Medizinrecht

Kostenrecht: Voraussetzungen der Verhängung eines Ordnungsgelds gegen Sachverständige

Aktenzeichen  L 2 KR 343/21 B

Datum:
3.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 321
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 118 Abs. 1 S. 1
ZPO § 381, § 407a Abs. 1, § 411 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO (in der Fassung durch das Änderungsgesetz vom 11.10.2016, BGBl I S. 2222) soll gegen einen Sachverständigen nach Fristsetzung und fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist ein zuvor angedrohtes Ordnungsgeld verhängt werden, wenn der Sachverständige seiner Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens bis dahin nicht nachgekommen ist. (Rn. 32)
2. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes kann nur dann unterbleiben, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Sachverständigen an der Verspätung kein Verschulden trifft. (Rn. 33)
3. Ein Sachverständiger, der mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden ist, hat von sich aus alle Schritte zu unternehmen, die zur Erledigung des Gutachtensauftrages erforderlich sind. Er hat dies auch grundsätzlich in einer angemessenen Frist zu tun, nicht erst auf Erinnerung und Fristsetzung durch das Gericht. (Rn. 33)
4. Treten unvorhersehbare Umstände ein, die es dem Sachverständigen erschweren oder unmöglich machen, das Gutachten rechtzeitig bzw. zeitgerecht zu erstellen, so hat er das Gericht unverzüglich zu unterrichten. Insbesondere hat der Sachverständige gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 407a Abs. 1 ZPO unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann, und wenn das nicht der Fall ist das Gericht unverzüglich zu verständigen. (Rn. 33)
5. Die Verhängung von Ordnungsgeld wird auch durch Vorlage des Gutachtens nicht obsolet. Nach Wortlaut und Sinn dient die Verhängung von Ordnungsgeld nicht allein der Durchsetzung der Verpflichtung zur Erstellung eines Gutachtens, sondern auch dessen zeitgerechter Erstellung. (Rn. 36)
6. Die Höhe des Ordnungsgeldes richtet sich seit dem o.g. Änderungsgesetz vom 11.10.2016 nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Danach ist die Höhe des Ordnungsgeldes nach Ermessen zu bestimmen und darf das einzelne Ordnungsgeld 3.000,- EUR nicht übersteigen. (Rn. 37)

Verfahrensgang

S 44 KR 431/18 2021-04-28 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 28.04.2021 – S 44 KR 431/18 – wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Verhängung von Ordnungsgeld gegen den ärztlichen Sachverständigen und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) wegen verspäteter Erstellung eines Gutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Verfahren der B (Klägerin) gegen die Techniker Krankenkasse (Beklagte) wegen medizinischer Hilfsmittelversorgung vor dem Sozialgericht München (SG) unter dem Az. S 44 KR 431/18.
Mit Beweisanordnung vom 19.02.2019 wurde der Bf. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens wegen der Versorgung der Klägerin mit dem Hilfsmittel „Innowalk“ beauftragt. Mit gerichtlicher Verfügung vom 19.02.2019 wurden dem Bf. die Akten übersandt. Zugleich wurde ihm eine Frist zur Erstellung des Gutachtens innerhalb drei Monaten nach Zugang des Auftrags gesetzt. Das Schreiben vom 19.02.2019 enthielt folgenden Hinweis: „Sofern es Ihnen voraussichtlich nicht möglich ist, diesen Zeitrahmen einzuhalten, teilen Sie dies bitte unverzüglich unter Angabe der Gründe und der bis zur Übersendung des Gutachtens benötigten Zeit mit.“ Die Zustellung des Gutachtensauftrags vom 19.02.2019 nebst Anlagen erfolgte gemäß Empfangsbekenntnis am 26.02.2019.
Auf Nachfrage des SG vom 29.05.2019 („Erinnerung“), bis wann mit der Erstattung des Gutachtens zu rechnen sei bzw. welche Gründe der Fertigstellung entgegenstünden, teilte der Bf. mit Schreiben vom 12.06.2019 mit, dass aufgrund eines erhöhten Arbeitsaufkommens in der Abteilung eine Erledigung nicht vor dem 31.07.2019 möglich sei.
Mit Schreiben vom 10.09.2019 („2. Erinnerung“) teilte das SG dem Bf. mit, dass das am 19.02.2019 in Auftrag gegebene Gutachten noch nicht erstattet worden sei und setzte dem Bf. eine Frist für die Übersendung des Gutachtens bis spätestens 18.10.2019. Die Zustellung des Schreibens vom 10.09.2019 erfolgte gemäß Postzustellungsurkunde (PZU) am 11.09.2019 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter.
Mit Schreiben vom 25.10.2019 („3. Erinnerung“) teilte das SG dem Bf. mit, dass das am 19.02.2019 in Auftrag gegebene Gutachten trotz zweifacher Mahnung noch immer nicht erstattet worden sei und setzte dem Bf. eine Nachfrist zur Erstellung des Gutachtens bis spätestens 28.11.2019. Für den Fall, dass bis zur Nachfrist (Eingang bei Gericht) das Gutachten der Geschäftsstelle nicht vorliege, drohte das SG dem Bf. an, dass ein Ordnungsgeld i.H.v. 500,- Euro verhängt werde. Auch wurde der Bf. darauf hingewiesen, dass im Falle wiederholter Fristversäumnis das Ordnungsgeld in gleicher Weise noch einmal festgesetzt werden könne. Die Zustellung des Schreibens vom 25.10.2019 erfolgte gemäß PZU am 28.10.2019 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter.
Mit Schreiben vom 27.11.2019 teilte der Bf. dem SG mit, dass das Gutachten aufgrund von Personalmangel bislang nicht hätte fertiggestellt werden können. Die Klägerin sei nunmehr für den 18.12.2019 zur Untersuchung einbestellt worden. Das Gutachten werde dann zeitnah erstellt, weshalb gebeten werde, das mit Schreiben vom 25.10.2019 angedrohte Ordnungsgeld zurückzunehmen. Darauf wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 28.11.2019 dem Bf. die beantragte Fristverlängerung gewährt.
Nach Mitteilung der Bevollmächtigten der Klägerin vom 03.12.2019 musste der für den 18.12.2019 vorgesehene Untersuchungstermin wegen eines stationären Krankenhausaufenthaltes der Klägerin verschoben werden.
Mit einem am 06.12.2019 beim SG eingegangenen Schreiben des Bf., das auf den 27.11.2019 datiert, teilte der Bf. mit, dass der geplante Termin am 18.12.2019 nicht stattfinden könne, weil sich die Klägerin momentan anderweitig stationär in einer Klinik befinde. Daher werde der Bf. einen neuen Termin im Januar 2020 anfragen. Sobald ein neuer Termin geplant sei, werde das SG schriftlich informiert werden.
Mit Schriftsatz vom 04.03.2020 teilte die Bevollmächtigte der Klägerin mit, dass der stationäre Aufenthalt der Klägerin beendet sei und die Begutachtung nun erfolgen könne. Dieses Schreiben leitete das SG am 05.03.2020 an den Bf. zur Kenntnis und weiteren Veranlassung weiter.
Einen weiteren Schriftsatz der Bevollmächtigten der Klägerin vom 09.03.2020 mit Anlagen leitete das SG am 10.03.2020 zur Kenntnis und Berücksichtigung im Rahmen der Erstellung des Gutachtens an den Bf. weiter.
Mit Schreiben vom 12.03.2020 fragte der Bf. unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben vom 10.03.2020 an, ob zwischenzeitlich eine Erprobung des Hilfsmittels stattgefunden habe und bat bejahendenfalls um Zusendung der Erprobungsberichte. Desweiteren bat der Bf. um Mitteilung, ob es sich weiterhin um den Klagegegenstand einer 6-monatigen Testversorgung handele oder es um eine endgültige Hilfsmittelversorgung gehe. Der Bf. stellte nach Beantwortung seiner Anfrage eine zeitnahe Begutachtung der Klägerin in Aussicht.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 23.04.2020 wurde dem Bf. die Mitteilung der Klägerbevollmächtigten vom 22.04.2020 weitergeleitet, in welcher klargestellt wurde, dass streitgegenständlich nach wie vor eine 6-monatige Erprobung des Hilfsmittels sei, welche bislang nicht stattgefunden habe. Zugleich wurde der Bf. nochmals um zeitnahe Erstellung des Gutachtens gebeten.
Mit Schreiben vom 07.07.2020 („4. Erinnerung“) teilte das SG dem Bf. mit, dass das am 19.02.2019 in Auftrag gegebene Gutachten noch nicht erstattet worden sei und setzte dem Bf. eine Frist für die Übersendung des Gutachtens bis spätestens 21.08.2020. Die Zustellung des Schreibens vom 07.07.2020 erfolgte gemäß PZU am 10.07.2020 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter.
Mit Schreiben vom 26.08.2020 („5. Erinnerung“) teilte das SG dem Bf. mit, dass das am 19.02.2019 in Auftrag gegebene Gutachten trotz zweifacher Mahnung noch immer nicht erstattet worden sei. Hinderungsgründe seien nicht mitgeteilt worden. Im Interesse der Beteiligten werde nunmehr eine Nachfrist zur Erstellung des Gutachtens bis spätestens 23.09.2020 gesetzt. Für den Fall, dass bis zur Nachfrist (Eingang bei Gericht) das Gutachten der Geschäftsstelle nicht vorliege, drohte das SG dem Bf. an, dass ein Ordnungsgeld i.H.v. 500,- Euro verhängt werde. Auch wurde der Bf. darauf hingewiesen, dass im Falle wiederholter Fristversäumnis das Ordnungsgeld in gleicher Weise noch einmal festgesetzt werden könne. Die Zustellung des Schreibens vom 26.08.2020 erfolgte gemäß PZU am 14.09.2020 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter.
Zwischenzeitlich wies der Bf. mit Schreiben vom 04.09.2020 (Eingang beim SG am 08.09.2020) darauf hin, dass wegen der Coronakrise jegliche verschiebbare medizinische Behandlung in Krankenhäusern verboten (gewesen) sei und auch jetzt Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten seien. Es werde daher gebeten, die Notwendigkeit der für die Gutachtenserstellung erforderlichen, im Einzelnen bezeichneten Untersuchungen zum jetzigen Zeitpunkt richterlich anzuordnen. Die Klägerin werde dann zeitnah einbestellt und das Gutachten fertiggestellt.
Mit Schreiben vom 10.09.2020 forderte die Vorsitzende den Bf. unter Nennung der in seiner Anfrage vom 04.09.2020 beschriebenen Untersuchungen (Familienanamnese, klinische Untersuchung der Klägerin sowie Austestung des Hilfsmittels) nochmals zur Erstellung des Gutachtens bis 19.11.2020 auf.
Am 08.10.2020 erhielt das SG den Abdruck des Schreibens vom 06.10.2020, mit dem der Bf. die Klägerin zur gutachterlichen Untersuchung zum 30.10.2020 einbestellte. Die Bevollmächtigte der Klägerin bestätigte den vereinbarten Untersuchungstermin mit Schriftsatz vom 09.10.2020 und wies nochmals auf die Dringlichkeit der Hilfsmittelversorgung bei der Klägerin hin.
Mit Schreiben vom 09.02.2021 („6. Erinnerung“) teilte das SG dem Bf. mit, dass das am 19.02.2019 in Auftrag gegebene Gutachten noch nicht erstattet worden sei und setzte dem Bf. eine Frist für die Übersendung des Gutachtens bis spätestens 12.03.2021. Die Zustellung des Schreibens vom 09.02.2021 erfolgte gemäß PZU am 10.02.2021 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter.
Mit Schreiben vom 23.03.2021 („7. Erinnerung“) teilte das SG dem Bf. mit, dass das am 19.02.2019 in Auftrag gegebene Gutachten trotz zweifacher Mahnung noch immer nicht erstattet worden sei. Hinderungsgründe seien nicht mitgeteilt worden. Im Interesse der Beteiligten werde nunmehr eine Nachfrist zur Erstellung des Gutachtens bis spätestens 23.04.2021 gesetzt. Für den Fall, dass bis zur Nachfrist (Eingang bei Gericht) das Gutachten der Geschäftsstelle nicht vorliege, drohte das SG dem Bf. an, dass ein Ordnungsgeld i.H.v. 500,- Euro verhängt werde. Auch wurde der Bf. darauf hingewiesen, dass im Falle wiederholter Fristversäumnis das Ordnungsgeld in gleicher Weise noch einmal festgesetzt werden könne. Die Zustellung des Schreibens vom 23.03.2021 erfolgte gemäß PZU am 24.03.2021 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter.
Mit Beschluss vom 28.04.2021 hat das SG gegen den Bf. ein Ordnungsgeld i.H.v. 500,- Euro festgesetzt. In den Gründen zu II. hat das SG zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
„Gegen den Sachverständigen W war nach § 118 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 411 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 Euro festzusetzen, weil er trotz der im gerichtlichen Schreiben vom 09.02.2021 erfolgten Fristsetzung bis zum 12.03.2021 sowie trotz Androhung des Ordnungsgeldes mit gerichtlichem Schreiben vom 23.03.2021 unter Setzung einer Nachfrist bis zum 23.04.2021 das mit Beweisanordnung vom 19.02.2019 geforderte Gutachten bis zum heutigen Tage nicht erstattet hat.
Vor dem Hintergrund einer fehlenden Reaktion des Sachverständigen auf die ihm zugestellten gerichtlichen Schreiben vom 09.02.2021 und vom 23.03.2021 lassen sich keine Gründe erkennen, die einer Fertigstellung des in Auftrag gegebenen Gutachtens entgegenstehen könnten. Gegen den Sachverständigen war nunmehr im Interesse einer Prozessbeschleunigung gem. § 411 Abs. 2 ZPO ein Ordnungsgeld festzusetzen.
Die Höhe des Ordnungsgeldes richtet sich nach Art. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB). Danach ist ein Rahmen von 5,00 Euro bis 1.000,00 Euro vorgegeben, innerhalb dessen sich das Ordnungsgeld bewegen kann. Bei der Zumessung hat das Gericht die Umstände, die für oder gegen den Betroffenen sprechen, gegeneinander abzuwägen. Dabei ist auf das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art des Verstoßes und dessen schuldhafte Auswirkungen sowie auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen abzustellen. In der Regel bedarf es keiner eingehenden Begründung dieser Ermessensentscheidung, wenn sich das Ordnungsgeld im Mittel des vorgegebenen Rahmens bewegt. Das ist hier bei der Festsetzung von 500,- Euro der Fall (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. November 2013 – L 2 R 995/12 B -, juris-Rn. 28).
Die Kammer hat ein Ordnungsgeld von 500,00 EUR für sachgerecht gehalten, um der Bedeutung des Gutachtens für den Rechtsstreit – hier die Versorgung der minderjährigen Klägerin mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel – und der Schwere der Pflichtverletzung – die Erstattung des Gutachtens steht insgesamt seit nunmehr mehr als zwei Jahren aus und die Nichterstattung ist in diesem Zeitraum lediglich für maximal 3 Monate auf einen Krankenhausaufenthalt der Klägerin zurückzuführen – gerecht zu werden. Es erscheint dem Gericht daher als gerechtfertigt, W ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 Euro aufzuerlegen.“
Die Zustellung des Beschlusses vom 28.04.2021 erfolgte gemäß PZU am 29.04.2021 durch Übergabe an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter.
Mit Schreiben vom 28.04.2021 (beim SG am gleichen Tag eingegangen) hat der Bf. mitgeteilt, dass aufgrund der momentanen Situation der Coronapandemie das Gutachten zum genannten Termin nicht fertiggestellt werden könne. Um Fristverlängerung bis 12.05.2021 werde gebeten.
Mit Schreiben vom 03.05.2021 (beim SG am gleichen Tag eingegangen) hat der Bf. mitgeteilt, dass er am 28.04.2021 einen Antrag auf Fristverlängerung für das Gutachten gestellt habe. Die Coronapandemie stelle insbesondere für die Krankenhäuser eine große Herausforderung dar und bringe diese teilweise an die personelle und zeitliche Belastungsgrenze. Dies sei auch in der Klinik des Bf. der Fall, was neben der Verzögerung durch die Krankheit der Klägerin zur Verzögerung der Erstellung des Gutachtens geführt habe. Er beantrage aus diesem Grund die Rücknahme des Ordnungsgeldes und Fristverlängerung bis zum 12.05.2021. Bis dahin werde dem SG das Gutachten zugegangen sein.
Mit Schreiben vom 10.05.2021 (beim SG am gleichen Tag eingegangen) hat der Bf. sodann mitgeteilt, dass er am 28.04.2021 einen Antrag auf Fristverlängerung für das Gutachten bis zum 12.05.2021 gestellt habe. Trotzdem habe er einen Beschluss über ein Ordnungsgeld von 500,- Euro erhalten. Bereits am 03.05.2021 habe er beantragt, das Ordnungsgeld zurückzunehmen. Anbei sende er das fertiggestellte Gutachten – vorab per Fax. Wie bereits dargestellt, sei die Verzögerung in der Gutachtenerstellung einerseits durch einen längeren Krankenhausaufenthalt der Klägerin sowie die außerordentlichen Belastungen durch die Corona-Krise entstanden. Daher beantrage er erneut die Rücknahme des Ordnungsgeldbeschlusses vom 28.04.2021. Dem Schreiben vom 10.05.2021 war das Gutachten (unter dem Datum „23.11.19“) beigefügt.
Mit Schreiben vom 18.05.2021 hat das SG zu dem mit Schreiben vom 28.04.2021 gestellten Antrag auf Fristverlängerung darauf hingewiesen, dass dieser dem SG zum Zeitpunkt des Erlasses des Ordnungsgeldbeschlusses vom 28.04.2021 noch nicht vorgelegen habe. Gegen den Beschluss des SG vom 28.04.2021 sei gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG die Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) statthaft. Das SGG sehe für das Beschwerdeverfahren ein vorgeschaltetes Abhilfeverfahren durch das erstinstanzliche SG grundsätzlich nicht (mehr) vor, d.h. dass es für die im Rahmen einer Abhilfe beantragte Aufhebung des festgesetzten Ordnungsgeldes durch das SG an der erforderlichen rechtlichen Grundlage fehle. Der Antrag des Bf. auf Aufhebung des Ordnungsgeldes wäre daher als Beschwerde zu werten. Es sei deshalb beabsichtigt, den Antrag an das LSG weiterzuleiten. Der Bf. erhalte vorab Gelegenheit zur Stellungnahme bzw. Klarstellung bis zum 01.06.2021, ob er den Antrag (als Beschwerde) aufrechterhalten möchte.
Mit weiterem gerichtlichen Schreiben vom 18.05.2021 hat das SG dargelegt, dass das SG den Antrag des Bf. auf Aufhebung des festgesetzten Ordnungsgeldes derzeit als Beschwerde werte, über welche gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG nicht das SG, sondern das LSG zu entscheiden hätte. Es werde letztmals Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 22.06.2021 gegeben, ob der Antrag aufrecht erhalten bleibe. Nach fruchtlosem Ablauf der o.g. Frist sei beabsichtigt, den Antrag des Bf. ohne weitere Mitteilung zur Entscheidung an das LSG weiterzuleiten.
Mit Schreiben vom 28.06.2021 hat der Bf. Folgendes mitgeteilt:
„…wie bereits dargelegt halte ich das Ordnungsgeld von 500 Euro für nicht gerechtfertigt. Es handelt sich um eine Klage vom 19.03.2018, ein Gutachtenauftrag wurde erst am 19.02.20219, also knapp ein Jahr nach Klageeingang erstellt.
Nach erhalt des Gutachtens wurde dem Gericht mitgeteilt weshalb es zu einer Verzögerung der Einbestellung kommen musste, dies wurde vom Gericht so akzeptiert, ein festgelegter Einbestelltermin konnte von der Familie dann nicht wahrgenommen werden, da die Klägerin operiert wurde mit einem nachfolgenden mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt. Auch zum Zeitpunkt des Gutachtens hatte die Patientin ihre Mobilität wie vor der Operation bei weitem noch nicht erreicht, sodass eine frühere Begutachtung über das strittige Hilfsmittel (ein Mobilitätstrainer) in keinster Weise sinnvoll gewesen wäre, sodass die Verzögerung des Gutachtens bis zum Untersuchungstermin durch die Krankheit der Patientin bedingt war. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte der mögliche Einsatz des Hilfsmittels nicht beurteilt werden können, ein Folgegutachten wäre erforderlich gewesen. Die Begründung das allenfalls drei Monate auf den Krankenhausaufenthalt der Klägerin zurückzuführen aus unserer Sicht sachlich nicht richtig.
Dem Gericht wurde mitgeteilt das es dann zu einer Verzögerung in der Fertigstellung des Gutachtens aufgrund der Corona-Krise kam. Die Corona-Krise hat insbesondere die Krankenhäuser für größte Herausforderungen gesorgt sodass Zusatztätigkeiten wie Fertigstellung von Gutachten nicht in der gewohnten Frist erfolgen konnte darüber wurde das Gericht auch informiert. Die Zustellung des Gutachtens erfolgte dann am 10.05.2021, damit nur wenige Tage nach der vom Gericht festgelegte Fristverlängerung.
Von der Klagestellung bis zur Fertigstellung des Gutachtens entstanden daher Verzögerungen von 1 Jahr durch das Gericht und 1,5 Jahre und die Krankheit der Klägerin. Eine Bearbeitungszeit nach der Untersuchung ist normal und die hier entstandene zusätzliche im Vergleich hier kurze Verzögerung rechtfertigt das Ordnungsgeld in der festgelegten Höhe nicht.“
Mit Schreiben vom 06.07.2021 (eingegangen beim LSG am 07.07.2021) hat das SG die Schreiben des Bf. vom 03.05.2021, 10.05.2021 und 28.06.2021 an das LSG übersandt.
Mit Schreiben an das LSG vom 03.08.2021 hat der Bf. zur Begründung der Beschwerde auf sein Schreiben an das SG vom 28.06.2021 verwiesen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des LSG (L 2 KR 343/21 B) und die beigezogene Akte des SG (S 44 KR 431/18) verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 SGG), jedoch nicht begründet. Der Ordnungsgeldbeschluss vom 28.04.2021 ist rechtmäßig.
Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO (in der Fassung durch das Änderungsgesetz vom 11.10.2016, BGBl I S. 2222) soll gegen einen Sachverständigen nach Fristsetzung und fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist ein zuvor angedrohtes Ordnungsgeld verhängt werden, wenn der Sachverständige seiner Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens bis dahin nicht nachgekommen ist. Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Bf. hat die zuletzt mit Schreiben des SG vom 23.03.2021 gesetzte Nachfrist bis 23.04.2021, das Gutachten vorzulegen, verstreichen lassen. Die Verhängung von Ordnungsgeld i.H.v. 500,- EUR wurde angedroht; das Schreiben vom 23.03.2021 wurde am 24.03.2021 durch PZU auch förmlich zugestellt. Damit liegen die Voraussetzungen zur Verhängung eines Ordnungsgeldes vor.
Weiter kann die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nur dann unterbleiben, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Sachverständigen an der Verspätung kein Verschulden trifft (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 118 Rn. 12q a.E., wonach ein Verschulden schon dann vorliegt, wenn der Sachverständige nicht unverzüglich mitgeteilt hat, dass er das Gutachten nicht fristgerecht erstatten kann; Greger, in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 34. Aufl. 2022, § 411 Rn. 8, der insoweit § 381 ZPO entsprechend anwenden will). Dabei ist zu beachten, dass ein Sachverständiger, wenn er mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden ist, von sich aus alle Schritte zu unternehmen hat, die zur Erledigung des Gutachtensauftrages erforderlich sind. Er hat dies auch grundsätzlich in einer angemessenen Frist zu tun, nicht erst auf Erinnerung und Fristsetzung durch das Gericht. Treten unvorhersehbare Umstände ein, die es dem Sachverständigen erschweren oder unmöglich machen, das Gutachten rechtzeitig bzw. zeitgerecht zu erstellen, so hat er das Gericht unverzüglich zu unterrichten (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.03.2014 – L 2 R 77/14 B, BeckRS 2014, 68469; vom 06.02.2014 – L 2 R 466/12 B, BeckRS 2014, 60019; vom 10.11.2010 – L 2 R 639/10 B, BeckRS 2010, 75949). Insbesondere hat der Sachverständige gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 407a Abs. 1 ZPO unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann, und – wenn das nicht der Fall ist – das Gericht unverzüglich zu verständigen.
Gemessen an diesen Grundsätzen liegen Gründe, die die Nicht- bzw. verspätete Einreichung des Gutachtens entschuldigen könnten, nicht vor. Festzuhalten ist zunächst, dass der Bf. nach der Untersuchung der Klägerin am 30.10.2020 mit Schreiben des SG vom 09.02.2021 an die Gutachtenserstellung erinnert werden musste, weil zu diesem Zeitpunkt das Gutachten der Geschäftsstelle des SG noch nicht vorlag. Nachdem im März 2021, also knapp 5 Monate nach der Untersuchung, das Gutachten noch immer nicht vorlag, erfolgte am 23.03.2021 die Nachfristsetzung bis spätestens 23.04.2021 sowie die Androhung der Verhängung eines Ordnungsgeldes. Gemäß dem in der Beweisanordnung vom 19.02.2019 enthaltenen Hinweis, Hinderungsgründe dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, oblag es dem Bf., unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), das SG darüber zu unterrichten, dass sich die Gutachtenserstellung weiter verzögert, sowie die Gründe dafür mitzuteilen. Der Bf. hat indessen erst mit Schreiben vom 28.04.2021 reagiert, also zu einem Zeitpunkt nach der am 23.03.2021 gesetzten Nachfrist bis spätestens 23.04.2021, was sich zudem mit dem ebenfalls am 28.04.2021 erlassenen Beschluss des SG überschnitten hat.
Aber auch die mit Schreiben vom 28.04.2021 (und den weiteren Schreiben vom 03.05., 10.05. und 28.06.2021) mitgeteilten Gründe entschuldigen die verspätete Einreichung des Gutachtens nicht. Dabei verkennt der Senat die durch die Corona-Pandemie bedingte, z.T. erhebliche Mehrbelastung der Kliniken und des dort beschäftigten ärztlichen wie nichtärztlichen Personals nicht. Abgesehen davon, dass das vom Bf. am 04.09.2020 im Vorfeld der Untersuchung am 30.10.2020 ins Feld geführte zeitweise Verbot verschiebbarer medizinischer Behandlungen in Krankenhäusern (nur) in der Zeit vom 20.03.2020 bis 15.05.2020 gegolten hat (Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 19.03.2020, BayMBl. 2020 Nr. 151 vom 25.03.2020), bleibt der Verweis des Bf. auf die personelle und zeitliche Belastung durch die Corona-Pandemie aber zu pauschal und unsubstanziiert. Dem Senat erschließt sich nicht, dass es dem Bf. nach der Untersuchung der Klägerin am 30.10.2020 bis zum 23.04.2021, also über fast 6 Monate, nicht möglich gewesen sein soll, ein Gutachten zu diktieren bzw. schreiben zu lassen und gegebenenfalls zu korrigieren. Vor allem aber hat der Bf. trotz der 6. und 7. Erinnerung nach Untersuchung der Klägerin keinerlei (fortbestehenden) Hinderungsgründe innerhalb der gesetzten Frist mitgeteilt, was gerade bei dauerhafter oder längerdauernder Verhinderung des Sachverständigen geboten ist, damit das Gericht ggf. prüfen kann, ob andere Maßnahmen zur Beschleunigung zu treffen sind oder ggf. eine Entbindung des Sachverständigen geboten ist. Nach alldem liegen die Gründe für die nicht zeitgerechte Fertigstellung des Gutachtens also nicht – wie der Bf. zu unterstellen versucht – in der Sphäre des SG oder der Klägerin (Schreiben vom 28.06.2021), sondern allein in der des Bf.
Die Verhängung von Ordnungsgeld wird auch durch Vorlage des Gutachtens nicht obsolet. Nach Wortlaut und Sinn dient die Verhängung von Ordnungsgeld nicht allein der Durchsetzung der Verpflichtung zur Erstellung eines Gutachtens, sondern auch dessen zeitgerechter Erstellung (vgl. Beschlüsse des Senats vom 06.02.2014, a.a.O., Rn. 19; vom 10.11.2010, a.a.O., Rn. 12). Vorliegend erfolgte die Einreichung des Gutachtens erst nach dem Ordnungsgeldbeschluss vom 28.04.2021 mit Schreiben vom 10.05.2021 und damit rund 6,5 Monate nach der Untersuchung der Klägerin am 30.10.2020 und insgesamt rund 27 Monate nach der Gutachterbestellung (Beweisanordnung vom 19.02.2019), so dass eine erhebliche zeitliche Verzögerung des Rechtsstreits eingetreten ist.
Schließlich ist auch die Höhe des festgesetzten Ordnungsgeldes nicht zu beanstanden. Diese richtet sich allerdings nicht, wie vom SG angenommen, nach Art. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB), sondern nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 Satz 4 ZPO (in der Fassung durch das o.g. Änderungsgesetz vom 11.10.2016). Danach ist die Höhe des Ordnungsgeldes nach Ermessen zu bestimmen und darf das einzelne Ordnungsgeld 3.000,- EUR (nur) nicht übersteigen. Aber auch hieran gemessen, ist die vom SG vorgenommene Begründung seiner Ermessensentscheidung im Ergebnis nicht beanstanden. Im Gegenteil erscheint dem Senat die Festsetzung eines Ordnungsgeldes i.H.v. 500,- EUR als sehr niedrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da der Bf. als Sachverständiger nicht zum begünstigten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Da die Beschwerde keinen Erfolg hatte, hat der Bf. die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert war entsprechend der Höhe des in Streit stehenden Ordnungsgeldes festzusetzen (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben