Medizinrecht

Krankenversicherung: Gewährung einer Anschlussrehabilitation im einstweiligen Rechtsschutz

Aktenzeichen  L 20 KR 533/20 B ER

Datum:
17.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2770
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 19 Abs. 4
SGB V § 40 Abs. 6
SGG § 86b Abs. 2

 

Leitsatz

1. Zur Bestimmung des Streitgegenstands. (Rn. 26 – 28)
2. Der Antrag auf Bewilligung einer Anschlussrehabilitation nach § 40 Abs. 6 SGB V erledigt sich durch Zeitablauf, wenn ein unmittelbarer Anschluss an die Krankenhausbehandlung nicht mehr gegeben ist, spätestens 6 Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt. (Rn. 40 – 41)
3. Der Umstand, dass gerichtlichem Rechtsschutz zur Durchsetzung eines Anspruchs auf eine Anschlussrehabilitation enge zeitliche Grenzen gesetzt sind, stellt keine Verletzung des Justizgewährleistungsanspruchs des Art. 19 Abs. 4 GG dar. (Rn. 43)

Verfahrensgang

S 11 KR 811/20 ER 2020-11-26 Bes SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.11.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Bewilligung einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Anschlussrehabilitation (häufig dafür synonym verwendeter Begriff: Anschlussheilbehandlung, abgekürzt AHB).
Der im Jahr 1948 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) bezieht Altersrente und ist bei der Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) gesetzlich gegen Krankheit versichert. Er leidet u.a. unter einer fortgeschrittenen sensomotorischen Polyneuropathie entzündlicher Genese im Sinne einer CIDP, erheblichen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, einem Restless-legs-Syndrom, Diabetes mellitus und COPD mit Schlafapnoesyndrom. Seit 2015 führte er insgesamt zehn Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, überwiegend auf dem Gebiet der Orthopädie, einmal der Neurologie, durch, davon neun als stationäre Anschlussheilbehandlungen und eine als ambulante Rehabilitation.
Beginnend im Juni 2020 wurde der Antragsteller, nachdem er im Jahr 2018 bereits entsprechend therapiert worden war, bei Zunahme der Kraftlosigkeit wegen der sensomotorischen Polyneuropathie mit intravenösen Immunglobulingaben im Klinikum C-Stadt behandelt. Die Immunglobulingaben wurden dem Antragsteller bei insgesamt sechs (in der Regel zwei- bis viertägigen und im Monatsrhythmus stattfindenden) stationären Krankenhausaufenthalten verabreicht. Die letzte Behandlung fand im Dezember 2020 statt.
Mit Eingang bei der Antragsgegnerin am 22.06.2020 beantragte der Antragsteller während der ersten stationären Immunglobulingabe über den Sozialdienst des Klinikums C-Stadt bei der Antragstellerin unter Verwendung des Formblatts „Antrag auf Anschlussrehabilitation“ eine neurologische stationäre Anschlussrehabilitation, wobei er den Wunsch äußerte, die Anschlussrehabilitation im Neurozentrum N., Bad E., durchführen zu können. Im anliegenden ärztlichen Befundbericht – „Anlage zum Antrag auf Anschlussrehabilitation“ – gab der behandelnde Arzt des Klinikums C-Stadt an, dass die Krankenhausbehandlung mit Aufnahme am 17.06.2020 begonnen habe und der Kläger voraussichtlich am 23.06.2020 entlassen werde. Die Anschlussrehabilitation solle „frühestens am 01.07.20, weil stationär“, erfolgen, wobei die stationäre Durchführung mit der Multimorbidität des Antragstellers begründet wurde.
Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 30.06.2020 ab; eine stationäre Rehabilitation sei nicht erforderlich, da eine ambulante Behandlung am Wohnort ausreiche. Sie stützte sich dabei auf die Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Dieser hatte in seiner Stellungnahme vom 26.06.2020 eine stationäre neurologische Anschlussrehabilitation nicht befürwortet. Zwar seien eine generelle Rehabedürftigkeit und -fähigkeit beim Antragsteller nachvollziehbar, ambulante Maßnahmen seien jedoch nicht ausgeschöpft. Darüber hinaus sei eine positive Prognose, durch eine rehabilitative Maßnahme eine signifikante und nachhaltige Besserung zu erreichen, erheblich zu bezweifeln. Facharztbehandlung und optimierte Heilmitteltherapie sowie eine multimodale Schmerztherapie nebst unterstützenden psychosozialen Maßnahmen seien angeraten.
Dagegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 21.07.2020 Widerspruch ein. Es handele sich – so der Antragsteller – bei der beantragten „Maßnahme um keine Reha, sondern um eine AHB“, gefordert von der Klinik in C-Stadt. Er leide unter einer schweren Erkrankung und das Krankheitsbild habe sich signifikant verschlechtert. Somit sei eine ambulante Behandlung nicht möglich.
Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin nach Einholung eines weiteren sozialmedizinischen Gutachtens des MDK vom 14.08.2020 mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2020 zurück. In seinem Gutachten hatte der MDK erneut darauf hingewiesen, dass die medizinische Notwendigkeit einer Anschlussrehabilitation nicht zu erkennen sei. Eine Besserung des Krankheitsbildes des Antragstellers sei nur mit einer Immunglobulingabe zu erwarten. Heilmitteltherapien wie Physiotherapie und Ergotherapie würden im Anschluss an eine Immunglobulingabe eingesetzt, um eine Stabilisierung zu erreichen. Dafür seien wohnortnahe Therapiemöglichkeiten ausreichend und zweckmäßig; die Durchführung in einer auf das Krankheitsbild des Klägers spezialisierten Einrichtung sei nicht erforderlich.
Am 30.09.2020 erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG).
Am 13.10.2020 hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
Auf Nachfrage des SG hat der Chefarzt der Neurologie des Klinikums C-Stadt mit Schreiben vom 13.11.2020 mitgeteilt, dass die mit sechs Immunglobulingaben (= Zyklus) vereinbarte Therapie des Klägers noch nicht abgeschlossen sei. Unter der aktuell laufenden Immunglobulintherapie sei eine stationäre neurologische Anschlussheilbehandlung „eher nicht sinnvoll“, möglicherweise aber nach Abschluss des Immunglobulin-Zyklus. „Eventuell“ sei nach Abschluss des aktuellen Zyklus der Immunglobulintherapie eine neurologische Anschlussheilbehandlung erforderlich.
Mit Beschluss vom 26.11.2020 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zum Entscheidungszeitpunkt sei – so das SG – weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben. Dass ein Anspruch auf Gewährung einer Anschlussrehabilitation nicht bestehe, ergebe sich schon daraus, dass sich die Rehabilitation an eine vorangegangene akute Heilbehandlung anschließe, diese aber nach der Auskunft des Chefarztes des Klinikums C-Stadt noch nicht beendet sei. Da derzeit eine Anschlussrehabilitation sinnvollerweise nicht stattfinden könne, bestehe auch keine Eilbedürftigkeit für ihre Durchführung und somit kein Anordnungsgrund.
Gegen diesen Beschluss haben die Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 01.12.2020, eingegangen beim SG am 02.12.2020, Beschwerde zum Bayer. Landessozialgerichts (LSG) eingelegt und die Beschwerde wie folgt begründet:
Der Antragsteller leide unter zahlreichen chronischen Erkrankungen. Aufgrund der fortgeschrittenen sensomotorischen Polyneuropathie entzündlicher Genese im Sinne einer CIDP finde seit Juli 2020 einmal monatlich im Klinikum C-Stadt unter stationären Bedingungen eine Immunglobulintherapie statt. Die dort behandelnden Ärzte hätten dem Antragsteller eine neurologische Rehabilitationsbehandlung dringend angeraten. Entgegen der Ansicht des SG sei es ohne weiteres möglich, zwischen den jeweiligen stationären Behandlungsterminen für die Immunglobulingabe eine stationäre Reha von drei Wochen durchzuführen. Die letzte stationäre Behandlung im Rahmen des Behandlungszyklus finde am 11.12.2020 statt. Unter Zugrundelegung des Befundberichts des Klinikums C-Stadt vom 13.11.2020 sei eine stationäre neurologische Rehabilitationsmaßnahme eventuell nach Abschluss des aktuellen Zyklus der Immunglobulintherapie notwendig. Bereits am 03.08.2020 habe der Chefarzt des Klinikums C-Stadt eine neurologische Rehabilitationsbehandlung dringend angeraten. Eine neurologische Anschlussheilbehandlung sei aufgrund des beim Antragsteller vorliegenden Erkrankungsbildes aus medizinischen Gründen erforderlich. Der Antragsteller leide unter zahlreichen schweren Erkrankungen auf neurologischem und orthopädischem Fachgebiet. Es sei mit einem progredienten Krankheitsverlauf zu rechnen. Ohne gezieltes Muskelaufbautraining werde sich die Mobilität des Antragstellers weiterhin erheblich verschlechtern, sodass der Antragsteller dann voraussichtlich auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sei und pflegebedürftig werde. Bereits im Jahr 2018 habe der Antragsteller von einer stationären neurologischen Anschlussheilbehandlung sehr profitiert. Alle bereits stattgefundenen stationären Anschlussheilbehandlungen seien medizinisch notwendig gewesen, durch die behandelnden Ärzte verordnet und schließlich auch von der Antragsgegnerin genehmigt worden. Nach Einschätzung des Antragstellers werde es bei Fehlen einer stationären neurologischen Anschlussheilbehandlung zu einem rapiden Muskelabbau kommen, der weitere Operationen im Bereich der Wirbelsäule nach sich ziehen werde. Ambulante Rehamaßnahmen seien nicht ausreichend. Der Antragsteller benötige ein multimodales Behandlungskonzept, welches er aufgrund der gegebenen schweren chronischen Erkrankungen noch absolvieren könne. Für die Behandlung der Erkrankung des Antragstellers gebe es bundesweit nur sehr wenige spezialisierte Ärzte und Einrichtungen.
Beigelegt haben die Bevollmächtigten eine Stellungnahme des Klägers vom 02.11.2020. Darin hat dieser ausgeführt, dass er sich des Öfteren stationären Behandlungen habe unterziehen müssen, wobei anschließend die von den Kliniken eingeleiteten notwendigen Nachbehandlungsmaßnahmen mittels einer Anschlussheilbehandlung in den entsprechenden Rehaeinrichtungen erfolgt seien, um eine Pflegebedürftigkeit zu umgehen und die selbstständige Alltagskompetenz zu erhalten. Diese notwendigen Maßnahmen als wohlwollende Gefälligkeit darzulegen, als Urlaub sozusagen, sei von der Antragsgegnerin sehr höhnisch formuliert. Nach den jeweiligen Aufenthalten in den Rehaeinrichtungen seien deutliche Verbesserungen eingetreten, die ca. acht bis zehn Monate gedauert hätten; diese Rehaaufenthalte müssten alle zwei Jahre wiederholt werden. Was eine ambulante Reha angehe, habe er versucht, sich diese verschreiben zu lassen, aber nur Verordnungen für Krankengymnastik erhalten. Massagen und Ergotherapie seien ihm nicht verschrieben worden, weil die Antragsgegnerin diese nicht mehr bezahle. Er habe sich daher selbst geholfen und viele sportliche Geräte angeschafft, um zu Hause einige Übungen und ein wenig Muskelaufbau zu tätigen, und zwar unter Anleitung seiner Ehefrau, die Ärztin der Orthopädie der S.-Klinik sei. Selbst wenn er die von der Antragsgegnerin angegebenen Anwendungen erhalten hätte, wäre es ihm nicht möglich und zumutbar gewesen, diese Einrichtungen täglich mehrfach für Termine zu erreichen, da er ohne Hilfsmittel nur noch 50 m am Stück gehen könne. Er müsse einen Fahrdienst in Anspruch nehmen. In der Neuroklinik Bad E., in der er im Jahr 2015 eine Anschlussheilbehandlung durchgeführt habe, habe er aber die verschiedensten Anwendungen erhalten. Eine solche umfangreiche Therapiedichte könne niemals in ambulanten Einzeltherapie-Settings erbracht werden. In Bad E. sei alles komprimiert an einem Ort und gezielt auf seine neurologische Autoimmunerkrankung zugeschnitten.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 15.12.2020 erwidert, dass keinerlei Eilbedürftigkeit für den Antragsteller bestehe. Es stünden alternativ zahlreiche Behandlungsmöglichkeiten sofort zur Verfügung. Der aktuelle Behandlungszyklus (mit Immunglobulingabe) habe zu einer Linderung der neurologischen Beschwerden geführt; diese stationäre Behandlungsform könne jederzeit fortgeführt werden, wenn dies medizinisch erforderlich sei. Neben der Therapie mit Immunglobulinen könne die regelmäßige Inanspruchnahme der ambulanten Krankenbehandlungen am Wohnort zur Stabilisierung und Verbesserung des neurologischen Gesundheitszustands des Antragstellers beitragen. Beim neurologischen Krankheitsbild CIDP seien eine regelmäßige ambulante neurologische Krankengymnastik und ambulante Ergotherapie ein- bis zweimal pro Woche medizinischer Standard. Das Neurozentrum N. habe dem Antragsteller in seinem Kurzbericht vom 15.01.2018 die Durchführung von Rehabilitationssport (bzw. Funktionstraining) oder Herzsport empfohlen. Seit der Entlassung aus der Rehabilitation am 17.01.2018 habe der Antragsteller aber weder Rehabilitationssport (Herzsport) noch Ergotherapie noch neurologische Krankengymnastik im ambulanten Bereich wahrgenommen. Im Jahr 2020 habe vereinzelt Krankengymnastik stattgefunden, dies aber hauptsächlich wegen der orthopädischen Beschwerden. Genau diese regelmäßige Durchführung notwendiger ambulanter Heilmitteltherapie und die regelmäßige Teilnahme am Rehabilitationssport könnten aber neben einer möglichen Fortführung der Therapie mit Immunglobulinen die neurologischen Beschwerden des Antragstellers lindern und seinen Gesundheitszustand stabilisieren und verbessern. Eine stationäre neurologische (Anschluss-)Rehabilitationsleistung sei dafür nicht erforderlich. Ein Anordnungsanspruch sei schon deshalb nicht gegeben, weil die medizinischen Voraussetzungen für eine stationäre neurologische (Anschluss-)Rehabilitationsleistung nicht erfüllt seien. Die vorrangigen ambulanten Krankenbehandlungen am Wohnort seien größtenteils weder in Anspruch genommen noch ausgeschöpft worden. Eine dringende medizinische Notwendigkeit für eine vorzeitige stationäre neurologische Rehabilitationsmaßnahme vor Ablauf der Vier-Jahres-Frist ergebe sich somit nicht.
Mit Schriftsatz vom 28.01.2021 haben die Bevollmächtigten des Antragstellers mitgeteilt, dass sich der Antragsteller corona-bedingt in stationärer (teils intensivmedizinischer) Behandlung befunden habe (Beginn am 25.12.2020). Zur Behandlung mit Immunglobulingaben haben die Bevollmächtigten mitgeteilt, dass die letzte Immunglobulingabe im Dezember 2020 erfolgt sei und danach eine klinische und elektrophysiologische Evaluierung stattgefunden habe. Der behandelnde Chefarzt des Klinikums C-Stadt befürworte eine intensive physiotherapeutische Behandlung im Rahmen einer stationären Rehabilitation aus medizinischen Gründen dringend. Die (ambulant) behandelnden Ärzte hätten dem Kläger ausschließlich Krankengymnastik verordnet, was der Kläger auch wahrgenommen habe. Diese ambulante Versorgung am Wohnort sei jedoch nicht ausreichend; erforderlich sei eine hohe Therapiedichte. Beigefügt war ein Arztbrief des Klinikums C-Stadt an die Ehefrau des Klägers als Ärztin in der S.-Klinik Bad S. vom 27.01.2021, in dem Folgendes berichtet worden war: Nach der Evaluierung sei beschlossen worden, die Immunglobulintherapie zum jetzigen Zeitpunkt auszusetzen und den spontanen Ablauf abzuwarten. Im Falle einer sekundär relevanten Verschlechterung werde der Antragsteller erneut einbestellt. Ein zusätzlicher Aspekt der Symptomatik des Antragstellers seien die ausgeprägten degenerativen Veränderungen der gesamten Wirbelsäule. Diese ausgeprägten degenerativen Veränderungen könnten für die Beschwerden, wie sie der Antragsteller schildere, partiell als ursächlich angesehen werden. Insofern sei eine intensive physiotherapeutische Behandlung im Rahmen einer stationären Rehabilitation aus medizinischen Gründen dringend erforderlich.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 02.02.2021 darauf hingewiesen, dass der bisherige Vortrag des Antragstellers nicht nachvollziehbar sei. Streitgegenständlich sei eine vorzeitige stationäre neurologische Anschlussrehabilitation, wohingegen im Befundbericht vom 27.01.2021 degenerative Rückenbeschwerden, also orthopädische Diagnosen beschrieben worden seien. Nun solle wegen der orthopädischen Beschwerden eine stationäre Rehabilitationsleistung durchgeführt werden. Eine orthopädische Rehabilitationsmaßnahme sei aber überhaupt nicht streitgegenständlich. Zudem sei zunächst im Krankenhausbericht vom 23.06.2020 bestätigt worden, dass die streitgegenständliche stationäre neurologische Anschlussrehabilitation auf Wunsch des Antragstellers beantragt worden sei, dann sei im Bericht vom 03.08.2020 eine neurologische Rehabilitationsleistung befürwortet, im Krankenhausbericht vom 18.09.2020 aber keine neurologische Rehabilitationsleistung empfohlen worden, weil sich die neurologischen Beschwerden gebessert hätten. Nun wäre nach dem Befundbericht vom 27.01.2021 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme wegen der degenerativen Rückenbeschwerden erforderlich. Die Antragsgegnerin sehe hierin ein sehr wohlwollendes Attest. Völlig unverständlich sei, dass ambulante Maßnahmen nicht stattfinden könnten. Zudem sei eine wesentliche Änderung der Sachlage eingetreten, da sich der Antragsteller aufgrund einer Corona-Virus-Infektion seit dem 25.12.2020 im Krankenhaus in A-Stadt befinde. Eine stationäre geriatrische Anschlussrehabilitation sei bereits mit Bescheid vom 21.01.2021 bewilligt worden; der Verlauf dieser Maßnahme bleibe abzuwarten. Derzeit stehe im Behandlungsvordergrund eine geriatrische Reha nach Covid 19-Infektion. Eine vorzeitige stationäre neurologische Anschlussrehabilitationsleistung sei medizinisch nicht erforderlich, da ambulante Maßnahmen derzeit ausreichend seien. Im Übrigen sei die Behauptung, dass eine ambulante Versorgung am Wohnort nicht ausreichend sei, erst dann glaubhaft gemacht, wenn ambulante Krankenbehandlungen wie Rehabilitationssport, ambulante Heilmitteltherapie in Form von neurologischer Krankengymnastik und ambulanter Ergotherapie auch tatsächlich stattgefunden hätten. Wenn sich trotz regelmäßiger Inanspruchnahme der ambulanten Behandlungsalternativen eine deutliche Verschlechterung zeige, könne der Antragsteller jederzeit erneut Leistungen zur neurologischen Rehabilitation beantragen.
Der Chefarzt des Klinikums C-Stadt hat am 02.02.2021 mitgeteilt, dass die letzte stationäre Immunglobulingabe vom 11. bis 12.12.2020 erfolgt sei und dann die Entscheidung getroffen worden sei, die Immunglobulintherapie zunächst auszusetzen. Er befürworte eine stationäre neurologische Anschlussheilbehandlung, um den Therapieerfolg zu konsolidieren. Er halte insbesondere eine intensive Physio- und Ergotherapie für sinnvoll, da der Antragsteller in seiner Gehstrecke sehr eingeschränkt sei. Dazu drohe aufgrund der massiv ausgeprägten degenerativen Wirbelsäulenveränderungen eine fortgesetzte Abnahme der Gehfähigkeit und eine weitere Chronifizierung der Schmerzerkrankung. Der Antragsteller beklage auch eine alltagsrelevante Einschränkung der Kraft beider Hände. Eine stationäre Behandlung erscheine durch die Multimorbidität des Antragstellers begründet, sodass ihm die körperliche Belastung einer ambulanten Rehabilitation nicht zugemutet werden könne.
Die Bevollmächtigten des Antragstellers haben mit Schriftsatz vom 08.02.2021 eine Stellungnahme des Antragstellers vom selben Tag vorgelegt. Darin hat der Antragsteller mitgeteilt, dass er nach seiner Corona-Erkrankung sehr geschwächt gewesen sei und deshalb einer geriatrischen Reha zugestimmt habe. Er mache in der Reha täglich gute Fortschritte und werde bei Entlassung in einem besseren Gesundheitszustand sein als zuvor. Dies bedeute, dass er jederzeit in der Lage sei, die dringend benötigte Reha in Bad E. zu bewältigen, denn bei weiterem Schwund seiner Muskulatur durch CIDP werde sich garantiert die Situation der starken Bandscheibenvorfälle im Brustwirbelbereich und im Halswirbelbereich verstärken. Was ambulante Behandlungen angehe, müsste ihm die Antragsgegnerin eine schriftliche Genehmigung für Einzelbehandlungen in Form von Massagen, Gehtraining, Ergotherapie, Muskelaufbau, Bewegungsbad, Gleichgewichtstraining und Alltagstraining erteilen, zusätzlich die Genehmigung für den Fahrdienst, um die ganzen Termine wahrnehmen zu können, und zudem noch eine psychologische Betreuung, wenn ihm der ganze Stress zu viel werde. Ein stationärer Aufenthalt mit allen Behandlungen vor Ort sei wohl vorzuziehen.
Der Antragsteller beantragt (Schriftsatz vom 01.12.2020),
den Beschluss des SG Nürnberg vom 26.11.2020 abzuändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine neurologische Anschlussheilbehandlung im Neurozentrum Dr. B. in Bad E. zu bewilligen,
hilfsweise eine stationäre neurologische Anschlussheilbehandlung zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie auf die Gerichtsakten des Beschwerdeverfahrens und des Antrags- und Klageverfahrens vor dem SG Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG -), in der Sache aber unbegründet. Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Nürnberg vom 26.11.2020 ist zurückzuweisen. Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers kann ausgeschlossen werden.
1. Streitgegenstand
Gegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ist die Gewährung einer sich an den stationären Krankenhausaufenthalt des Antragstellers im Klinikum C-Stadt im Juni 2020 anschließenden Anschlussrehabilitation.
Bei der Bestimmung des Streitgegenstands sind folgende Grundsätze zu beachten:
Maßgebend für die Bestimmung des Streitgegenstands ist der geltend gemachte prozessuale Anspruch, d.h. (Klage-)Antrag und Klage- bzw. Antragsgrund im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 28.03.2013, B 4 AS 12/12 R – m.w.N.). Hiervon ausgehend wird der Streitgegenstand durch den objektiven Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids, ausgehend vom zugrunde liegenden Antrag, und das im Prozess geltend gemachte Begehren bestimmt. Zulässiger Streitgegenstand ist also die Schnittmenge von bescheidsmäßig getroffenen Regelungen einerseits und dem prozessualen Begehren eines Klägers andererseits.
Maßstab der Auslegung eines angefochtenen Bescheids ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.2010, B 9 V 2/10 R).
Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen ist ebenfalls der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.11.1995, X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschlüsse vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, 1 BvR 461/03). Entsprechendes gilt auch für die Auslegung von Anträgen und Erklärungen gegenüber Versicherungsträgern; sofern Anträge/Erklärungen unklar gefasst sind, ist der Versicherungsträger gehalten, den Antrag den Zielen des Versicherten gerecht werdend auszulegen und ggf. den Versicherten entsprechend zu beraten.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:
Der streitgegenständliche Antrag stellt einen Antrag auf eine Anschlussrehabilitation dar, also eine in unmittelbarem Anschluss an die im Juni 2020 erfolgte Krankenhausbehandlung im Klinikum C-Stadt durchzuführende Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne des § 40 Abs. 6 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch(SGB V).
Der aufgrund von zehn seit 2015 durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen (neun davon Anschlussrehabilitationen) in diese Materie durchaus erfahrene und von einer fachkundigen Ehefrau (Ärztin für Orthopädie in einer Klink, die auch Leistungen der medizinischen Rehabilitation erbringt) beratene Antragsteller hat mit Eingang bei der Antragsgegnerin am 22.06.2020 unter Verwendung des Formblatts „Antrag auf Anschlussrehabilitation“ eine neurologische stationäre Anschlussrehabilitation beantragt, wobei er den Wunsch geäußert hat, die Anschlussrehabilitation im Neurozentrum N., Bad E. durchführen zu dürfen, wo er bereits in der Vergangenheit eine Anschlussrehabilitation durchgeführt hatte. Auch dem anliegenden ärztlichen Befundbericht – „Anlage zum Antrag auf Anschlussrehabilitation“ – ist zu entnehmen, dass der Antragsteller eine Anschlussrehabilitation nach der für den 23.06.2020 geplanten Entlassung aus der stationären Behandlung beantragt hat. Die Anschlussrehabilitation solle frühestens am 01.07.2020 erfolgen und wegen der Multimorbidität des Antragstellers stationär erfolgen.
Dieser Antrag kann, wie dies auch die Antragsgegnerin und der MDK im Rahmen seiner gutachtlichen Stellungnahmen getan haben, nur als Antrag auf eine stationäre neurologische Anschlussrehabilitation im zeitlich unmittelbaren Anschluss an die im Juni 2020 durchgeführte stationäre Behandlung im Klinikum C-Stadt verstanden werden. Ein weitergehender Antrag auf medizinische Rehabilitationsmaßnahmen auch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt ist aufgrund der konkreten Antragstellung des Antragstellers auszuschließen; dass von diesem Antrag eine später, beispielsweise nach der letzten von sechs geplanten Immunglobulingaben und damit nach dem Abschluss des Behandlungszyklus, durchzuführende Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nicht umfasst war, ist offensichtlich erkennbar. Dies steht für den Senat aufgrund folgender Überlegungen zweifelsfrei fest:
– Der Antragsteller ist sehr rehaerfahren. Zudem wird er, wie dies der Antragsteller wiederholt selbst zum Ausdruck gebracht, von einer Ehefrau beraten, die in einer Klinik als Ärztin arbeitet, die auch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation erbringt. Es ist auszuschließen, dass dem Kläger nicht bewusst ist, was er mit seinen mit Bedacht gewählten Formulierungen zum Ausdruck bringen will.
– Der Antragsteller hat mit seinem Widerspruch vom 21.07.2020 ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass er „eine AHB gefordert“ habe, „keine Reha“. Damit ist es ausgeschlossen, den Antrag des Antragstellers nicht (nur) als auf eine Anschlussrehabilitation gerichtet zu verstehen, sondern auch auf eine stationäre medizinische Rehabilitation, die nicht in einer Anschlussrehabilitation besteht und damit zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden kann.
– Dem Antragsteller ging es auch gerade darum, unmittelbar an die im Juni 2020 durchgeführte stationäre Immunglobulingabe im Klinikum C-Stadt anschließend eine Anschlussrehabilitation zu erhalten. Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem dem Antrag beigelegten ärztlichen Befundbericht zur Anschlussrehabilitation. Dort ist ausdrücklich ein Beginn der Anschlussrehabilitation mit dem angegebenen Datum „frühestens 01.07.2020“ so beantragt/befürwortet worden, dass der Antrag nur so verstanden werden kann, dass die Anschlussrehabilitation noch vor der für (Ende) Juli geplanten weiteren Immunglobulingabe durchgeführt werden kann – und nicht erst nach Abschluss der letzten der sechs geplanten Immunglobulingaben. Auch der spätere Vortrag des Antragstellers bestätigt diese Auslegung des Antrags des Antragstellers. So haben seine Bevollmächtigten im Rahmen der Beschwerdebegründung vom 01.12.2020 mit Blick darauf, dass zwischen den einzelnen Immunglobulingaben jeweils nur ein Zeitraum von knapp einem Monat gelegen hat, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es „ohne weiteres möglich“ gewesen wäre, „zwischen den jeweiligen Behandlungsterminen für die Immunglobulingabe eine stationäre Reha von drei Wochen durchzuführen.“ Ob die insgesamt sechs, jeweils stationär durchgeführten Immunglobulingaben als Teil eines einheitlichen Behandlungskonzepts zu betrachten sind oder nicht und ob eine Anschlussrehabilitation nach jedem einzelnen stationären Aufenthalt zu Immunglobulingaben aus medizinischer Sicht angezeigt sein kann oder ob eine Anschlussrehabilitation erst nach Abschluss der letzten stationären Immunglobulingabe medizinisch indiziert sein kann, ist für die Beurteilung der Frage, wie der streitgegenständliche Antrag des Antragstellers auszulegen ist, ohne Bedeutung. Denn es ist auf das tatsächlich Gewollte abzustellen, hier also darauf, dass im Anschluss an die Immunglobulingabe im Juni 2020 eine Anschlussrehabilitation stattfinden solle.
Diesen Antrag auf eine Anschlussrehabilitation nach der im Juni 2020 durchgeführten Immunglobulingabe hat die Antragsgegnerin sodann mit Bescheid vom 30.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2020 abgelehnt. Dagegen hat sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gewandt und die Gewährung einer Anschlussrehabilitation beantragt.
2. Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes – allgemein
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht die isolierte Anfechtungsklage die zutreffende Klageart ist, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Soweit Leistungen von existenzieller Bedeutung in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016, 1 BvR 1335/13). Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine – nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende – Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was von dem zur Entscheidung berufenen Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016, 1 BvR 1335/13; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12). Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die einstweilige Anordnung wird erlassen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
3. Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im vorliegenden Fall
Ausgehend von den unter Ziff. 2 aufgezeigten Grundsätzen ist dem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz zu versagen, weil er die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht nur nicht glaubhaft gemacht hat, sondern ein Anordnungsanspruch sogar auszuschließen ist.
3.1. Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation – allgemein
Versicherte haben Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 11 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Leistungen zur medizinischen Rehabilitation werden ambulant (§ 40 Abs. 1 SGB V) oder stationär (§ 40 Abs. 2 SGB V) erbracht. Ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen werden erbracht, wenn ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung erbringt die Krankenkasse, wenn ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen nicht ausreichen (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SGB V), z.B. weil der Versicherte eine Rehabilitationsmaßnahme benötigt, die von Reha-Einrichtungen nur stationär angeboten wird. Leistungen nach § 40 Abs. 1 und 2 SGB V können nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden, deren Kosten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind, es sei denn, eine vorzeitige Leistung ist aus medizinischen Gründen dringend erforderlich (§ 40 Abs. 3 Satz 4 SGB V).
Muss die Leistung zur medizinischen Rehabilitation, um ihren Zweck zu erfüllen, im „unmittelbaren Anschluss an die Krankenhausbehandlung“ (§ 40 Abs. 6 Satz 1 SGB V) erfolgen, handelt es sich um eine sogenannte „Anschlussrehabilitation“. Als „unmittelbar“ im vorgenannten Sinne gilt der Anschluss auch dann noch, wenn die Maßnahme innerhalb von 14 Tagen beginnt, es sei denn, die Einhaltung dieser Frist ist aus zwingenden tatsächlichen oder medizinischen Gründen nicht möglich (§ 40 Abs. 6 Satz 1, Halbsatz 2 SGB V). Zu der Anschlussrehabilitation nach § 40 Abs. 6 Satz 1 SGB V gehören in erster Linie die Anschlussheilbehandlungen, die in eine der von der Praxis als Arbeitshilfe festgelegten (zur Zeit 13) Indikationsgruppen fallen (vgl. den AHB-Indikationskatalog der Deutschen Rentenversicherung Bund, Stand 12/2017 – https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Experten/infos_fuer_aer zte/ahb_indikationskatalog.htm). In der Regel handelt es sich um Krankheiten eines höheren Schweregrades mit gravierenden Folgen, aus denen sich hohe Anforderungen an die Rehabilitationseinrichtung ergeben (vgl. Waßer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. Stand: 15.06.2020, § 40, Rdnr. 64; Kanter/Zipperer, in: Orlowski/Remmert, SGB V, Stand 12/2020, § 40, Rdnr. 148). Ein zwingender tatsächlicher Grund, der das Überschreiten der 14-Tages-Frist zulässt, kann z.B. das Fehlen eines freien Platzes in einer geeigneten Einrichtung darstellen, ein medizinischer Grund für die Fristüberschreitung die fehlende sofortige Rehabilitationsfähigkeit (vgl. Waßer, a.a.O., § 40, Rdnr. 108). Um noch von einem Zusammenhang zwischen Rehabilitationsmaßnahme und vorhergegangenem Krankenhausaufenthalt ausgehen zu können, darf aber eine Obergrenze von sechs Wochen grundsätzlich nicht überschritten werden (vgl. Kanter/Zipperer, a.a.O., § 40, Rdnr. 151).
3.2. Anordnungsanspruch
Unter Zugrundelegung der vorstehend dargestellten Voraussetzungen ist ein materieller Anspruch des Antragstellers auf eine Anschlussrehabilitation im Anschluss an den stationären Aufenthalt des Antragstellers im Juni 2020 – und damit ein Anordnungsanspruch – schon aus Zeitgründen ausgeschlossen.
Bereits zum Zeitpunkt der Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG am 13.10.2020 hatte sich das Begehren des Antragstellers auf eine Anschlussrehabilitation im Anschluss an den stationären Aufenthalt des Antragstellers im Juni 2020 durch Zeitablauf erledigt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 21.12.2016, L 9 KR 463/16 B ER, und vom 05.12.2017, L 9 KR 413/17 B ER). Dies ist unabhängig davon, ob als zeitliche Grenze, innerhalb derer eine Krankenkasse verpflichtet werden kann, eine Anschlussrehabilitation zu gewähren, eine 14-Tages- oder eine Sechs-Wochen-Frist angenommen wird. Denn am 13.10.2020 waren auch sechs Wochen sei der Ende Juni beendeten stationären Immunglobulingabe verstrichen. Eine weitere Verlängerung der Sechs-Wochen-Frist aus dem Grund, weil sich das Widerspruchsverfahren über diesen Zeitraum hinaus erstreckt hat, kommt nicht in Betracht. Denn es kann aufgrund medizinisch-fachlicher Überlegungen ausgeschlossen werden, dass eine ihrer Natur nach dringend und zeitnah nach einer Krankenhausbehandlung durchzuführende Rehabilitationsleistung dann noch ihren Zweck erfüllen kann, wenn ein längerer Zeitraum verstrichen ist, unabhängig davon, ob die Maßnahme ursprünglich, also rechtzeitig durchgeführt, angezeigt gewesen wäre. Dazu kommt im vorliegenden Fall, dass mit dem Beginn der nächsten stationären Immunglobulingabe im Juli ein potentieller Zusammenhang zwischen der Immunglobulingabe im Juni und einer sich daran anschließenden Anschlussrehabilitation ohnehin unterbrochen und damit ausgeschlossen ist.
Da somit ein Anspruch auf eine Anschlussrehabilitation im Anschluss an den stationären Aufenthalt des Antragstellers im Juni 2020 schon zum Zeitpunkt der Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG und erst recht nicht später vorgelegen hat, ist ein Anordnungsanspruch, wie er für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erforderlich ist, ausgeschlossen. Eine Güterabwägung hat der Senat nicht mehr anzustellen.
Lediglich der Vollständigkeit halber wird auf Folgendes hingewiesen:
Dem Senat ist bewusst, dass gerichtlichem Rechtsschutz zur Durchsetzung eines Anspruchs auf eine Anschlussrehabilitation enge zeitliche Grenzen gesetzt sind. Darin kann aber keine Verletzung des Justizgewährleistungsanspruchs des Art. 19 Abs. 4 GG gesehen werden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.12.2017, L 9 KR 413/17 B ER). Denn die faktisch eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeit liegt in der Natur der Sache, nämlich der engen zeitlichen Bindung der Anschlussrehabilitation an die vorangegangene stationäre Krankenhausbehandlung. Dass die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes daher nur in sehr engen Grenzen möglich ist, muss hingenommen werden. Im Übrigen ist auch zu bedenken, dass eine zeitliche Ausweitung der Möglichkeiten einstweiligen Rechtsschutzes auch nicht im Sinne der Gesundheitsinteressen der betroffenen Versicherten sinnvoll und geboten wäre. Denn eine erst mit deutlichem zeitlichem Abstand durchgeführte Anschlussrehabilitation könnte gerade wegen dieses Abstands ihrer medizinischen Zielsetzung nicht mehr gerecht werden. Selbst dann, wenn ursprünglich ein Anspruch auf eine Anschlussrehabilitation bestanden hat, kann daher ein Antragsteller im gerichtlichen Eilrechtsschutz – und genauso im Verfahren der Hauptsache – allein wegen Zeitablaufs verlieren. In einem solchen Fall gleichwohl die begehrte Anschlussrehabilitation zuzusprechen, würde bedeuten, allein wegen eines (ursprünglich) „Rechthabens“ auf Kosten der Versichertengemeinschaft eine Leistung zuzusprechen, für die kein sachlicher Grund mehr besteht. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit der Beantragung einer vorzeitigen (allgemeinen) Rehabilitation im Sinne von § 40 Abs. 2 SGB V.
Abschließend weist der Senat der Klarstellung halber, ohne dass dies für die Entscheidung von Bedeutung wäre, noch auf Folgendes hin:
– Selbst dann, wenn der Antragsteller den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz rechtzeitig gestellt hätte und sich der Antrag auf eine Anschlussrehabilitation daher noch nicht durch Zeitablauf erledigt hätte, hätte dieser Antrag keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Denn die Notwendigkeit einer Anschlussrehabilitation ist, soweit dies aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich ist, nicht angezeigt gewesen. Dies hat nicht nur der MDK in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 26.06.2020, sondern auch der Chefarzt des Klinikums C-Stadt in seinem Schreiben vom 13.11.2020 bestätigt. Dort hat dieser eine stationäre neurologische Anschlussheilbehandlung zum damaligen Zeitpunkt als „eher nicht sinnvoll“ bezeichnet und eine solche erst für die Zeit „nach Abschluss des Immunglobulin-Zyklus“ also nach der sechsten Immunglobulingabe – im Dezember 2020 – für „möglicherweise“ erforderlich bezeichnet. Dies steht in Übereinstimmung mit dem Hinweis im Arztbrief des Klinikums C-Stadt vom 23.06.2020, wonach „auf Wunsch des Patienten Antrag auf neurologische AHB gestellt“ worden sei, für den Senat eine klare Bestätigung dessen, dass die behandelnden Ärzte eine Anschlussrehabilitation damals aus fachlicher Sicht nicht befürworten konnten und den Antrag daher nur zur Erfüllung von Begehrlichkeiten des Klägers gestellt haben.
– Die Frage, ob dem Antragsteller eine (vorzeitige) stationäre neurologische Rehabilitation im Sinne von § 40 Abs. 2 SGB V zu gewähren wäre, war einer Klärung im vorliegenden Verfahren nicht zugänglich. Denn insofern fehlte es aufgrund der unzweideutigen Antragstellung des Antragstellers an einem an die Antragsgegnerin gerichteten Antrag, der einen einstweiligen Rechtsschutz eröffnen könnte.
Die Beschwerde musste daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Sie orientiert sich am Unterliegen des Antragstellers (Erfolgsprinzip). Eine Korrektur unter dem Gesichtspunkt des Veranlassungsprinzips wäre nur dann angezeigt gewesen, wenn der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei seiner Einreichung zunächst begründet gewesen wäre und der Anordnungsanspruch erst im Laufe des Verfahrens durch Zeitablauf entfallen wäre. Dies war aber vorliegend nicht der Fall; schon zur Zeit der Einreichung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz (beim SG) hatte sich das Begehren des Antragstellers durch Zeitablauf erledigt.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).


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