Kosten- und Gebührenrecht

Keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach abschließender Entscheidung

Aktenzeichen  13 A 17.439

Datum:
7.12.2017
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FlurbG FlurbG § 32
ZPO ZPO § 578
VwGO VwGO § 104 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1 Mit dem Wirksamwerden einer die Instanz abschließenden Entscheidung ist eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 138 Abs. 1 S. 2 FlurbG, § 104 Abs. 3 S. 2 VwGO) nicht mehr möglich. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Einstellungsbeschluss aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen in analoger Anwendung des § 92 Abs. 3 S. 2 VwGO stellt lediglich deklaratorisch die kraft Gesetzes eingetretene Verfahrensbeendigung fest. Eine Wiederaufnahmeklage hiergegen ist mangels rechtskräftiger Entscheidung nicht statthaft. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Erledigungserklärung ist als Prozesshandlung nicht anfechtbar. Ein Widerruf kommt allerdings grundsätzlich in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund (§ 580 ZPO) vorliegt. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verwaltungsstreitverfahren 13 A 13.1854 ist in der Hauptsache erledigt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Für die baren Auslagen des Gerichts wird ein Pauschsatz von 30,- Euro erhoben. Das Verfahren ist gebührenpflichtig.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Nach § 102 Abs. 2 VwGO konnte auch ohne den nicht zur mündlichen Verhandlung erschienenen Kläger und ohne einen Vertreter der Beklagten verhandelt und entschieden werden, da die Ladungen zum Termin einen entsprechenden Hinweis enthalten.
Die Verlegungsgesuche des Klägers waren abzulehnen, da er keine Gründe vorgebracht hat, die eine Aufhebung des Termins rechtfertigen würden. Die mündliche Verhandlung dient der Erörterung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen, so dass diese gerade Anlass für die Durchführung der mündlichen Verhandlung waren und keinesfalls ihre Aufhebung rechtfertigen konnten.
Auch eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, wie nach Schluss der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung mit Telefax vom 7. Dezember 2017, eingegangen um 18.48 Uhr, beantragt, kommt nicht in Betracht. Mit Wirksamwerden einer die Instanz abschließenden Entscheidung ist eine Wiedereröffnung im Sinn von § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO nicht mehr möglich (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 104 Rn. 14; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 116 Rn. 3 jeweils m.w.N.). Vorliegend beantragte der Kläger die Wiedereröffnung, nachdem das Urteil nach Schluss der mündlichen Verhandlung, die ausweislich der Niederschrift von 14.53 bis 15.25 Uhr dauerte, bereits verkündet worden war. Mit der Vollendung der Verkündung ist der Erlass des Urteils jedoch abgeschlossen (Schmidt in Eyermann, a.a.O., § 116 Rn. 5; Kopp/Schenke, a.a.O., § 116 Rn. 3). Ab diesem Zeitpunkt ist das Gericht an die Entscheidung gebunden und die weitere Berücksichtigung von Parteivorbringen bzw. eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung scheiden aus (BVerfG, B.v. 4.8.1992 – 2 BvR 1129/92 – NJW 1993, 51; U.v. 7.12.1982 – 2 BvR 1118/82 – BVerfGE 62, 347 = NJW 1983, 2187; BayVGH, B.v. 2.12.1996 – 19 B 95.629 – BayVBl 1997, 433).
In der Sache bleibt die Klage ohne Erfolg, weil der Kläger keinen Anspruch auf die Fortführung des Verwaltungsstreitverfahren 13 A 13.1854 hat.
Die von ihm ausdrücklich beantragte Wiederaufnahmeklage ist mangels rechtskräftigen Urteils schon nicht statthaft. Auf die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen flurbereinigungsgerichtlichen Verfahrens sind nach § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 153 Abs. 1 VwGO die Vorschriften der §§ 578 ff. ZPO anzuwenden (BVerwG, B.v. 29.8.1986 – 5 B 49.84 – NVwZ 1987, 218). Eine Wiederaufnahmeklage setzt danach ein rechtskräftiges Urteil voraus. Eine Wiederaufnahmeklage ist zulässig gegen formell rechtskräftige Endurteile, einerlei, ob es sich um Prozessurteile oder Sachurteile handelt und in welcher Instanz sie ergangen sind (Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 153 Rn. 5). Die Wiederaufnahme ist weiter zulässig gegen Beschlüsse, die rechtskräftig oder nicht anfechtbar sind, auf einer Sachprüfung beruhen und ein Verfahren abschließen (Meyer-Ladewig/Rudisile a.a.O.). Das gilt insbesondere für sogenannte urteilsvertretende Beschlüsse. So kann ein Wiederaufnahmeantrag gerichtet werden gegen Beschlüsse nach § 93a Abs. 2 S. 1 VwGO über ausgesetzte Verfahren nach Durchführung eines Musterverfahrens, nach § 125 Abs. 2 VwGO über unzulässige Berufungen, nach § 130a VwGO über unbegründete Berufungen, nach § 133 VwGO über die Verwerfung oder Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde oder über die Ablehnung einer Berufungszulassung, nach § 144 Abs. 1 VwGO über die Verwerfung der Revision, außerdem gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse nach § 164 VwGO und gegen Beschlüsse über die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Die Wiederaufnahme ist dagegen nicht zulässig gegen nicht rechtskräftige Urteile und Beschlüsse sowie gegen Beschlüsse, welche die Instanz nicht abschließen.
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 578 ff. ZPO scheidet damit vorliegend aus, weil eine solche nur bei einem durch rechtskräftiges Urteil geschlossenen Verfahren statthaft ist (§ 578 Abs. 1 ZPO), hier jedoch das Verfahren durch einen Einstellungsbeschluss endete (BayVGH, U.v. 26.3.2015 – 13 A 14.1240, 13 A 14.1241 – juris Rn. 28). Der Einstellungsbeschluss aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen in analoger Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO stellt lediglich deklaratorisch die kraft Gesetzes eingetretene Verfahrensbeendigung fest (vgl. BayVGH, U.v. 6.11.2008 – 13 A 08.2579 – juris Rn. 24). Dieser ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO ebenso unanfechtbar wie die nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu treffende Kostenentscheidung (BayVGH, U.v. 6.11.2008, a.a.O., Rn. 22).
Auch eine Anfechtung der Erledigungserklärung als Prozesserklärung ist nicht möglich. Die (Hauptsache-)Erledigungserklärung unterliegt ebenso wie die Klage- oder Rechtsmittelrücknahme oder sonstige Handlungen, die unmittelbar die Einleitung, Führung oder Beendigung des Prozesses betreffen, nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB. Weder das Verwaltungsprozessrecht noch die nach § 173 VwGO sinngemäß anwendbare Zivilprozessordnung (ZPO) enthalten den bürgerlich-rechtlichen Anfechtungsregelungen entsprechende Vorschriften. Auch eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregelungen verbietet sich, weil die Interessenslage im Prozessrechtsverhältnis anders zu bewerten ist als in Rechtsbeziehungen im rein privaten Rechtskreis (BayVGH, U.v. 26.3.2015, a.a.O., Rn. 27 unter Hinweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung: BVerwG, U.v. 21.3.1979 – 6 C 10.78 – BVerwGE 57, 342 = NJW 1980, 135; U.v. 6.12.1996 – 8 C 33.95 – Buchholz 310 § 126 Nr. 3 = NVwZ 1997, 1210; BGH, U.v. 27.5.1981 – IVb ZR 589/80 – BGHZ 80, 389 = NJW 1981, 2193).
Dies bedeutet indessen nicht, dass die Prozessbeteiligten sich an ihren Erklärungen ausnahmslos festhalten lassen müssen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Prozesshandlungen unter bestimmten Umständen widerrufen werden können. Ein Widerruf kommt grundsätzlich in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund im Sinn des § 580 ZPO vorliegt. Denn lässt der Gesetzgeber es nach Maßgabe der §§ 578 ff. ZPO, die nach § 153 VwGO auch im Verwaltungsprozess anwendbar sind, ausdrücklich zu, sich selbst von der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil zu lösen, so entspricht es seinem Regelungswillen, die von ihm gezogenen Konsequenzen unter den in § 580 ZPO genannten Tatbestandsvoraussetzungen auch dann zu ziehen, wenn ein Verfahren anderweitig beendet worden ist (vgl. BayVGH, U.v. 26.3.2015, a.a.O., Rn. 29 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 21.3.1979 a.a.O., und B.v. 26.1.1971 – VII B 82.70 – Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 3). Ein Restitutionsgrund im Sinn von § 580 ZPO ist aber nicht gegeben.
Nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Im Falle einer Restitutionsklage ist die durch die Wiederaufnahme des Verfahrens eintretende Durchbrechung der Rechtskraft (§ 121 VwGO, § 19 EGZPO) nur dann gerechtfertigt, wenn der Wiederaufnahmekläger nur unterlegen ist, weil er im Vorprozess gehindert war, dem Gericht eine Urkunde vorzulegen, die nach Lage der Dinge zu einer ihm günstigeren Entscheidung geführt haben würde. Wird eine Urkunde erst nach der Entscheidung des Tatsachengerichts errichtet, ändert dies nichts daran, dass dessen Entscheidung auf einer vollständigen Tatsachenbasis beruht. Eine Durchbrechung der Rechtskraft ist dann nicht gerechtfertigt (BVerwG, B.v. 7.7.1999 – 8 B 66.99 – NVwZ 1999, 1335).
Die Widerspruchskarte, die der Kläger als „neue“ Urkunde anführt, gibt den Stand der Planbekanntgabe vom 21. März 2016 wieder und wurde am 15. November 2016 ausgedruckt. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Widerspruchskarte überhaupt um eine Urkunde handelt oder nur um die nachrichtliche Wiedergabe von in anderen verbindlichen Urkunden enthaltenen Informationen, ist die Widerspruchskarte erst nach der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2014 erstellt worden. Die Urkunde im Sinn des § 580 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b ZPO muss aber grundsätzlich bereits in dem Zeitpunkt errichtet worden sein, in dem sie die Partei im Vorprozess noch hätte benutzen können (Musielak in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 580 Rn. 21 m.w.N.). Sie hätte also, da sie damals noch nicht existent war, keine günstigere Entscheidung im damaligen Verfahren herbeiführen können (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl. 2017, § 580 Rn. 18 a.E.).
Ein Widerruf kann allerdings auch dann in Betracht kommen, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der das gesamte Recht unter Ein-schluss der Verwaltungsgerichtsordnung beherrscht, unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (BVerwG, U.v. 6.12.1996 a.a.O.; BGH, B.v. 16.5.1991 – III ZB 1/91 – NJW 1991, 2839). Dies kann ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn diese durch Drohung, sittenwidrige Täuschung, unzulässigen Druck oder unzutreffende richterliche Belehrung bzw. Empfehlung u.ä. herbeigeführt wurde (BVerwG, B.v. 9.1.1985 – 6 B 222.84 – Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 6 = NVwZ 1985, 196; BGH, B.v. 26.11.1980 – IVb ZR 592/80 – NJW 1981, 576; BayVGH, U.v. 29.1.2009 – 13 A 08.1688 – RdL 2009, 307; U.v. 6.11.2008 – 13 A 08.2579 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Vorb § 40 Rn. 15). Das Gleiche gilt, wenn eine prozessuale Erklärung offensichtlich irrtümlich oder versehentlich abgegeben wurde (BVerwG, U.v. 6.12.1996 – 8 C 33.95 – Buchholz 310 § 126 VwGO Nr. 3 = NVwZ 1997, 1210).
Anhaltspunkte für eine derartige Behandlung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2014 sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Aus der Niederschrift ergibt sich, dass der Kläger nach dem Hinweis des Vorsitzenden zur Rechtsauffassung des Senats mit der Auffassung des Gerichts einverstanden gewesen ist und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat. Gegen das Protokoll wurden keine Einwände oder ein Protokollberichtigungsantrag erhoben.
Da folglich der Hauptsacheerledigungserklärung des Klägers keine sachwidrigen Umstände zugrunde lagen, scheidet der Widerruf der prozessualen Erklärung vom 22. Oktober 2014 aus. Sie bleibt wirksam und für den Kläger bindend. Das Gericht ist in diesem Fall lediglich gehalten, festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist (BVerwG, B.v. 7.8.1998 – 4 B 75.98 – Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 115 = NVwZ-RR 1999, 407; B.v. 14.10.1988 – 9 CB 52.88 – Buchholz 402.25 § 5 AsylVfG Nr. 6 = NVwZ-RR 1989, 110; BayVGH, U.v. 26.3.2015, a.a.O., juris Rn. 33). Angesichts dessen kommt auch eine nochmalige Überprüfung der Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung nach § 32 Satz 3 FlurbG betreffend Einlageflurstück 1273 verbunden mit einer Beweisaufnahme, wie angeboten, nicht mehr in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 147 Abs. 1 FlurbG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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