Medizinrecht

Erkennt das Gesundheitsamt ein für einen Minderjährigen, der in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut wird, vorgelegtes ärztliches Zeugnis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG, durch das eine medizinische Kontraindikation gegen eine Masernimpfung nachgewiesen werden soll, nicht an, so besteht zwischen dem Minderjährigen und dem Gesundheitsamt kein streitiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Da die Vorlagepflicht für ein entsprechendes Zeugnis gemäß § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG die Personensorgeberechtigten trifft, kann auch nur zwischen ihnen und der Behörde ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bestehen. Ein von den personensorgeberechtigten Eltern für den Minderjährigen gestellter Antrag nach § 123 VwGO auf vorläufige Feststellung, dass das vorliegende Attest ausreichend sei, ist daher unzulässig.

Aktenzeichen  RO 5 E 21.1637

Datum:
25.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24524
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, im Rahmen derer vorläufig festgestellt werden soll, dass ein Bescheid des Landratsamts S., mit dem die Vorlage eines ausreichend begründeten ärztlichen Attests zur Begründung einer medizinischen Kontraindikation gegen die Masernimpfung bis zum 28.7.2021 verlangt wurde, rechtswidrig gewesen sei. Darüber hinaus begehrt sie den Erlass einer weiteren einstweiligen Anordnung, mit der vorläufig festgestellt werden soll, dass ein dem Gesundheitsamt des Landratsamts S. bereits vorliegendes ärztliches Zeugnis, welches eine medizinische Kontraindikation gegen die Masernschutzimpfung bestätigt, den gesetzlichen Vorgaben entspreche.
Die am …2020 geborene Antragstellerin legte dem Landratsamt S. – Gesundheitsamt – am 10.5.2021 ein “Ärztliches Zeugnis gemäß Infektionsschutzgesetz § 20 Abs. 6 und § 20 Abs. 8 Satz 4 über eine Freistellung von der im Pflicht und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe” vom 23.6.2020 vor. Ausweislich des von Dr. med. … (Privatärztliche Praxen …*) ausgestellten ärztlichen Zeugnisses wurde die Antragstellerin heute – also am 23.6.2020 – von der Unterzeichnerin eingehend untersucht. Die Risiko-Nutzen-Abwägung am heutigen Tage habe ergeben, dass o.g. Patient/-in ohne Gefahr für seine/ihre Gesundheit oder sein/ihr Leben nicht geimpft werden könne und aufgrund medizinischer Kontraindikation von der Impfpflicht freizustellen sei. Die Freistellung von Impfung gelte aufgrund medizinischer Kontraindikation für o.g. Person ab sofort und zeitlich unbegrenzt für jede Art von Impfstoff.
Am 14.7.2021 erging ein Bescheid des Gesundheitsamtes, der an die “Personensorgeberechtigten” der Antragstellerin adressiert war. Ein Zustellungsnachweis findet sich in den Akten des Landratsamts nicht. Das vorliegende Zeugnis vom 23.6.2020 könne nicht als gültiger Nachweis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) akzeptiert werden. Die Häufigkeit der vom unterzeichnenden Arzt ausgestellten Atteste übertreffe um ein Vielfaches die Zahl der statistisch zu erwartenden Erkrankungen/Dispositionen, die eine Impfkontraindikation rechtfertigen würden. Es bestünden daher begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vorgelegten Attests. Die Personensorgeberechtigten wurden aufgefordert, bis 23.7.2021 ein neues Attest von einem anderen Arzt vorzulegen. Dieses Attest solle den Zeitraum benennen, wie lange das Kind von dem Arzt ärztlich betreut worden sei, wie lange voraussichtlich eine Impfkontraindikation bestehen werde und gegen welche Art von Impfstoff Kontraindikation vorliege.
Am 16.8.2021 ließ war die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 14.7.2021 erheben, die unter dem Aktenzeichen RO 5 K 21.1638 geführt wird. Zugleich ließ sie um vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 VwGO nachsuchen.
Einerseits sei vorläufig festzustellen, dass die Aufforderung im Bescheid vom 14.7.2021, ein weiteres Attest von einem anderen Arzt vorzulegen, rechtswidrig gewesen sei. In der Hauptsache könne daher eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog erhoben werden. Für die beantragte Feststellung sei auch Eilbedürftigkeit gegeben, da nur für den Fall, dass dies zeitnah festgestellt werde, die Beklagte davon abgehalten werde, weitere Verfahrensschritte – etwa hinsichtlich eines Bußgeldes – einzuleiten. Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache könne nicht zugewartet werden. Es bestehe ferner Wiederholungsgefahr, da damit zu rechnen sei, dass erneute ähnliche Bescheide ergehen. Ferner diene die Feststellung zur Vorbereitung eines etwaigen Amtshaftungsprozesses.
Darüber hinaus sei die vorläufige Feststellung erforderlich, dass das bereits vorliegende Attest der Privatärztlichen Praxen … vom 23.6.2020 ausreichend sei, eine medizinische Kontraindikation gegen eine Masernimpfung nachzuweisen. Das vorgelegte Attest erfülle die gesetzlichen Anforderungen nach § 20 Abs. 8 Satz 4 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG. Die Antragstellerin habe gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 IfSG einen Anspruch darauf, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht an Schutzimpfungen oder an anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe, also auch an einer weiteren Begutachtung durch einen Zweitarzt, teilnehmen müsse. Auch sei ein Anordnungsgrund gegeben, da das Gesundheitsamt im streitgegenständlichen Bescheid darauf hingewiesen habe, dass Bußgelder verhängt werden könnten und/oder Betretungsverbote bezüglich bestimmter Einrichtungen verhängt werden könnten.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
1. vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache festzustellen, dass der Bescheid des Landratsamts S. vom 14.7.2021 rechtswidrig gewesen ist und
2. vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache festzustellen, dass das ärztliche Zeugnis vom 23.6.2020 zugunsten der Antragstellerin die gesetzlichen Anforderungen an ein Masernimpfbefreiungsattest bezüglich einer medizinischen Kontraindikation erfülle.
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Der Antrag unter Nr. 1 sei schon unzulässig. Bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage in der Hauptsache sei ein Antrag nach § 123 VwGO schon denklogisch nicht möglich. Auch der Antrag unter Nummer 2 sei unzulässig. Eine Feststellungsklage in der Hauptsache sei nicht zulässig. Diese sei gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegenüber der Anfechtungsklage subsidiär. Dies gelte auch gegenüber einer Fortsetzungsfeststellungsklage. Auch eine vorbeugende Feststellungsklage sei nicht möglich. Selbst bei vorbeugender Abwehr zukünftiger förmlicher Rechtsakte wäre aufgrund des Grundsatzes des Vorrangs repressiven Rechtsschutzes ein Feststellungsinteresse nur dann anzuerkennen, wenn ausnahmsweise das Abwarten repressiven Rechtsschutzes unzumutbar sei. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
Der Antrag sei aber auch unbegründet. Die Antragstellerin sei der Nachweispflicht des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG i.V.m. § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Es bestehe der begründete Verdacht, dass es sich bei dem vorgelegten Attest um ein Gefälligkeitsattest handele. Es reiche nicht aus, wenn im ärztlichen Attest lediglich der Gesetzeswortlaut wiederholt werde. Es sei eine medizinische Kontraindikation festgestellt worden, ohne die im jeweiligen Fall vorliegende Kontraindikation zu benennen. Es müsse dem zuständigen Gesundheitsamt – und im Falle eines Gerichtsverfahrens dem Gericht – möglich sein, das ärztliche Zeugnis auf seine Plausibilität hin zu überprüfen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren sowie im Hauptsacheverfahren (RO 5 K 21.1638) Bezug genommen. Außerdem haben dem Gericht die Akten des Landratsamts S. vorgelegen.
II.
Die Anträge waren abzulehnen. Sie sind unzulässig.
1. Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, der – wie der Antrag unter Nr. 1 – auf die vorläufige Feststellung gerichtet ist, dass ein erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig war, ist unzulässig. Er ist in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft. Eine entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil das Feststellungsinteresse, das einen solchen Antrag allein rechtfertigt, in einem Eilverfahren nicht befriedigt werden kann. Die aufgrund summarischer Prüfung ergehende einstweilige Anordnung dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses; sie führt jedoch nicht zu einer rechtskräftigen Klärung einer Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit hinsichtlich eines Verwaltungsaktes. Eine verbindliche Entscheidung über diese Frage trotz zwischenzeitlicher Erledigung der Hauptsache herbeizuführen, ist aber gerade Sinn der Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO; sie ist daher nur ein einem Hauptsacheverfahren möglich (so BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 10 CE 19.444 – juris, Rn. 8 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 27.1.1995 – 7 VR 16/94 – juris, Rn. 27; BayVGH, B.v. 16.8.2012 – 8 CE 11.2759 – juris, Rn. 19; OVG NW, B.v. 15.3.2007 – 18 B 257/07 – juris, Rn. 10; Schoch in Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, Stand Sept. 2018, § 123 Rn. 36).
2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Beide Formen der einstweiligen Anordnung setzen neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der begehrten Anordnung (Anordnungsgrund) voraus, dass der Antragsteller mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Anordnung hat (Anordnungsanspruch).
Dem Wesen und Zweck des Verfahrens entsprechend kann das Gericht mit einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem jeweiligen Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was Klageziel des Hauptsacheverfahrens wäre. So liegt der Fall aber hier; denn im Verfahren nach § 123 VwGO begehrt die Antragstellerin mit dem Antrag unter Nr. 2 die gleiche – wenn auch vorläufige – Feststellung, wie im Hauptsacheverfahren. Begehrt der Antragsteller die Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung, so kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG), ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und ein Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 3 VR 3.13 – juris, Rn. 5; BayVGH, B.v. 19.1.2018 – 21 CE 17.1646 – juris, Rn. 11).
Zulässig ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur, wenn sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund geltend gemacht sind. Diese Voraussetzung entspricht der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO im Hauptsacheverfahren. Ein Antragsteller muss somit schlüssig und plausibel darlegen, dass ihm der geltend gemachte Anordnungsanspruch zustehen kann. Zudem muss nach dem Vortrag des jeweiligen Antragstellers ein Anordnungsgrund möglich sein (vgl. Schoch/Schneider/Schoch, 40. EL Februar 2021, VwGO § 123, Rn. 107).
a) Jedenfalls im Verhältnis zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner besteht kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO, welches zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage im Hauptsacheverfahren führen könnte und damit auch einen Anordnungsanspruch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes begründen könnte. Dies folgt aus den geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich wie folgt darstellen:
Nach § 20 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG müssen unter anderem Personen, die nach dem 31.12.1970 geboren sind und die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nrn. 1 bis 3 IfSG betreut werden, entweder einen nach den Maßgaben von Satz 2 ausreichenden Impfschutz gegen Masern oder ab der Vollendung des ersten Lebensjahres eine Immunität gegen Masern aufweisen. Zu den genannten Gemeinschaftseinrichtungen gehören Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte (§ 33 Nr. 1 IfSG), die nach § 43 Abs. 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch erlaubnispflichtige Kindertagespflege (§ 33 Nr. 2 IfSG) sowie Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen (§ 33 Nr. 3 IfSG). Nach § 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG besteht ein ausreichender Impfschutz gegen Masern, wenn ab der Vollendung des ersten Lebensjahres mindestens eine Schutzimpfung und ab der Vollendung des zweiten Lebensjahres mindestens zwei Schutzimpfungen gegen Masern bei der betroffenen Person durchgeführt wurden. Nach § 20 Abs. 8 Satz 4 IfSG gilt die Impfverpflichtung des § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG jedoch nicht für Personen, die aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können. Zum Nachweis haben solche Personen gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG der Leitung der jeweiligen Einrichtung ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen, dass bei Ihnen eine Immunität gegen Masern vorliegt oder sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden können. Wird ein (ausreichender) Nachweis nicht vorgelegt, hat die Leitung der Einrichtung nach § 20 Abs. 9 Satz 4 Nr. 1 IfSG unverzüglich das Gesundheitsamt zu informieren. Gegenüber dem Gesundheitsamt ist nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG auf Anforderung ein Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Wird der Nachweis nicht innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt, so kann das Gesundheitsamt die betroffene Person gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG zu einer Beratung laden und diese zu einer Vervollständigung des Impfschutzes gegen Masern auffordern. Wird trotz Aufforderung kein Nachweis vorgelegt, so kann das Gesundheitsamt gemäß § 20 Abs. 12 Satz 3 IfSG untersagen, dass die betreffende Person die Gemeinschaftseinrichtungen betritt. Nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG gilt dies jedoch nicht für Personen, die einer gesetzlichen Schulpflicht unterliegen. Ihnen kann der Besuch der Schule nicht untersagt werden. Ist die nach den Absätzen 9 bis 12 verpflichtete Person minderjährig, so hat derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht.
Jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geht das Gericht mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die soeben skizzierten Regelungen des Infektionsschutzgesetzes nicht derart offensichtlich verfassungswidrig sind, dass ihre Nichtanwendung im Eilverfahren in Betracht käme (so BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris, Rn. 10), zumal auch die Antragstellerin hierzu nichts vorgetragen hat.
Gegenstand der Feststellungsklage kann nur ein zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits streitiges konkretes Rechtsverhältnis sein, d.h. es muss die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren Sachverhalt streitig sein (BVerwG, U.v. 8.6.1962 – VII C 78.61 – BayVBl. 1962, 381; U.v. 28.5.2014 – 6 A 1.13 – juris, Rn. 21 m.w.N.). Damit setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass zwischen den Parteien des Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können. Es müssen sich also aus dieser Rechtsbeziehung heraus bestimmte Rechtsfolgen ergeben können, was wiederum die Anwendung von bestimmten Normen auf den konkreten Sachverhalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 23.1.1992 – 3 C 50.89 – juris, Rn. 30 f.).
Ein derartiges streitiges Rechtsverhältnis besteht zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits nicht. Zwar hat das Gesundheitsamt die sorgeberechtigten Eltern der Antragstellerin bereits einmal verpflichtet, ein ausreichendes ärztliches Attest vorzulegen. Dieser Aufforderung sind die Eltern jedoch nicht nachgekommen, da sie der Auffassung waren, das Attest vom 23.6.2020 sei ausreichend. Insofern trifft es zwar zu, dass zwischen den Eltern der Antragstellerin und dem Antragsgegner ein Streit über die an ein ärztliches Zeugnis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG zu stellenden Anforderungen besteht. Ein derartiger Streit besteht jedoch nicht zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner. Die Antragstellerin persönlich wurde zu keiner Zeit verpflichtet, ein Attest vorzulegen und es wurde ihr auch nicht mit dem Ergreifen bußgeldrechtlicher Sanktionen gedroht. Dies war im Ergebnis auch nicht möglich; denn die Antragstellerin ist erst ein Jahr alt und somit minderjährig. Aus diesem Grund trat nach § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG ein Verpflichtungsübergang ein, sodass derjenige für die Einhaltung der die minderjährige Person treffenden Verpflichtungen zu sorgen hat, dem die Sorge für diese Person zusteht. Die die Antragstellerin treffenden Verpflichtungen gehen somit kraft Gesetzes auf die nach den §§ 1626 ff. BGB sorgeberechtigte(n) Person(en) über. Dieser Verpflichtungsübergang ist angesichts der Minderjährigkeit der überwiegenden Anzahl der Adressaten notwendig (vgl. Kießling/Gebhard, 2. Aufl. 2021, IfSG § 20, Rn. 71). Dementsprechend trifft die Verpflichtung zur Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG ausschließlich die sorgeberechtigten Eltern der Antragstellerin und nicht die Antragstellerin selbst.
b) Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits eine Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob das vorgelegte ärztliche Zeugnis vom 23.6.2020 ausreichend ist, so wäre eine Feststellungsklage gleichwohl nicht zulässig. Bereits oben wurde dargelegt, dass eine Feststellungsklage nur dann zulässig ist, wenn sich aus einem bestehenden Meinungsstreit heraus eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können. Zwischen den Beteiligten muss folglich eine Rechtsbeziehung bestehen, aus der heraus sich bestimmte Rechtsfolgen ergeben können, was wiederum die Anwendung von bestimmten Normen auf den konkreten Sachverhalt voraussetzt. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn durch die Drohung mit einer Strafanzeige oder bußgeldrechtlicher Konsequenzen Druck auf einen Bürger ausgeübt werden soll, um ein bestimmtes verwaltungsrechtlich relevantes Verhalten zu erzielen (sog. “Damokles-Rechtsprechung”, vgl. BVerwG, U.v. 23.1.1992 – 3 C 50.89 – juris, Rn. 29 ff. insb. 33).
Ein derartiger Druck wurde auf die Antragstellerin jedoch gerade nicht ausgeübt. Zwar hat das Gesundheitsamt im Bescheid vom 14.7.2021, der an die Personensorgeberechtigten – also an die Eltern der Antragstellerin – adressiert war, darauf hingewiesen, dass nach § 73 Abs. 1a Nr. 7c IfSG ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG auch i.V.m. § 20 Abs. 13 IfSG einen Nachweis nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erbringt. Mögliche bußgeldrechtliche Konsequenzen würden damit aber wiederum nicht die Antragstellerin – die gemäß § 12 Abs. 1 OWiG eine Ordnungswidrigkeit ohnehin nicht vorwerfbar begehen kann – treffen, sondern deren Eltern. Dass ein Betretungsverbot bezüglich einer Gemeinschaftseinrichtung im Sinne des §§ 33 Nrn. 1 und 2 IfSG konkret im Raum steht, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen wäre es der Antragstellerin – sollte dies der Fall sein – zuzumuten, den Erlass eines Verwaltungsaktes durch den ein derartiges Verbot angeordnet wird, abzuwarten und dann gegen dieses Verbot rechtliche Schritte einzuleiten. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wege des vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutzes zur Verhinderung eines Erlasses eines bevorstehenden Verwaltungsaktes ist grundsätzlich nur in äußersten Ausnahmefällen möglich. Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Prinzip der Gewaltenteilung kann das Verwaltungsgericht grundsätzlich keinen vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz mit dem Ziel gewähren, die Entscheidungsfreiheit der Verwaltung im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten und Aufgabenerfüllung durch richterliche Anordnungen einzuengen, indem ihr durch Gerichtsbeschluss der Erlass eines in die Rechte des Bürgers eingreifenden Verwaltungsakts verboten werden soll. Nur wenn der von einem belastenden Verwaltungsakt Betroffene – auch wenn dessen Erlass erst angekündigt ist – keinen wirksamen Rechtsschutz gegen drohende schwere und unzumutbare Nachteile, die auch durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können, erlangen kann, ist eine Ausnahme vom dargestellten Grundsatz geboten (BayVGH, B.v. 28.4.1992 – 21 CE 92.949 – juris, Rn. 5). Eine derartige Fallgestaltung ist vorliegend nicht ersichtlich.
3. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass der Antrag – seine Zulässigkeit unterstellt – auch unbegründet wäre. Ein Anordnungsgrund bestünde nicht, da das vorliegende Attest vom 23.6.2020 nicht geeignet ist, eine medizinische Kontraindikation nachzuweisen. Deshalb bestünde keine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache. Zu den Anforderungen an ein ärztliches Zeugnis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 7.7.2021 (25 CS 21.1651 – juris, Rn. 14) Folgendes aus:
“Das ärztliche Zeugnis im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG darf sich nicht damit begnügen, den Gesetzeswortlaut zum Bestehen einer medizinischen Kontraindikation zu wiederholen. Es muss vielmehr wenigstens solche Angaben zur Art der medizinischen Kontraindikation enthalten, die das Gesundheitsamt in die Lage versetzen, das ärztliche Zeugnis auf Plausibilität hin zu überprüfen (SächsOVG, B.v. 5.5.2021 – 3 B 411/20 – juris Rn. 21 ff.; VG Meiningen, B.v. 10.11.2020 – 2 E 1144/20 – juris Rn. 26 f.; Gebhard in Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 20 Rn. 50; a.A. ohne Begründung Aligbe, ARP 2020, 227, 228). Hierfür sprechen neben dem Zweck der Regelung, eine ausreichend hohe Impfquote zu erreichen und hierfür u.a. dem Gesundheitsamt eine Grundlage für das weitere Vorgehen (z.B. in einem Beratungsgespräch nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG) zu geben, auch systematische Erwägungen, denn das IfSG unterscheidet auch an anderer Stelle die schlichte Bescheinigung vom Nachweis durch ein ärztliches Zeugnis (vgl. etwa § 43 Abs. 1 Satz 2 IfSG).”
Gemessen an diesen Anforderungen liegt es auf der Hand, dass das ärztliche Zeugnis vom 23.6.2020 nicht geeignet ist, eine medizinische Kontraindikation gegen eine Masernschutzimpfung nachzuweisen. Bei dem vorliegenden Zeugnis handelt es sich um ein Formblatt, in das lediglich der Namen der Antragstellerin, deren Geburtsdatum und deren Adresse eingetragen sind. Letztendlich wird lediglich der Gesetzeswortlaut wiederholt, wonach eine Kontraindikation bestehe. Eine irgendwie geartete und nachvollziehbare Begründung für diese Kontraindikation wird nicht gegeben, sodass es dem Gesundheitsamt nicht möglich ist, dass Zeugnis auf seine Plausibilität hin zu überprüfen (ausführlich zu den Anforderungen an ein ärztliches Zeugnis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG: VG Ansbach, B.v. 28.5.2021 – AN 18 S 21. 00932 – juris, Rn. 22 ff.).
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt auf der Homepage des BVerwG). Das Gericht geht davon aus, dass in der Hauptsache der Regelstreitwert anzusetzen wäre. Beide Anträge sind letztendlich auf das gleiche Ziel gerichtet, nämlich auf die Feststellung, dass das ärztliche Zeugnis vom 23.6.2020 ausreichend ist, eine medizinische Kontraindikation gegen die Masernimpfung nachzuweisen. Nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich die Hälfte des Hauptsachestreitwerts anzusetzen. Da durch die beantragten einstweiligen Anordnungen die Hauptsache vorweggenommen worden wäre, hat das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Streitwert auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die Höhe des Hauptsachestreitwerts anzuheben.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben