Medizinrecht

Angelegenheiten nach dem SGB II

Aktenzeichen  S 40 AS 1532/17 ER

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II SGB II § 32, § 59
SGB III SGB III § 309

 

Leitsatz

1 Im Rahmen der Überprüfung eines Sanktionsbescheids wegen des Versäumnisses einer Meldeterminsaufforderung ist der Bescheid, mit dem der erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Meldung aufgefordert wird, inzident zu überprüfen (Anschluss an BayLSG BeckRS 2016, 74861). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Meldezweck für eine Meldeterminsaufforderung wird nicht dadurch rechtswidrig, dass ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter darin gebeten wurde, die durch einen Eingliederungsverwaltungsakt geforderten Nachweise vorzulegen. Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Meldetermins die Geltungsdauer des Eingliederungsverwaltungsakts schon abgelaufen ist.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für Leistungsbezieher ohne Erwerbstätigkeit ist es zumutbar, Arzttermine, die nicht unaufschiebbar sind, zu verschieben, wenn rechtzeitig ein Termin beim Arbeitsvermittler angesetzt wird. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4 In einer Rechtsfolgenbelehrung muss nicht über die Regelung des § 309 Abs. 3 S. 2 SGB III belehrt werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 30.6.2017 gegen den Sanktionsbescheid vom 21.6.2017 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt B. wird abgelehnt.

Gründe

I.
Streitig ist ein Sanktionsbescheid über eine Minderung in Höhe von 10% des Regelbedarfs wegen Nichterscheinens zum Meldetermin am 8.5.2017.
Der 1959 geborene Antragsteller bezieht laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner.
Mit Eingliederungsverwaltungsakt vom 24.10.2016 war der Antragsteller u.a. verpflichtet worden, monatlich fünf Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen, die durch Vorlage einer Liste der Eigenbemühungen und des Schriftverkehrs mit dem Arbeitgeber zu belegen seien. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Eingliederungsverwaltungsakt wurde mit Beschluss vom 06.12.2016 abgelehnt (S 40 AS 2580/16 ER); die Beschwerde dagegen wurde mit Beschluss des BayLSG vom 12.01.2017 zurückgewiesen (L 7 AS 913/16 B ER). Der Widerspruch gegen den Eingliederungsverwaltungsakt wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2016 zurückgewiesen. Dies ist Gegenstand des Verfahrens S 40 AS 2812/16.
In der Folgezeit bestand zwischen dem Antragsteller und seiner Arbeitsvermittlerin Uneinigkeit darüber, in welcher Form die im Eingliederungsverwaltungsakt geforderten Nachweise vorzulegen waren. Der Antragsteller verlangte u.a. mit Emails vom 02.11.2016 und 13.12.2016 die Vorlage in einem persönlichen Termin, während die Arbeitsvermittlerin ihn auf die Vorlage per Email oder ausgedruckt per Post bzw. durch Abgabe an der Infothek verwies. Die geforderten Nachweise wurden vom Antragsteller nicht in der erbetenen Form erbracht, was zu mehreren Sanktionen führte (Sanktionsbescheid vom 02.02.2017 über 30 vH des Regelbedarfs, Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt mit Beschluss vom 07.032015, S 40 AS 328/17 ER; Sanktionsbescheid vom 13.03.2017 über 60 vH des Regelbedarfs, aufschiebende Wirkung angeordnet durch Beschluss vom 07.04.2017, S 40 AS 690/17 ER; und Sanktionsbescheid vom 08.05.2017 über den vollständigen Wegfall der Leistungen, aufschiebende Wirkung angeordnet, soweit die Minderung 30 vH des Regebedarfs übersteigt, mit Beschluss vom 31.05.2017, S 40 AS 1142/17 ER). Auch in den ER-Verfahren hatte der Antragsteller geltend gemacht, er werde die geforderten Nachweise in einem persönlichen Termin vorlegen.
Mit Schreiben vom 26.4.2017 wurde der Antragsteller für Montag den 8.5.2017 um 10:00 Uhr zu einem Termin beim Antragsgegner eingeladen, um die aktuelle berufliche Situation zu besprechen. Er wurde gebeten ausgedruckte Nachweise der Eigenbemühungen einschließlich des ausgedruckten Schriftverkehrs mit den Arbeitgebern der letzten sechs Monate (November 2016 bis einschließlich April 2017) mitzubringen. Für den Krankheitsfall wurde darauf hingewiesen, dass eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nicht zwingend bedeute, dass er nicht in der Lage sei, einen Meldetermin wahrzunehmen. Sollte er den der genannten Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen können, solle er bitte eine Bescheinigung des behandelnden Arztes vorlegen, aus der hervorgehe, dass er aus gesundheitlichen Gründen gehindert sei, den Termin wahrzunehmen. Wenn er ohne wichtigen Grund dieser Einladung nicht Folge leiste, werde das Arbeitslosengeld II um 10% des für ihn maßgebenden Regelbedarfs für die Dauer von drei Monaten gemindert.
Die Rechtsfolgenbelehrung wies erneut darauf hin, dass eine Verletzung der Meldepflicht nach § 59 SGB II vorliege, wenn er der Aufforderung zur persönlichen Meldung nicht nachkomme. Bei einer Verletzung der Meldepflicht werde das Arbeitslosengeld II um 10% des maßgebenden Regelbedarfs gemindert. Hingewiesen wurde auch auf die Tatsache, dass Minderung und Wegfall drei Monate dauern und mit dem Kalendermonat nach Zustellung des entsprechenden Bescheides über die Sanktionen beginnen. Während dieser Zeit bestehe kein Anspruch auf ergänzende Hilfen nach dem SGB XII. Durch Verletzung der oben genannten Pflichten könnten sich Überschneidungen der Sanktionszeiträume ergeben, Minderungen wegen Meldepflichtverletzungen treten zu Minderungen nach § 31 SGB II hinzu. Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30% des Regelbedarfs können auf Antrag ergänzende Sachleistungen erbracht werden.
Zur Termin am 8.5.2017 ist der Antragsteller nicht erschienen, laut dem vom Antragsgegner vorgelegten Vermerk vom 8.5.2017 lag damals keine Erklärung des Antragstellers dazu vor; eine Bescheinigung wurde auch bis zum 11.5.2017 nicht vorgelegt. Eine Rückmeldung auf das Einladungsschreiben befindet sich nicht in den Akten. Mit Schreiben vom 11.5.2017 wurde der Antragsteller daraufhin zum möglichen Eintritt einer Sanktion angehört. Mit Schreiben vom 29.5.2017 gab der Antragsteller an, er hätte einen Arzttermin gehabt, wie er dem Antragsgegner im Vorfeld mit Antwortschreiben schon mitgeteilt habe. Zugleich beantragte er die Gewährung eines Gutscheins. Er legte eine Anwesenheitsbescheinigung seines Arztes vor, wonach er am 8.5.2017 von 10:30 Uhr bis 10:45 Uhr in der Praxis gewesen sei.
Mit Bescheid vom 21.6.2017 wurde daraufhin eine Minderung des Arbeitslosengeldes II des Antragstellers für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 um 10% des Regelbedarfs (40,90 € monatlich) festgestellt. Er sei trotz schriftlicher Belehrung zu Meldetermin am 08.05.2017 ohne wichtigen Grund nicht erschienen. Die Mitteilung, einen Arzttermin gehabt zu haben, könne nicht als wichtiger Grund anerkannt werden. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 30.6.2017 Widerspruch ein.
Am 03.07.2017 wandte er sich an das Sozialgericht München mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Er habe den Meldetermin am 08.05.2017 aufgrund eines unaufschiebbaren Arzttermins nicht wahrnehmen können, dazu wurde erneut die Anwesenheitsbescheinigung des Arztes vorgelegt. Die Rechtsfolgenbelehrung der Meldeaufforderung vom 26.4.2017 entspreche nicht den strengen Anforderungen des Bundessozialgerichts. Unter Nummer 3 heiße es „Zustellung“ des Sanktionsbescheides, es sei völlig unklar und nicht verständlich, welche Rechtsfolge denn im Falle des bloßen Zugangs gelten sollte. Es sei ein Umkehrschluss dahingehend möglich, dass bei Nicht-Zustellung eines Sanktionsbescheides gerade keine Rechtsfolge eintrete. Darüber hinaus müsse die Rechtsfolgenbelehrung den Hinweis erhalten, dass der Meldepflicht auch nachgekommen werde, wenn sich der Adressat zu einer anderen Tageszeit als im Meldeschreiben vorgegeben, aber noch am selben Tag beim Jobcenter melde und der Meldezweck noch erreicht werden könne. Die Meldeaufforderung sei auch deshalb rechtswidrig, weil der Antragsteller verpflichtet werde, den Schriftverkehr der Eigenbemühungen vorzulegen. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II könne man jedoch nur zum Erscheinen verpflichtet werden. Mit der Nennung einer vermeintlichen Pflicht sei daher die gesamte Meldeaufforderung hinfällig. Die Pflicht zur Vorlage des Schriftverkehrs der Eigenbemühungen könne auch nicht aus dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 24.10.2016 abgeleitet werden, da dieser nur bis zum 23.04.2017 gültig sei. Die Meldeaufforderung sei auch insoweit rechtswidrig, als sie keine Ermessensentscheidung erkennen lasse. Eine Nachholung der Ermessensentscheidung komme nicht in Betracht, da ein Ermessensnichtgebrauch vorliege.
Der Antragsteller beantragt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 30.6.2017 gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 21.6.2017 Der Antragsgegner beantragt den Antrag abzulehnen Die Einladung habe eine vollständige und rechtmäßige Rechtsfolgenbelehrung enthalten. Eine Anwesenheitsbescheinigung, aus der nicht einmal klar hervorgehe, ob der Antragsteller überhaupt von einem Arzt untersucht wurde, reiche nicht als wichtiger Grund.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Akten des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag führt in der Sache nicht zum Erfolg.
Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag des Antragstellers ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG statthaft, denn der Bescheid vom 21.06.2017 ist ein Verwaltungsakt, der nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) zur persönlichen Meldung beim Antragsgegner auffordert und damit gemäß § 39 Nr. 3 SGB II sofort vollziehbar ist.
Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind private Interessen des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt (st. Rspr. des BayLSG, vgl. zuletzt Beschluss vom 01.08.2016 – L 7 AS 415/16 B ER). Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (BayLSG ebd.). Bei der Interessenabwägung ist neben der Erfolgsaussichten in der Hauptsache von besonderer Bedeutung, ob eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vorliegt.
Ausgehend davon war die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen. Aufgrund der Höhe der Sanktion von 10 vH, die neben eine laufende Sanktion von 30 vH tritt (Bescheid vom 08.05.2017 und Beschluss des Sozialgerichts München vom 31.05.2017, S 40 AS 1142/17 ER) besteht keine besondere Dringlichkeit. Es bestehen auch keine ernsthaften Zweifel daran, dass der Antragsteller den Sanktionstatbestand des § 32 SGB II erfüllt hat.
§ 32 Abs. 1 SGB II bestimmt: Kommen Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nach, mindert sich das Arbeitslosengeld II oder das Sozialgeld jeweils um 10% des für sie nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs (Satz 1). Dies gilt nicht, wenn Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen (Satz 2).
1. Die inzident zu prüfende (vgl. BayLSG, Urteil vom 14.09.201 – L 16 AS 373/16) Meldeaufforderung vom 26.04.2017 war nach summarischer Prüfung insbesondere hinsichtlich des mit ihr verfolgten Meldezwecks und der erforderlichen Ermessensausübung rechtmäßig. Sie war zudem hinreichend konkret, da sie Ort, Tag und Uhrzeit sowie den Zweck nannte.
a) Der Meldeaufforderung lag ein rechtmäßiger Meldezweck zugrunde, der dort zutreffend benannt wurde. Dass eine rechtmäßige Meldeaufforderung einen Meldezweck voraussetzt, folgt aus § 59 SGB II, der ua die Vorschrift über die allgemeine Meldepflicht in § 309 SGB III für entsprechend anwendbar erklärt. Nach dessen Absatz 2 kann die Aufforderung zur Meldung „zum Zwecke der 1. Berufsberatung, 2. Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit, 3. Vorbereitung aktiver Arbeitsförderungsleistungen, 4. Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren und 5. Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch erfolgen“. Diese Aufzählung der Meldezwecke ist abschließend und orientiert sich an den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zur aktiven Arbeitsförderung in §§ 29 ff SGB III (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R mwN). Die Besprechung der aktuellen beruflichen Situation, stellt zweifellos einen zulässigen Meldezweck dar.
Der Meldezweck wird entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten auch nicht dadurch rechtswidrig, dass der Antragsteller gebeten wurde, die laut Eingliederungsverwaltungsakt vom 24.10.2016 geforderten Nachweise vorzulegen. Zum einen wurden nur Nachweise von November 2016 bis April 2017 erbeten, zu deren Vorlage der Antragsteller aus dem trotz Widerspruch wirksamen (§ 39 Nr. 1 SGB II; Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt, vgl. S 40 AS 2580/16 ER und L 7 AS 913/16 B ER) Eingliederungsverwaltungsakt vom 24.10.2016 verpflichtet war. Der Hinweis darauf, dass die Geltungsdauer das Eingliederungsverwaltungsakts abgelaufen war, geht fehl. Denn der Zeitablauf ändert nichts an den bereits entstandenen Verpflichtungen für die Geltungsdauer des Eingliederungsverwaltungsakts; umgekehrt könnten sonst beispielsweise auch die Kostenerstattungsansprüche gegen den Beklagten nicht mehr geltend gemacht werden. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da es sich lediglich um eine Bitte und keine verpflichtende Aufforderung handelte. Durch den Hinweis auf S. 2 der Einladung oben war auch klar, dass ein Sanktion lediglich bei Nichterscheinen drohte und nicht für den Fall, dass die erbetenen Unterlagen nicht vorgelegt werden. Eine Verpflichtung zur Vorlage der Unterlagen ergab sich daher allenfalls aus dem Eingliederungsverwaltungsakt, jedoch weder nach dem Wortlaut („Bitte bringen Sie….“) noch den nachfolgenden Hinweise der Meldeaufforderung. Deren Rechtmäßigkeit der Meldeaufforderung wird also durch die Bitte um die Vorlage der Unterlagen nicht berührt.
b) Die Einladung war auch nicht ermessensfehlerhaft (vgl. dazu BSG Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 19/14 R und BayLSG, Urteil vom 14.09.201 – L 16 AS 373/16). Allein dadurch, dass eine Einladung ausgesprochen wurde und ein Zweck bestimmt wurde, hat die Sachbearbeiterin Ermessen ausgeübt (auch das BayLSG, aaO, verlangt keine gesonderte Ermessensentscheidung). Dafür, dass dies fehlerhaft war, bestehen keine Anhaltspunkte; insbesondere vor dem Hintergrund, dass die letzte persönliche Vorsprache am 21.10.2016 stattfand und der Antragsteller mehrfach einen Termin zur Vorlage der Unterlagen begehrt hatte.
2. Nach summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Antragsteller zum Termin am 08.05.2017 nicht erschienen ist, ohne dafür einen wichtigen Grund im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II glaubhaft gemacht zu haben.
Der Antragsteller hat vorgetragen, er habe am 08.05.2017 einen unaufschiebbaren Arzttermin gehabt. Vorgelegt wurde aber nur eine Anwesenheitsbescheinigung, wonach der Antragsteller bei einem Arzt in der Zeit von 10:30 bis 10:45 behandelt wurde. Dass es sich um einen Termin gehandelt hat und v.a. dass dieser unaufschiebbar war, geht aus der Bescheinigung nicht hervor. Bereits im Beschluss vom 31.05.2017 (S 40 AS 1142/17 ER; Punkt 1 a) cc) hatte das Gericht auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Trotzdem wurde nun keine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorgelegt. Im Einzelnen werden Anlass und Dringlichkeit des Arztbesuchs am 08.05.2017 im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Für das ER-Verfahren ist durch die vorgelegte Bescheinigung ein wichtiger Grund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Insoweit weist das Gericht erneut darauf hin, dass es für Leistungsbezieher ohne Erwerbstätigkeit zur Überzeugung des Gerichts zumutbar ist, Arzttermine, die nicht unaufschiebbar sind, zu verschieben, wenn rechtzeitig ein Termin beim Arbeitsvermittler angesetzt wird.
3. Der Antragsteller war in der Meldeaufforderung vom 10.04.2017 auch ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen eines Meldeversäumnisses belehrt worden.
Eine Rechtsfolgenbelehrung ist dann ausreichend, wenn sie konkret, richtig, vollständig und zeitnah im Zusammenhang mit dem jeweils geforderten Verhalten erfolgt und dem Leistungsberechtigten in verständlicher Form erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der Weigerung des geforderten Verhaltens für ihn ergeben, wenn für diese kein wichtiger Grund vorliegt. Es ist darauf hinzuweisen, dass bei Fehlen eines wichtigen Grundes jedes Meldeversäumnis zu einer Minderung von 10% des maßgebenden Regelbedarfs führt und kumulative Pflichtverletzungen in Überschneidungsmonaten addiert werden (vgl. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013 § 32 Rdnr. 18 und 19 m.w.N.). Das war hier zur Überzeugung des Gerichts der Fall.
Das Gericht teilt nicht die Ansicht des SG Leipzig (Beschluss vom 09.09.2016 – S 22 AS 2098/16 ER), dass in der Rechtsfolgenbelehrung auch über die (über § 59 SGB II anwendbare) Regelung des § 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III belehrt werden muss. Zu der Frage, was unter „Rechtsfolgen“ iSv § 32 SGB II fällt, und ob dazu auch die Regelung des § 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III gehört, gibt es außer der zitierten Entscheidung praktisch keine Aussagen in Rechtsprechung oder Literatur (Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 32 Rn. 35.1 zitiert das SG Leipzig ohne die Entscheidung zu kommentieren); die Kommentare stellen im Wesentlichen darauf ab, dass die „(Rechts-)Folgen“ (Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 32 Rn. 34; Berlit in LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 32 Rn. 89) bzw. „Auswirkungen“ des Verhaltens (vgl. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013 § 32 Rdnr. 18) erläutert werden müssen.
Ausgehend davon sieht das Gericht hier keine unzutreffende Rechtsfolgenbelehrung: Bereits dem Wortlaut nach umfasst „Rechtsfolgen“ nicht einzelne Modalitäten der Erfüllung des Sanktionstatbestands; so wird ja auch nicht darüber belehrt, was relevante Meldezwecke oder wichtige Gründe sind. Auch der Zweck der Rechtsfolgenbelehrung erfordert dies nicht. Die Rechtsfolgenbelehrung hat angesichts der erheblichen Relevanz von Sanktionen v.a. eine Warnfunktion. Diese wird erfüllt, wenn klar ist, auf welches Verhalten welche Folgen drohen. Würde man die Rechtsfolgenbelehrung mit allerlei Details zu Einzelfragen der Tatbestandserfüllung überfrachten, wäre sie ggf. auch nicht mehr verständlich. Zu bedenken ist hier insbesondere, dass § 309 Abs. 3 Satz 2 SB III nur greift, wenn der Meldezweck noch erfüllt werden kann. Diese Frage ist nicht kurz zu erklären oder einfach zu beurteilen, sondern nur konkret nach den Umständen des Einzelfalls. Zur Überzeugung des Gerichts wäre daher allenfalls ein Hinweis erforderlich gewesen, wenn der Antragsteller vor dem Termin mitgeteilt hätte, dass er zur fraglichen Uhrzeit aufgrund eines anderen Termins nicht erscheinen kann. Eine entsprechende Mitteilung hat er zwar behauptet, in den Akten ist dies aber nicht dokumentiert; diese Frage bleibt ggf. im Hauptsacheverfahren zu klären.
Da in den Akten keine Stellungname des Antragstellers vor dem Termin dokumentiert ist, erübrigt sich auch die Frage, ob der Antragsgegner verpflichtet gewesen wäre, noch vor dem Termin mitzuteilen, ob der vorgetragene Entschuldigungsgrund ausreicht und anerkannt wird (vgl. dazu Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 32 Rn. 38 mwN).
Die Rechtsfolgenbelehrung ist zur Überzeugung des Gerichts auch nicht deshalb fehlerhaft, weil darin nur auf die „Zustellung“ des Bescheids Bezug genommen wird und nicht auf Zugang durch einfache Übersendung. Abgesehen davon, dass einem durchschnittlichen Leistungsempfänger, auf dessen Horizont im Rahmen der Auslegung ja abzustellen ist, der Unterschied zwischen Zustellung und Zugang nicht unbedingt bekannt sein dürfte, schadet diese Formulierung nicht. Denn zum relevanten Zeitpunkt, zu dem der Antragsteller entscheiden musste, ob er der Einladung Folge leistet oder nicht, zu dem also die Warnfunktion relevant wird, stand ja noch nicht fest, ob ein Sanktionsbescheid zugestellt oder einfach versandt wird. Allein die Hoffnung, dass ggf. eine Zustellung nicht erfolgen und damit keine Sanktion eintreten wird, macht eine Rechtsfolgenbelehrung nicht falsch, denn darauf kann sich ein Leistungsberechtigter keinesfalls verlassen. Die Warnfunktion wird durch die rein technische Frage, auf welche Art ein Sanktionsbescheid später übermittelt wird, also nicht berührt (es wäre im Übrigen noch eine Zustellung möglich). Insofern sind die Bedenken des LSG Hessen (Beschluss vom 03.12.2013 – L 9 AS 614/13 B ER) nicht nachvollziehbar. Die Entscheidung des HessVGH vom 08.12.1977 (V OE 10/77) die das LSG Hessen zitiert, führt insoweit nicht weiter, denn sie steht in einem völlig anderen Zusammenhang, da es um den Lauf der Rechtsmittelfrist geht, also um eine Frage, bei der Zugang bzw. Zustellung unmittelbar relevant werden.
4. Beginn und Dauer der Minderung wurden gemäß § 32 Abs. 2 i.V.m. § 31 b Abs. 1 SGB II zutreffend festgestellt. Demnach tritt die Minderung mit Beginn des Kalendermonates ein, der auf das Wirksamwerden des Sanktionsbescheides vom 21.06.2017 folgt, hier also mit Juli 2017. Der Minderungszeitraum wurde mit 3 Monaten zutreffend bestimmt (§ 31 b Abs. 1 Satz 3 SGB II). Die Feststellung der Minderung erfolgte auch innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung (§ 31 b Abs. 1 Satz 5 SGB II).
Zwar sind einzelne Fragen noch im Hauptsacheverfahren zu klären, im Rahmen der im ER-Verfahren möglichen summarischen Prüfung bestehen jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheids vom 21.06.2017, so dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
III.
Aufgrund der Erfolglosigkeit des Antrags in der Hauptsache war Prozesskostenhilfe gemäß § 73a SGG iVm §§ 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung abzulehnen.


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