Medizinrecht

keine Beihilfefähigkeit von „Ostenil-Fertigspritzen“, medizinische Notwendigkeit und wirtschaftliche Angemessenheit von Aufwendungen im Krankheitsfall

Aktenzeichen  B 5 K 20.59

Datum:
8.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 46099
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBhV § 6 Abs. 1
GOÄ
BBhV § 22 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Das Klagebegehren des anwaltlich vertretenen Klägers ist sachgerecht dahin auszulegen (§ 88 VwGO), dass er unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der Beklagten 01.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2018 die Gewährung einer weiteren Beihilfe für die ärztliche Liquidation vom 10.07.2017 entsprechend seines Beihilfebemessungssatzes (70%) in Höhe von 621,36 Euro (70% des Rechnungsbetrages, also 1.068,55 Euro abzüglich der bereits durch die Bescheide vom 27.07.2017 und 01.11.2017 gewährte Beihilfe in Höhe von 20,44 Euro und 426,75 Euro) begehrt.
I.
Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe zu der ärztlichen Liquidation vom 10.07.2017, folglich kann ihn deren Ablehnung durch Bescheid vom 01.11.2017 und Widerspruchsbescheid vom 16.02.2018 auch nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hat die Gewährung einer weiteren Beihilfe zu den durchgeführten Behandlungen vielmehr zu Recht abgelehnt.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sind die Beihilfevorschriften des Bundes, die zu dem Zeitpunkt galten, in dem die Aufwendungen entstanden sind, mithin vorliegend die Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege und Geburtsfällen (BBhV) vom 13.02.2009 in der Fassung vom 25.10.2016.
1.
Nach § 6 Abs. 1 BBhV sind Aufwendungen für Krankheits-, Pflege- und Geburtsfälle grundsätzlich nur dann beihilfefähig, wenn sie medizinisch notwendig und wirtschaftlich angemessen sind, es sei denn die BBhV sieht die Beihilfefähigkeit ausdrücklich vor. Die Notwendigkeit von Aufwendungen für Untersuchungen und Behandlungen setzt nach § 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV voraus, dass diese nach einer wissenschaftlich anerkannten Methode vorgenommen werden. Aufwendungen für ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Leistungen sind wirtschaftlich angemessen, wenn sie sich innerhalb des in der einschlägigen Gebührenordnung vorgesehenen Gebührenrahmens halten, § 6 Abs. 3 Satz 1 BBhV. Die Beihilfevorschriften verzichten insoweit auf eine eigenständige Umschreibung des Begriffs der Angemessenheit und verweisen auf die Vorschriften der ärztlichen und zahnärztlichen Gebührenordnungen (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.1988 – 2 C 39.87 – juris Rn. 14).
Zuständig für die Entscheidung über die Notwendigkeit von Aufwendungen ist – zunächst – nach § 51 Abs. 1 Satz 1 BBhV die Festsetzungsstelle. Zwar kann diese in der Regel davon ausgehen, dass das, was der Arzt durchgeführt oder angeordnet hat und damit auch in Rechnung gestellt wird, notwendig ist. Allerdings belegt eine ärztliche Verordnung nicht automatisch, dass jedwede Behandlung medizinisch indiziert wäre. Hat die Festsetzungsstelle Zweifel an der Notwendigkeit geltend gemachter Aufwendungen und kann sie aufgrund fehlender eigener Sachkunde diese Zweifel nicht ausräumen, kann sie nach § 51 Abs. 1 Satz 4 BBhV ein Gutachten hierzu einholen. Auf der Grundlage einer solchen Begutachtung kann sie die medizinische Notwendigkeit von Aufwendungen trotz ärztlicher Verordnung durch eigene Entscheidung verneinen (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2014 – 14 ZB 13.2658 – juris Rn. 7 f. m.w.N. zu den weitgehend gleichlautenden bayerischen Beihilfebestimmungen). Der Begriff der „Notwendigkeit“ von Aufwendungen stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, dessen Anwendung im Einzelfall der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BVerwG, U.v. 20.3.2008 – 2 C 19.06 – NVwZ-RR 2008, 713 Rn. 9 m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Beklagte die Gewährung einer weiteren Beihilfe zu Recht versagt.
a) Nr. 7 GOÄ soll die vollständige körperliche Untersuchung mindestens eines Organsystems abgelten. Der auf der Grundlage von § 51 Abs. 1 Satz 2 BBhV eingeschaltete Gutachter der Beklagten hat die am 27.04.2017 erstmalig abgerechnete Untersuchung des vollständigen Bewegungsapparates anerkannt, die weiteren im Wochenrhythmus stattgefundenen jedoch nicht und dies (vgl. S. 4 des Gutachtens) damit begründet, dass Nr. 7 GOÄ nur einmal im Quartal abgerechnet werden könne.
Zwar erscheint zweifelhaft, ob diese Begründung des orthopädischen Gutachters die Streichung der Abrechnungsziffern in vier der abgerechneten Positionen zu rechtfertigen vermag (vgl. Ausführungen des VG Stuttgart, U.v. 12.04.2019 – 2 K 1726/18, S. 9).
Jedoch beinhaltet die vollständige körperliche Untersuchung eines Organsystems nach Nr. 7 GOÄ bei den Stütz- und Bewegungsorganen zumindest die Inspektion, Palpation und orientierende Funktionsprüfung der Gelenke und der Wirbelsäule einschließlich der Prüfung der Reflexe. Der jeweils definierte Leistungsumfang der Nr. 7 bezieht sich auf die vollständige Untersuchung mindestens eines der aufgeführten Organsysteme. Werden die durch den Verordnungsgeber vorgegebenen Mindestbedingungen nicht erfüllt, kann nur die Nr. 5 GOÄ für eine symptombezogene Untersuchung abgerechnet werden (vgl. https://www.medas.de/GOAe-Nr.-7-Allgemeine-Untersuchungen-nach-der-Amtlichen-Gebuehre; https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/gebuehrenordnung/goae-ratgeber/abschnitt-b-grundleistungen-und-allgemeine-leistungen/koerperliche-untersuchungen-ii/). Daneben ist zu beachten, dass die vollständige Untersuchung eines Organsystems in kurzen Zeitabständen notwendig gewesen sein muss (vgl. https://www.iww.de/aaa/archiv/privatliquidation-der-aktuelle-stand-der-auseinandersetzungen-bei-wichtigen-auslegungsfragen-der-goae-f36477).
Vorliegend lassen sich den Ausführungen des ärztlichen Behandlers des Klägers zu den durchgeführten allgemeinen Untersuchungen keinerlei Anhaltspunkte dahingehend entnehmen, dass neben dem von Beschwerden wohl hauptsächlich betroffenen Kniegelenk an den Folgebehandlungstagen auch jeweils wiederum der komplette Stütz- und Bewegungsapparat untersucht worden sei. Auch macht weder der behandelnde Orthopäde noch die Klägerseite Angaben dazu, dass und inwieweit eine vollständige Untersuchung des Stütz- und Bewegungsapparates auch zur Beurteilung des Behandlungserfolges der durchgeführten Schmerztherapie erforderlich gewesen wäre. Da eine Wiederholungsuntersuchung jedenfalls nicht „routinemäßig“ mit Nr. 7 GOÄ berechenbar ist (vgl. https://www.iww.de/aaa/archiv/privatliquidation-der-aktuelle-stand-der-auseinandersetzungen-bei-wichtigen-auslegungsfragen-der-goae-f36477), hat die Beklagte die fragliche Position somit zu Recht als nicht beihilfefähig anerkannt.
b) Hinsichtlich Nrn. 370 (Kontrastmitteleinbringung Gänge/Fisteln) und 373 GOÄ (Kontrastmitteleinbringung Gelenk) führte der von Beklagtenseite beauftragte Gutachter aus, dass die Einbringung von Kontrastmittel in das Kniegelenk im Zusammenhang mit der intraartikulären Injektion nicht als eigenständige Leistung in Anrechnung zu bringen gewesen sei, da diese Maßnahme lediglich dazu gedient habe, die exakte Positionierung der Kanüle zu prüfen. Eine Indikation zur röntgenbildgesteuerten und kontrastmittelkontrollierten intraartikulären Injektion ins linke Knie sei nicht ersichtlich. Ein Kniegelenk sei das Gelenk, welches am leichtesten einer intraartikulären Injektion zugänglich sei. Ein Orthopäde sei in der Lage, ein Kniegelenk ohne Nutzung eines Röntgenbildverstärkers zu punktieren. Insofern seien medizinische Gründe für die Nutzung eines Röntgenbildverstärkers und eines Kontrastmittels nicht ersichtlich und auch nicht mitgeteilt worden. Auch diesen überzeugenden und widerspruchsfreien gutachterlichen Ausführungen, welche sich die Beklagte zu eigen machte, ist die Klägerseite nicht entgegengetreten. Das behördlicherseits eingeholte ärztliche Gutachten ist auch im Gerichtsverfahren verwertbar und konnte der Entscheidung des Gerichts zugrundegelegt werden, ohne dass es einer weiteren Beweiserhebung bedurfte. Das nach Aktenlage erstellte Gutachten erging unter eingehender Würdigung der medizinischen Unterlagen des behandelnden Orthopäden und unter Zugrundelegung der AWMF-Leitlinie „Allgemeine Grundlagen der medizinischen Begutachtung“. Im Übrigen ergibt sich aus den Kommentierungen zur GOÄ zu Kontrastmitteleinbringungen (Nrn. 340ff.), dass die zur Einbringung des Kontrastmittels erforderlichen Maßnahmen wie Sondierungen, Injektionen, Punktionen, Gefäßkatheterismus und Probeinjektionen und gegebenenfalls anschließende Wundnähte und Entfernung(en) des Kontrastmittels Bestandteile der Leistung und nicht gesondert berechnungsfähig sind. Dies gilt auch für gegebenenfalls notwendige Durchleuchtungen zur Kontrolle der Lage eines Katheters oder einer Punktionsnadel (vgl. http://www.e-bis.de/goae/Goae00000030.html).
c) Weiterhin hat die Beklagte zu Recht die abgerechnete Nr. 34 GOÄ durch Nr. 3 GOÄ ersetzt. Nr. 34 GOÄ soll der Abrechnung der Erörterung der Auswirkungen einer Krankheit auf die Lebensgestaltung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Feststellung oder erheblichen Verschlimmerung einer nachhaltig lebensverändernden oder lebensbedrohlichen Erkrankung dienen. Der von Beklagtenseite beauftragte Gutachter weist zutreffend darauf hin, dass eine lebensverändernde oder lebensbedrohende Erkrankung des Klägers nicht ersichtlich sei.
d) Zu Recht nicht als beihilfefähig anerkannt wurden ferner fünf der sieben mit dem 1,9-fachen Bemessungssatz abgerechneten Nrn. 1 GOÄ. Diese Gebührennummer betrifft die Beratung – auch mittels Fernsprecher. Allerdings bestimmt Nr. 2 der Allgemeinen Bestimmung zu Teil B der Gebührenordnung, dass diese Nummer neben Leistungen nach den Abschnitten C bis O im Behandlungsfall nur einmal berechnungsfähig ist. Als Behandlungsfall für die Behandlung derselben Erkrankung gilt dabei der Zeitraum eines Monats nach der jeweils ersten Inanspruchnahme des Arztes (Nr. 1 der allgemeinen Bestimmungen zu Teil B der Gebührenordnung). Das war vorliegend zum einen der 22.03.2017, weswegen am 18.04.2017 neben anderen Gebührennummern nicht ein weiteres Mal Nr. 1 der GOÄ abgerechnet werden konnte. Da die Beklagte eine weitere Abrechnung am 27.04.2017 zu Recht anerkannte, konnten die vier darüber hinausgehenden Abrechnungen der Gebührennummern neben anderen Leistungen aus Teil C der GOÄ bis zum 23.05.2017 nicht anerkannt werden.
e) Soweit die Beklagte eine Abrechnung der Nr. 267 GOÄ neben Nr. 255 GOÄ nicht als beihilfefähig anerkannte, ist auch dies nicht zu beanstanden. Nr. 255 dient der Abgeltung einer intraartikulären Injektion, hier in das linke Knie des Klägers, und ist seitens des Gutachters der Beklagten als angemessen angesehen worden. Darüber hinaus hat der behandelnde Orthopäde jedoch die Gebührennummer 267 angesetzt, also die medikamentöse Infiltrationsbehandlung im Bereich einer Körperregion, und hat als diese Region in seiner ärztlichen Rechnung ebenfalls das linke Knie bezeichnet. Nach der Kommentierung von Brück, Gebührenordnung für Ärzte, Stand: Juli 2018, Nr. 267 GOÄ kann diese Nummer für dieselbe Injektion nicht neben Nr. 255 GOÄ zusätzlich abgerechnet werden. Dass es sich diesbezüglich um eine andere Injektion mit einer anderen Substanz gehandelt hätte, kann der ärztlichen Liquidation nicht entnommen werden. Vergleichbares gilt für die fünffach mit dem Faktor 1,9 abgerechnete Nr. 290, die bei Infiltration gewerbehärtender Mittel in Ansatz gebracht werden kann. Da diese Abrechnungsziffer ausweislich der ärztlichen Rechnung vom 10.07.2017 für die Injektion des Hyaluronsäurepräparats abgerechnet worden ist, wurde diese Leistung bereits mit Nr. 255 GOÄ abgerechnet. Im Übrigen stellt die intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure bereits keine Infiltration gewebehärtender Mittel dar.
f) Nicht beihilfefähig erweist sich weiterhin die fünffach mit dem Faktor 1,5 abgerechnete Nr. 5295 GOÄ. Die Gebührenordnung sieht diese Nummer zur Abrechnung von Durchleuchtungsuntersuchungen als selbstständige Leistung vor. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Durchleuchtung als weiterführende Methode zur Klärung einer diagnostischen Frage eingesetzt wird, etwa zur Beobachtung von Bewegungsvorgängen im Bereich eines Gelenks. Dafür finden sich in der ärztlichen Rechnung sowie dem Befundbericht des Arztes keine Anhaltspunkte.
g) Zu Recht hat die Beklagte ferner die fünffach mit dem Faktor 1,9 abgerechnete Nr. 272 GOÄ als nicht beihilfefähig anerkannt. Nr. 272 GOÄ soll intravenöse Infusionen mit einer Dauer über dreißig Minuten abbilden. Nach dem Befundbericht des behandelnden Orthopäden vom 28.08.2017 war Gegenstand der Infusion an den genannten Behandlungstagen das Präparat Prostavasin. Diesbezüglich wendet der Gutachter der Beklagten nachvollziehbar und überzeugend ein, dass unklar geblieben sei, welchen Beschwerden des Klägers mit diesem Präparat habe entgegengewirkt werden sollen. Entgegen den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten handelt es sich bei Prostavasin nicht um ein Schmerzmittel, sondern um ein Arzneimittel, das die Blutgefäße erweitert und dadurch zu einer Verbesserung der Durchblutung führt. Prostavasin wird nach den Ausführungen des behördlichen Gutachters bei chronischer arterieller Verschlusskrankheit im Stadium III und IV, wenn eine lumenerweiterende Therapie nicht möglich oder erfolglos war, angewendet. Zwar habe der Behandler des Klägers eine pAVK diagnostiziert, allerdings spreche gegen eine Indikation für die Durchführung einer Prostavasin-Infusionstherapie, dass die „Fußpulse beiderseits gut tastbar“ [Ausführungen des Behandlers] gewesen seien. Diesen schlüssigen Ausführungen ist die Klägerseite nicht entgegengetreten.
2.
Darüber hinaus ist nicht zu beanstanden, dass die Beihilfefähigkeit der Kosten für die fünffach abgerechnete „Ostenil-Fertigspritze“ nicht anerkannt wurde.
Der Beihilfefähigkeit steht § 22 Abs. 1 BBhV entgegen. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 BBhV sind Aufwendungen für ärztlich oder zahnärztlich nach Art und Umfang schriftlich verordnete oder während der Behandlung verbrauchte Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 und 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt, in Anlage 4 aufgeführt sind und die dort genannten Maßgaben erfüllen, beihilfefähig.
Das Präparat Ostenil ist ein Medizinprodukt im Sinne des § 3 Nr. 1 MPG (vgl. dazu, dass es sich bei Fertigspritzen mit Hyaluronsäure auf Grund einer physikalischen Wirkungsweise bei Gelenkerkrankungen um Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes handelt, BVerwG, U.v. 12.9.2013 – 5 C 33.12 – juris, Rn. 22; BGH, U.v. 9.7.2009 – I ZR 193/06 – PharmR 2010, 297 = juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 11.3.2010 – 10 S 3090/08 – PharmR 2020, 300 = juris, Rn. 24; VG Regensburg, U.v. 18.2.2008 – RO 8 K 07.1650 – juris Rn. 71). Als Medizinprodukt ist Ostenil nur nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 Nr. 4 BBhV beihilfefähig. Eine Beihilfefähigkeit bestünde daher nur, wenn das Präparat in Anlage 4 zur BBhV aufgeführt ist und die dort genannten Vorgaben erfüllt. Ostenil bzw. Fertigspritzen mit Hyaluronsäure zur Anwendung bei Gelenkerkrankungen sind jedoch in Anlage 4 zur BBhV nicht genannt. Folglich besteht keine Beihilfefähigkeit des Stoffes.
Dieser Ausschluss der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Medizinprodukte ist auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Insbesondere liegt keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor. Dieser gebietet wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, stellt es dem Normgeber aber frei, aufgrund autonomer Wertungen Differenzierungsmerkmale auszuwählen, an die er eine Gleich- oder Ungleichbehandlung anknüpft. Dabei hat er grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum, wenn die Ungleichbehandlung nicht an ein personenbezogenes, d.h. von den Betroffenen gar nicht oder nur schwer beeinflussbares Merkmal, sondern an Lebenssachverhalte anknüpft oder von freiwilligen Entscheidungen der Betroffenen abhängt. Betrifft die angegriffene Maßnahme ein Gebiet, in dem der Normgeber über ein weites Ermessen verfügt, so ist ein Gleichheitsverstoß nur dann anzunehmen, wenn sich im Hinblick auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung schlechthin nicht finden lässt, die Regelung also willkürlich erscheint. Bewegt sich der Normgeber dagegen auf einem Gebiet, auf dem er engen rechtlichen Bindungen unterliegt, so kann ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz schon dann angenommen werden, wenn für die Differenzierung keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Da die Beihilfe ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn hat, ist diese bei der Prüfung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich zu beachten. Die vom Normgeber für eine Differenzierung im Beihilfensystem angeführten Gründe müssen hiervor Bestand haben. Solange der Gesetzgeber am gegenwärtig praktizierten „Mischsystem“ aus privat finanzierter Vorsorge und ergänzender Beihilfe festhält, ist der allgemeine Gleichheitssatz dann verletzt, wenn eine bestimmte Regelung die im Beihilfensystem angelegte Sachgesetzlichkeit ohne zureichenden Grund verlässt (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 5 C 3.12 -, ZBR 213, 249; und v. 18.02.2009 – 2 C 23.08 -, Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 18).
Das ist hier nicht der Fall. Für den Ausschluss von Medizinprodukten gibt es sachliche, im Beihilferecht angelegte Gründe. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt insbesondere nicht darin, dass Beihilfeberechtigte, denen das Medizinprodukt „Ostenil“ verabreicht wurde, die dafür aufgewendeten Kosten nicht erstattet bekommen, während die Kosten für ein Medikament mit gleicher Wirkung, das als Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes einzustufen ist, vom Dienstherrn im Rahmen der Beihilfe übernommen werden. Diese Ungleichbehandlung ist im vorliegenden Fall jedenfalls deshalb gerechtfertigt, weil der therapeutische Nutzen des in Rede stehenden Medizinprodukts „Ostenil“ nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft umstritten ist. Zwar gibt es Studien, in denen die Behandlung einer Gonarthrose mit hyaluronsäurehaltigen Produkten uneingeschränkt befürwortet wird (Bellamy et al., Viscosupplementation for the treatment of osteoarthritis of the knee (Review), The Cochrane Collaboration, (publ. by John Wiley & Sons) oder ihr aber zumindest ein geringer positiver Effekt zugesprochen wird (Institut für Allgemeinmedizin Frankfurt, IGeL-Helfer „Intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure“). Hinzu kommt, dass die entsprechende Therapie in der im Regelfall maßgeblichen fachlichen Leitlinie der einschlägigen „Fachgesellschaften“ – der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) und des Berufsverbands der Ärzte für Orthopädie (BVO) – als medikamentöse Therapie sogar der Coxarthrose mit „Symptomatic slow acting drugs“ ausdrücklich genannt wird (Nr. 11.2.). Diesen Studien stehen jedoch andere Veröffentlichungen gegenüber, nach denen die Wirksamkeit der Hyaluronsäurebehandlung nicht erwiesen werden konnte (siehe Arznei-Telegramm 2002, 39 und 2004, 15). Auch diverse Gerichtsentscheidungen gehen davon aus, dass die medizinische Wirksamkeit von Chondroprotektiva zumindest umstritten ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.09.2013 – 5 C 33.12 -, a.a.O.; VGH BW, U.v. 22.8.2012 – 2 S 2076/11 -, ESVGH 63, 128).
Bei der Bewertung der wissenschaftlichen Anerkennung von Hyaluronspritzen zur Behandlung arthrosebedingter Beschwerden war kein Sachverständigengutachten einzuholen. Denn bei der Prüfung der Wirksamkeit des Beihilfeausschlusses an dem Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG kommt es allein darauf an, ob der Verordnungsgeber bei Bewertung des gegenwärtigen Standes der medizinischen Wissenschaft und unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums zu der Erkenntnis gelangen durfte, dass die Wirksamkeit des in Rede stehenden Medizinprodukts in den einschlägigen Fachkreisen zumindest uneinheitlich beurteilt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Einholung der Meinung eines einzelnen Sachverständigen kein geeignetes Beweismittel zur Klärung der maßgeblichen Frage. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass vorliegend auch keine Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung über den Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO bestand. Denn die Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung gilt im Grundsatz nur für in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisanträge, nicht dagegen für (nur) in vorbereitenden Schriftsätzen angekündigte Beweisanträge. Zwar gebietet es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auch im Falle einer vorangegangenen Verzichtserklärung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einen neuen Beweisantrag entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu behandeln und über ihn vor der Sachentscheidung zu entscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 6.9.2011 – 9 B 48.11 – NVwZ 2012, 376 Rn. 10; U.v. 28.11.1962 – 4 C 113.62 – BVerwGE 15, 176 [176]). Hier liegt allerdings schon kein zulässiger Beweisantrag vor, da es jedenfalls an der Behauptung einer bestimmten Tatsache fehlt. Es genügt nicht, dass vom Gericht mittels eines völlig vagen und unbestimmten Antrags die Beschaffung von Material verlangt wird, aus dessen Sichtung und Durchforschung sich die zu behauptende und zu beweisende Tatsache ergeben soll (vgl. Dawin in: Schoch/Schneider, VwGO, 39 EL Juli 2020, § 86, Rn. 92).
Ein Verstoß gegen die dem Dienstherrn obliegende Fürsorgepflicht, die zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört, liegt hinsichtlich des in Rede stehenden Beihilfeausschlusses ebenfalls nicht vor. In der verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Beihilfe in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört (vgl. BVerfG, B.v. 7.11.2002 – 2 BvR 1053/98 – BVerfGE 106, 225; BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 5 C 3.12 – juris). Die Gewährung von Beihilfe findet jedoch ihre Grundlage in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. BVerfG, B.v. 13.11.1990 – 2 BvF 3/88 – BVerfGE 83, 89). Entscheidet sich der Dienstherr, seiner Fürsorgepflicht durch Zahlung von Beihilfen nachzukommen, die zu der aus der gewährten Alimentation zu bestreitenden Eigenvorsorge ergänzend hinzutreten, so muss er gewährleisten, dass der Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine ihm zumutbare Eigenversorgung nicht absichern kann; eine lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen verlangt die Fürsorgepflicht jedoch nicht. Die verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgepflicht hindert den Dienstherrn grundsätzlich nicht, im Rahmen der nach medizinischer Einschätzung behandlungsbedürftigen Leiden Unterschiede zu machen und die Erstattung von Behandlungskosten aus triftigen Gründen zu beschränken oder auszuschließen. Der Dienstherr kann grundsätzlich bestimmte Arzneimittel und Medizinprodukte ganz oder teilweise von der Beihilfe ausschließen, solange er dadurch den Maßstab des medizinisch Gebotenen nicht unterschreitet (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 5 C 3.12 – juris m.w.N.). Dies ist hier nach den obigen Ausführungen nicht der Fall, da die Wirksamkeit von Hyaluron zur Behandlung einer Gonarthrose in der medizinischen Wissenschaft umstritten ist.
II.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO. Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch die Beklagte vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben