Medizinrecht

Beihilfe zu Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung eines gesetzlich versicherten Angehörigen des Beamten

Aktenzeichen  AN 18 K 18.00706

Datum:
6.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19438
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBhV § 6, § 8 Abs. 4, § 9 Abs. 1 S. 1, § 15a
GOZ § 1 Abs. 2 S. 2, § 2 Abs. 3, § 4 Abs. 2, Anl. 1 Nr. 2197, 6100
SGB V § 2 Abs. 2, § 29

 

Leitsatz

1. Der Beihilfeanspruch eines Beamten wird nicht dadurch gem. § 8 Abs. 4 BBhV ausgeschlossen, dass der beilhilfeberechtigte minderjährige Angehörige des Beamten, der im Rahmen einer Familienversicherung des Ehegatten gesetzlich krankenversichert ist, anlässlich einer kieferorthopädischen Behandlung Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse in Anspruch nimmt, wenn der Beihilfeberechtigte hinsichtlich einer bestimmten Aufwendung (hier: Ziff. 2197 GOZ) keine Sach- und Dienstleistung iSv § 2 Abs. 2 SGB V erhält. (Rn. 37 und 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine bestehende oder fehlende Kostenübernahme für eine bestimmte Behandlung durch die gesetzliche Krankenkasse hat keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen. Die Frage der medizinischen Notwendigkeit einer der Aufwendung zugrunde liegenden Behandlung iSd § 6 BBhV ist vielmehr allein nach den Vorgaben der BBhV zu beurteilen (hier bejaht für adhäsive Befestigung von Brackets). (Rn. 41 und 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer Eingliederung eines Klebebrackets mittels Adhäsivtechnik sind neben Aufwendungen für Leistungen nach Ziff. 6100 auch Aufwendungen für Leistungen nach Ziff. 2197 GOZ beihilfefähig (Anschluss an VGH München BeckRS 2016, 47521; OVG Münster BeckRS 2018, 32154; entgegen OVG Bautzen BeckRS 2018, 31782). (Rn. 43 – 53) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.    Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 30. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 15. März 2018 verpflichtet, dem Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe von 116,96 EUR zu gewähren. 
2.    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3.    Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Der Klageantrag im klägerischen Schriftsatz vom 12. April 2018 ist nach sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) so zu verstehen, dass lediglich hinsichtlich der GOZ-Ziffer 2197 eine weitere Beihilfeleistung beantragt ist, denn hinsichtlich der im Klageantrag noch genannten GOZ-Ziffer 2000 wurde die beantragte Beihilfeleistung bereits mit Bescheid vom 6. Februar 2018 gewährt. Außerdem wurde dem diesbezüglichen Widerspruch des Klägers im Widerspruchsbescheid vom 15. März 2018 ausdrücklich stattgegeben. Überdies bezieht sich der weitere Vortrag sowohl von Klägerseite als auch seitens der Beklagten ausschließlich auf GOZ-Ziffer 2197.
A. Die zulässige, insbesondere auch fristgerecht erhobene, Klage ist unbegründet.
Die Ablehnung der beantragten Beihilfeleistung mit Beihilfebescheid der Beklagten vom 30. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 116,96 EUR für die in Rechnung gestellte GOZ-Ziffer 2197 in der Rechnung der Zahnärztin Dr. … vom 6. Januar 2017 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Erstattungsfähigkeit geltend gemachter Aufwendungen richtet sich in beihilferechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe beantragt wird (vgl. BVerwG, U. v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – juris) und damit nach der BBhV in der Fassung vom 25. Oktober 2016 und der GOZ in der Fassung vom 5. Dezember 2011.
Der Kläger ist als Beamter der Beklagten beihilfeberechtigt, § 2 BBhV. Die am … geborene Tochter des Klägers ist mit einem Bemessungssatz von 80% berücksichtigungsfähig, § 4 Abs. 2 Satz 1, § 46 Abs. 2 Nr. 4 BBhV.
Beihilfefähig sind grundsätzlich nur notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen, § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 BBhV, die auch nicht nach § 8 BBhV von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sind. § 15 a BBhV normiert darüber hinaus hinsichtlich Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung, dass bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet sein darf, § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBhV, und dass die Festsetzungsstelle den Aufwendungen vor Beginn der Behandlung auf Grundlage eines vorgelegten Heil- und Kostenplanes zugestimmt haben muss, § 15a Abs. 1 Satz 2 BBhV.
I. Die Tochter des Klägers hatte bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBhV.
II. Ebenso reichte der Kläger mit Schreiben vom 4. Mai 2015 einen seine Tochter betreffenden kieferorthopädischen Heil- und Kostenplan der behandelnden Zahnärztin vom 13. April 2015 ein, woraufhin die Festsetzungsstelle dem Kläger mit Bescheid vom 11. Mai 2015 mitteilte, dass mit der kieferorthopädischen Behandlung seiner Tochter grundsätzlich Einverständnis bestehe.
III. Der Beihilfeanspruch ist insbesondere nicht aufgrund der Regelung des § 8 Abs. 4 Satz 1 und 2 BBhV ausgeschlossen. Danach sind erbrachte Sach- und Dienstleistungen nach § 2 Abs. 2 SGB V nicht beihilfefähig, wobei als Sach- und Dienstleistungen auch die Kostenerstattung bei kieferorthopädischer Behandlung und bei Pflichtversicherten nach § 5 SGB V einschließlich der familienversicherten Personen nach § 10 SGB V auch die Kostenerstattung nach § 13 SGB V gilt. Zwar ist die Tochter des Klägers mit ihrer pflichtversicherten Mutter in der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert. Die kieferorthopädische Behandlung wird hier auch primär über die gesetzliche Krankenversicherung abgerechnet. Bei gesetzlich Krankenversicherten leisten diese zu der kieferorthopädischen Behandlung einen Anteil von 20% der Kosten an den Vertragszahnarzt, § 29 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Bezüglich der restlichen 80% rechnet der Vertragszahnarzt die kieferorthopädische Leistung mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab, § 29 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Wenn die Behandlung in dem durch den Behandlungsplan bestimmten medizinisch erforderlichen Umfang abgeschlossen ist, zahlt die Kasse den von den Versicherten geleisteten Anteil von 20% an diese zurück, § 29 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Diese 20% zunächst zu tragender Eigenanteil sind nicht Klagegegenstand. Es geht hier vielmehr um die Erstattung von Aufwendungen hinsichtlich der GOZ-Ziffer 2197 in der privatärztlichen Rechnung der behandelnden Zahnärztin vom 6. Januar 2017, zu welchen die gesetzliche Krankenversicherung gerade keine Leistungen gewährt hat.
Die von der Beklagten vorgetragene Argumentation, wonach der Beihilfeanspruch ausgeschlossen sei, weil die familienversicherte Tochter des Klägers Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse in Anspruch genommen habe, was bedeute, dass die kassenärztliche Versorgung einer Pflichtversicherten in ihrer Gesamtheit unter den Begriff der Sach- und Dienstleistungen falle und somit die Beihilfefähigkeit gemäß § 8 Abs. 4 BBhV ausgeschlossen sei, geht fehl.
Richtig ist, dass erbrachte Sach- und Dienstleistungen nicht beihilfefähig sind, denn nach § 8 Abs. 4 Satz 1und 2 BBhV soll die mehrfache Erstattung von Leistungen verhindert werden. Die in Rede stehende Aufwendung für die GOZ-Ziffer 2197 wird von diesen Ausschlusstatbeständen jedoch gerade nicht erfasst. Die Tochter des Klägers hat diesbezüglich gerade keine Sach- und Dienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB V erhalten. Dem Prinzip der Sach- und Dienstleistung entspricht es, dass der Versicherte die notwendige ärztliche bzw. zahnärztliche Leistung als Naturalleistung erhält, ohne unmittelbar eine Gegenleistung erbringen zu müssen (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 19.12.2013 – 9 K 200/12 – juris Rn. 22 – mit weiteren Nachweisen). Im vorliegenden Fall hat der Kläger die mit GOZ-Ziffer 2197 abgerechnete Leistung (adhäsive Befestigung von Brackets) zu 100% selbst bezahlt. Diese Vorgehensweise entspricht der Kostenerstattung im Sinne von § 13 SGB V als Alternative zum Sach- und Dienstleistungsprinzip. Zwar wird die Kostenerstattung der Sach- und Dienstleistung gleichgestellt, § 8 Abs. 4 Satz 2 BBhV. Doch gilt auch hier, dass die Kostenerstattung erbracht worden sein muss, was vorliegend nicht gegeben ist. Somit entkräftet bereits der Wortlaut des § 8 Abs. 4 Satz 1 und 2 BBhV das Argument der Beklagten, mit der Wahl der Abrechnung über die gesetzliche Krankenkasse sei der Beihilfeanspruch für die kieferorthopädischen Leistungen in ihrer Gesamtheit ausgeschlossen. Auch das Subsidiaritätsprinzip der Beihilfe spricht gegen die von der Beklagten dargelegte Auffassung des generellen Ausschlusses. Das Subsidiaritätsprinzip der Beihilfe (vgl. hierzu: OVG NRW, B.v. 20.2.2015 – 1 A 1091/12 – juris Rn. 14) besagt, dass ein Beihilfeberechtigter, der aufgrund anderweitiger Vorschriften beanspruchen kann, dass ein krankheitsbedingter Bedarf durch Sach- und Dienstleistungen vollständig gedeckt wird, nicht wegen eines Verzichts auf diese Leistungen im System der Beihilfe besser gestellt werden soll. Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor, denn der Kläger kann gerade von der gesetzlichen Krankenversicherung die in Rechnung gestellte GOZ-Ziffer 2197 nicht vergütet erhalten. Im Übrigen normiert § 8 Abs. 4 Satz 2 BBhV nur die Gleichstellung des Abrechnungsverfahrens der Kostenerstattung mit jenem der Sach- und Dienstleistung, d. h. wählt der Beihilfeberechtigte die Kostenerstattung, verauslagt er zunächst die Kosten seiner Behandlung und bekommt diese in der Regel in vollem Umfang von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. Da in diesem Fall dem Beihilfeberechtigten keine Aufwendungen entstehen und dieser Sachverhalt mit dem Erhalt der Sach- und Dienstleistung vergleichbar ist, soll er auch keinen Beihilfeanspruch erwerben. Die Vorschrift enthält allerdings keine Regelung, wie bei bloß anteiliger oder fehlender Erstattung zu verfahren ist. Dann gilt die Anrechnungsregelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 BBhV. Eine anstelle einer Sachleistung gewährte Geldleistung wird als zustehende Leistung nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Satz 1 BBhV angerechnet, Ziffer 8.4.1 Satz 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Bundesbeihilfeverordnung (BBhVVwV).
Nach alledem sind die Beihilfeleistungen nicht aufgrund der gewählten Abrechnung über die gesetzliche Krankenkasse ausgeschlossen.
IV. Die streitgegenständlichen Aufwendungen sind auch notwendig. Die Notwendigkeit von Aufwendungen für Untersuchungen und Behandlungen setzt grundsätzlich voraus, dass diese nach einer wissenschaftlich anerkannten Methode vorgenommen werden. Als nicht notwendig gelten in der Regel Untersuchungen und Behandlungen, soweit sie in der Anlage 1 ausgeschlossen sind, § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 BBhV. Ein solcher Ausschluss ist nicht gegeben.
Die adhäsive Befestigung von Brackets ist notwendig, denn diese Behandlung wurde nach einer wissenschaftlich anerkannten Methode vorgenommen. Selbst die Beklagte stellt mehrmals, unter anderem mit Hinweis auf die Stellungnahme des PKV-Verbandes zur Nebeneinanderberechnung der GOZ-Nrn. 2197 und 6100 vom 16. März 2017 heraus, dass die adhäsive Befestigung von Brackets medizinischer Standard sei. Danach sei die adhäsive Befestigung von Brackets alternativlos. Sie existiere als einzige angewandte Befestigungsmethode. Insbesondere Glasionomerzemente hätten sich in ihrer praktischen Anwendung wegen zu geringer Adhäsionskraft als ungeeignet erwiesen (vgl. S. 5 der Stellungnahme).
Auch die fehlende Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung führt nicht zur Verneinung der Notwendigkeit im Sinne der BBhV. Die Beklagte führt aus, dass gesetzlich Versicherte Anspruch auf zuzahlungsfreie Behandlung hätten. Folglich würde zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung die gesamte kieferorthopädische Behandlung im medizinisch notwendigem Umfang gehören mit der Konsequenz, dass in der Folge Mehraufwendungen, die entstünden, weil eine Versorgung gewählt werde, die über die zahnmedizinisch notwendige und wirtschaftlich angemessene Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehe, nicht als beihilfefähig anerkannt würden. Es sei nicht denkbar, dass die Befestigung von Klebebrackets nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst wäre. Die Beklagte verkennt mit dieser Argumentation aber, dass die Systemunterschiede zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und Beihilfe unterschiedliche Regelungen rechtfertigen, was ständiger Rechtsprechung entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.2005 – 2 C 35/04, Rn. 33 ff. – juris). Die bestehende oder fehlende Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse hat keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen. Vielmehr ist die Frage der medizinischen Notwendigkeit nach den Vorgaben der BBhV zu beurteilen, was nach oben Gesagtem zur Bejahung der medizinischen Notwendigkeit führt.
V. Die Aufwendungen sind überdies wirtschaftlich angemessen, § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 3 BBhV. Die GOZ-Ziffer 2197 ist neben der GOZ-Ziffer 6100 bei der adhäsiven Befestigung von Brackets abrechenbar.
Während die Beklagte zunächst noch ausführt, dass die GOZ-Ziffer 2197 neben der GOZ-Ziffer 6100 abgerechnet werden dürfe, jedoch nicht beihilfefähig sei, da sie über die medizinisch notwendige Versorgung hinausgeht (z. B. Schreiben vom 3. August 2017 und Widerspruchsbescheid vom 15. März 2018), wendet sie sich später (z. B. Klageerwiderung vom 14. Mai 2018) gegen eine nebeneinander bestehende Abrechnungsmöglichkeit und zitiert insbesondere aus der bereits erwähnten Stellungnahme des PKV-Verbandes, in welcher sich der Verband insbesondere auch gegen die Argumentation des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in seinem Urteil vom 6. Juni 2016 (vgl. BayVGH, U.v. 6.6.2016 – 14 BV 15.527 – juris) wendet.
Bei der Behandlung durch Ärzte beurteilt sich gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV die Angemessenheit der Honorarforderung ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der maßgebenden ärztlichen Gebührenordnung, hier der GOZ. Die Beihilfevorschriften verzichten auf eine eigenständige Konkretisierung des Begriffs. Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen knüpft somit an den Leistungsanspruch des Zahnarztes an und setzt grundsätzlich voraus, dass dieser seine Leistungen bei zutreffender Auslegung der Gebührenordnung in Rechnung gestellt hat (vgl. BVerwG, U.v. 30.5.1996 – 2 C 10.95 – juris). Ob der Zahnarzt seine Forderung zu Recht geltend macht, ist eine zivilrechtliche, der Beihilfegewährung vorgreifliche Rechtsfrage. Für die Frage der Angemessenheit der Aufwendungen ist die Auslegung des ärztlichen Gebührenrechts durch die Zivilgerichte maßgebend (stRspr., vgl. BVerwG, B.v. 5.1.2011 – 2 B 55.10 – juris). Bezüglich der hier in Rede stehenden Abrechnung der GOZ-Gebührenziffer 2197 in der Rechnung vom 6. Januar 2017 ist hinsichtlich der Verfahrensbeteiligten keine zivilrechtliche Entscheidung ergangen. Ebenso fehlt es an der grundsätzlichen Klärung der Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof. Die Beklagte hatte daher selbständig zu entscheiden, ob die Angemessenheit gegeben ist. Diese behördliche Entscheidung ist voll justiziabel (vgl. BayVGH, a.a.O. – juris Rn. 19 ff.)
Die wirtschaftliche Angemessenheit der Aufwendung liegt vor. Die Abrechnung der GOZ-Ziffer 2197 neben der GOZ-Ziffer 6100 entspricht dem Gebührenrahmen der GOZ. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ kann der Zahnarzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr dann nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. § 4 Abs. 2 Satz 4 GOZ besagt, dass eine Leistung methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung ist, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung (Zielleistung) umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt ist. Weder der Wortlaut der GOZ-Ziffer 2197 noch der Wortlaut der GOZ-Ziffer 6100 ist in dieser Hinsicht eindeutig, so dass die maßgebenden Vorschriften auszulegen sind. Das Gericht kommt, auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V. zur Nebeneinanderberechnung der GOZ-Nrn. 2197 und 6100 vom 16. März 2017, zu dem Ergebnis, dass die adhäsive Befestigung von Brackets von der nach GOZ-Ziffer 6100 erbrachten Leistung nicht umfasst und auch nicht in deren Bewertung berücksichtigt ist. Sie ist eine selbständige zahnärztliche Leistung und kann somit gesondert in Rechnung gestellt werden.
Nach ihrem Wortlaut beinhaltet die GOZ-Ziffer 6100 als Leistung die „Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel“. Zwar wird der Begriff „Klebebracket“ verwendet. Es sind dennoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass mit „Eingliederung“ begriffsnotwendig auch das adhäsive Befestigen der Klebebrackets gemeint ist. Mit welcher Befestigungsmethode die Eingliederung erfolgt, bleibt letztlich offen. So stehen grundsätzlich mit dem Zementieren, Kleben und adhäsiven Befestigen mehrere Methoden zur Verfügung. Zwar ist die adhäsive Befestigung, wie bereits ausgeführt, heute das Standardverfahren zur Befestigung der Brackets, jedoch bleibt die Eingliederung mittels anderer Methoden möglich (vgl. BayVGH, a.a.O, Rn. 30 m.w.N.).
Auch der Wortlaut der GOZ-Ziffer 2197 ist nicht eindeutig und bedarf der Auslegung. Die erst zum 1. Januar 2012 eingeführte Gebührenziffer erfasst kein Behandlungsziel, sondern eine bestimmte Befestigungstechnik (das adhäsive Befestigen), welche einen Mehraufwand mit sich bringt (Abgeltung des intraoral erforderlichen Mehraufwandes gegenüber anderen Befestigungsmethoden). Beispielhaft wird aufgeführt, wann die adhäsive Befestigung zum Einsatz kommen kann („etc.“). Es handelt sich nicht um eine abschließende Aufzählung, so dass auch die adhäsive Befestigung von Brackets darunter subsumiert werden kann. Auch wenn das adhäsive Befestigen von Brackets Standard ist, so war es dies bereits bei Einführung der GOZ-Ziffer 2197, wie sich der Stellungnahme des PKV-Verbandes auf Seite 1 entnehmen lässt. Hätte der Verordnungsgeber gewollt, dass die GOZ-Ziffer 2197 bei der adhäsiven Befestigung von Brackets neben der GOZ-Ziffer 6100 nicht abgerechnet werden darf, hätte er dies so normiert.
Auch der Vergleich mit anderen Gebührenziffern der GOZ (z. B. GOZ-Ziffern 2060, 2080, 2100, 2120) zeigt, dass es Gebührenziffern gibt, wo der Verordnungsgeber ausdrücklich in der Leistungsbeschreibung die „Ausführung in Adhäsivtechnik“ aufgeführt hat und somit klar geregelt hat, dass diese zum Leistungsinhalt gehört und daher nicht nochmal über die GOZ-Ziffer 2197 abgerechnet werden darf. Dies wurde bei der GOZ-Ziffer 6100 aber gerade nicht so gehandhabt. Das ausdrückliche Erwähnen der Adhäsivtechnik in zahlreichen Ziffern der GOZ widerlegt schließlich auch das Argument der Beklagten, Kleben und adhäsive Befestigung seien Synonyme.
Letztlich spricht auch der Vergleich der in der GOZ vorgesehenen Punktzahlen (und damit der Vergütung) für eine Nebeneinanderberechnung der beiden Gebührenziffern 2197 und 6100. Während die GOZ-Ziffer 2197 mit 130 Punkten bewertet ist, ist die GOZ-Ziffer 6100 mit 165 Punkten bewertet. Würde man die adhäsive Befestigung als von der mit der GOZ-Ziffer 6100 abgerechneten Leistung umfasst sehen, blieben lediglich 35 Punkte für sämtliche sonstigen Leistungen wie z. B. Materialkosten, das Positionieren, die Überschussentfernung, was sich als nicht wirtschaftlich erweist. Wenn die Beklagte ausführt, dass nicht jede Einzelleistung in der GOZ betriebswirtschaftlich zutreffend kalkuliert sei, sondern dass diese im Gesamtkontext zu betrachten sei, überzeugt dieser Vortrag nicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die einschlägigen Gebührenziffern den Aufwand des Zahnarztes auch abgelten sollen. Mit der GOZ-Ziffer 2197 wird der höhere Aufwand der adhäsiven Befestigung abgegolten, welche erreicht wird durch die physikalisch-chemische Vorbereitung der Kontaktflächen und die Anwendung des Adhäsivsystems im Munde des Patienten.
Somit ist die GOZ-Ziffer 2197 neben der GOZ-Ziffer 6100 bei der adhäsiven Befestigung von Brackets abrechenbar (vgl. hierzu ausführlich: BayVGH, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Zum selben Ergebnis kommt auch das Oberverwaltungsgericht Münster (vgl. OVG Münster, U.v. 23.11.2018 – 1 A 1044/17 – juris) und wohl auch die überwiegende zivilrechtliche Rechtsprechung (vgl. BayVGH, U.v. 6.6.2016 – 14 BV 15.527 – juris Rn. 22 ff. mit weiteren Nachweisen). Der Verweis der Beklagten auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bautzen vom 24. August 2018 führt nicht zu einer anderen Bewertung durch das Gericht, denn das Obervewaltungsgericht Bautzen hat in seiner Entscheidung, wonach das Verwaltungsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben habe, letztlich nur auf eine Regelung in der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen zum Vollzug der Sächsischen Beihilfeverordnung (VwV-SächsBhVO) abgestellt, wonach die Leistung nach GOZ-Ziff. 2197 neben der Ziffer 6100 für eine adhäsive Befestigung von Brackets nicht beihilfefähig sei. Eine weitergehende Argumentation ist nicht erfolgt (vgl. OVG Bautzen, U.v. 24.8.2018 – 2 A 887/16 – juris Rn. 21). Das Oberverwaltungsgericht Münster hat dagegen in seinem Urteil vom 23. November 2018 (vgl. OVG Münster, U.v. 23.11.2018 – 1 A 1044/17 – juris Rn. 24 ff.) entschieden, dass ein Runderlass des Finanzministeriums (des Landes Nordrhein-Westfalen), wonach die Abrechnung der beiden Ziffern nebeneinander nicht möglich sei, einen Beihilfeanspruch nicht ausschließt. Letztlich gibt es bezüglich der BBhV keine vergleichbare Regelung, wonach die Leistung nach GOZ-Ziffer 2197 neben der GOZ-Ziffer 6100 für eine adhäsive Befestigung von Brackets nicht beihilfefähig sei, so dass hier nicht entschieden werden muss, ob ein solcher Ausschluss für die Gerichte bindend ist.
Eine fehlende wirtschaftliche Angemessenheit folgt auch nicht aus § 6 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 GOZ, § 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ. Demnach gelten Aufwendungen aufgrund einer Vereinbarung nach § 2 Abs. 3 GOZ als nicht wirtschaftlich angemessen. Es liegt jedoch keine Vereinbarung nach § 2 Abs. 3 GOZ, § 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ vor, denn es handelt sich, wie bereits ausgeführt, hier gerade nicht um eine Verlangensleistung, d.h. eine Leistung, die über das Maß der medizinisch notwendigen zahnärztlichen Versorgung hinausgeht. Die adhäsive Befestigung ist vielmehr medizinischer Standard.
Auch § 6 Abs. 3 Satz 2 BBhV i.V.m. Satz 2 bis 4 der allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts G der Anlage zur GOZ führt nicht zur fehlenden wirtschaftlichen Angemessenheit der Aufwendungen. Als nicht wirtschaftlich angemessen gelten demnach Aufwendungen aufgrund einer Vereinbarung nach Satz 2 bis 4 der allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts G der Anlage zur GOZ. Gemäß Satz 1 des Abschnitts G der Anlage zur GOZ beinhalten die Leistungen nach den Nummern 6100 (…) auch die Material- und Laborkosten für Standardmaterialien wie zum Beispiel unprogrammierte Edelstahlbrackets, unprogrammierte Attachments und Edelstahlbänder. Werden darüber hinausgehende Materialien verwendet, können die Mehrkosten für diese Materialien gesondert berechnet werden, wenn dies vor der Verwendung mit dem Zahlungspflichtigen nach persönlicher Absprache schriftlich vereinbart wurde (Satz 2 des Abschnitts G der Anlage zur GOZ). Zwar wurden hinsichtlich der Tochter des Klägers wohl keine Standardmaterialien hinsichtlich der Brackets verwendet, doch umfasst der Ausschluss der Beihilfefähigkeit von erhöhten Material- und Laborkosten für andere Materialien gerade keinen Ausschluss hinsichtlich von Mehraufwendungen für die adhäsive Befestigung der Brackets. Die Aufwendungen für die adhäsive Befestigung der Brackets fallen unabhängig von dem verwendeten Material der Spange an.
B. Nach alledem ist der Klage vollumfänglich stattzugeben. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben