Medizinrecht

Leistungen, Krankenversicherung, Arzt, Krankenhaus, Berufung, Klinik, Facharzt, Ruhen, Rufbereitschaft, Leistung, Behandlung, MDK, Zahlung, Beweislast, Kosten des Verfahrens, Ruhen des Verfahrens, erbrachte Leistung

Aktenzeichen  S 15 KR 3608/19

Datum:
7.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22999
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 95.448,01 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten pro Jahr seit dem 08.09.2017 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 95.448,01 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige g1Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 95.448,01 € nebst Zinsen in tenorierter Höhe.
Zwischen den Beteiligten ist unstrittig, dass die Klageforderung in Umfang und Höhe nur dann gerechtfertigt ist, wenn aufgrund Vorliegens der Strukturvoraussetzungen der Codes OPS 8-98f und OPS 8-980 (2015) diese zu verschlüsseln waren und der Klägerin entsprechend ein (höheres) Behandlungsentgelt nach DRG A07C zustehen würde.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Die Klägerin hat die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung erfüllt, indem sie P stationär behandelt hat. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R -, SozR 4-2500 § 109 Nr. 13 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind unstreitig erfüllt.
Die Höhe der Vergütung bemisst sich nach der DRG A13F unter Einbeziehung der Codes OPS 8-98f und OPS 8-980.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 7 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen – Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Nach § 109 Abs. 4 SGB V wird mit einem Versorgungsvertrag nach Absatz 1 das Krankenhaus für die Dauer des Vertrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten zugelassen. Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten verpflichtet.
Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarung ) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als „Vertragsparteien auf Bundesebene“ mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG.
Die vertraglichen Fallpauschalen ergeben sich daraus, dass die nach den aufgezeigten gesetzlichen Regelungen hierzu berufenen Vertragspartner eine Fallpauschalenvereinbarung (FPV) mit einem Fallpauschalen-Katalog als Teil derselben und Allgemeine und Spezielle Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren (Deutsche Kodierrichtlinien ) vereinbart haben. DKR und FPV bilden den konkreten vertragsrechtlichen Rahmen, aus dem die für eine Behandlung maßgebliche DRG-Position folgt (BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2). Im vorliegenden Fall sind maßgebend – jeweils normativ wirkend – die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2015 (FPV 2015) und die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2015 (DKR 2015). Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung (zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl. BSG a.a.O.). „Die Anwendung der DKR und der FPV einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Da das DRGbasierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit „lernendes“ System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen“ (BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2 m.w.N.; auch z.B. Urteile vom 21.04.2015 – B 1 KR 9/15 R -, und vom 01.07.2014 – B 1 KR 29/13 R – beide juris m.w.N.). Medizinischen Begriffen kommt dabei der Sinngehalt zu, der ihnen im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch beigemessen wird (BSG, Beschluss vom 19.07.2012 – B 1 KR 65/11 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr. 32, SozR 4-5560 § 17b Nr. 3).
Die von der Klägerin abgerechnete DRG A13F wird nach FPV 2015 unstrittig nur dann im Groupierungsvorgang angesteuert, wenn die OPS für die intensivmedizinische Komplexbehandlung 8-98f und 8-980 zur Anwendung gelangen.
Zwischen den Beteiligten ist alleine das Vorliegen der allgemeinen Mindestvoraussetzungen streitig. Die individuellen Kodiervoraussetzungen sind hingegen unstrittig; eine nähere Prüfung der erkennenden Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 10).
Die Kammer ist aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Beweismittel der Überzeugung, dass die allgemeinen Mindestvoraussetzungen im Zeitraum der Behandlung auf der Intensivstation im Zeitraum vom 27.04.2015 bis 29.06.2015 vorgelegen haben. Die Klägerin ist ihrer Obliegenheit (objektiven Beweislast) zur Darlegung der Mindestvoraussetzungen (vgl. Kammerurteil vom 05.10.2017, Az. S 15 KR 1733/16, S. 8) nachgekommen.
Der streitige OPS 8-98f bestimmt in der im Jahre 2015 gültigen Version als Mindestmerkmale:
– Kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen
– Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“, der den überwiegenden Teil seiner ärztlichen Tätigkeit auf der Intensivstation ausübt
– Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation muss gewährleistet sein. Der Arzt der Intensivstation kann zu einem kurzfristigen Notfalleinsatz innerhalb des Krankenhauses (z.B. Reanimation) hinzugezogen werden
– Innerhalb von maximal 30 Minuten im Krankenhaus verfügbare Leistungen von: Laboratorium, Radiologie, Blutbank Der OPS 8-890 bestimmt hinsichtlich des Merkmals der Behandlungsleitung parallel:
– Kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen
– Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“
– Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation muss gewährleistet sein.
1. Die Klägerin hat mit der Aufstellung gem. Schriftsatz vom 04.05.2021 überzeugend dargelegt, dass im streiterheblichen Zeitraum die genannten Mindestmerkmale in Bezug auf die Behandlungsleitung erfüllt waren. Unstreitig war durchgehend 24 Stunden pro Tag ein Ärzteteam auf der Intensivstation 2 (J/K) anwesend. Unstreitig ist auch die grundsätzliche Behandlungsleitung durch Ärzte mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin (namentlich W2, W1, S und P1, vgl. insoweit die entsprechenden Nachweise der Zusatzausbildung gem. Schriftsatz der Beklagten vom 04.05.2021 sowie S. 7 des MDK-Gutachtens vom 24.03.2017 „Strukturanalyse S Klinik H E: „an allen geprüften Tagen verfügte die Behandlungsleitung über die Zusatzweiterbildung Intensivmedizin“). Unstreitig ist hierbei auch, dass der jeweilige leitende Arzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“ den überwiegenden Teil seiner ärztlichen Tätigkeit auf der Intensivstation ausübte. Eine nähere Prüfung der erkennenden Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 10).
Strittig ist bzgl. der Behandlungsleitung alleine, ob die – unstrittig an Wochenenden und Feiertagen gegebene – Rufbereitschaft eines leitenden Arztes ausreicht, um das Merkmal der Behandlungsleitung zu erfüllen.
Es ist in diesem Kontext nach dem klaren Wortlaut der OPS 8-98f/ 8-980 unerheblich, ob die behandlungsleitenden Ärzte am Wochenende/ feiertags Dienst hatten, denn für die Leitung bedarf es bereits nach dem Wortlaut des OPS keinesfalls eine ständige, 24-stündige Anwesenheit (ähnlich Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. März 2015 – L 11 KR 5212/13 -, Rn. 48, juris“ zum OPS 8-981: „Fachliche Behandlungsleitung“ im Sinne des OPS-Kodes 8-981 verlangt keine durchgehende persönliche Anwesenheit eines Facharztes für Neurologie bzw. seines Vertreters.“). Es reicht, wenn ein leitender Arzt mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“ die Geschicke der Intensivabteilung lenkt; andernfalls wäre im OPS die Notwendigkeit einer fortwährenden Behandlungsleitung – auch nachts und am Wochenende – anzugeben (im Ergebnis ebenso SG Osnabrück, Urteil vom 14. Februar 2018 – S 34 KR 576/16 -, Rn. 27 ff., juris). Insofern ist die Einrichtung einer Rufbereitschaft eine überobligatorische Anstrengung der Beklagten, die für die Codierung der strittigen OPS nicht erforderlich gewesen wäre. Die Klägerin hat in diesem Kontext auch weder vorgetragen noch substantiiert oder bewiesen, dass die Ärzte mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“ die Geschicke der Intensivmedizin nicht gelenkt hätten, also eine medizinisch-fachliche Leitung nicht stattgefunden hat. Sie hat vielmehr alleine apodiktisch behauptet, dass eine solche Leitungsfunktion dann nicht möglich wäre, wenn die Ärzte mit der Zusatzausbildung Intensivmedizin feiertags oder an Wochenenden zum Teil nicht anwesend sind, vielmehr ein Rufdienst eingerichtet wurde. Dem widerspricht aber bereits die übliche medizinische Leitung in Krankenhäusern, wonach eine ständige Präsenz des Chefarztes gerade nicht erforderlich ist. Leitung beinhaltet nach der Überzeugung des Gerichts immer auch die Möglichkeit der temporären Delegation von Aufgaben und beinhaltet gerade nicht die ständige Anwesenheit des leitenden Organs.
Ein solches Erfordernis kann auch nicht aus dem Wortlaut der „Behandlungsleitung“ abgeleitet werden. Im Wikipedia-Eintrag zur Führungskraft (Wirtschaft) [https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BChrungskraft_(Person) ] wird ausgeführt:
„Der leitenden Tätigkeit steht die Befugnis zu, im Rahmen des Direktionsrechts mittels Weisung Aufgabenträgern ausführender Tätigkeiten vorzuschreiben, welche Handlungen sie vorzunehmen und welche sie zu unterlassen haben. Führungskräfte können mündlich (Auftrag, Befehl) oder schriftlich (Arbeitsanweisungen, Dienstanweisungen) von ihrem Weisungsrecht Gebrauch machen. Durch ihre Führungskompetenz übernehmen sie Fremdverantwortung und delegieren Durchführungskompetenzen. Zu den Führungsaufgaben einer Führungskraft gehören Organisation, Planung, Zielsetzung, Entscheidung, Koordination, Information, Mitarbeiterbewertung und Kontrolle. Für Konrad Mellerowicz darf nur eine Person eine Führungsaufgabe übernehmen (unipersonale Führung), denn der Unternehmer „hat die letzte Verantwortung für das Gesamtunternehmen zu tragen“. Er meint damit jedoch, dass nur substanzielle unternehmerische Entscheidungen dem Unternehmer vorbehalten sind, denn er überträgt im Wege der Delegation auch Führungsaufgaben und Führungsverantwortung auf nachgeordnete Organisationseinheiten.“
Behandlungsleitung meint in diesem Sinne daher nur, dass ein Facharzt mit der Weiterbildung Intensivmedizin die medizinische Verantwortlichkeit trägt, diese aber durchaus zeitlich temporär abdelegieren kann. Er kann diese Leitung im Rahmen von Visiten, Besprechungen, Fallerörterungen und ähnlichem, bezogen auf den medizinischen Einzelfall, ausfüllen. Hierdurch wird nicht lediglich Verantwortung für die Organisation und das Funktionieren der Organisationseinheit (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2015, B 1 KR 4/ 15 R, juris Rn. 14), sondern für die medizinische Behandlung als solche übernommen. Inwieweit eine Delegation geschieht, bestimmt inwieweit eine „straffe“ oder „lose“ Leitung besteht, ändert aber nichts am Tatbestand der Leitung. Eine temporäre Komponente dergestalt, dass die ständige Anwesenheit der Leitung erforderlich ist, enthält der Wortlaut des OPS und auch die Argumentation des BSG („seine Behandlungsleitung für die Dauer der Behandlung tatsächlich ausübender Facharzt“, vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2015, a.a.O, Rn. 14) mithin entgegen der Ansicht der Klägerin nicht. Wie dargelegt, kann eine Behandlungsleitung auch tatsächlich bei temporärer (kurzzeitiger) Abwesenheit ausgeübt werden. Vielmehr ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob aufgrund einer zu langen zeitlichen Abwesenheit eine verantwortliche Führung nicht mehr möglich ist. Dies ist nach Überzeugung der Kammer bei der hier vorliegenden maximalen Abwesenheit von zwei (Wochenend-) Tagen (bei gleichzeitig durchgehend gewährleisteter Rufbereitschaft, siehe hierzu gleich unten) hingegen nicht der Fall.
Die von der Klägerin beigebrachten Unterlagen haben überdies gezeigt, dass ausnahmslos an den Wochenenden und Feiertagen eine Rufbereitschaft eines leitenden Arztes mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin gegeben war, so dass ein leitender Arzt mit der geforderten Weiterbildung ganz regelmäßig ständig „greifbar“ war und mithin seine Leitungsfunktion nicht nur werktags, sondern auch an Wochenenden und Feiertagen ausüben konnte. Auch bedeutet die gelebte Rufbereitschaft keinen reinen Rufdienst, sondern eine Kombination aus einem Regeldienst an Feiertagen und Wochenenden (regulär 9:00 Uhr bis 14:30 Uhr inklusive Visite) und dem anschließenden Rufdienst bis zum Dienstbeginn des nächsten Regeldienstes am nächsten Morgen. Dies bedeutet, dass einmal an jedem Tag, auch sonn- und feiertags, der leitende Arzt physisch anwesend war und zusätzlich in der übrigen Zeit innerhalb von 25 min gerufen werden konnte. Mit diesem Zeitmanagement ist nach Überzeugung der Kammer eine Behandlungsleitung selbst bei Intensivpatienten mit entsprechend höherer Entscheidungsdichte nahtlos möglich.
Eine andere Bewertung ergibt sich zur Überzeugung der Kammer auch nicht aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 14.10.2014 (B 1 KR 25/13 R). Dort war die leitende Ärztin vom 04.-12.10.2007, also über eine Woche, abwesend und leitete insbesondere nicht die Teamkonferenz, obwohl die Mindestmerkmale des dort streitigen OPS 8-550 eine wöchentliche Teambesprechung unter Beteiligung aller Berufsgruppen vorsahen. Gleiches gilt für den vom BSG verhandelten Fall B 1 KR 4/ 15 R (a.a.O.): Auch dort war der leitende Arzt fünf Tage (04.-08.10.2007) nicht anwesend und hat überdies nicht an der auch in diesem Fall notwendigen Teambesprechung (im Rahmen des OPS 8-550) teilgenommen. Die Kammer stimmt dem BSG zwar zu, dass der temporäre Bezug einer medizinischen Behandlungsleitung bei einer (fast) einwöchigen Abwesenheit zu lose wird, um das Mindestmerkmal noch zu erfüllen. Ein solcher Fall ist in den vorliegenden Fällen mit maximal zweitägiger Abwesenheit bei vollständig, und damit strukturell, gegebener Rufbereitschaft aber nicht annähernd gegeben (im Zeitraum vom 27.04.2015 bis zum 29.06.2015 war in der Station 2 (J/K) an allen Wochenend- und Feiertagen eine Rufbereitschaft mit einem Intensivmediziner eingerichtet worden).
Das hier gefundene Ergebnis hält auch einer – möglichen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 2018 – B 1 KR 39/17 R) – systematischen Überprüfung stand. Die systematische Auslegung zielt auf das Verhältnis einzelner Normen zueinander ab. Es muss ein Bedeutungszusammenhang zwischen den entsprechenden Normen bestehen. Bei der systematischen Auslegung hilft vor allem ein Blick auf die Überschrift der Norm, die Überschrift des Abschnitts, in dem die Norm steht und auf nahe gelegene Normen.
Als weiteres (und somit nahegelegenes) Mindestmerkmal wird die kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen, kodiert. Der Normgeber hat hier eine kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und Behandlungsbereitschaft konkret aufgenommen und somit ein zeitliches Element festgeschrieben. Aus systematischen Erwägungen liegt es daher nahe, dass bzgl. des hier strittigen Mindestmerkmals der Behandlungsleitung ein solch strenges temporäres Erfordernis nicht besteht, da es andernfalls wie im vorherigen Mindestmerkmal normiert worden wäre.
Nicht mehr streiterheblich ist die Frage, ob die durchgeführte individuelle Prüfung des MDK (vgl. S. 4 des sozialmedizinischen Gutachtens vom 03.02.2016, Bl. 7-11 der Verwaltungsakte) mit Bejahung der Erfüllung der Mindestmerkmale Vorrang vor der abstrakten Strukturvoraussetzung hat. Dies wäre aus Sicht der Kammer hingegen zu bejahen, da eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 275 Abs. 1 SGB V (ebenso SG Osnabrück, Urteil vom 14. Februar 2018 – S 34 KR 576/16 -, Rn. 26, juris) durchgeführt wurde und diese Prüfung höheren Beweiswert (vgl. insoweit SG Düsseldorf, Urteil vom 10. November 2014 – S 9 KR 1240/11 -, Rn. 22, juris, welches bei einem „Strukturgutachten“ von einem substantiierten Parteivortrag ausgeht, der von der Krankenhausseite zu widerlegen ist, welches wiederum mit einer fallbezogenen MDK-Prüfung erfolgt) hat als die nachfolgende „Strukturprüfung“ für einen nachfolgenden Zeitraum.
2. Streitig ist zwischen den Beteiligten bzgl. des Mindestmerkmals „Blutbank“ nicht das Vorliegen des Merkmals Blutbank selbst (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 06. August 2019 – L 11 KR 1859/18 -, Rn. 62, juris), sondern die verfügbaren Leistungen der Blutbank innerhalb von 30 min. Auch werde die Expertise eines Transfusionsmediziners nicht vorgehalten (vgl. Schreiben vom 19.04.2017, Bl. 21 der Verwaltungsakte).
Nach Überzeugung der Kammer ist das Mindestmerkmal „Blutbank“ hingegen erfüllt.
Das Gericht macht sich hierzu die Ausführungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (a.a.O.) zu eigen, wenn es ausführt:
„Zutreffend hat das SG dargelegt, dass der Begriff der Blutbank nicht definiert ist. Weder der OPS macht hierzu Vorgaben, noch findet sich an anderer Stelle eine Beschreibung. Eine medizinisch-wissenschaftliche Definition existiert nicht. Auch eine rechtliche Definition ist nicht zu finden. Die Regelungssystematik gibt ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs der Blutbank. Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Aus dem Begriff der Blutbank lässt sich einzig entnehmen, dass jedenfalls ein Vorhalten von Blutkonserven erforderlich ist. Ob für das Vorliegen einer Blutbank die Voraussetzungen eines Blutdepots erfüllt sein müssen oder ob eine Blutbank sogar ein „Weniger“ im Vergleich zu einem Blutdepot sein kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da das von der Klägerin betriebene Krankenhaus unstreitig die Vorgaben der RL Hämotherapie erfüllt und damit über ein Blutdepot iSv § 11a TFG verfügt.
Weitere Anforderungen, die über die für ein Blutdepot geforderten Voraussetzungen hinausgehen, sind für eine Blutbank iSd hier streitigen OPS-Kodes jedenfalls nicht zu verlangen. Das Erfordernis weiterer Merkmale in Abgrenzung zum Blutdepot ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Regelungssystematik des OPS. Die Vorgabe im OPS, dass Transfusion von Plasma und Plasmabestandteilen sowie Plasmapherese gesondert kodiert werden, zwingt nicht zu der Annahme, dass die Fähigkeit und Berechtigung zur Durchführung dieser Maßnahmen Anforderungen an eine Blutbank darstellen, wie das SG überzeugend dargelegt hat. Selbst der Beklagten ist es nicht gelungen, die für eine Blutbank in Abgrenzung zu einem Blutdepot zusätzlich zu fordernden Voraussetzungen klar zu definieren. Eine sich aus dem Wortlaut ergebende Definition konnte sie nicht darlegen, sodass eine zweifelsfreie Abgrenzung nicht möglich wird. Die Beklagte hat unter Vorlage von Ausdrucken der Internetseiten verschiedener Kliniken ausgeführt, charakteristisch sei, dass Blutbanken umliegende Leistungserbringer versorgten, Spendeeinrichtungen betrieben, von Fachärzten für Transfusionsmedizin geleitet würden und eigene Blutprodukte herstellten. Zugleich hat die Beklagte jedoch auch angemerkt, dass diese Voraussetzungen nicht immer kumulativ vorliegen müssten. Bereits dies spricht dagegen, dass es sich dabei um zwingende Voraussetzungen handelt. Ferner ergibt sich aus den Darstellungen lediglich, dass die genannten Institutionen den Begriff Blutbank verwenden. Dass und vor allem welche weitere Voraussetzungen für den Begriff der Blutbank zu fordern wären, kann hieraus nicht entnommen werden. Es ist nicht einmal erkennbar, dass alle diese Institutionen den Begriff der Blutbank einheitlich verwenden. So findet sich zB beim Universitätsklinikum M. folgender Eintrag (siehe Bl 90 der LSG-Akte): „Die Blutbank der Universitätsmedizin M. ist Teil des Instituts für Transfusionsmedizin und Immunologie. Durch ihre zentrale Lage auf dem Gelände des Klinikums ist eine schnelle Versorgung der Patienten mit Blutpräparaten jederzeit gewährleistet.“ Daraus ist zu entnehmen, dass sich das Institut selbst nicht als „Blutbank“ bezeichnet. Der Wortlaut dieser Eigendefinition ließe sogar den Schluss zu, dass mit „Blutbank“ nur der räumliche Bezirk gemeint ist, in dem sich die Vorrichtungen befinden, in denen die Blutpräparate aufbewahrt werden. Selbst die Klägerin könnte ihr Blutdepot iSd § 11a TFG als „Blutbank“ bezeichnen, ohne den Vorwurf der Irreführung befürchten zu müssen.“
Nach diesen überzeugenden Ausführungen ist es keinesfalls notwendig, dass die Klägerin selbst einen Transfusionsmediziner beschäftigt, sondern es reicht aus, dass im Z. als in Anspruch genommener Dienstleister ein solcher Mediziner die fachliche Leitung innehat. Zusätzlich ist die fachliche Leitung durch einen Transfusionsmediziner nur ein Merkmal, das jedoch für die Herleitung einer „Blutbank“ im Sinne des OPS nicht notwendigerweise erfüllt sein muss. Zudem reicht es für die Bejahung des Mindestmerkmals aus, wenn die Klägerin in ihrem Krankenhaus über ein Blutdepot im Sinne von § 11a TFG verfügt. Dies ist vorliegend beim Z der Fall. Nach dem überzeugenden und nicht bestrittenen Vortrag der Aktivpartei in der mündlichen Verhandlung handelt es sich bei der Außenstelle des Z im Klinikum E um ein externes Konservenlager, für das strengere – insbesondere ordnungsrechtliche – Anforderungen gelten als für ein reines Blutdepot im Sinne von § 11a TFG.
Doch selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde auch die Kooperation mit dem Z ausreichen, um das Mindestmerkmal zu erfüllen.
Der OPS verlangt nach seinem Wortlaut, dass innerhalb von maximal 30 Minuten im Krankenhaus Leistungen der Blutbank verfügbar sind. Dies bedeutet nach Auffassung der Kammer, dass die Leistungsdauer selbst nicht eingerechnet werden darf, es vielmehr auf den Beginn der Leistung ankommt. Denn mit Beginn der Leistung ist diese auch verfügbar. Die Kammer folgt hier der in Richterlichen Hinweisen geäußerten Auffassung der 39. und 44. Kammer des Sozialgericht München vom 02.02.2018 und vom 14.06.2018, dass die Hinzurechnung der Leistung in die 30 min letztlich auf die Forderung einer objektiven Unmöglichkeit herauslaufen würde, da die Leistungserbringung des Z bereits länger als 30 min andauert. Insbesondere die Durchführung einer Kreuzprobe dauert technisch 30 min bis 44 min für Zentrifugation, Pipettierschritte, Inkubationszeit und erneute Zentrifugation. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Richtigerweise kommt es daher darauf an, in welcher Zeitspanne das Patientenblut zum Z gebracht werden kann und in welcher Zeitspanne eine angeforderte Blutkonserve zum Krankenhaus E geliefert werden kann. Dies ist jeweils nach Angabe des MDK in 13 min möglich (S. 11 des Gutachtens vom 17.01.2017).
Die Dreißig-Minuten-Frist des OPS bezieht sich gerade nicht auf die Bereitstellung von Blutprodukten (innerhalb von 30 min), wie dies von der Beklagten aber schriftsätzlich vorgetragen wird, sondern auf die Verfügbarkeit von Leistungen. Die von der Beklagten vorgenommene Auslegung findet im Wortlaut keine Stütze und ist aus o.g. Gründen auch systematisch abzulehnen.
Nach allem war der Klage stattzugeben. Die Zinsentscheidung folgt aus § 14 des Landesvertrags für H.
Die Kostenentscheidung entspricht dem Ausgang des Verfahrens und folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO). Der Streitwert war in Höhe von 95.448,01 € festzusetzen, da die Zahlung des oben genannten Betrags streitig war und dieser nach § 52 Abs. 3 GKG zu Grunde zu legen ist.


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