Medizinrecht

Abzweigung bei Verletzung der Unterhaltspflicht und Belassung des Selbstbehalts nach Maßgabe der Düsseldorfer Tabelle

Aktenzeichen  L 19 R 287/14

Datum:
15.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 135131
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 31 S. 1, § 48 Abs. 1 S. 1
SGB I § 48
SGG § 183, § 197a

 

Leitsatz

1. Zur Bestimmung der Beträge, die dem im Wege der Abzweigung in Anspruch genommenen Leistungsberechtigten zur Deckung seines angemessenen Unterhalts zu belassen sind, kann der Leistungsträger die Werte und Leitlinien der Düsseldorfer Tabelle zugrunde legen. Denn die Düsseldorfer Tabelle wird – jedenfalls für die Praxis in den alten Bundesländern – als allgemein geeigneter Maßstab für die pauschalierende Berechnung des Selbstbehalts des Leistungsberechtigten akzeptiert; eine darüber hinausgehende Prüfung jedes Einzelfalls würde dem Charakter der Abzweigung als Soforthilfemaßnahme widersprechen (zuletzt BSG Urteil 08.07.2009 – B 11 AL 30/08 R). (Rn. 48)
2. Derjenige, der die Abzweigung begehrt, gehört nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG (BSG Urteil vom 17.03.2009 – B 14 AS 34/07 R). (Rn. 56)

Verfahrensgang

S 3 R 1046/11 2014-03-11 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird Ziff. 2 des Tenors des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.03.2014 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
II. Die Berufung des Beigeladenen wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen mit Ausnahme der nicht erstattungsfähigen Kosten des Beigeladenen im Klageverfahren trägt die Klägerin.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird für das Klageverfahren und für das Berufungsverfahren jeweils auf 8.387,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.03.2014 ist zulässig, aber unbegründet. Auch die Anschlussberufung des Beigeladenen ist unbegründet. Denn die Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es den angefochtenen Bescheid vom 20.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2011 abgeändert, soweit die Beklagte die Abzweigungsentscheidung bereits für den Monat Mai 2011 aufgehoben hat, und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 20.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2011. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Schreiben vom 20.05.2011 um einen Bescheid (Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X) handelt. Zwar war dieses Schreiben nicht mit einer Rechtsmittelbelehrungversehen. Bereits aus dem Wortlaut ist aber eindeutig der Wille der Beklagten zu entnehmen, hinsichtlich der der Klägerin zuvor eingeräumten Rechtsposition, die Empfangsberechtigung des aus der Altersrente des Beigeladenen abgezweigten Betrages, eine verbindliche Regelung zu treffen, nämlich diese Rechtsposition für die Zukunft aufzuheben. Auch ist die Einordnung als Verwaltungsakt zwischen den Beteiligten nicht strittig.
Richtige Klageart ist demnach die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin begehrt die Aufhebung der sie belastenden Entscheidung mit der Folge, dass ihr die zuvor zuerkannte Rechtsposition weiterhin zusteht.
Die Anfechtungsklage ist unbegründet, da die Beklagte befugt war, die der Klägerin zuvor mit Bescheid vom 12.05.2005 zuerkannte Berechtigung, aus der Altersrente des Beigeladenen einen abgezweigten Betrag zu erhalten, für die Zukunft aufzuheben. Auch wenn die Beklagte mit Bescheid vom 20.05.2011 den aufzuhebenden Bescheid vom 12.05.2005 nicht ausdrücklich benannt hat, wird der Regelungswille der Beklagten hinreichend deutlich, den dem Grunde nach zur Abzweigung führenden Bescheid vom 12.05.2005 aufzuheben. Dies ergibt sich aus der Begründung der Aufhebung, der Beigeladene habe seinen Wohnsitz in Deutschland und aus diesem Grunde sei im Rahmen der Abzweigung nunmehr ein höherer Selbstbehalt zu berücksichtigen. Damit verweist die Beklagte darauf, dass die Leistungsvoraussetzungen für die Abzweigungsentscheidung weggefallen sind und diese Entscheidung rechtswidrig geworden ist. Die Voraussetzungen der Abzweigung hatte die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 12.05.2005 geprüft und unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung des Beigeladenen und dessen Wohnsitznahme in der Türkei die Leistungsfähigkeit des Beigeladenen sowie die Abzweigungsberechtigung der Klägerin festgestellt.
Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts bezieht sich die Aufhebung nicht auf den „Bescheid“ vom 17.09.2012. Zwar hat die Beklagte mit diesem „Bescheid“ verfügt, ab dem 01.11.2009 würden wieder monatlich 249,45 € an die Klägerin gezahlt. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X. Denn dieser „Bescheid“ vom 17.09.2012 ist nicht als sog. Zweitbescheid und damit als Verwaltungsakt gem. § 31 Satz 1 SGB X zu qualifizieren, der den (Erst-) Bescheid vom 12.05.2005 ersetzt hat. Zwar deutet das Anerkenntnis im Antragsverfahren S 11 R 865/09 ER eine Sachprüfung an. Auch wird ein Zweitbescheid regelmäßig angenommen, wenn die Behörde nach erfolgter Sachprüfung erneut die gleiche Sachentscheidung trifft. Dagegen wird von einer wiederholenden Verfügung als Realakt ausgegangen, wenn die Behörde ohne erneute Sachprüfung lediglich auf eine bereits getroffene Regelung verweist. Allerdings bestimmt sich die Einordnung als Zweitbescheid (Verwaltungsakt) oder als wiederholende Verfügung unabhängig von einer vorgenommenen Sachprüfung danach, ob die von der Behörde getroffene Maßnahme auf die Herbeiführung einer unmittelbaren Rechtsfolge gerichtet ist (§ 31 Satz 1 SGB X). Ein solcher Regelungswille der Beklagten ergibt sich gerade nicht aus dem „Bescheid“ vom 17.09.2012. Abzustellen ist bei der Auslegung auf §§ 133, 157 BGB, also darauf, wie die Klägerin die Willenserklärung der Beklagten vom 17.09.2012 unter Berücksichtigung der bekannten Begleitumstände vernünftigerweise verstehen durfte. Die Beklagte hat ausgeführt, es würden „wieder“ monatlich 269,45 € gezahlt. Zugleich hat die Beklagte zeitgleich im Antragsverfahren S 11 R 865/09 ER unter dem 22.09.2012 angegeben, sie gehe davon aus, der Beigeladene halte sich „weiterhin“ gewöhnlich in der Türkei auf, und sie werde bezüglich der Abzweigung „nach der bisherigen Verfahrensweise“ handeln. Dies konnte die Klägerin nur so verstehen, dass sich hinsichtlich der erstmaligen Abzweigungsentscheidung vom 12.05.2005 nichts geändert hat und sie weiter den Abzweigungsbetrag nach Maßgabe der Abzweigungsentscheidung vom 12.05.2005 erhält. Bringt die Behörde nur zum Ausdruck, dass sie an ihrer Entscheidung festhält, trifft sie keine (neue oder geänderte) Regelung (KassKomm/ Mutschler SGB X, 2017, § 31 Rn. 16). Im Ergebnis konnte die Klägerin nach den Ausführungen der Beklagten demnach davon ausgehen, dass die Beklagte trotz erneuter Sachprüfung keine erneute Sachentscheidung treffen wollte, sondern auf die bisherige Abzweigungsentscheidung Bezug genommen hat.
Der Bescheid vom 12.05.2005 durfte auch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden. Die Regelung des § 48 Abs. 1Satz 1 SGB X findet Anwendung, wenn und soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Hinsichtlich der wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ist maßgebliche Vergleichsgrundlage derjenige letzte Bescheid, in dem über die nunmehr geänderte Leistungsvoraussetzung entschieden worden ist (Schütze in: von Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 RdNr. 5). Vergleichsgrundlage ist demnach der Bescheid vom 12.05.2005. Denn mit diesem Bescheid wurde über die Voraussetzungen der Abzweigung zugunsten der Klägerin und zwar nach Prüfung der Leistungsfähigkeit des Beigeladenen bzw. dessen Unterhaltsverpflichtung entschieden. Der Regelungsgehalt der nachfolgenden Bescheide, etwa vom 03.03.2006 oder 21.05.2009, bezieht sich jeweils nicht auf eine erneute Regelung der Abzweigung dem Grunde nach. Insoweit liegt auch eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor, da der Beigeladene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland genommen hat. Dies ergibt sich zunächst nicht aus der nach Erlass des Bescheides vom 12.05.2005 am 26.06.2006 erteilten und verlängerten Aufenthaltserlaubnis. Grundsätzlich hat ein Ausländer, der sich nur aufgrund einer befristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufhalten darf, dort nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt (BSG Urteil vom 10. Senat – 10 RKg 18/85, zit. nach juris). Maßgebend sind – unabhängig von der melderechtlichen Wohnsitznahme – die tatsächlichen Umstände des Aufenthaltes. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo die Umstände erkennen lassen, dass er sich an dem Ort nicht nur vorübergehend aufhält (s. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Aus dem Reisepass (Ein- und Ausreisestempel) des Beigeladenen ist zu entnehmen, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Beigeladenen zunächst in der Türkei anzunehmen war (Ein- und Ausreisestempel 04.07.2006 09.10.2007). Danach hat er sich in den Jahren 2008 (01.04.2008 bis 16.09.2008) und 2009 (25.04.2009 bis 14.09.2009) für weniger als sechs Monate in der Türkei aufgehalten. Dies zugrunde gelegt ist von einer Wohnsitznahme im Oktober 2007 (Ausreise aus der Türkei am 09.10.2007) und damit von einer Änderung gegenüber dem Bescheid vom 12.05.2005 in den tatsächlichen Verhältnissen, aber auch in Hinblick auf die Unterhaltsverpflichtung (Höhe des Selbstbehaltes bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit) des Beigeladenen in den rechtlichen Verhältnissen auszugehen. Auch bei einer Wohnsitznahme in Deutschland am 07.10.2005 (Mitteilung der AOK B-Stadt vom 13.01.2006) oder 12.05.2006 (Angaben des Beigeladenen vom 07.03.2011 und 06.05.2011) liegt eine solche Änderung gegenüber dem Bescheid vom 12.05.2005 vor. Dass der Beigeladene sich darüber hinaus auch regelmäßig für längere Zeit in der Türkei aufgehalten hat, ergibt sich aus den Ein- und Ausreisestempeln. Es war daher nicht veranlasst, hierzu den Sohn des Beigeladenen und der Klägerin, K. zu hören. Es kann unterstellt werden, dass sich der Beigeladene – entsprechend der Ein- und Ausreisestempel für die Jahre 2008 und 2009 – für mehr als fünf Monate im Jahr in der Türkei aufgehalten hat. Der andere Sohn B. hat diese Aufenthalte als „jährlichen Urlaub“ bezeichnet.
Diese Änderung in den Verhältnissen ist auch wesentlich, da nunmehr die Voraussetzungen für eine Abzweigung aus der Altersrente des Beigeladenen zu Gunsten der Klägerin nicht mehr erfüllt sind. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Die Abzweigung setzt demnach das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung (hier nach § 1361 Abs. 1 BGB) und deren Verletzung voraus. Soweit es – wie hier – an einem Unterhaltstitel fehlt, hat der Leistungsträger nach den Maßstäben des Zivilrechts die Unterhaltsverpflichtung zu prüfen. Zu diesen Voraussetzungen zählt auch die Unterhaltsfähigkeit. Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1 BGB).
Zur Bestimmung der Beträge, die dem in Anspruch genommenen Leistungsberechtigten zur Deckung seines angemessenen Unterhalts zu belassen sind, konnte die Beklagte die Werte und Leitlinien der Düsseldorfer Tabelle zugrunde legen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nicht etwa auf die Sozialhilfebedürftigkeit im Sinne eines Mindestbehalts abzustellen, der dem Beigeladenen bei einer gesteigerten Unterhaltsverpflichtung zu verbleiben hat. Dies ergibt sich in diesem Sinne nur in den Fallgestaltungen des § 1603 Abs. 2 BGB, nach denen Eltern ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden, und der notwendige Selbstbehalt mit Beträgen zu bemessen ist, die dem sozialhilferechtlichen Bedarf entsprechen oder allenfalls geringfügig darüber hinausgehen (s. BGH Urteil vom 09.01.2008 – XII ZR 170/05, zit. nach juris). Die Beklagte hatte weder die konkrete Lebenssituation, also die individuellen Unterhaltsverhältnisse des Beigeladen, etwa den Sozialhilfegrundbedarf, die Unterkunftskosten z.B. nach dem Mietspiegel, noch den Ansatz einer etwaigen Haushaltsersparnis zu ermitteln. Denn die Düsseldorfer Tabelle wird – jedenfalls für die Praxis in den alten Bundesländern – als allgemein geeigneter Maßstab für die pauschalierende Berechnung des Selbstbehalts des Leistungsberechtigten akzeptiert; eine darüber hinausgehende Prüfung jedes Einzelfalls würde dem Charakter der Abzweigung als Soforthilfemaßnahme widersprechen (BSG Urteil vom 23.10.1985 – 7 RAr 32/84, BSG Urteil vom 13.05.1987 – 7 RAr 13/68, BSG Urteil vom 07.10.2004 – B 11 AL 13/04 R, BSG Urteil 08.07.2009 – B 11 AL 30/08 R, LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 23.02.2012 – L 9 AS 764/11, zit. jew. nach juris). Es ist gerade nicht Aufgabe des Leistungsträgers und der Sozialgerichte, im Rahmen der als Soforthilfe gedachten Abzweigung anstelle der Familiengerichte im Einzelfall den Unterhaltsanspruch bindend zu regeln (BSG Urteil vom 13.05.1987 a.a.O.).
Nach der Düsseldorfer Tabelle ergibt sich, dass der Beigeladene nicht leistungsfähig war, da sein Einkommen in Höhe von 915,80 € den Selbstbehalt (monatlichen Eigenbedarf) gegenüber dem getrennt lebenden Ehegatten in Höhe von 1.050,00 € nicht überstieg (Ziff. B IV. der ab dem 01.01.2011 gültigen Düsseldorfer Tabelle). Er bezog bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (Widerspruchsbescheid vom 31.10.2011) neben der gesetzlichen Altersrente in Höhe von monatlich netto 758,11 € eine Betriebsrente in Höhe von monatlich 157,69 € netto, also insgesamt monatlich netto 915,80 €.
Dies zu Grunde gelegt war die Beklagte nach § 48 Abs. 1Satz 1 SGB X befugt, mit Bescheid vom 20.05.2011 die Abzweigungsentscheidung für die Zukunft aufzuheben. Entgegen der Auffassung des Beigeladenen hat das Sozialgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass aufgrund der Aufhebung für die Zukunft erst ab dem 01.06.2011 die Abzweigung geendet hat und für den Monat Mai 2011 noch der bisher abgezweigte Betrag der Klägerin zustand. „Wirkung für die Zukunft“ bedeutet hier für die Zeit nach der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides (BSG Urteil vom 24.07.1997 – 11 RAr 99/96, zit. nach juris). Bei Rücknahme einer Leistungsbewilligung beginnt die Zukunftswirkung eines Bescheides aber nicht bereits mit dem Tag nach dem Zugang, sondern erst mit dem Beginn des nächsten Leistungszeitraums (BSG Urteil vom 21.10.1999 – B 11 AL 25/99 R, zit. nach juris).
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Hinweis des Beigeladenen auf eine Rücknahmemöglichkeit für die Vergangenheit nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X. Die Anwendung des § 44 SGB X setzt die Rücknahme eines rechtswidrigen und nicht begünstigenden Verwaltungsakts voraus. Die Ausgangsentscheidung vom 12.05.2005 über die Abzweigung war dagegen rechtmäßig und für die Klägerin begünstigend. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X oder § 49 SGB X sind offensichtlich nicht erfüllt.
Auch der Beschluss des Amtsgerichtes (Familiengericht) B-Stadt vom 06.06.2013 steht einer Fortgeltung der Abzweigungsentscheidung für den Mai 2011 nicht entgegen. Zwar hat das F. über die Unterhaltsverpflichtung des Beigeladenen rückwirkend ab Mai 2011 negativ entschieden. Es kann dahinstehen, ob einem abweisenden Beschluss überhaupt Gestaltungswirkung oder eine Tatbestandswirkung zukommt. Jedenfalls hat das F. (Familiengericht) B-Stadt mit Beschluss vom 06.06.2013 zeitlich nach dem Erlass des Widerspruchbescheides vom 31.10.2011 entschieden, so dass der Beschluss von der Beklagten nicht berücksichtigt werden konnte. Für die gerichtliche Überprüfung scheidet ebenfalls eine Bindungswirkung aus, da bei der vorliegenden Anfechtungsklage auch nur auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchbescheides vom 31.10.2011 abzustellen ist. Selbst wenn eine Bindungswirkung bestanden hätte, wäre diese nicht selbstvollziehend gewesen, sondern es hätte ebenfalls einer Aufhebungsentscheidung der Beklagten bedurft, die an den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X („mit Wirkung für die Zukunft“) zu messen ist.
Die Beklagte konnte den Bescheid vom 12.05.2005 auch außerhalb einer zeitlichen Befristung aufheben. Zwar verweist § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf die Regelung des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Daher darf die Behörde einen begünstigenden Dauerverwaltungsakt nur innerhalb eines Jahres, nachdem sie Kenntnis der Tatsachen erlangt hat, die eine rückwirkende Aufhebung rechtfertigen, diesen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X aufheben. Diese zeitliche Einschränkung der Aufhebbarkeit gilt ausschließlich für die – hier nicht gegebene – rückwirkende Aufhebung in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 – 4 SGB X.
Ermessen war von der Beklagten nicht auszuüben. Sind – wie hier – die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfüllt, so ist der Verwaltungsakt zwingend mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Dagegen soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X der Verwaltungsakt rückwirkend vom Zeitpunkt der Verhältnisse aufgehoben werden. „Soll“ bedeutet, dass in atypischen Fällen der Verwaltungsakt allein für die Zukunft aufgehoben werden kann. Nur in diesen Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt, auch dann noch für die Vergangenheit aufzuheben.
Nach alldem sind der angefochtene Bescheid vom 20.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2011 sowie der Gerichtsbescheid vom 11.03.2014, soweit das Sozialgericht in der Hauptsache entschieden hat, nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Derjenige, der die Abzweigung begehrt, gehört nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG (BSG Urteil vom 17.03.2009 – B 14 AS 34/07 R – zit. nach juris). Insbesondere ist er kein Leistungsempfänger iSd § 183 Satz 1 SGG. Denn mit der Abzweigung wird kein eigenständiger, von dem bewilligten Leistungsanspruch zu unterscheidender Sozialleistungsanspruch geschaffen (vgl. BSG Urteil vom 17.03.2009 a.a.O.).
Der Senat konnte die Kostenentscheidung des Sozialgerichts ändern und den Streitwert auch für das Klageverfahren festlegen; das Verbot der reformatio in peius gilt insoweit nicht (BSG Urteil vom 05.10.2006 – B 10 LW 5/05 R, zit. nach juris). Die Klägerin trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO). Das Obsiegen war jeweils nur geringfügig. Der Beigeladene trägt keine Kosten (§ 197a Abs. 2 Satz 2 SGG). Aufgrund der Antragstellung des Beigeladenen im Berufungsverfahren erfolgt die Kostenentscheidung zugunsten des Beigeladenen nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 52 Abs. 1 und 3, § 42 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen ist der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Insoweit ist ausgehend vom Klagebegehren, weiterhin monatlich einen Betrag von 232,98 € zu erhalten, für beide Instanzen jeweils ein Streitwert in Höhe von 8.387,00 € festzusetzen.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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