Medizinrecht

Kein gesetzlicher Krankenversicherungsschutz für ausgewanderte Staatsbürger

Aktenzeichen  S 11 KR 37/18 ER

Datum:
7.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 27194
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 73a, § 86b Abs. 2 S. 4, § 172 Abs. 1, § 193
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 13
ZPO § 114

 

Leitsatz

Das gerichtliche Verfahren dient allein der Beseitigung noch bestehender Notlagen. Folglich werden Leistungen im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich erst ab Antragstellung bei Gericht gewährt.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die Zugehörigkeit des Antragstellers zur gesetzlichen Krankenversicherung.
Der Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger und hält sich seit 1986 ganz überwiegend in Thailand auf. Er war vom 25.05.2009 bis 30.11.2009 und vom 31.05.2012 bis 31.08.2012 als Bezieher von Arbeitslosengeld II bei der Antragsgegnerin versichert.
Zum 31.10.2017 verunfallte der Antragsteller in Thailand. Zur weiteren Versorgung wurde er aus Thailand in das Universitätsklinikum B-Stadt verlegt, wo er sich vom 28.11.2017 bis 30.11.2017 in stationärer Behandlung befand. Nach dem vorläufigen Entlassungsbrief vom 30.11.2017 diagnostizierten die Ärzte einen Zustand nach Treppensturz auf linkes Knie am 31.10.2017 mit ventral offener porximaler Tibiafraktur bei Arthrodese mit Anlage eines Fixateur externe am 09.11.2017 in Thailand sowie Nachweis von Staph. Hämolyticus in der Wunde. Sobald ein Versicherungsschutz in Deutschland bestehe, werde der Antragsteller die Weiterbehandlung durchführen. Um Widervorstellung am 10.01.2018 um 08:30 Uhr werde gebeten.
Mit Bescheid vom 30.11.2017 lehnte das Jobcenter Main Spessart die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab. Der Bezirk Unterfranken hat den förmlichen Antrag auf Sozialhilfeleistungen vom 11.12.2017 bislang nicht verbeschieden.
Am 19.11.2017 zeigte der Antragsteller die Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bei der Antragsgegnerin an.
Das Universitätsklinikum B-Stadt forderte von dem Antragsteller für die erbrachten medizinischen Leistungen insgesamt 2.155,88 € (Rechnung vom 05.01.2018 über 2.136,13 €; Rechnung vom 17.01.2018 über 19,75 €).
Mit Schreiben vom 31.01.2018 stellte der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Zur Eilbedürftigkeit führte er aus, er bedürfe im Hinblick auf seine Verletzung dringend medizinischer Behandlung. Der Krankenversicherungsschutz sei für ihn lebensnotwendig. Bei einem weiteren Behandlungstermin im Universitätsklinikum B-Stadt am 25.01.2018 habe man ihn mit der Begründung nach Hause geschickt, ohne Vorkasse könne keine Behandlung mehr erfolgen.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ab dem 29.11.2017 in die Pflichtversicherung aufzunehmen, hilfsweise den Bezirk Unterfranken beizuladen und zur Übernahme der Krankenhauskosten und der Kosten einer ambulanten Behandlung zu verurteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt sie hinsichtlich der Eilbedürftigkeit vor, der Antragsteller sei laut Feststellung des Bezirks Unterfranken nicht mittellos. Die Dringlichkeit und der Umfang der medizinischen Behandlung seien nicht durch ärztliche Unterlagen belegt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der Prozessakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das vom Antragsteller geltend gemachte Recht (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit, d. h. die Dringlichkeit, die Angelegenheit sofort vor einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu regeln (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (Bundesverfassungsgericht, B.v. 12.5.2005 – 1 BvR 569/05). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 86b, Rn. 28 ff.).
2. Die Kammer lässt offen, ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Jedenfalls fehlt es an einem Anordnungsgrund. Durch das Abwarten der Hauptsacheentscheidung drohen dem Antragsteller keine nicht wiedergutzumachenden Nachteile. Deshalb ist auch eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers im Wege der Folgenabwägung nicht geboten.
a. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass eine medizinisch notwendige Versorgung nur noch gegen Vorkasse oder Kostenzusage erfolgt.
Die Behauptung, man habe ihm die Behandlung am 25.01.2018 verweigert ist nicht glaubhaft gemacht, so liegt etwa eine entsprechende Erklärung des Universitätsklinikum B-Stadt nicht vor. Aus dem vorläufigen Entlassungsbericht des Universitätsklinikum B-Stadt vom 30.11.2017 ist vielmehr ersichtlich, dass trotz des unklaren Versicherungsschutzes eine Wiedervorstellung in der unfallchirurgische Sprechstunde vereinbart worden ist.
b. Selbst wenn medizinische Leistungen nur noch gegen Vorkasse erbracht würden, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller für diese Kosten (vorläufig) nicht selbst aufkommen kann.
Für vergangene Leistungen hat das Universitätsklinikum dem Antragsteller 2.146,13 € zzgl. 19,75 € in Rechnung gestellt. Folgebehandlungen dürften daher allenfalls in vergleichbarem Rahmen anfallen.
Nach Feststellung des Bezirks Unterfranken ist der Antragsteller nicht mittellos. Der Antragsteller gibt im Antrag auf Sozialhilfeleistungen vom 11.12.2017 an, über Haus und Grundvermögen im Wert von ca. 2.000,00 € zu verfügen.
In dem Antrag gibt er ferner an, seine Schwester habe ihm in der Vergangenheit finanziell Hilfe geleistet, unter anderem für Krankenhausaufenthalt in Thailand, Flüge nach Deutschland, Auslandskrankenversicherung und Lebensunterhalt. Dafür habe er ihr seinen Anteil an dem Grundstück übergeben. Weshalb die Schwester des Antragstellers nunmehr keine Hilfe mehr erbringen kann, wird nicht dargelegt.
c. Letztlich ist für die Kammer weder die behauptete Dringlichkeit der akuten medizinischen Behandlung noch überhaupt eine aktuelle Behandlungsbedürftigkeit durch ärztliche Unterlagen glaubhaft gemacht.
3. Der Hilfsantrag auf Übernahme der Krankenhauskosten für die Behandlungen im November und Dezember 2017 durch den Bezirk Unterfranken ist ebenfalls erfolglos. Der Antrag kann bereits keinen Erfolg haben, als Leistungen vor Antrag bei Gericht begehrt werden, d.h. vor 31.01.2018. Das gerichtliche Verfahren dient allein der Beseitigung noch bestehender Notlagen. Folglich werden Leistungen im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich erst ab Antragstellung bei Gericht gewährt. Bereits aus diesem Grund war eine Beiladung des Bezirks entbehrlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
5. Aus den oben dargelegten Gründen ist die für die Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht des Antrags gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht gegeben. Der Antrag auf PKH war somit abzulehnen.


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