der inhaltlichen Richtigkeit der Wertbemessung – aufzuheben ist.
Dass die Beschwerde auf eine Erhöhung des Streitwerts abzielt, steht der „bloßen“ Aufhebung schon deshalb nicht entgegen, weil das Rechtsmittelgericht die Festsetzung gemäß § 63 Abs. 3 GKG auch von Amts wegen ändern kann. Dagegen ist ihm eine Änderung der vorläufigen Streitwertfestsetzung, wie sie vorliegend alleine in Betracht gekommen wäre, verwehrt.
a) Der endgültige Streitwert darf nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG erst festgesetzt werden, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. Keine dieser Voraussetzungen ist bislang eingetreten.
Eine Entscheidung über den (gesamten) Streitgegenstand hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen. Es hat vielmehr entsprechend dem Antrag der Beteiligten gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 251 Satz 1 ZPO das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Diese Anordnung hat bislang auch zu keiner anderweitigen Erledigung geführt. Anderweitige Erledigung im Sinn von § 63 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GKG liegt vor, wenn das Verfahren auf andere Art und Weise – als durch eine Entscheidung über den Streitgegenstand – prozessual oder zumindest tatsächlich beendet ist, etwa bei einer Klagerücknahme, beiderseitigen Erledigterklärungen oder einem unwiderruflichen Prozessvergleich; denn dann soll das Verfahren auch hinsichtlich der Gerichtskosten abgeschlossen werden können. Die Anordnung des Ruhens oder eine Aussetzung des Verfahrens führen jedoch grundsätzlich nicht zu einer solchen anderweitigen Erledigung (so überzeugend VGH BW, B.v. 2.4.2012 – 11 S 3086/11 – NVwZ-RR, 2012, 702 f. m.w.N.; zum Streitstand etwa OVG LSA, B.v. 18.5.2017 – 3 O 77/17 – NVwZ-RR, 847 Rn. 6), und zwar auch dann nicht, wenn das Verfahren nach Ablauf von sechs Monaten statistisch als erledigt gilt (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 VwG-Statistik, Stand 1.1.2020). Denn dabei geht es allein um die Modalitäten der gerichtsinternen Datenerhebung, nicht aber um eine Verfahrensbeendigung im prozessualen oder kostenrechtlichen Sinn.
b) Von einer anderweitigen Erledigung im Sinn von 63 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GKG kann im Fall des Ruhens oder der Aussetzung des Verfahrens erst dann ausgegangen werden, wenn feststeht, dass das Verfahren nicht mehr fortgeführt werden wird oder jedenfalls nach den konkreten Umständen auf unabsehbare Zeit nicht mit einer Fortsetzung des Rechtsstreits zu rechnen ist (VGH BW, B.v. 2.4.2012 – 11 S 3086/11 – NVwZ-RR, 2012, 703). Dafür ist bis heute nichts ersichtlich. Auslöser für die Ruhensanordnung war der Antrag der Klägerin vom 6. März 2017 auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestags über ihre Petition, mit der die Beklagte veranlasst werden soll, dem im Klageverfahren verfolgten Rechtsschutzziel zu entsprechen. Die Beklagte hat sich dem Aussetzungsantrag zunächst widersetzt, sich dann aber mit Schriftsatz vom 21. Juni 2017 mit dem Ruhen des Verfahrens einverstanden erklärt, bis der Bundesgerichtshof – Dienstgericht des Bundes über ein von der Klägerin im selben Sachzusammenhang beantragtes Prüfungsverfahren (§ 62 Abs. 1 Nr. 4 DRiG) abschließend entscheiden hat. Das zeigt, dass die Klägerin ihr Rechtsschutzziel auf verschiedenen Wegen zu erreichen sucht und das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren nur Nachrang haben soll, keineswegs aber faktisch als beendet angesehen werden kann, solange die Klägerin ihr Ziel nicht auf einem der anderen Wege erreicht hat. Dass sich an dieser Sachlage etwas geändert hat, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Da das erstinstanzliche Klageverfahren aus diesen Gründen prozessual weiterhin anhängig und auch nicht faktisch erledigt ist, kommt eine endgültige Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG derzeit nicht in Betracht. Daran ändert entgegen der Sichtweise der Beschwerde auch § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG nichts. Nach dieser Bestimmung kann zwar der Rechtsanwalt – auch der aus dem Verfahren ausgeschiedene – aus eigenem Recht die Festsetzung des Streitwerts beantragen; denn dieser für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert ist gemäß § 32 Abs. 1 RVG auch für seine Gebühren maßgebend. § 32 Abs. 2 RVG räumt dem Rechtsanwalt aber kein weitergehendes Antrags- oder Beschwerderecht ein als der Partei selbst (vgl. OLG Dresden, B.v. 6.10.2020 – 4 W 678/20 – juris Rn. 3 m.w.N.). Der Rechtsanwalt kann mithin, auch wenn er aus dem Verfahren ausgeschieden und sein Gebührenanspruch fällig geworden ist, ebenso wie die Partei selbst keine endgültige Streitwertfestsetzung erreichen. Es ist ihm zuzumuten, vorerst nach dem vorläufig (unanfechtbar) festgesetzten Streitwert abzurechnen, dessen Änderung er gegebenenfalls beim Verwaltungsgericht beantragen kann.
c) In der Sache sei, auch wenn es darauf nicht entscheidungserheblich ankommt, angemerkt, dass die Streitwertbemessung des Verwaltungsgerichts für sich betrachtet keinen Rechtsfehler zum Nachteil des ehemaligen Bevollmächtigten erkennen lässt.
Dienstrechtliche Umsetzungsstreitigkeiten, wozu auch diejenige der Klägerin zählt, bewertet der Senat in ständiger Spruchpraxis unabhängig vom jeweiligen Statusamt und der Besoldungsgruppe mit dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG von 5.000 € (etwa BayVGH, B.v. 6.7.2017 – 6 ZB 17.40 – juris Rn. 22). Dementsprechend hat er in dem von der Klägerin gegen ihre Umsetzung geführten Eilverfahren, für das der Streitwert grundsätzlich die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Wertes beträgt, 2.500 € festgesetzt (BayVGH, B.v. 26.1.2016 – 6 CE 15.2800 – juris). Besondere ideelle oder nur mittelbar mit der Klage verfolgte Interessen, wie sie der ehemalige Bevollmächtigte anführt, sind für die Wertberechnung irrelevant, ebenso der Aufwand des Verfahrens, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin oder ein besonderes öffentliches Interesse an der Geschäftsverteilung des Bundesfinanzhofs. Insbesondere wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus, dass im Verlauf des Klageverfahrens von der Klägerin Ablehnungsgesuche wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt und vom Verwaltungsgericht verbeschieden worden sind; die mit der Beschwerde angeführte Rechtsprechung der Zivilgerichte betrifft eine andere Fallgestaltung, die in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten durch § 146 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen ist, nämlich die Wertbemessung für ein Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch.
Der Umfang des Rechtsschutzbegehrens führt ebenfalls nicht zu einem höheren Streitwert. Zwar hat die Klägerin im Verfahrensverlauf schriftsätzlich eine Vielzahl von Klageanträgen gestellt, mit denen sie sich nicht allein gegen ihre Umsetzung in einen anderen Senat durch den Präsidiumsbeschluss zur Geschäftsverteilung für 2016 wendet, sondern zudem die Rechtswidrigkeit zahlreicher Verfahrensweisen in mehr oder weniger engem Zusammenhang mit diesem Präsidiumsbeschluss festgestellt haben will. Da diese verschiedenen Streitgegenstände aber ganz überwiegend keinen selbstständigen wirtschaftlichen Wert oder selbstständigen materiellen Gehalt haben, ist der vom Verwaltungsgericht angenommene und im Nichtabhilfebeschluss vom 14. Oktober 2020 überzeugend begründete Wert von 15.000 € auch unter Berücksichtigung von § 39 Abs. 1 GKG ohne weiteres angemessen.
3. Eine Entscheidung über die Kosten und den Streitwert im Beschwerdeverfahren war entbehrlich, weil dieses Verfahren gerichtsgebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§ 68 Abs. 3 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).


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