Medizinrecht

Genehmigungsgsfiktion nach § 13 IIIa SGB V

Aktenzeichen  S 10 KR 50/15

Datum:
12.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V §§ 2 I, 11 I Nr. 4, 13 IIIa, 27 I  SGB V
SGB X § 39 SGB X

 

Leitsatz

1. Für die Frist betreffend den Eintritt der Genehmigungsfiktion ist der Zeitpunkt der Kenntnis des Versicherten von der ablehnenden Entscheidung (tatsächlicher Zugang) maßgeblich. (amtlicher Leitsatz)
2. Der Leistungsumfang nach § 13 Abs. 3a SGB V umfasst alle Leistungen, welche nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der GKV liegen. (amtlicher Leitsatz)
1 Zu Lasten der Krankenkassen gilt eine Leistung nach § 13 IIIa SGB V als genehmigt, falls ein ablehnender Bescheid erst nach Ablauf der Fristen gem. § 39 SGB X bekannt gegeben wird. (redaktioneller Leitsatz)
2 Adipositaschirurgie zählt zu den einer Genehmigungsfiktion nach § 13 IIIa SGB V zugänglichen Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Durchführung einer bariatrischen Operation in Höhe von 8.237,09 Euro zu erstatten sowie sie von den Folgebehandlungskosten freizustellen.
II.
Der Bescheid vom 21. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2015 wird aufgehoben.
III.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

Gründe

1. Die vor dem zuständigen Gericht erhobene Klage ist bereits als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Mit dieser Klageart kann nämlich die Verurteilung zu einer Leistung begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Ein derartiger Fall ist bei Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gegeben.
Betreffend die ergangenen Bescheide ist darüber hinaus die Anfechtungsklage zulässig und erforderlich, da ein von der Beklagten gesetzter Rechtsschein zu beseitigen ist. Aufgrund der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V durften keine ablehnenden Bescheide mehr ergehen. Die ergangenen Bescheide setzen nunmehr einen Rechtsschein der Ablehnung.
2. Die Klage ist im Sinne der Leistungspflicht der Beklagten aus der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 und Satz 7 SGB V heraus begründet.
Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und den Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a S. 1, 2, 3, 5 und 6 SGB V).
Gemessen hieran gilt im vorliegenden Fall eine Krankenhausbehandlung zum Zwecke einer bariatrischen Operation als genehmigt (hierzu unter a)). Die Klägerin kann die durchgeführte Leistung im Rahmen der Erstattung nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V beanspruchen (hierzu unter b)). Der ergangene Widerspruchsbescheid hätte nicht ergehen dürfen (hierzu unter c)).
a) Die Klägerin beantragte am 16.12.2014 bei der Beklagten die Gewährung einer bariatrischen Operation. Diese forderte den MDK zur Stellungnahme auf und setzte die Klägerin hiervon in Kenntnis. Daneben vermerkte sich die Beklagte zutreffend den 26.01.2015 als Termin für den Ablauf der 5-Wochen-Frist nach § 13 Abs. 3a SGB V.
§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V knüpft den Eintritt der Genehmigungsfiktion an eine “Entscheidung” der Krankenkasse. Der bloße Wortlaut stellt dabei nicht klar, ob es alleine auf den Tag der Erstellung des Bescheides oder auf den tatsächlichen Zugang beim Betroffenen ankommt. Der Sinn und Zweck der Norm kann jedoch nur auf Letzteres abzielen. So setzt eine Entscheidung ihrem Wortsinn schon voraus, dass damit der Erlass eines bindenden Bescheides und damit eines Verwaltungsaktes gemeint ist. Die Vorschrift dient maßgeblich der Rechtssicherheit des Antragstellers, nicht der Behörde. Rechtssicherheit kann ein Betroffener nur dann bekommen, wenn auf dessen Kenntnis einer Entscheidung abgestellt wird. Sie wird gerade dann nicht geschaffen, wenn die tatsächliche Absendung einer Entscheidung nach deren Erstellung in den Händen der Behörde verbliebe (vgl. hierzu auch SG Augsburg, Urteil vom 03.06.2014 – S 6 KR 339/13).
Nach § 39 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wird ein Verwaltungsakt demjenigen gegenüber, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Nach § 39 Abs. 2 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. In diesem Sinne aber bestehen schon dann “Zweifel”, wenn der Adressat den Zugang – schlicht – bestreitet. Verlangt man vom Adressaten eines angeblich nicht eingetroffenen einfachen Briefes mehr als ein schlichtes Bestreiten, das Schreiben erhalten zu haben – etwa das substantiierte Vorbringen von Umständen, die ein Abweichen von der “Erfahrung des täglichen Lebens” rechtfertigen, dass eine gewöhnliche Postsendung den Empfänger erreicht, bedeutet dies eine Überspannung der an den Adressaten zu stellenden Anforderungen. Denn ihm ist im Regelfall schon aus logischen Gründen nicht möglich, näher darzulegen, ihm sei ein per einfachem Brief übersandtes Schreiben nicht zugegangen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 26.07.2007 – B 13 R 4/06 R).
Vorliegend hat die Klägerin eben jenen Zugang des Bescheides grundsätzlich bestritten, so dass es an einer Bekanntgabe vor Ablauf der Frist mangelt. Erst mit dem Zweitversand des Bescheides am 28.01.2015 ist ein Zugang am 02.02.2015 zu verzeichnen gewesen. Dieser ist verspätet.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Übrigen die Anwendung der 3-Tages-Fiktion auch aus anderen Gründen in Frage zu ziehen ist. So ist eine Anwendung derselben nur dann möglich, wenn sich innerhalb der Verwaltungsakte auf dem Bescheid ein Absendevermerk finden lässt (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 37/08 R). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Die Beklagte kann sich mithin aus zweierlei Gründen nicht auf die Anwendung der 3-Tages-Fiktion berufen. Ein Zugang des Bescheides vom 21.01.2015 und damit eine Bekanntgabe desselben ist vor Ablauf der 5-Wochen-Frist nicht gegeben.
Die Ausführungen der Beklagten zur Anwendung der 3-Tages-Fiktion sind hiernach nicht tragfähig. Die Fiktion des § 13 Abs. 3a SGB V ist eingetreten.
b) Der Anspruch auf Erstattung der angefallenen Kosten resultiert aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V, derjenige auf Freistellung von weiter anfallenden Behandlungen aus § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V. Insbesondere ist die Genehmigungsfiktion nicht auf einen bloßen Erstattungsanspruch beschränkt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 ER-B, mit weiteren Verweisen).
Ausweislich der im Klageverfahren nunmehr vorgelegten Rechnungen des KH S. vom 09.02.2015 hat die Klägerin die Operation nunmehr durchführen lassen und hierfür bislang Kosten in Höhe von € 8.010,62 sowie gemäß Rechnung vom 26.02.2015 in Höhe von weiteren € 226,47 aufgewendet. Die Leistung hat sich die Klägerin durch Unterschreiben des Behandlungsvertrages am 03.02.2015 auch erst nach Ablauf der Antragsfrist beschafft. Unerheblich ist, dass die Klägerin bereits vorab einen Gesprächstermin bei dem Arzt hatte, was zur Vorlage des Kostenvoranschlages und des ärztlichen Attestes notwendig war. Die bloße Vereinbarung eines Operationstermins ist kein verbindlicher Vertrag, welcher eine Kostenverpflichtung bei der Klägerin auslöst. Die Zahlung für die Operation sowie die Unterschrift unter den Behandlungsvertrag leistete die Klägerin erst am 03.02.2015. Die Verschaffung der Leistung liegt hiernach nach Fristablauf.
Nachdem eine weitere Nachsorge bei dieser Art der Operation nicht auszuschließen, sondern vielmehr im Regelfall erforderlich sein wird, kann die Klägerin die Freistellung weiter anfallender Leistungen beanspruchen.
Mit dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist es nicht vereinbar, die Vorschrift dahingehend auszulegen, dass noch zu prüfen wäre, ob die Leistung erforderlich war. Im Umkehrschluss kann sich die Verwendung des Begriffs “erforderlich” in § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V betreffend die Erstattung einer selbstbeschafften Leistung, nicht auf die volle Prüfung einer medizinischen Erforderlichkeit erstrecken. Dies hätte eine nicht gewollte Schlechterstellung desjenigen Versicherten, der sich die Leistung bereits beschafft hat, im Vergleich zu demjenigen, der auf eine Sachleistung besteht, zur Folge. Darüber hinaus würde die Regelung der Genehmigungsfiktion und damit die Verpflichtung der Krankenkassen zu einem schnelleren Verwaltungshandeln ins Leere laufen, wenn nach Ablauf der Frist weiterhin die volle Prüfung der medizinischen Erforderlichkeit einer beantragten Leistung durchzuführen wäre. Die Regelung hätte dann keinerlei positive Effekte für den Versicherten, dessen Schutz mit der Schaffung der Norm beabsichtigt war. Im Zusammenspiel sind die Regelungen in § 13 Abs. 3a Satz 6 und Satz 7 SGB V so zu verstehen, dass sich die Prüfung der Erforderlichkeit auf einen offensichtlichen Missbrauch bzw. eine offensichtliche Umgehung von § 12 SGB V beschränken muss (vgl. noch enger LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 ER-B; so nun auch: BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R – vgl. aktueller Terminbericht).
Dass die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit aus § 12 SGB V, die voraussetzen, dass eine Leistung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein muss, hier offensichtlich umgangen wurden, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Klägerin mit ihrem Antrag umfassende ärztliche Unterlagen vorgelegt und ihren Antrag begründet und damit alles in ihrer Macht Stehende getan, der Beklagten die Prüfung ihrer Leistungspflicht zu ermöglichen. Die Durchführung einer Operation zur Magenverkleinerung liegt auch nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern wird in vielen begründeten Fällen von diesen getragen.
Vor diesem Hintergrund sind von der Beklagten sowohl die bereits angefallenen Behandlungskosten zu erstatten, als auch für die weiter notwendige Behandlung in Zusammenhang mit der Operation eine Freistellung zu gewähren.
c) Sowohl der Bescheid vom 21.01.2015 als auch der Widerspruchsbescheid vom 11.03.2015 setzen aktuell einen Rechtsschein der Ablehnung, der im Widerspruch zum Anspruch der Klägerin steht. Die Bescheide waren danach aufzuheben.
3. Die Kostenfolge basiert auf § 193 SGG.


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